Der Mann fällt durch seine Kleidung auf: rote Lederjacke, rote Fliege, dazu eine schwarze Hose. Alles um Hardy Landolt herum ist in den Farben Rot und Schwarz gehalten: Tisch, Stühle, Möbel, selbst die Visitenkarten. Warum? Landolt trocken: «Die Küche war beim Einzug bereits eingebaut und rot. Also haben wir den Rest mit Schwarz kombiniert.»
So agiert Hardy Landolt auch bei seiner Arbeit: pragmatisch und effizient. Sein übergeordnetes Lebensziel: Gesetzen zum Durchbruch zu verhelfen. Er selbst würde das nie so sagen, doch seine Biografie belegt diesen Fokus. Der 59-jährige Anwalt engagiert sich seit mehr als 30 Jahren für seine Mandanten, hauptsächlich in sozialversicherungs-, pflege- und haftpflichtrechtlichen Streitigkeiten.
Sein ehemaliger Student Colin Braun, heute Präsident des Verwaltungsgerichts in Glarus, bezeichnet ihn als «unseren besten Kunden». Dieser Kunde ist vor Gericht immer wieder erfolgreich. Das hat dazu geführt, dass beispielsweise Krankenkassen, Suva und Privatversicherungen die Kosten der Pflege von behinderten Kindern übernehmen müssen.
“Man kann sich aufgeben oder weitermachen”
Der Anwalt fordert mit seinen Rechtsschriften die Gerichte regelrecht dazu auf, neue Wege zu beschreiten. So Ende 2024, als er einen Leitentscheid des Bundesgerichts erwirkte, wonach Eltern unter gewissen Bedingungen von Krankenkassen Lohn einfordern können, wenn sie ihre Kinder psychiatrisch pflegen müssen.
Landolt ist selbst Tetraplegiker und jeden Tag auf Betreuung angewiesen. Früher durch die Eltern, heute durch seine Frau und seine Angestellten. Grund ist ein Unfall mit 14 Jahren. Er raufte mit andern im Schulhaus. «Draussen war es eiskalt, drinnen warm. Die Glasscheibe der Pausenhalle stand wohl unter Spannung.» Durch einen Schubser fällt Landolt gegen die Scheibe. Sie bricht, er fällt fast vier Meter in die Tiefe. Der Aufprall verschiebt den vierten und den fünften Halswirbel, seither ist Landolt gelähmt, Arme und Beine kann er kaum bewegen. Mit seinem Schicksal hadert er nicht mehr. «Man kann sich aufgeben – oder weitermachen.»
Und wie er weitermachte: Von 1985 bis 1990 studierte er an der Universität Zürich unter der Anleitung des Staatsrechtlers und Verfassungshistorikers Alfred Kölz. Landolt interessierte sich besonders für Sozialversicherungsrecht, was letztlich den Grundstein für seine Dissertation legte. Im selben Jahr erhielt Kölz vom Schulthess-Verlag eine Anfrage, ob er eine Schriftenreihe im Bereich des Sozialversicherungsrechts für die Universität Zürich herausgeben könnte.
Die Dissertation des jungen Landolt erschien daraufhin als erster Band der Zürcher Schriftenreihe. Seit 2010 lehrt der Glarner selbst als Titularprofessor an der Uni St. Gallen. Zuvor war er als Privatdozent und Lehrbeauftragter an den Universitäten Bern, Basel, St. Gallen und Zürich tätig. Laut dem Zürcher Professor Thomas Gächter, der mit Landolt seit Jahren die Zeitschrift «Pflegerecht» herausgibt, hat der Glarner das Pflegerecht von Grund auf allein begründet und damit «Pionierarbeit geleistet».
Warum hat er keinen eigenen Lehrstuhl? Landolt schüttelt den Kopf: «Ich bin Anwalt, kein Masochist, der den leidvollen Weg der Universitätskarriere auf sich nehmen muss. Ich wollte mich nicht in den akademischen Kokon begeben.» Von Hollywoodfilmen fasziniert habe er schon in der Kindheit den Berufswunsch Cowboy oder Anwalt gehabt.
Sein Tagesablauf zeugt von Disziplin: Der Wecker klingelt um fünf Uhr, dann folgen Pflege, Büroarbeit, Physiotherapie und abends oft weitere Arbeit zu Hause. Er erstellt Rechtsschriften und wissenschaftliche Artikel mit seinem Diktierprogramm Dragon. «Schnell denken und wenig schlafen» sei sein Lebensmotto, sagt Landolt. Er bleibt auch produktiv, wenn er im Sommer für mehrere Wochen ins Ferienhaus in Italien reist: «Da entschleunige ich, denke nach und schreibe viel.» Dort tanke er Kraft, auch für seine Mandanten. Nachdenklich fügt er hinzu: «Die Arbeit der Geschädigtenanwälte ist heute nicht mehr dieselbe.»
Zermürbungstaktiken der Unfallversicherungen
Landolt beobachtet eine neue Tendenz in seinem Tätigkeitsbereich und kritisiert die Versicherer und das Bundesgericht scharf. Was die Versicherungen angehe, hätten die Sachbearbeiter früher pragmatische und faire Lösungen gesucht. «Heute verwalten sie die Fälle nur noch, verschleppen sie und vermeiden klare Entscheidungen.» Er habe mehrere Fälle, die seit 2017 noch nicht entschieden seien. «Die Unfallversicherung wurstelt sich einfach durch. Mit der Folge, dass schwer pflegebedürftige Menschen jahrelang auf einen Entscheid warten müssen.»
Am Ende trage oft die Familie die Kosten, oder die Betroffenen landen in einem Heim, wo dann die Sozialhilfe einspringe. Besonders scharf kritisiert er die «Zermürbungstaktik», die er bei vielen Versicherungen beobachtet: «Sachbearbeiter teilen mit, dass sie bald entscheiden werden. Aber dann hört man zwei Jahre lang nichts mehr.» Und er schildert den Missstand der Anonymität in der Kommunikation mit der Suva und anderen Versicherern: «Wie wollen Sie mit jemandem kommunizieren, wenn Sie nicht wissen, mit wem Sie es zu tun haben? Es ist, als würde man mit einem Computer reden!»
Am Bundesgericht stört ihn, dass es sich zunehmend vor klaren Entscheiden drücke: «Die Richter flüchten sich in Formalismen wie überhöhte Anforderungen an die Substanziierung, weisen Klagen ab oder treten gar nicht erst darauf ein. Dabei wäre es ihre Aufgabe, innert nützlicher Frist klare Entscheidungen zu treffen.» Anwälte hätten 30 Tage Rechtsmittelfrist. «Warum den Gerichten nicht auch eine solche Frist setzen? Ich fordere Waffengleichheit in Bezug auf Fristen!»
Vielleicht bräuchte es am Bundesgericht einen Hardy Landolt? «Das wäre schön», sagt er lachend. «Aber ich verbiege mich nicht und will keiner Partei beitreten, ich bleibe unabhängig.» Ein Anwalt mit Cowboy-Mentalität: frei, unerschrocken, eigenwillig.