Die Opfer hiessen Hämmerli, Gugerli, Muggli, Düggeli, Stehli oder Bünzli. Es handelte sich meist um verheiratete oder verwitwete, zum Teil schon ältere Frauen. Mitglieder der Bürgerfamilien von Zürich fehlen in der Liste der vom kleinen Rat Zürichs zum Tod durch das Feuer verurteilten Frauen und Männer. Dafür trugen die Täter Namen wie Werdmüller, Thomann, Landolt, Burckhart, Hirzel, Rahn, Waser, Müller, Schmid, Maag, Escher, Wolf, Walder oder Wyss – schon damals ehrwürdige Zürcher Familien, aktiv in den Zünften und Mitglied der Räte.
Die Namen der Opfer und Täter sind den Protokollen der Prozesse entnommen, die der pensionierte Zürcher Staatsarchivar Otto Sigg Ende 2012 in einem Buch veröffentlichte. Anschuldigungen, Geständnisse und Urteile von Dutzenden von Hexenprozessen sind darin zum Teil akribisch festgehalten. «Verbrennnung war die Strafe für Hexerei, Gotteslästerung und Sodomie. Mord hingegen wurde nicht immer mit dem Tod bestraft», so Sigg zu plädoyer.
Der Staatsarchivar dokumentiert insgesamt 79 Fälle, die mit der Hinrichtung der Angeschuldigten endeten: 74 aus dem Zürcher Ratsgericht, 4 von den Landgerichten Kyburg und Wädenswil sowie ein Fall des privaten Gerichts Wülflingen. Zum Vergleich: Auch Winterthur hatte im fraglichen Zeitraum von 1487 bis 1701 eine eigene Gerichtsbarkeit. Von dort ist kein einschlägiger Prozess bekannt.
«Buhlschaft mit dem Bösen in den Gehirnen konstruiert»
Auf dem Land herrschten damals materielle Not, Hunger – aber auch Argwohn und Neid. Wer in diesem Umfeld durch sein Aussehen, sein Verhalten, seine Gedanken und Worte auffiel, musste mit Verdächtigungen und Aggressionen rechnen. Versiegte bei einer Kuh die Milch, seuchte ein Schwein dahin, erkrankte ein Mensch, begegnete man an ungewohntem Ort einer Katze, wütete ein Unwetter – die angeblich Schuldigen waren oft rasch ausgemacht. Eine Anzeige von Nachbarn reichte zum Teil bereits.
Die örtlichen Notabeln meldeten die Verdächtigungen und Vorkommnisse an die Ober- und Landvögte – die damaligen Vertreter des Regimes. Für die Verfahren waren die 48 Zürcher Ratsherren zuständig, jeweils 24 von ihnen plus Bürgermeister pro Halbjahr. Die Räte waren zusammengesetzt aus den Zunftmeistern und weiteren Mitgliedern der Zünfte.
Die Hinrichtung verlangte ein Geständnis der Unholdin, die Verleugnung Gottes und eine Teufelsbuhlschaft, also ein körperliches Einlassen mit dem Teufel. Entsprechend grotesk waren die Anschuldigungen. Beispiel: «Salbt mit einer vom Teufel gegebenen Salbe einen Stecken ein und reitet auf diesem sitzend auf den Heuberg.» Oder: «Beischlaf des bösen Geistes, sich Beltzebock nennend» – wahlweise «Beltzibock, der böse Geist, bindet sie mittels materieller Versprechen an sich».
Sigg kommentiert ein typisches Ermittlungsverfahren: Das «Gebilde von Gottesverleugnung und Buhlschaft mit dem Bösen wird dann wie üblich erst in den Gehirnen, Gefängnissen und Stuben der städtischen Ratsherren konstruiert und dem Opfer durch Marter mittels Zerstreckung am Folterseil impliziert.» Beispiel aus dem Verfahren in Sachen Elisabetha Bünzli vom 26. Juli 1656: «Noch am gleichen Tag erfolgt nach den drei erwähnten Marterungen eine vierte und fünfte. Elisabetha wurde vorerst mit einem dritten Stein gestreckt, eine Marter, die von ganz oben, der ratsherrlichen Führungsspitze vorgängig gebilligt werden musste. In der Folge sagte sie aus, der Teufel sei bei ihr gelegen, er habe Rindsfüsse gehabt.»
«Geständnisse hatten nichts mit der Wirklichkeit zu tun»
Die Verurteilten wurden in der Regel lebendigen Leibes bei einem Volksfest verbrannt – im 17. Jahrhundert teilweise im Sinne eines Fortschritts vor dem Verbrennen zuerst enthauptet. Die letzte Verbrennung bei lebendigem Leib erfolgte 1701 in Wasterkingen ZH.
Mit der Untersuchung gegen die Beschuldigten beauftragt waren jeweils zwei Mitglieder des Rats von Zürich. Konkret: Die «Nachgänger» befragten die Beschuldigten unter Folter – häufig unter Anwesenheit eines Geistlichen. Die Ermittler rapportierten dem bis viermal pro Woche tagenden Rat. Dessen Mitglieder schrieben die Art, Intensität und Fortsetzung der Befragung und Folter detailliert vor. Die Folter wurde im Beisein der Ermittler vom Scharfrichter vorgenommen. Das Verfahren diente der Legitimation des Urteils.
Glaubten die Räte an die unter Folter erwirkten Geständnisse? Sigg ist davon überzeugt: «95 Prozent der Ratsherren glaubten daran, dass die gewählte Marter geeignet war, die Wahrheit zu ergründen, und dass die unter Folter gemachten Aussagen zutrafen. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist.» Er sagt aber auch zu plädoyer: «Selbstverständlich haben die durch erbarmlungslos-hinterhältige Verhöre und oft grausamste Marter erwirkten Sündengeständnisse nichts mit der Wirklichkeit zu tun.»
Dreihundert Jahre später hat sich die Zivilisation nicht viel weiterentwickelt. In ihrem jüngsten Film «Zero Dark Thirty» lässt die US-Regisseurin Kathryn Bigelow zwar keinen Zweifel daran, wie grausam Folter ist. Sie geht aber implizit davon aus, dass die Aussagen der Gefolterten der Wahrheit entsprechen. Und dass durch mit Gewalt erzwungene Aussagen letztlich Terroristen erfolgreich bekämpft worden sind.
Immer mehr Ratsherren blieben Urteilsfällung fern
Sigg bezeichnet diese Bestrafung von Unschuldigen durch die Justiz – also durch diejenige Instanz, der die Gerechtigkeit anvertraut ist – als «Justizmorde». Sein Buch soll «die hingerichteten Opfer erinnerlich» machen. Die Zürcher Ratsherren wussten, was sie taten. Es gab schon damals Zeitgenossen, die sich öffentlich gegen Hexenprozesse und Folter stellten, etwa der reformierte Theologe Anton Praetorius (1560–1613) oder der Jesuit Friedrich Spee (1591–1635).
Die öffentliche Diskussion hatte Folgen. Dass man im Namen Gottes Menschen zu Krüppeln foltern und nachher lebendig verbrennen liess – das scheint laut Sigg einigen Ratsherren Mitte des 17. Jahrhunderts «doch etwas zu viel geworden zu sein». Als der zu ständige Rat am 6. August 1656 die auf das brutalste gefolterte Elisabetha Bünzli verurteilen sollte, blieben offenbar so viele Ratsherren der Sitzung fern, dass Reichsvogt Werdmüller Mitglieder des alten Rats aufbieten musste, um das Urteil sprechen zu lassen. res.
Otto Sigg, Hexenprozesse mit Todesurteil, zu beziehen bei Zumsteg Druck AG, 5070 Frick (www.zumsteg-druck.ch), ISBN 978-3-39523685-8-9