Beim Schweizerischen Anwaltsverband (SAV) hat man eine klare Vorstellung davon, wie die Kurse zur Erlangung des Titels Fachanwalt SAV ausgestaltet sein müssen. Fünf Fachanwaltstitel gibt es bis heute: Familienrecht, Arbeitsrecht, Bau- und Immobilienrecht, Haftpflicht- und Versicherungsrecht sowie Erbrecht. Für jeden der fünf Bereiche hat eine Fachkommission des SAV die Inhalte festgelegt, und mit dem entsprechenden Konzept gelangte der Verband an die Universitäten. Mirko Ros, Leiter des Projekts Fachanwalt SAV: «Schliesslich sind die Hochschulen die Profis in der Vermittlung von Wissen und der Durchführung von Prüfungen.» Gemeinsam mit den Universitäten wurde eine Feinanpassung vorgenommen. Ende August 2006 startete der erste Kurs im Bereich Erbrecht. Die anderen folgten.
Schätzungsweise 300 Stunden Aufwand
Allen Fachbereichen gemeinsam ist ein Zulassungsverfahren, für das die Kandidaten in der Regel zehn von ihnen behandelte Fälle einreichen müssen. Damit wird sichergestellt, dass sie keine Neulinge im Rechtsgebiet sind. Zudem müssen die Anwälte bei der Anmeldung zum Kurs drei Jahre Praxiserfahrung haben. Der Titel Fachanwalt darf auch bei früher bestandener Prüfung erst fünf Jahre nach Beginn der Anwaltstätigkeit offiziell getragen werden.
Angefragte Fachanwälte sagen, das Niveau der Ausbildungsmodule sei hoch, die Absenzenkontrolle streng und die Prüfung ein harter Brocken. «Etliche Teilnehmer, die schon viele Jahre in den entsprechenden Arbeitsgebieten praktizierten, empfanden das Ablegen einer schriftlichen Prüfung als zusätzliche Drucksituation», meint Kurt Zollinger, Fachanwalt im Familien- und im Arbeitsrecht in Zürich. Auch der Zeitaufwand sei nicht zu unterschätzen: 120 Stunden lang müssen die Kursteilnehmer wieder die Schulbank drücken. Hinzu kommen Vor- und Nachbereitung der Lektionen und das Lernen auf die Prüfung.
Insgesamt ist laut SAV mit einem Zeitaufwand von 300 Stunden zu rechnen. Die Prüfung dauert laut Reglement des SAV drei bis fünf Stunden. Unter Zeitdruck werden Fälle gelöst. Daniel Trachsel, Präsident der Fachkommission Familienrecht: «Die Idee dahinter ist, dass man sein Wissen nochmals voll abrufen muss.»
Zusätzlich eine schriftliche Arbeit abliefern
Anfänglich wurden die Prüfungen in allen Fachbereichen gemäss dem SAV-Prüfungsreglement abgehalten. Seit dem zweiten Kurs im Familienrecht hat sich dies für die Absolventen dieses Bereiches geändert: Unterhalts- und Güterrecht werden neu je 1,5 Stunden lang schriftlich geprüft. Zusätzlich müssen die Kursteilnehmer eine Arbeit mit maximal rund 40'000 Zeichen verfassen. Ein stattliches Pensum, wie die Basler Fachanwältin Regula Diehl erklärt: «Das ist ein grosser Aufwand, wenn man bedenkt, dass der Kurs selber sehr zeitaufwendig ist, wir alle daneben arbeiten und etliche von uns familiär engagiert sind.»
Warum gibt es diesen Unterschied, wenn das Reglement des SAV etwas anderes vorschreibt? «Das ist das Ergebnis intensiver Verhandlungen», erklärt der Zürcher Anwalt Daniel Trachsel. Die für den Kurs zuständigen Professorinnen Andrea Büchler von der Universität Zürich und Alexandra Rumo-Jungo von der Universität Freiburg wollten ursprünglich auf die Prüfung verzichten und nur eine schriftliche Arbeit als Leistungsnachweis verlangen. Für den SAV andererseits sei unverzichtbar gewesen, dass es schriftliche Prüfungen gemäss Reglement gebe. Die beiden Seiten einigten sich auf zwei kürzere Prüfungen im Laufe des Kurses sowie eine schriftliche Arbeit, in der sich die Teilnehmer mit einem von ihnen betreuten Fall intensiv auseinandersetzen müssen. «Unsere Fachkommission begrüsst die schriftliche Arbeit. Sie ist eine zusätzliche Qualifikation», so Trachsel. Es gebe aber auch kritische Stimmen im SAV, die von der schriftlichen Arbeit im Familienrecht lieber absehen würden. Trachsel fügt an, dass es bezüglich der Wissensvermittlung und -abfrage in der Erwachsenenbildung unterschiedliche Auffassungen gebe und dies möglicherweise auch eine Generationenfrage sei.
Mehr als die Abfrage von Auswendiggelerntem
Für Professorin Alexandra Rumo-Jungo ist klar, dass alleine eine Prüfung am Ende eines Kurses nicht angemessen sei, um Wissen abzufragen. Ziel der schriftlichen Arbeit sei, dass sich die Kursteilnehmer vertieft mit der Falldynamik auseinandersetzen. «Gerade im Familienrecht geht dies über die rechtlichen Belange hinaus», sagt Rumo-Jungo. Von den Absolventen werde zudem erwartet, dass sie in der Lage sind, zum Beispiel die vorherrschende Doktrin oder die Rechtsprechung zu hinterfragen und zu reflektieren.
Trotz des Mehraufwands und der Abweichung vom Reglement bleibt der Prüfungsmodus im Familienrecht für den laufenden vierten Kurs. Mirko Ro? sagt, er habe bisher keine negativen Meldungen erhalten. Änderungen seien aber nie völlig ausgeschlossen. Schliesslich würden die Kurse erst seit sechs Jahren angeboten, und der SAV müsse noch Erfahrungen sammeln.
Fachanwalt Strafrecht geplant
Der Schweizerische Anwaltsverband hat eine Kommission eingesetzt, die Inhalte für den geplanten Fachanwalt Strafrecht ausarbeitet. Auch die Auswahl der Referenten und der Universität, mit denen sich der Kurs realisieren liesse, ist laut Mirko Ros, Leiter des Projekts Fachanwalt SAV, in Prüfung. Der Anwaltsverband schreibe vor, welche Gebiete die Kursabsolventen beherrschen müssten. «Und mit den für die Ausbildung verantwortlichen Professoren unterziehen wir das Programm einem Finetuning», so Ros. Wie in den bestehenden Kursen lautet eine Vorgabe, dass 80 Prozent der Module durch Praktiker, also Richter, Anwälte, Staatsanwälte und andere Spezialisten, durchgeführt werden müssen.
Weniger Titel als in Deutschland
Ob der SAV nach dem Fachanwalt Strafrecht in weiteren Gebieten eine entsprechende Weiterbildung anbieten wird, lässt Ro? offen. «Das Problem in der Schweiz ist der kleine Markt.» In gewissen Rechtsgebieten sei die Anzahl der Anwälte gering, sodass die Ausarbeitung eines Fachanwaltskurses kaum Sinn mache. Deshalb werde es in der Schweiz kaum je so viele Titel geben wie in Deutschland, wo es für 21 verschiedene Bereiche Fachanwälte gibt - wie beispielsweise in Agrarrecht, Medizinrecht sowie Transport- und Speditionsrecht.
Zahlen und Fakten
Zurzeit zählt der SAV genau 400 Fachanwälte - 286 männliche und 114 weibliche. In den Bereichen Arbeitsrecht sowie Haftpflicht- und Versicherungsrecht wurden bisher mit 98 beziehungsweise 94 am meisten Titel vergeben. Es folgen der Fachanwalt Erbrecht (85), Bau- und Immobilienrecht (70) und Familienrecht (53). Klare Männerdomäne ist das Bau- und Immobilienrecht, gefolgt vom Erbrecht. In der Mehrheit sind die Anwältinnen lediglich im klassischen Frauenbereich Familienrecht.
27 Kandidaten schafften die Prüfung nicht
Durchfallen ist bei den Kursen nicht ausgeschlossen: Insgesamt bestanden bisher 13 Teilnehmer die schriftliche Abschlussprüfung nicht, 14 scheiterten am darauf folgenden Fachgespräch, das vom SAV abgehalten wird. 30 Personen wurden gar nicht erst für den Kurs zugelassen. Repräsentative Umfragen dazu, was die Erlangung des Titels den Anwälten in der Praxis bringt, wurden in der Schweiz bisher nicht durchgeführt. Die Antworten der von der Redaktion angefragten Fachanwälte fallen sehr unterschiedlich aus: Einige sind wegen ihres Titels von Klienten ausgewählt worden, andere stellen keine wesentlichen Unterschiede zu früher fest. Einhellig positiv wird das Netzwerk beurteilt, das man sich mit den Kollegen aus dem gleichen Rechtsgebiet aufbaut.