Peter Aebersolds «Schweizerisches Jugendstrafrecht» ist eine konzise und breite Einführung. Das Lehrbuch erörtert das geltende materielle Jugendstrafrecht und die Jugendstrafrechtspflege umfassend. Darüber hinaus diskutiert der Hochschullehrer die Materie in einer multidisziplinären Betrachtungsweise und führt in die Grundlagen des Rechtsgebiets ein. Dabei greift er aktuelle Fragen der Jugendkriminalität, Präventionsmöglichkeiten, psychologische und psychiatrische Hintergründe, die Geschichte und die Prinzipien des Jugendstrafrechts auf.
Sein Buch wird dem multidisziplinär geprägten Rechtsgebiet gerecht und ist damit für alle mit jugendstrafrechtlichen Fragen Befassten unabhängig von ihrer Profession ein guter Einstieg in die Thematik. Auch jenen, die nur ab und zu mit Jugendstrafrecht in Berührung kommen, sei das sehr gut aufgebaute Lehrbuch empfohlen. Es ergänzt die üblichen Kommentare ausgezeichnet.
Die auch für Praktiker lesenswerte Dissertation von Angelika Murer Mikolasek setzt hingegen solide Grundkenntnisse des Jugendstrafrechts voraus. Die Autorin analysiert die Schweizerische Jugendstrafprozessordnung (JStPO) vor allem unter der Fragestellung, ob sie den Grundprinzipien des Jugendstrafrechts entspreche. Weil diese Herangehensweise sehr umfassend ist, liest sich das Werk wie ein kritischer Überblick über das formelle Jugendstrafrecht und regt zur Reflexion über Grundsatzfragen an. Die Autorin kommt zum meines Erachtens zutreffenden Schluss, dass das geltende Jugendstrafprozessrecht im Grossen und Ganzen - mit Ausnahme der Zulässigkeit des Jugendgerichtsmodelles - rechtsstaatlichen Anforderungen standhält, aber Mängel mit Blick auf das Erziehungsziel aufweist. Sie führt das auch darauf zurück, dass die JStPO als Lex specialis zur StPO konzipiert ist.
Murer Mikolasek wirft die berechtigte Frage auf, ob diese Verzahnung mit dem Erwachsenenstrafprozessrecht geglückt sei und eine konsequente Umsetzung des Erziehungsgedankens nicht eine Entkoppelung voraussetzen würde. Weil das sehr gute Buch dadurch über dogmatische Einzelfragen hinausgeht, schliesst es insgesamt eine Lücke und sei allen mit der Jugendstrafrechtspflege Befassten als Vertiefung ans Herz gelegt.
Besprochene Bücher:
Peter Aebersold
Schweizerisches Jugendstrafrecht
Stämpfli, Bern 2011, 318 Seiten,
Fr. 114.-
Angelika Murer Mikolasek
Analyse der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung
Schulthess, Zürich 2011,
392 Seiten, Fr. 83.-
Stephan Bernard
Erwachsenenschutzrecht
Christof Bernhart
Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung
Helbing Lichtenhahn, Basel 2011, 640 Seiten, Fr. 98.-
Das Werk liefert die Grundlage für eine an der Menschenwürde orientierte Handhabung des revidierten Erwachsenenschutzrechts. Nach einem Überblick zum Verhältnis Arzt und Patient, zum grundrechtlichen Status von Patienten mit psychischer Störung sowie zu den Prinzipien des Erwachsenenschutzes erläutert es die Voraussetzungen der Unterbringung und geht vertieft auf den Aufenthalt und die medizinische Behandlung ein. Weitere Themen sind das Beschwerdeverfahren und die Verantwortlichkeit.
Bei besonders kritischen Punkten wird aufgezeigt, wie dem Schutzbedürfnis der Betroffenen Rechnung zu tragen ist. Auf den Rechtsprechungsteil und die Auflistung der ZGB-Bestimmungen hätte im Internetzeitalter wohl verzichtet werden können. Das Sachregister ist eher knapp.
Bewertung: Gute Arbeitshilfe im Umgang mit fürsorgerischem Freiheitsentzug und Zwangsbehandlung nach neuem Recht. df
Zivilrecht
Heinrich Honsell / Nedim Peter Vogt / Thomas Geiser (Hrsg.)
Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, Art. 457-977 ZGB, Art. 1-61 SchlT ZGB
Helbing Lichtenhahn, Basel 2011, 2700 Seiten, Fr. 558.-
Knapp vier Jahre nach der Vorauflage hat ein Team mit rund fünfzig Autoren den Standardkommentar zum ZGB überarbeitet. Die nun vierte Auflage berücksichtigt vor allem die auf den 1. Januar 2012 in Kraft getretene Teilrevision des Immobiliarsachenrechts und kommentiert die neuen und angepassten Artikel. Ebenso finden sich Hinweise auf Neuerungen durch die eidgenössische Zivilprozessordnung. Die weiteren Artikel wurden meist nur geringfügig - durch Einarbeitung der neusten Rechtsprechung und Literatur sowie Hinweise auf Bestrebungen für Gesetzesänderungen - redigiert.
Zusammen mit dem neulich ebenfalls in 4. Auflage erschienenen Kommentar zum ZGB I ist damit die einheitliche Darstellung des ZGB aus diesem Verlag wieder auf dem neusten Stand.
Bewertung: Eine Kommentierung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs auf hohem Niveau. Unverzichtbar. kub
Unfallrecht
Ueli Kieser / Hardy Landolt
Unfall - Haftung - Versicherung
Dike Zürich 2012, 878 Seiten, Fr. 238.-
Im ersten Teil werden die Grundfragen des Unfallbegriffs und der versicherungs- und haftungsrechtlichen Deckung erläutert. Ein zweiter Teil ist den Grundbegriffen aus dem Leistungsrecht gewidmet. Zu erwähnen sind hier namentlich die Leistungskoordination sowie die Leistungsverweigerung und -kürzung. Anschliessend folgt die Darstellung der sozialversicherungs-, privatversicherungs- und haftungsrechtlichen Ansprüche und das Verfahrensrecht.
Die Autoren sind profunde Kenner der Gerichtspraxis, was sich in unzähligen Hinweisen auf die Judikatur niederschlägt. Es gelingt ihnen, die sehr komplexe Materie in gut verständlicher Sprache abzuhandeln. Ein angemessener Fussnotenapparat und ein Stichwortverzeichnis runden das ausgezeichnete Werk ab.
Bewertung: Unentbehrlich für alle, die sich mit der rechtlichen Bewältigung von Unfällen befassen. df
Europarecht
Theodor Bühler / Christa Tobler
Produktsicherheit in der EU und in der Schweiz
Schulthess Zürich 2011,
568 Seiten, Fr. 98.-
Das Werk gibt einen umfassenden Überblick über das Recht der Produkt- und Lebensmittelsicherheit in der EU und in der Schweiz und zeigt auf, dass das Schweizer Recht in diesem Gebiet grösstenteils das Resultat des «autonomen Nachvollzugs» von Unionsrecht darstellt.
Nach einer prägnanten Einführung ins EU-Recht werden die relevanten EU-Rechtsakte mit Verweisen auf die Rechtsprechung des EuGH beschrieben, wobei auch das Cassis-de-Dijon-Prinzip, der «new approach» und die technische Normierung erklärt werden.
Der Schweizer Teil stellt die Integrationsschritte in den europäischen Binnenmarkt ebenso dar wie das Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse, das Produkthaftpflicht- und das Produktsicherheitsgesetz.
Bewertung: Detailreich, dennoch verständlich. Wertvoll für Mitarbeiter von Gerichten, Kanzleien oder der Verwaltung. af
Strafrecht
Tobias Singelnstein / Peer Stolle
Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, 3. Auflage
VS Verlag Wiesbaden 2011,
198 Seiten, Fr. 35.50
Das flüssig geschriebene Buch beschreibt, wie sich die soziale Kontrolle im ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel der vergangenen Jahrzehnte verändert hat. Die Autoren analysieren dies als Entwicklung zur «Sicherheitsgesellschaft». Sie orientieren sich an internationalen Strömungen kritischer Kriminologen wie etwa Loic Wacquant, David Garland, Jean-Claude Paye oder Peter-
Alexis Albrecht.
Das Buch bleibt nicht auf einer theoretisch-rechtssoziologischen Ebene stehen, sondern geht auf konkrete Rechtsfragen zu Geheimdiensten und im Staats-, Straf-, Polizei- und Datenschutzrecht ein. Es liefert eine Analyse geltenden Rechts jenseits des strikt Rechtsdogmatischen. Grundzüge einer Kritik des Status quo und ein Blick auf Alternativen runden das Werk ab.
Bewertung: Lesenswert für Staats- und Strafrechtler zum tieferen Verständnis gegenwärtiger Entwicklungen. sb
Rechtsalltag
Karl Spühler
Gelebtes Recht. Reminiszenzen aus 50 Jahren Rechtsanwendung
Dike, Zürich 2011, 106 Seiten, Fr. 28.-
Nach eigenen Aussagen versuchte der ehemalige Bundesrichter und emeritierte Professor Karl Spühler in seiner über fünfzigjährigen praktischen Tätigkeit in der Rechtswissenschaft stets, Theorie und Praxis zu verbinden. Dieses Credo, wonach die Lehre ohne Praxisbezug tieferen Sinn entbehre, stellt er in fünfzig Kurzgeschichten auf kurzweilige und amüsante Art dar. Die Geschichten stammen aus dem Justiz-, Universitäts- und Verwaltungsalltag.
Aus dem reichen Fundus seiner verschiedenen Tätigkeitsbereiche erzählt Karl Spühler wahre Geschichten. Dem Persönlichkeitsschutz ist dabei gebührend Rechnung getragen, was kleine Abweichungen zum Tatsächlichen erforderlich machte. Ein Genuss ist auch die klare und präzise Sprache. Sie bringt die Sache immer auf den Punkt.
Bewertung: Auflockernde und unterhaltsame Zwischenlektüre, auch als Geschenk bestens geeignet. me
Prozessrecht
Thomas Geiser / Peter Münch / Felix Uhlmann / Philipp S. Gelzer (Hrsg.)
Prozessieren vor Bundesgericht, 3. Auflage
Helbing Lichtenhahn, Basel 2011, 421 Seiten, Fr. 198.-
Das bekannte Standardwerk wurde komplett überarbeitet, nachdem 2007 das Bundesgerichtsgesetz neue Rechtsmittel brachte. Die lange Wartezeit hat sich gelohnt, immerhin konnte bereits reichlich neue Judikatur verarbeitet werden. Es war sinnvoll, gleich die Neuerungen der eidgenössischen StPO und ZPO zu integrieren.
Vier Herausgeber und acht weitere Autoren präsentieren neun Kapitel: Grundlagen, Beschwerde in Zivil- oder Strafsachen, in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, subsidiäre Verfassungsbeschwerde, Beschwerde gegen Schiedsgerichtsentscheide, Klage, Revision/Erläuterung/Berichtigung und Vollstreckung. Jedes Kapitel endet mit einer Checkliste, ein Sachregister fehlt nicht. Das Werk hat etwas weniger Seiten als früher.
Bewertung: Im Umfang nun leicht entschlackt; gehört zu den Essentialia jeder juristischen Bibliothek. kpf
Grundrechte
Felix Baumann
Das Grundrecht der persönlichen Freiheit in der Bundesverfassung unter besonderer Berücksichtigung der geistigen Unversehrtheit
Schulthess, Zürich 2011,
397 Seiten, Fr. 86.-
Mit der Bundesverfassung von 1999 ist die persönliche Freiheit vom ungeschriebenen zum geschriebenen Grundrecht geworden. Während der Schutzbereich der Bewegungsfreiheit und der körperlichen Unversehrtheit durch eine jahrzehntelange Rechtsprechung umrissen ist, wird der Begriff der geistigen Unversehrtheit vom Bundesgericht erst seit kurzem verwendet.
Der erste Teil der Dissertation stellt jene Aspekte dar, die nicht der geistigen Unversehrtheit zugeordnet werden können.
Der überzeugende Hauptteil erarbeitet wissenschaftlich fundiert den Begriff der geistigen Unversehrtheit. Die Arbeit schliesst mit beispielhaften zulässigen Eingriffen ins Schutzgut in den Bereichen der Strafprozessordnung und des neuen Erwachsenenschutzrechts ab.
Bewertung: Überzeugende und weiterführende Dissertation zum Grundrecht gemäss Artikel 10 Absatz 2 Bundesverfassung. me