Als ich jung war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben; jetzt, wo ich alt bin, weiss ich, dass es das Wichtigste ist.» Dieses Zitat stammt vom irischen Schriftsteller Oscar Wilde. Er stand mehrfach als Partei vor Gericht. Inwieweit ihn diese Erfahrungen zum Ausspruch verleitet haben, ist nicht überliefert. Stünde Wilde heute vor Gericht, würde Geld auf jeden Fall eine Rolle spielen.
Trotz einheitlicher Prozessordnungen gelten nach dem 1. Januar 2011 in den 26 Kantonen nach wie vor 26 verschiedene Gebührenordnungen. Die Kantone behalten für ihre zivil- und ihre strafrechtlichen Fälle die Kompetenz zum Erlass von Gebührentarifen.
Auf den Grund für diese Regelung wies Bundesrat Christoph Blocher im Juni 2007 bei der Behandlung der Zivilprozessordnung (ZPO) im Ständerat hin: Die kantonale Gebührenhoheit sei eine «Pièce de Résistance der Kantone». Im Parlament gab es dazu keine ernsthaften Diskussionen. Nur Ständerat Eugen David (CVP, St.Gallen) bedauerte, dass im neuen Gesetz keine Vorgaben enthalten seien, wie die Tarife von den Kantonen festgesetzt werden sollten. Blocher erwiderte mit mahnenden Worten: «Wir möchten hier den Kantonen im Rahmen der Verfassung die Freiheit belassen. Denn die kantonale Hoheit würde unterwandert, wenn wir hier mit Grundsätzen eingreifen würden.» In der Botschaft steht, der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation der Kantone müsse Rechnung getragen werden. Der Luzerner Anwalt Viktor Rüegg bezeichnet im Basler Kommentar zur neuen Zivilprozessordnung die Wahrung der kantonalen Gebührenhoheit als «Konzession an die föderalistische Struktur des Bundes und an die historische Verankerung des Prozessrechts in den Kantonen».
Manche Kantone kennen keine Richtwerte
plädoyer wollte mehr über die Gebührenstruktur in den Kantonen wissen und erhob gesamtschweizerisch einige Richtwerte nach geltendem Recht. Befragt wurden die erstinstanzlichen Gerichte. Wo es in einem Kanton mehrere davon gibt, beschränkte sich die Nachfrage auf das Gericht am Hauptort. In manchen Kantonen existieren formelle oder informelle Absprachen unter den erstinstanzlichen Gerichten, aber stets wird das richterliche Ermessen innerhalb der Gebührentarife betont.
Gegenstand der Umfrage waren zunächst Scheidungsverfahren mit vollständig eingereichter Konvention, Kindern und durchschnittlichen finanziellen Verhältnissen. Diese Urteile werden in aller Regel nicht begründet. Weiter wurden die Kosten von Forderungsstreitigkeiten ohne Beweisverfahren mit einem Streitwert von 50 000 und 100 000 Franken inklusive Urteilsbegründung erhoben.
Einzelne Kantone sahen sich ausserstande, überhaupt Richtwerte anzugeben. Sie verwiesen auf die unteren und oberen Grenzwerte im Gesetz. Spätestens ab dem neuen Jahr werden die Gerichte diese Praxis gegenüber nicht anwaltlich vertretenen Parteien wohl nicht mehr aufrechterhalten können. Denn aufgrund von Artikel 97 ZPO müssen diese zu Beginn des Verfahrens über die Höhe der mutmasslichen Gerichtskosten orientiert werden. Dass dabei ein Verweis auf die gesetzlichen Gebührenrahmen mit meist weit auseinanderliegenden unteren und oberen Grenzwerten genügen kann, ist zu bezweifeln.
Unterschied von mehr als 20 000 Franken
Das Ergebnis der plädoyer-Umfrage: Die Tarife in den Kantonen sind sehr unterschiedlich (siehe Tabelle). Bei Konventionalscheidungen reicht die Spanne von 360 Franken im Kanton Waadt bis zu 2700 Franken in St.Gallen. Das Kreisgericht St.Gallen differenziert in seiner Antwort, dies sei
der Wert für einen Aufwand von 12 Stunden. Bei einem Aufwand von 6 Stunden verlangt das Kreisgericht St.Gallen 1500 Franken, was nach dem Ergebnis der Umfrage gerade etwa den gesamtschweizerischen Durchschnittskosten einer Scheidung mit zu Beginn vorhandener vollständiger Konvention entspricht. Augenfällig ist, dass die Westschweizer Kantone mit Ausnahme des Kantons Jura bei Scheidungen deutlich unter den Ansätzen der Deutschschweizer Kantone liegen.
Bei den Forderungsprozessen mit einem Streitwert von 50 000 Franken beträgt die Bandbreite der Richtwerte 1500
Franken (Neuenburg) bis 14 800 Franken (Jura). Überraschend erweist sich die erste Instanz aus dem finanzkräftigen Kanton Zug mit einem Richtwert von 1600 Franken zusammen mit Neuenburg als am kostengünstigsten. Das gleiche gilt für Forderungsprozesse mit einem Streitwert von 100 000 Franken. «Das Resultat der Umfrage gibt uns endlich die Legitimation, künftig deutlich höhere Gebühren von den Parteien zu verlangen», lacht Zugs Kantonsgerichtsschreiber Laurent Krähenbühl.
Das Kantonsgericht Zug erhebt bei einem Streitwert von 100 000 Franken als Richtwert Verfahrenskosten von 2100 Franken (Neuenburg 2000 bis 3000), während auch da der Kanton Jura mit einem Richtwert von 23 000 Franken am tiefsten in die Tasche der zahlungspflichtigen Partei greift. Die erstaunlich hohen Zahlen des Kantons Jura erklären sich damit, dass bis Ende 2010 bei einem Streitwert ab 20 000 Franken nur eine einzige kantonale Instanz urteilt. Ab 2011 muss auch der Kanton Jura aufgrund der Vorgaben in Artikel 75 und 130 des Bundesgerichtsgesetzes zwei Instanzen einsetzen. Entsprechend werden die Richtwerte nach Auskunft von Nathalie Brahier, Gerichtsschreiberin des Tribunal de première instance in Pruntrut, für das erstinstanzliche Verfahren auf 2600 Franken (bei einem Streitwert von 50 000 Franken) und 3600 Franken (bei einem Streitwert von 100 000 Franken) gesenkt. Die höchsten Richtwerte werden ab 2011 jene des Kreisgerichts St.Gallen mit 6000 Franken (bei einem Streitwert von 50 000 Franken) und 12 000 Franken (bei einem Streitwert von 100 000 Franken) sein.
Reduktion bei Verzicht auf Urteilsbegründung
Zu beachten ist, dass verschiedene Kantone beim Verzicht auf die Begründung des Urteils eine Reduktion der Kosten gewähren - oft im Umfang eines Drittels. Die neue ZPO ermöglicht in Artikel 239 den Kantonen, einen Entscheid ohne schriftliche Begründung zu eröffnen. Nach der neuen ZPO wird die Erhebung separater Barauslagen und von Gebühren für prozessleitende Verfügungen nicht mehr zulässig sein. Artikel 95 Absatz 2 litera b schreibt Entscheidgebühren in Form von Pauschalen vor.
Die unterschiedlichen Werte zeigen die Heterogenität der Gerichtskosten in der ganzen Schweiz und den möglichen Reformbedarf durch einheitliche bundesgesetzliche Vorgaben. Es gibt in den Gebührenerlassen mitunter sehr spezielle Bestimmungen. So müssen Parteien und Richter am Zivilgericht Basel-Stadt wahre Rechenkünstler sein, wenn es um die Gerichtskosten einer Konventionalscheidung geht. Diese belaufen sich auf ein Sechstel des gemeinsamen monatlichen Nettoeinkommens beider Ehegatten oder auf zwei Neuntel des Einkommens des besser verdienenden Ehegatten, falls dieser Betrag höher ist. Dazu kommt bei einem Nettovermögen von über 120 000 Franken ein Zuschlag von 1,25 Promille. Der Zuschlag wird indessen auf den gesamten Betrag und nicht nur auf den 120 000 Franken übersteigenden Betrag erhoben. Auch der Kanton Neuenburg berechnet die Kosten einer Konventionalscheidung nach einer Formel (1 Prozent des Einkommens plus 1 Promille des Vermögens, mindestens 400 Franken).
Einfacher hat es die erste Instanz in Basel dafür in einem anderen Punkt. In der Verordnung über die Gerichtsgebühren entspricht der obere Grenzwert einer Streitwertkategorie immer genau dem unteren Grenzwert der nächsthöheren Streitwertkategorie, während sich in etlichen anderen Kantonen diese Werte zum Teil deutlich überlappen. So könnte beispielsweise gemäss dem ab dem 1. Januar 2011 anwendbaren Solothurner Gebührentarif ein erstinstanzliches Amtsgericht für eine Forderung mit einem Streitwert von 50 000 Franken eine Entscheidgebühr bis 5500 Franken verlangen. Für Streitwerte von 50 001 Franken bis 100 000 Franken beginnt die Bandbreite aber wieder bei 800 Franken und führt bis 8000 Franken. Eine Lösung dieses Problems kann die Interpolation über alle Streitwertkategorien vom tiefsten bis zum höchsten Grenzwert sein.
Die konkreten Verfahrenskosten hängen am Ende von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen der Zeitaufwand des Gerichts, die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens, der Umfang der Prozessakten sowie das prozessuale Verhalten einer Partei. Kosten für die Erhebung von Beweisen kommen separat dazu. Praktisch alle Kantone haben im Hinblick auf das Inkrafttreten der neuen Prozessordnungen ihre Gebührenerlasse schon angepasst oder sind dabei, es zu tun. Inwieweit die neuen Prozessordnungen zum Anlass genommen werden, die Kosten von Gerichtsverfahren generell zu erhöhen, ist zurzeit noch schwierig zu beurteilen. In verschiedenen Kantonen werden die zum Teil sehr tiefen unteren Grenzwerte angehoben. Die Aargauer Regierung beispielsweise schreibt in ihrer Botschaft zum neuen Einführungsgesetz zur ZPO als Begründung: «Der untere Gebührenrahmen ist in Zivilsachen generell auf 200 Franken anzuheben, damit zumindest eine Teildeckung der Kanzleigebühren und Auslagen in ähnlichem Umfang wie in anderen Verfahren erreicht wird.»
Obere Grenze kräftig angehoben
Teilweise werden die Gebührenrahmen nach oben erweitert. Laut dem Solothurner Gerichtsverwalter Roman Staub sind die oberen Grenzwerte bei Strafverfahren um 50 Prozent erhöht worden. Die Erweiterung des Gebührenrahmens kann mit veränderten Kompetenzen der Spruchkörper zu tun haben. So werden die Bezirksgerichte des Kantons Zürich ab dem Jahr 2011 die bisher vom Geschworenengericht oder vom Obergericht als erster Instanz beurteilten Straffälle übernehmen. Deshalb ist die obere Grenze von bisher 25 000 Franken auf 45 000 Franken angehoben worden, was dem bisherigen Maximum für Prozesse vor dem Geschworenengericht entspricht.
Es ist möglich, dass sich der Arbeitsaufwand der Gerichte aufgrund der neuen Prozessvorschriften vergrössert. In Strafverfahren könnte dies vor allem wegen vermehrter Unmittelbarkeit der Fall sein. Staub erwähnt, dass die Gerichtsverhandlungen in seinem Kanton aufgrund der neuen Protokollierungsvorschriften länger dauern werden und dies ein Faktor für eine Erhöhung der Verfahrenskosten sein könnte. Auf diesen Punkt verweist auch Paul Zimmermann, Generalsekretär des Zürcher Obergerichts.
Monetäre Vorteile für den Staat, Risiko für den Kläger
Die neue Zivilprozessordnung bringt dem Staat einen wichtigen monetären Vorteil: Nach Artikel 98 kann das Gericht von der klagenden Partei einen Vorschuss bis zur Höhe der mutmasslichen Gerichtskosten verlangen. Und nicht nur das: Artikel 111 erlaubt den Gerichten sogar, die geleisteten Vorschüsse für die Gerichtskosten zu verwenden, auch wenn die klagende Partei obsiegt. Die unterliegende Partei hat dieser die geleisteten Vorschüsse zu ersetzen. Damit wird das Inkassorisiko vom Staat auf die klagende Partei überwälzt. Auf die Folgen für potenzielle Kläger wurde bereits früher an dieser Stelle hingewiesen (plädoyer 1/08, 4/08). Ob alle Gerichte den vollen Kostenvorschuss verlangen werden, ist offen. Im Kanton Zürich, wo bisher grundsätzlich keine Kostenvorschüsse verfügt worden sind, habe man auf den Erlass einer entsprechenden Richtlinie verzichtet, sagt Zimmermann.
Ständerat Eugen David beklagte schon bei der Behandlung der ZPO im Juni 2007, Zivilprozesse mit einem Streitwert bis 100 000 Franken seien für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) so teuer geworden, dass sie sich scheuten, überhaupt einen Prozess zu führen. «Im Vergleich mit anderen Ländern, ich nenne hier die USA und jene in der EU, sind schweizerische Gerichte erschwert zugänglich. Dies hängt mit den vielen Lasten zusammen, die der klagenden Partei auferlegt werden, gerade auch bei den Kosten.» David spricht von einer «Struktur zur Vermeidung der Belastung der Gerichte». Er praktiziere seit dreissig Jahren als Anwalt und stelle eine stetige Zunahme des Risikos für Rechtssuchende fest. Was für die KMU gilt, gilt erst recht für den einzelnen Bürger.
David rechnet damit, dass ein erstes Revisionspaket wegen Mängeln der neuen ZPO und der neuen StPO schon innert fünf Jahren kommen wird. «Es ist gut möglich, dass ich, solange ich noch Ständerat bin, Anträge zu eidgenössischen Grundsätzen betreffend Kosten stellen werde.» David bemerkt, dass es schon 2007 möglich gewesen wäre, Einfluss zu nehmen. «Ich wollte die Vereinheitlichung des Prozessrechts nicht mit zusätzlichen Anträgen zur Kostenregelung belasten», erklärt er - und ärgert sich doch ein bisschen über die verpasste Chance.
Eines ist für ihn klar: «Es darf nicht so weit kommen, dass wegen zu hoher Hürden, vor allem bei den Kosten, ganze Gruppen, seien es KMU, seien es Privatpersonen, auf die gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche verzichten.»
Die Tabelle mit den Kosten können Sie mitsamt dem Artikel als PDF herunterladen.
Bitte beachten Sie, dass die Fussnoten 4 und 5 in der Tabelle aufgrund einer ursprünglichen Fehlinformation des zuständigen jurassischen Gerichts neu wie folgt lauten:
Fussnote 4: ab 1.1.2011 Fr. 4100
Fussnote 5: ab 1.1.2011 Fr. 6600