Solche Fälle hat die Verwaltungskommission des Zürcher Obergerichts selten zu beurteilen: Sie musste über einen Zürcher Gerichtsschreiber disziplinarisch richten, der im Auftrag einer Laienrichterin zuhanden der Rechtsmittelinstanz eine Vernehmlassung schrieb - und in der Wahl seiner Worte alles andere als wählerisch war.
Gegenstand seiner Stellungnahme waren die Beschwerden zweier Anwälte, die mit der Festsetzung der Entschädigung für die unentgeltliche Verbeiständung nicht einverstanden waren. Kostproben aus der Vernehmlassung ans Obergericht: «Das Geschriebene hätte sich bei gleicher Substanz mit einem Drittel des Umfanges begnügen und der Beschwerdeführer dabei etwas von seinem auffallend edlen Schreibpapier einsparen können.» Oder:?«Es wurden Anträge gestellt, ob derer man nur den Kopf schütteln kann.» «Auch im Rekursverfahren Schaumschlägerei.»
Kanton Zürich: Noch immer 23 Laien als Richter tätig
Für diese Eingabe erhielt der Gerichtsschreiber von der Verwaltungskommission einen Verweis. Er trage gerade bei der «Assistierung eines Laienrichters» eine besondere Verantwortung. Die Laienrichterin hatte sich für den Wortlaut der Vernehmlassung (siehe Box Seite 12) entschuldigt.
Im Kanton Zürich sind ausserhalb der Städte Zürich und Winterthur an den erstinstanzlichen Gerichten immer noch 23 Laien als Richter tätig (siehe Tabelle Seite 13). Sie entscheiden alleine, wenn sie als Einzelrichter amtieren. Heinrich Andreas Müller, Präsident des Zürcher Obergerichts, hat Ende Oktober 2011 anlässlich einer Weiterbildungsveranstaltung zur neuen Zivilprozessordnung auf die damit verbundene rechtliche Problematik hingewiesen: Die neue Gerichtsorganisation führe dazu, dass Laienrichter vom ersten Tag an als Einzelrichter in Zivilsachen amten. Ihnen würden auch «nicht erfahrene Juristen zur Seite stehen». Kein grösserer Kanton setze Laienrichter in diesem Umfang ein wie Zürich. Das sei im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung «nicht unproblematisch».
Tatsächlich hatte das Bundesgericht im Jahr 2007 die Frage zu prüfen, ob bei einem nur mit einem Laien besetzten Gericht noch von einem verfassungsmässigen Gericht gesprochen werden kann. Es verneinte grundsätzlich den Anspruch auf einen «juristisch gebildeten Richter», da die Bundesverfassung selbst für die Wahl ins Bundesgericht nur die Vollendung des 18. Alterjahrs und das schweizerische Bürgerrecht vor-aussetze. Allerdings würden nur «ausreichende fachlich-sachliche Kenntnisse der Richter zu unabhängiger Willensbildung und richtiger Rechtsanwendung befähigen». Der Richter müsse in der Lage sein, den Fall in seinen Einzelheiten zu erfassen, sich darüber eine Meinung zu bilden und das Recht darauf anzuwenden. «Fehlt es daran, kann nicht von einem fairen Verfahren gesprochen werden, zumal auch ein Anspruch auf rechtliches Gehör besteht: Der Richter muss fähig sein, sich mit den Anliegen und Argumenten der Verfahrensparteien angemessen auseinanderzusetzen», heisst es weiter im Entscheid (BGE 134 I 16). Das Bundesgericht folgerte, dass «der Anspruch auf ein faires Verfahren bzw. einen unabhängigen Richter deshalb berührt» sein könne, «wenn unerfahrene Laienrichter ohne Möglichkeit der Mithilfe einer unabhängigen Fachperson ihres Amtes walten müssen». Im konkreten Fall erachteten die Lausanner Richter den Einzelrichter des Bezirks Münchwilen TG als nicht unerfahren, weil er von Beruf Architekt war und im fraglichen Prozess um ein Wegrecht gestritten wurde.
«Laien als Einzelrichter sind eine Frechheit»
In der Praxis der Zürcher Gerichte nehmen hinter den Kulissen bei Laien-Einzelrichten die juristisch ausgebildeten Gerichtsschreiber das Heft in die Hand. Sie begründen faktisch die Urteile selbst. Hinter vorgehaltener Hand kritisieren sie das System. Eine ehemalige Gerichtsschreiberin sagt gegenüber plädoyer: «Es ist eine Frechheit gegenüber den Rechtsunterworfenen, wenn Laienrichter als Einzelrichter fungieren.»
Nicht nur in Zürich - auch in anderen Kantonen sind Laienrichter in der Schweiz zahlenmässig noch stark vertreten. In den Kantonen Glarus, Graubünden, Nidwalden, Schaffhausen, Thurgau, Uri und Zürich ist weder für das Richter- noch für das Gerichtspräsidentenamt eine juristische Ausbildung vorgeschrieben. Faktisch sieht die Situation aber häufig anders aus: Im Kanton Graubünden beispielsweise gibt es nur in erster Instanz nach wie vor Laienrichter. «Als Gerichtspräsident wird heute jedoch nur gewählt, wer über eine juristische Ausbildung verfügt», so Kantonsgerichtspräsident Norbert Brunner.
In den meisten Kantonen werden Laienrichter nicht als Einzelrichter eingesetzt. «Mit der Tendenz zu Einzelgerichten ist der schleichende Rückzug des LaienElementes schon längst Tatsache geworden», stellt Niklaus Oberholzer, Präsident des St. Galler Kantonsgerichts, fest. Für Schaffhausen bestätigt Beat Sulzberger, leitender Gerichtsschreiber des Obergerichts: «Bei uns ist der letzte Laienrichter 2006 zurückgetreten. Heute sind alle Richterstellen erster und zweiter Instanz mit Juristen besetzt.»
«Teilzeitpensen für Anwälte kaum eine Option»
Einige Kantone schreiben eine rechtliche Ausbildung für bestimmte Richterposten vor: Aargau, Appenzell Inner- und Ausserrhoden, Baselland, Basel-Stadt, Obwalden, Schwyz und Solothurn. Hier ist vorgeschrieben, dass die Gerichtspräsidien erster und zweiter Instanz von Personen mit einer juristischen Ausbildung besetzt werden müssen. Die Kantone Aargau, Bern, Basel-Stadt und Solothurn verlangen, dass immerhin die Richter der zweiten Instanz juristisch ausgebildet sein müssen. In Zug müssen sämtliche Mitglieder der Gerichte in der Zivil- und Strafrechtspflege eine juristische Ausbildung vorweisen. Auch Luzern machte mit den Laienrichtern kurzen Prozess: Mit der per 1. Januar 2011 umgesetzten Justizreform wurde das Laienrichtertum abgeschafft.
Für den Glarner Gerichtsschreiber Erich Hug ist das undenkbar. In Glarus sind nur die Präsidien der beiden Kammern des erstinstanzlichen Kantonsgerichts sowie des Verwaltungsgerichts Vollämter. «Für weitere richterliche Vollämter gibt es zu wenige Fälle. Teilzeitpensen sind aufgrund der Ausstandsbestimmungen für Anwälte kaum eine Option», erklärt Hug. Dies lässt die St. Galler Anwältin Evelyne Angehrn nicht gelten: «Es gibt viele Juristen, die gerne Teilzeit arbeiten.» Sie wünscht sich eine Lösung wie in Luzern: «Heute gibt es keine Rechtfertigung mehr für Laienrichter.»
«Tant de bruit»
Die Verwaltungskommission des Zürcher Obergerichts hat im März 2011 einem Gerichtsschreiber einen Verweis erteilt, weil er seiner «besonders hohen Verantwortung bei der Assistierung einer Laienrichterin» bei der Abfassung einer Vernehmlassung zu einer Beschwerde zweier Anwälte nicht nachkam. Die Verfügungen der Laienrichterin über die Vergütung der unentgeltlichen Beistände der Parteien hatte die Verwaltungskommission schon vorher «infolge Besorgnis der Befangenheit» aufgehoben.
Einige Zitate aus der Vernehmlassung der Richterin, die Grund für diese Besorgnis waren:
- «Tant de bruit pour une omelette.»
- «Dem Beschwerdeführer ging es darum, den Komplex Eheleute C. so gründlich wie möglich auszulutschen, um ein maximales Honorar herauszuholen.»
- «Das uneinsichtige Verhalten der Parteien, angeheizt durch ihre Vertreter, hat den Prozess zur Schwarte gemacht.»
- «Würden die Anwälte nach Zeitaufwand entschädigt, erhielten sie wohl ein Honorar, das den Wert der Habe ihrer Mandanten überstiege!»
- «Wo nichts zu holen ist, gibts auch nichts zu streiten.»
- «Um den Beschwerdeführer vor seiner Mandantin nicht zu blamieren, liess die Einzelrichterin das Gesuch unbehandelt, das zufolge rechtlicher Unmöglichkeit hätte abgewiesen werden müssen.»
- «Getretener Quark wird breit, nicht stark.» (Goethe)
Im Anhang finden Sie die Tabelle zu der Anzahl der Laienrichter pro Kanton.