Am 14. Dezember 2020 gelangte Fifa-Präsident Gianni Infantino an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte den Ausstand des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes Stefan Keller. Mit Beschluss vom 30. April 2021 hiess die Beschwerdekammer das gegen Keller gerichtete Ausstandsgesuch gut und erkannte somit, dieser habe im Verfahren gegen Infantino in den Ausstand zu treten (BB.2020.296). Dieser Beschluss verletzt Bundesrecht.
In formeller Hinsicht fällt auf: Der Beschluss ist langfädig und somit nur schwer lesbar. Zudem enthält er viele kleine Fehler, Zitate aus Rechtsprechung und Literatur sind unvollständig oder aus dem Zusammenhang gerissen. Insbesondere fehlerhaft ist an den Zitaten, dass sie grossmehrheitlich den Ausstand von Gerichten betreffen – und nicht von Staatsanwaltschaften. Ferner stimmen verschiedene Aussagen im Entscheid nicht mit dem Inhalt der Verweise überein oder sind – entgegen der Beschwerdekammer – zugunsten von Keller auszulegen.
Unzutreffend ist die Behauptung im Beschluss, Keller sei für den Sachverhaltskomplex des Surinam-Flugs gar nicht zuständig gewesen. Die Zuständigkeitsfrage wurde nämlich noch nicht rechtskräftig entschieden – sie ist zurzeit vor dem Bundesstrafgericht hängig. Darüber hinaus führt die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts diesbezüglich aus, die Vereinbarung zwischen Keller und der Oberstaatsanwaltschaft Zürich über dessen Zuständigkeit sei ihr nicht bekannt. An anderer Stelle des Beschlusses hingegen zitiert sie aus eben dieser Vereinbarung, um das Bestehen eines Amtsgeheimnisses zu belegen – ein Widerspruch.
Ein Anfangsverdacht ist keine Schuldvermutung
Die Beschwerdekammer wirft Keller weiter vor, den Namen des Fifa-Präsidenten in den Medienmitteilungen genannt zu haben, und lässt die Tatsache, dass es sich bei Gianni Infantino um eine Person des Zeitgeschehens handelt, die nicht zu anonymisieren ist, unerwähnt. Anderseits anonymisiert die Beschwerdekammer in ihrem Ausstandsbeschluss den Namen Infantino ebenfalls nicht – ein weiterer Widerspruch.
Der Beschluss ist aber vor allem materiell falsch. Zu Unrecht wird der Fokus darauf gelegt, wie sich Gerichte verhalten müssen. Zu beurteilen war aber das Verhalten eines Staatsanwaltes. Die Staatsanwaltschaft darf gegenüber der Öffentlichkeit eine vorläufige Bewertung oder Beurteilung abgegeben und ihre Arbeitshypothesen zulasten eines Beschuldigten darlegen. Indem Keller in seiner Medienmitteilung angab, es gebe «deutliche Anzeichen» für ein strafbares Verhalten, hat er genau dies getan. Er nahm keine rechtliche Qualifikation vor und bezeichnete Infantino nicht als Beschuldigten.
Die Ausführungen der Beschwerdekammer stehen auch im Widerspruch zu den Artikeln 299 ff. in Verbindung mit Artikel 7 der Strafprozessordnung. Ein Anfangsverdacht kann nicht mit einer Schuldvermutung gleichgestellt werden – sonst wäre das ganze nachgängige Verfahren obsolet. Die von der Beschwerdekammer immer wieder ins Feld geführte Unschuldsvermutung findet hier keine Anwendung. Die Staatsanwaltschaften haben einzig das Fairnessgebot zu beachten.
Ebenfalls nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beschwerdekammer eine Befangenheit Kellers damit begründet, dass er sich in einem Interview mit plädoyer über ein noch nicht öffentliches Beschwerdeverfahren geäussert und somit ein Amtsgeheimnis verraten haben soll. Laut bundesgerichtlicher Rechtsprechung und der einhelligen Meinung der Literatur darf Befangenheit «nur bei eindeutiger Vorverurteilung und bei krasser Voreingenommenheit des Staatsanwaltes angenommen werden», was vorliegend nicht der Fall war.
Hinweise auf Befangenheit der Beschwerdekammer
Auffallend ist auch die verletzende Tonalität des Beschlusses. So bezeichnet die Beschwerdekammer den Titel einer Medienmitteilung als «reisserisch», Keller sei es nur um einseitige Berichterstattung gegangen, Fakten seien so dargelegt worden, dass er dabei ausschliesslich in einem guten Licht dastehe, und jegliche Kritik werde neutralisiert. Die gewählten Kraftausdrücke und die falsche Darstellung lassen ihrerseits auf eine Befangenheit der Beschwerdekammer selbst schliessen. Es ist gar davon auszugehen, dass sich die Beschwerdekammer solche Formulierungen nur deshalb erlaubt hat, weil der Entscheid mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht angefochten werden konnte und sie somit keine Gefahr läuft, von einer höheren Instanz korrigiert zu werden.
Dass es gegen solche erstinstanzlichen Entscheide der Beschwerdekammer keine ordentlichen Rechtsmittel gibt, ist eine Gesetzeslücke. Der Gesetzgeber sollte sie dringend schliessen.
Die Unzulässigkeit einer Beschwerdemöglichkeit gegen solche Entscheide stammt daher, dass Bundesrat und Parlament bei der Legiferierung von Artikel 79 des Bundesgerichtsgesetzes der Auffassung waren, eine einzige Instanz des Bundes reiche aus, um die Gesetzmässigkeit der Entscheide der Beschwerdekammer sicherzustellen. Begründet wurde das damit, dass diese Frage nur einen Nebenpunkt der Strafbehördenorganisation betreffe. Diese Auffassung kann wohl angesichts der Entwicklungen der Rechtsprechung des Bundestrafgerichtes nicht mehr aufrechterhalten werden.
Auch ein Revisionsbegehren Kellers gegen den Entscheid wäre aussichtslos. Dies insbesondere in Anbetracht des Beschlusses der Berufungskammer des Bundesstrafgerichtes gegen einen Ausstandsbeschluss der Beschwerdekammer vom 4. Juni 2019 in Sachen Lauber, wonach Ausstandsbeschlüsse gegen einen Bundesanwalt nicht revisionsfähige Urteile darstellen. Keller verzichtete deshalb richtigerweise auf eine Revision. Auch eine Aufsichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit der Rüge eines systemischen Mangels – beispielsweise bei der Zusammensetzung der Abteilung oder wegen offensichtlich mangelnder Unabhängigkeit der zuständigen Abteilung des Bundesstrafgerichts – wäre wohl nur mit minimalen Erfolgschancen verbunden gewesen.
Aus dem Beschluss des Bundesstrafgerichtes ergeben sich verschiedene Konsequenzen: Der Gesetzgeber sollte, wie erwähnt, erstens dringend gegen alle Entscheide der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes eine Beschwerdemöglichkeit mit einem ordentlichen Rechtsmittel schaffen. Zweitens sollen die Gerichtskommission und das Parlament nur unabhängige und integre Personen, die sich weder von politischen Parteien noch finanzstarken Akteuren beeinflussen lassen, als Richter für die Bundesjustiz vorschlagen und wählen dürfen.