Wer aus dem Tessin kommt und in der Schweiz ein Jus-Studium in Angriff nehmen will, muss französische oder deutsche Vokabeln büffeln - im Südkanton gibt es keine Rechtsfakultät. Wer aus der Deutsch- oder der Westschweiz kommt, kann zwar in seiner Muttersprache Rechtswissenschaften studieren. Manche absolvieren das Studium dennoch jenseits der Sprachgrenze und lernen so gleich noch eine neue Sprache. So findet sich denn auch eine beträchtliche Anzahl fremdsprachiger Studenten an den juristischen Fakultäten (siehe Tabelle Seite 30).
Vor allem in der Deutschschweiz treffen sie auf Erleichterungen. Bestes Beispiel dafür ist Luzern mit etlichen Spezialangeboten für die Tessiner. Matthias Angst vom Fakultätsmanagement betont, seine Universität wolle «die erste Adresse für italienischsprachige Jus-Studenten in der Schweiz sein». Die Fakultät spricht denn auch die «Studenti italofoni» auf ihrer Website in deren Muttersprache an und wirbt mit italienischsprachigen Dozenten. Einzelne Vorlesungen - beispielsweise zur juristischen Praxis - werden auch auf Italienisch gehalten. «Im Frühjahrssemester wird zudem erstmals eine Gastlehrveranstaltung auf Italienisch angeboten», sagt Angst. «Francesco Trezzini wird die Vorlesung ‹Risolvere il caso: approcio a casi pratici in ambito civilistico e procedurale› halten.»
Luzern bietet jedoch nicht nur italienischsprachige Vorlesungen an, sondern lässt Italienisch - das Einverständnis des Examinators vorausgesetzt - auch als Prüfungssprache zu. Pro Semester nutzen etwa ein bis drei Prüflinge dieses Angebot.
Die Tessiner können auch Abhandlungen in ihrer Muttersprache abgeben. Nur die Erstjahres- sowie die Proseminararbeit müssen zwingend auf Deutsch verfasst werden, die Seminararbeit hingegen kann auf Italienisch geschrieben werden, falls der Seminarleiter einverstanden ist. Vollends polyglott ist Luzern bei der Masterarbeit. «Auf Wunsch und nach Zustimmung durch die Betreuerin oder den Betreuer kann die Masterarbeit in englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache abgefasst werden», heisst es in den Richtlinien.
Andere Rechtsfakultäten in der Deutschschweiz gehen in manchen Punkten weniger weit, doch sie bieten ebenfalls eine Reihe von Erleichterungen, etwa bei der Prüfungssprache. So ist es in Zürich dem Examinator freigestellt, eine Prüfung in einer anderen Sprache als Deutsch abzunehmen. Auch in Bern kann der Prüfer Italienisch und Englisch zulassen. Dekanatsvorsteherin Sabine Senn hält aber fest, dass «nur selten Prüfungen auf Englisch und kaum welche auf Italienisch abgelegt werden».
Bern und Freiburg zweisprachig
Im Übrigen ist Bern der Zweisprachigkeit verpflichtet. Die Studenten können bei allen Prüfungen zwischen Deutsch und Französisch wählen, gleich wie an der vollständig zweisprachigen rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg. Weitere Sprachen sind in Freiburg allerdings nicht vorgesehen.
Auch Basel erlaubt Prüfungen in anderen Sprachen als Deutsch. «In der Praxis wird diese Bestimmung aber nur angewandt, wenn die Vorlesung in der entsprechenden Sprache gehalten wurde», erläutert Patrick Ebnöther vom Studiendekanat. In Genf, Lausanne, Neuenburg und St. Gallen sind die Prüfungen ebenfalls in der Unterrichtssprache abzulegen.
In der Deutschschweiz erhalten fremdsprachige Studenten zudem Zeitgutschriften bei Prüfungen. In Basel können fremdsprachige Studentinnen und Studenten - entscheidend ist die Maturasprache - im Bachelorstudium jeweils eine halbe bis eine ganze Stunde und im Masterstudium jeweils eine halbe Stunde Prüfungszeitverlängerung beantragen, ähnlich wie in Luzern. In Bern sind auf Antrag bei Bachelor- und Masterprüfungen eine halbe bis eine Dreiviertelstunde Verlängerung möglich. Freiburg gewährt pro Prüfungsstunde zehn Minuten zusätzlich.
Etwas restriktiver zeigt sich die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich. Auf der Masterstufe werden hier keine Verlängerungen der Prüfungszeit mehr gewährt. Fremdsprachige Studenten haben im Bachelorstudiengang bei Prüfungen der Assessmentstufe und bei den Pflichtmodulen Anspruch auf eine Verlängerung von 15 Minuten pro Prüfungsstunde. Noch zurückhaltender ist die Universität St. Gallen. «Fremdsprachige Studenten können ausschliesslich auf der Assessmentstufe 15 Minuten Verlängerung pro Prüfungsstunde beantragen», sagt Anita Samyn von der Verwaltung der Law School.
Kein zeitlicher Bonus in Lausanne und Genf
Härter ist das Pflaster für fremdsprachige Studenten in der Westschweiz. Nur in Neuenburg wird ihnen an schriftlichen Prüfungen 15 Minuten mehr Zeit gewährt. Die Universität Lausanne kennt keine Prüfungszeitverlängerung. Allerdings: «Wer nicht französischer Muttersprache ist, kann dies auf dem Prüfungsblatt vermerken», so Camille Bergmann von der Fakultätsverwaltung, «Fehler in Schreibstil und Syntax werden dann nachsichtiger bewertet.» Auch in Genf gibt es für Fremdsprachige keine Prüfungsverlängerungen. «Einige Dozenten geben diesen Studenten jedoch die Möglichkeit, die Prüfungen mündlich statt schriftlich abzulegen», präzisiert die Studienberaterin der Rechtsfakultät der Universität, Bita Bertossa.
Zurückhaltung auch bei schriftlichen Arbeiten
Ansonsten sind Zugeständnisse in der Westschweiz gering. Während in Genf laut Bertossa schriftliche Arbeiten generell in der Unterrichtssprache, also auf Französisch, verfasst werden müssen, machen andere Universitäten immerhin gewisse Zugeständnisse. Freiburg beschränkt sich für die schriftlichen Arbeiten auf Deutsch und Französisch: «Andere Sprachen wie Italienisch oder Englisch werden bei uns nicht akzeptiert», so die Kommunikationsbeauftragte der Fakultät, Maria Christoffel.
In Lausanne können die Bachelor- und Masterarbeiten mit dem Einverständnis des Dozenten in einer anderen Sprache als Französisch verfasst werden. «Das kommt jedoch nur ausnahmsweise vor», so Camille Bergmann. In Neuenburg müssen die schriftlichen Arbeiten im Bachelorstudiengang gemäss Prüfungsreglement auf Französisch verfasst werden, während die Masterarbeit mit dem Einverständnis des verantwortlichen Professors auch auf Englisch, Französisch oder Italienisch geschrieben werden kann.
Grosszügiger ist auch hier die Deutschschweiz. In Bern können schriftliche Arbeiten «im Einverständnis mit dem Betreuer» auch auf Französisch oder Englisch verfasst werden. Gebrauch gemacht werde davon kaum, sagt Dekanatsvorsteherin Sabine Senn: «Arbeiten werden in aller Regel auf Deutsch verfasst», so Senn.
An der Law School in St. Gallen ist die Masterarbeit grundsätzlich in der Hauptunterrichtssprache des Masterprogramms zu verfassen, also auf Deutsch oder Englisch. In den deutschsprachigen Masterprogrammen kann die Abschlussarbeit jedoch auch hier - das Einverständnis des Referenten vorausgesetzt - in Englisch, Französisch oder Italienisch geschrieben werden. Für die Bachelorarbeiten gelten die gleichen Bestimmungen.
In Zürich «vereinbaren die Studenten die Sprache der schriftlichen Arbeiten individuell mit den Dozenten», erläutert Urs Leemann von der rechtswissenschaftlichen Fakultät. In aller Regel würden die Arbeiten jedoch auf Deutsch, in Einzelfällen auch auf Englisch verfasst. In Basel setzt man an der juristischen Fakultät bei den schriftlichen Arbeiten ganz auf Deutsch: «Wir gehen davon aus, dass die Studenten die Sprache beherrschen», erklärt Patrick Ebnöther.
Wer sich für ein Studium jenseits der Sprachgrenze entscheidet, muss also überall Vokabeln büffeln. An den juristischen Fakultäten der Deutschschweiz geht die Muttersprache jedoch nicht ganz vergessen.