plädoyer: Otto von Bismarck, Kanzler des Deutschen Reiches, soll einst gesagt haben: «Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.» Der Entstehungsprozess von Gesetzen mag unappetitlich sein. Aber kommt am Schluss wenigstens ein gutes Produkt heraus?
Alain Griffel: Das ist unterschiedlich, wie bei den Würsten. Es gibt gute und schlechte Gesetze, wie es gute und schlechte Würste gibt.
Luzius Mader: Auch der Herstellungsprozess ist ein wichtiges Element für die Qualität des Produkts.
plädoyer: Apropos Qualität: Viele Detailentscheide zu neuen Gesetzen werden in parlamentarischen Kommissionen gefällt. Der Gesetzgebungsprozess ist in dieser Phase geheim. Das Parlament segnet dann häufig das Resultat der Kommission nur noch ab. Erzeugt dieses Verfahren gute Qualität?
Mader: Vorlagen, die gut sind, wenn sie in den Kommissionen behandelt werden, kommen in der Regel auch wieder gut raus. Zudem: Gesetzgebung ist nun einmal ein eminent politischer Prozess. Das ist absolut richtig und bedeutet, dass das Parlament seine Aufgabe erfüllt. Die Verwaltung kann auch in parlamentarischen Kommissionen ihren Beitrag zur Qualitätssicherung in der Gesetzgebung leisten. Es wäre verfehlt zu denken, alles wäre besser, wenn man nur Experten und Verwaltung machen liesse.
plädoyer: Ist also die Vorarbeit des Bundesrats entscheidend?
Mader: Sie ist sicher sehr wichtig. Aber es gibt auch bundesrätliche Vorlagen und Expertenentwürfe, die Mängel aufweisen. Diese Vorlagen sind ja ein Stück weit ein Abbild der politischen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Der Bundesrat muss Vernehmlassungsergebnisse mitberücksichtigen. Er will ja dem Parlament mehrheitsfähige Vorlagen unterbreiten.
plädoyer: In der Fachliteratur ist die schlechte Qualität der Gesetzgebung ein Dauerthema, die Liste der Kritiker lang. Haben sie alle Unrecht?
Griffel: Nein. Die Qualität hat – proportional zur Beschleunigung der Gesetzgebungstätigkeit – insgesamt stark abgenommen. Eines der Probleme liegt darin, dass eine beträchtliche Anzahl der Gesetzesentwürfe nicht mehr aus der Verwaltung kommt, sondern durch parlamentarische Initiativen angestossen wird. Das hat in den letzten 20 Jahren sprunghaft zugenommen. Die Parlamentskommissionen fertigen den Text dann selbst an. Es ist jedoch nicht die Kernkompetenz von Parlamentariern, Gesetzeskonzepte zu entwickeln und Gesetzesentwürfe zu redigieren. Heute kommen aber auch vermehrt Gesetzesentwürfe von zweifelhafter Qualität ins Parlament, bei denen das Vorverfahren der Gesetzgebung in den Händen der Verwaltung und des Bundesrats lag. Das hat fatale Folgen, denn konzeptionelle Mängel eines Gesetzesentwurfs können im parlamentarischen Verfahren nicht mehr korrigiert werden. Federführend ist in solchen Fällen häufig nicht das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), sondern ein anderes Departement. Ein aktuelles Beispiel für eine miserable Vorlage ist etwa das Zweitwohnungsgesetz aus dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK). Hier wurden von Anfang an Interessenvertreter miteinbezogen – ein grober Fehler.
Mader: Die Qualität des Rohprodukts ist sicher sehr wichtig. Aber der Unterschied zwischen den Vorlagen, die im EJPD erarbeitet werden, und jenen anderer Ämter und Departemente ist nicht so gross. Denn alle Entwürfe, die ausserhalb des EJPD vorbereitet werden, durchlaufen dasselbe Prozedere. Sie werden im Bundesamt für Justiz geprüft und durch die interne Redaktionskommission überarbeitet. Das gilt übrigens auch für Vorlagen, die auf dem Weg einer parlamentarischen Initiative erarbeitet werden. Die technische Arbeit wird bei diesen im Wesentlichen von den Vertretern der Fachämter gemacht. Das Zweitwohnungsgesetz ist jedoch auch für mich ein Beispiel einer sehr schlechten Vorlage.
plädoyer: Was stört Sie an der Aktivität der Parlamentarier im Gesetzgebungsverfahren, Herr Griffel?
Griffel: Wir sollten bei der Betrachtung der Gesetzgebung mit der Konzeptphase anfangen. Muss man überhaupt etwas machen? Wenn ja, was will man ändern und welche Ziele verfolgt man? Solche konzeptionellen Grundsatzentscheidungen, die oft ausserhalb des EJPD gefällt werden, sind ganz entscheidend. Wenn schon der Ansatz unüberlegt ist, kann das Bundesamt für Justiz im folgenden Verfahren, in dem es mehr um die Wahrung der legistischen Qualität geht, das Gesetz nicht mehr zurechtbiegen. Dann sind die Weichen schon falsch gestellt.
Mader: Ich kann dem nur zustimmen. Allerdings entspricht die skizzierte Vorgehensweise in den meisten Fällen der geübten Praxis. Man kann dem Parlament keinen Vorwurf daraus machen, dass es im Gesetzgebungsbereich aktiver wird. Das ist ja seine Aufgabe. Es ist eher eine Folge davon, dass der Bundesrat von seinem Initiativrecht weniger Gebrauch macht als früher.
Griffel: Das Parlament spielt im Gesetzgebungsprozess eine wichtige Rolle. Aber es sollte sich wieder stärker aus dem Vorverfahren heraushalten und keine Schnellschüsse abfeuern. Sein primäres Handlungsinstrument ist die Motion, die den Bundesrat verpflichtet, eine Vorlage auszuarbeiten. Das Parlament hat dieses Instrument aber sukzessive durch die parlamentarische Initiative ersetzt – weil es auf diesem Weg schneller zum Ziel kommt.
Mader: Das ist teilweise darauf zurückzuführen, dass der Bundesrat sich durch Motionen wenig beeindrucken lässt. Es gibt eine ganze Reihe von Motionen, bei denen der Bundesrat nur zögerlich reagiert oder nichts unternimmt. Das Parlament reagiert manchmal darauf und versucht, mehr Druck zu machen, indem es den Weg einer parlamentarischen Initiative beschreitet. Wir haben aber auch sehr viele Motionen, mit denen das Parlament das Konzept der Lösung schon präzise ausformuliert. Damit bindet es natürlich den Bundesrat.
Griffel: Wesentlich ist, dass dabei Konzept und Entwurf qualitativ stimmen. Ich kann diverse parlamentarische Initiativen nennen, bei denen das gesetzgeberische Resultat geradezu katastrophal ist.
plädoyer: Strafrechtler Günter Stratenwerth zählte seit dem Jahr 2000 nicht weniger als 46 Änderungen des Strafgesetzbuchs. Warum so viele Gesetzesänderungen in einem Bereich, in dem die Schweiz im internationalen Vergleich sehr gut dasteht?
Mader: Das Parlament muss auf die Tagespolitik reagieren. Wenn tatsächlich Handlungsbedarf besteht, muss das Parlament den Bundesrat mittels parlamentarischer Vorstösse zum Handeln veranlassen. Es ist unbestritten, dass in gewissen Bereichen eine erhöhte Änderungshäufigkeit besteht. Das Strafrecht ist dafür ein gutes Beispiel. Die Änderungen haben damit zu tun, dass heute eine gewisse Hilflosigkeit besteht, wenn es darum geht, verpönte Verhalten irgendwie einzuschränken. Die Tendenz, zum Mittel Strafrecht zu greifen, ist heute grösser. Das ist ein Kulturwandel, der auch aus meiner Sicht viele Fragen aufwirft und der nicht immer zu überzeugenden Resultaten führt. Instant-Gesetzgebung ist sicher kein gutes Rezept.
Griffel: Nicht nur das. Man achtet auch nicht darauf, was eigentlich bereits geregelt ist. Man hat einfach das Gefühl, aus einer Tagesaktualität heraus müsse eine neue Strafnorm her. 20 Jahre lang arbeitete man an einer umfassenden Revision des Sanktionensystems und setzte diese dann im Jahr 2007 in Kraft. Bereits 2009 beschloss der Nationalrat, wesentliche Elemente der Reform wieder rükgängig zu machen – insbesondere den Ersatz kurzer Freiheitsstrafen durch Geldstrafen. Das ist unverständlich und unseriös. Eine so grosse Reform – sei sie gut oder schlecht – benötigt mehrere Jahre Zeit, um sich in der Praxis zu konsolidieren.
Mader: Einverstanden. Im Jahr 2018 gibt es eine Evaluation dieser Gesetzgebung. Es ist sehr wichtig, dass der Bundesrat und die Verwaltung gegenüber tagespolitischen Anliegen nicht zu willfährig sind. Leider hat der Bundesrat bei der Behandlung von parlamentarischen Vorstössen sehr häufig nicht mehr den Mut, Nein zu sagen.
plädoyer: Was ist die Konsequenz dieser mangelhaften Gesetzgebung?
Griffel: Beispiel Strafrechtsreform: Im parlamentarischen Verfahren wurden Änderungen am Sanktionenrecht vorgenommen, die zu unlösbaren inneren Widersprüchen führten. Die Gerichte stehen nun vor einer schwierigen Aufgabe, weil sie etwas anwenden müssen, das sie so eigentlich nicht anwenden können.
Verwaltungsbehörden und Gerichte sind generell immer häufiger mit unausgegorenen Halbfabrikaten des Gesetzgebers konfrontiert, die sie irgendwie zurechtbiegen müssen. Das alles deutet auf einen tiefer liegenden Kulturwandel hin: Das Parlament betrachtet das Gesetz als Notizheft und meint, es könne dieses bei Bedarf jederzeit wieder ändern. Das Parlament geht häufig nach dem System «Versuch und Irrtum» vor. Das hat verheerende Konsequenzen. Es ist eine Einladung für Unsorgfältigkeiten jeglicher Art und führt zu gröbsten Rechtsunsicherheiten.
Mader: Ich teile Ihren Pessimismus nicht. Seit Jahrhunderten klagen aus jeder Juristengeneration zwar namhafte Juristen darüber, dass die Gesetzgebung immer schlechter werde. Solche Jeremiaden sind aber wenig überzeugend. Wären sie zutreffend, hätten wir mit der Qualität der Gesetzgebung im 15. Jahrhundert in den lichten Höhen der Stratosphäre angefangen und würden uns heute langsam aber ziemlich sicher dem Erdkern nähern. Die Gesetzgebungswirklichkeit ist eine andere. Insbesondere bin ich überzeugt, dass die schweizerische Gesetzgebung gerade im internationalen Vergleich auch heute noch eine beachtliche Qualität aufweist. Unbestritten ist aber, dass es Beispiele schlechter Gesetzgebung gibt und dass es unerlässlich ist, uns stets um qualitativ gute Gesetzgebung zu bemühen.
plädoyer: Ist es nicht Aufgabe der Lehre, auf Mängel hinzuweisen?
Mader: Doch, aber es genügt nicht, einzelne schlechte Beispiele an den Pranger zu stellen. Und es scheint mir verfehlt, daraus Tendenzen abzuleiten. Es braucht Massnahmen zur Qualitätssicherung. Und es braucht Studien zur Qualität der Gesetze. Die Rechtswissenschaften sollten zum Beispiel einmal die Gesetzgebung des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts mit der Gesetzgebung des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts vergleichen. Oder ein Waldgesetz oder Glücksspielgesetz in Deutschland, Frankreich und Italien analysieren und dann schauen, ob die Schweizer Gesetzgebung gegenüber jenen Ländern wirklich abfällt und ob tatsächlich eine Verschlechterungstendenz besteht. Das wären für mich wichtige Elemente für eine Beurteilung der Qualität unserer Gesetzgebung. Aber ich kenne keine einzige solche Studie.
Griffel: Solche Studien würde ich ebenfalls begrüssen.
plädoyer: Unbestritten ist, dass die Zahl der neuen Gesetze und Gesetzesänderungen zugenommen hat. Ist das eine Quelle gesetzgeberischer Unsauberkeit?
Mader: Es gibt unbestreitbar eine Ausweitung des Normenbestands, und es ist einzuräumen, dass es heute schwieriger ist, eine ausreichende Qualitätssicherung zu garantieren – weil die dafür verfügbaren Ressourcen nicht Schritt halten mit der Ausweitung des Normenbestands und mit der in vielen Bereichen tatsächlich feststellbaren Beschleunigung und grösseren Änderungshäufigkeit.
Griffel: Nicht nur das. Es gibt auch eine massive Häufung der Revisionen an der immer gleichen Norm. Als ich an einem Gesetzeskommentar zum Umweltschutzgesetz arbeitete, hatte ich bei einigen Bestimmungen grösste Mühe, nachzuvollziehen, was in welcher Phase vor wenigen Jahren jeweils galt. Einzelne Bestimmungen wurden permanent verändert.
Mader: Das stimmt. Aber wissen Sie warum? Weil es die Praktiker häufig unterlassen, bei der Ausarbeitung der Gesetzgebung – insbesondere im Rahmen von Vernehmlassungen und Expertenkommissionen – gute und taugliche Vorschläge zu machen. Sobald sie die Normen anwenden müssen, zeigen sich dann eben Schwierigkeiten, die die Praktiker sofort korrigieren wollen. Beispiel Opferhilfegesetz: In den ersten fünf Jahren wurde von Seiten der Rechtsanwendung und der Gerichte Kritik laut, das Gesetz sei zu unbestimmt und lasse zu viel Spielraum. Sie forderten mehr Präzision. Ich stelle eine sehr grosse Ungeduld, einen Unwillen oder ein Unvermögen fest, Ermessensspielräume zu nutzen, die man bewusst geschaffen hat.
Griffel: Das kann man so nicht generalisieren. Es gibt unklare Regelungen, bei denen man das Problem einfach an die Praxis abgeschoben hat. Und es gibt ein völlig ungerechtfertigtes permanentes Herumschrauben an Normen. Das hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren deutlich verschärft. Ich bin nicht der Einzige mit dieser Wahrnehmung. Sonst wäre das Buch «Vom Wert einer guten Gesetzgebung»1, verfasst von 16 renommierten Autoren, nicht innert Jahresfrist zustande gekommen.
plädoyer: In diesem Buch wird beispielsweise kritisiert, dass in neuen Gesetzen – wie etwa der Rentenrevision 6a der IV – Begriffe verwendet werden, mit denen weder Juristen noch Mediziner etwas anfangen können («pathogenetisch-ätiologisch unklare syndromale Beschwerdebilder»). Ein Beispiel für die These, dass aus der Tagespolitik nicht die besten Gesetze entstehen?
Griffel: Sprachliche Mängel sind für mich nur eines der Elemente, die ein schlechtes Gesetz ausmachen. Ein weiterer Mangel: wenn Gesetze oder Gesetzesänderungen nicht auf durchdachten Konzepten beruhen. Beispiel: die Revision des Raumplanungsgesetzes von 1998, wo es ums Bauen ausserhalb der Bauzone ging. Sie war konzeptionell so undurchdacht, dass es im Lauf der Zeit zu diversen weiteren Revisionen kam, mit einzelnen Bestimmungen, die man innerhalb von zehn Jahren dreimal geändert hat. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Ein weiteres Beispiel ist das Altlastenrecht, das – wenig durchdacht – erstmals 1995 mit drei Artikeln ins Umweltschutzgesetz eingefügt wurde. Diese Bestimmungen werden mittlerweile im Jahresrhythmus revidiert.
Mader: Ich bestreite nicht, dass Mängel bestehen. Aber man kann deshalb nicht behaupten, dass die Gesetze immer schlechter werden. Das können Sie gestützt auf diese Beispiele nicht beweisen. Wenn Sie, Herr Griffel, in einem NZZ-Artikel von «Gesetzgebung im Sinkflug» schreiben, dann behaupten Sie da eine Tendenz, die für mich nicht ersichtlich ist.
plädoyer: Was zeichnet ein gutes Gesetz aus?
Mader: Ich habe in einem Artikel mit dem Titel «Vom Kampf ums Recht zur Pflege der Gesetzgebung» 2 einige Qualitätskriterien genannt. Erstens Rechtskonformität: Hier glaube ich nicht, dass wir heute eine Verschlechterung haben. Zweitens demokratische Legitimierung: Alle Änderungen, die vorgenommen werden, sind heute gut demokratisch legitimiert. Wir hatten in den Jahrzehnten, in denen der Bundesrat gestützt auf das Notrecht legiferierte, keine oder eine nur sehr schwache demokratische Legitimierung. Drittens Problemadäquanz: Viele Änderungen laufen darauf hinaus, diese Problemadäquanz zu verbessern. Viertens Wirksamkeit: Heute befassen wir uns viel mehr mit den Aspekten praktischer Umsetzbarkeit, Befolgung und Vollziehbarkeit sowie Wirksamkeit als früher.
Griffel: Bezogen auf das einzelne Gesetz bzw. die einzelne Rechtsnorm handelt es sich dann um ein schlechtes Gesetz, wenn es erstens nicht auf einem durchdachten Konzept beruht, es zweitens nicht sorgfältig in die bestehende Rechtslandschaft eingebettet worden ist, es drittens nicht verständlich ist, obwohl es verständlicher formuliert werden könnte oder wenn es – viertens – vom Drang des Gesetzgebers beseelt ist, möglichst alle Fragen bis ins Detail zu regeln, statt den Verwaltungsbehörden und den Gerichten die nötigen Konkretisierungsspielräume zu belassen. Denn der Gesetzgeber kann nicht alles vorhersehen. Bezogen auf den Prozess muss man von einem schlechten Gesetz sprechen, wenn es nach dem Trial-and-Error-Prinzip ständig wieder geändert wird, so dass die Adressaten und die Praxis gar nicht in der Lage sind, sich auf die geltende Rechtslage einzustellen und diese zu konsolidieren.
plädoyer: Heribert Rausch listet in seinem Beitrag im Buch «Vom Wert einer guten Gesetzgebung» groteske Beispiele sprachlichen und grammatikalischen Unsinns auf. Die neue Rechtschreibung, die ja glücklicherweise weitgehend zurückgenommen wurde, werde immer noch konsequent angewendet, was zu unsinnigen Satzkonstruktionen führe. Ist da die Verwaltung nicht katholischer als der Papst?
Mader: Nein. Der Bund hat die neue deutsche Rechtschreibung nicht übernommen. Man wählte eine moderate Lösung. Es gibt dazu ein Büchlein. Diese Regeln werden bei der bundesverwaltungsinternen Redaktionskommission angewendet und durchgesetzt. Ob alle diese Neuerungen sinnvoll sind, ist ein anderes Thema. Aber das dünkt mich nicht so wichtig.
plädoyer: Aber es reduziert die Verständlichkeit.
Mader: Das hat nur am Rand mit den Rechtschreiberegeln zu tun. Die geschlechtsneutrale Formulierung ist eine politische Vorgabe. Persönlich finde ich sie unsinnig. Ich habe aber das Gefühl, dass die sprachliche Qualität der Erlasse in den letzten zwanzig Jahren eher verbessert werden konnte. Das ist nicht zuletzt auf die Schaffung der verwaltungsinternen Redaktionskommission zurückzuführen. Sie sollten einmal die Vorentwürfe sehen, die wir von den Bundesämtern erhalten.
plädoyer: Was würde der ZGB-Autor Eugen Huber zur sprachlichen Qualität der heutigen Gesetze sagen?
Mader: Eugen Huber war ein ausgezeichneter Legist. Aber auch bei ihm finden sich Normen, die unklar sind. Es gibt auch einige Widersprüche, die bis heute ungeklärt sind. Beim Strafgesetzbuch findet man Übersetzungsfehler bei relativ simplen und wichtigen Straftatbeständen – beispielsweise den Tätlichkeiten. Das ist auf Französisch nicht gleich wie auf Deutsch.
Griffel: Das ZGB hat viele Jahrzehnte überstanden. Das hängt mit dem Regelungskonzept zusammen. Man wollte sich auf abstrakte Regelungen beschränken und den Rest den Gerichten überlassen.
Mader: Eine Kodifikation ist etwas grundlegend anderes als das Legiferieren im Neuland. Ich bin diesbezüglich gegen das Prinzip «Versuch und Irrtum». Ich glaube, ein solches Vorgehen ist grundlegend falsch. Ich bin aber relativ offen gegenüber der Versuchsgesetzgebung: dass man also einen Erlass auf fünf oder zehn Jahre beschränkt und anschliessend seine Wirkung evaluiert. Wichtig ist dabei, dass man die Kriterien der Evaluation bereits im Rahmen der Erarbeitung des Erlasses definiert. Zudem muss natürlich sichergestellt werden, dass die relevanten Daten auch rechtzeitig gesammelt werden.
plädoyer: Können Sie ein Beispiel für eine solche geglückte Versuchsgesetzgebung nennen?
Mader: Sehr gut abgewickelt wurde meines Erachtens die Abgabe von Heroin an Drogensüchtige. Man wollte herausfinden, ob dies eine Möglichkeit ist, damit Drogensüchtige im Sozial- und im Erwerbsleben einigermassen funktionieren. Die Ergebnisse führten dazu, dass im Gesundheitsgesetz die definitive Rechtsgrundlage für die Abgabe von harten Drogen geschaffen wurde. Die Evaluation dauerte in der ersten Phase fünf Jahre. Dann wurde sie auf der Verordnungsebene nochmals um fünf Jahre verlängert.
1 «Vom Wert einer guten Gesetzgebung – 16 Essays», herausgegeben von Alain Griffel, Stämpfli Verlag, Bern 2014
2 In «Reformen institutioneller Politiken und Staatshandeln», herausgegeben von Peter Knoepfel, Haupt Verlag, Bern 2009