Katastrophale Arbeitsbedingungen in Kleiderfabriken in Asien oder in Osteuropa, missbräuchliche Kinderarbeit bei der Kakaoproduktion in Westafrika, tödliche Emissionen in Sambia: Allzu oft stehen Schweizer Konzerne in der Kritik, weil sie Menschenrechten und Umwelt in ihrem internationalen Geschäft zu wenig Bedeutung beimessen. Die Konzernverantwortungsinitiative will deshalb international abgestützte und wirkungsvolle Regeln für Schweizer Konzerne schaffen.
Auf internationaler Ebene gelang 2011 ein wichtiger Durchbruch: Der Uno-Menschenrechtsrat verabschiedete die von Harvard-Professor John Ruggie erarbeiteten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einstimmig. Ihr Kernstück ist ein Perspektivenwechsel: Staaten trifft zwar weiterhin die Schutzpflicht bezüglich Menschenrechten, doch auch Unternehmen sind Akteure und haben eine Respektierungsverantwortung. Sie sind also gehalten, neben den finanziellen Risiken für ihr Geschäft nun auch Risiken für Menschenrechtsverletzungen einzubeziehen.
Die Uno-Leitprinzipien sind wie andere Beschlüsse des Menschenrechtsrats formell nicht verbindlich. Doch ihre Sprengkraft war enorm: Das zentrale Element – die menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung – fand rasch Eingang in verschiedene internationale und nationale Regulierungen. Zuletzt wurde in Frankreich die «Loi relative au devoir de vigilance»1 beschlossen. Die Niederlande stehen kurz vor der Verabschiedung eines Gesetzes über Sorgfaltsprüfungspflicht bezüglich Kinderarbeit. Und in Grossbritannien verlangt der «Modern Slavery Act» von den Unternehmen, Sklaverei und Zwangsarbeit aus ihren Lieferketten auszuschliessen.
Prävention im Vordergrund Dieselbe Strategie verfolgt die Konzernverantwortungsinitiative: Sie will Konzerne mit Sitz in der Schweiz zur menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltsprüfung verpflichten und damit «soft law» in verbindliches Schweizer Recht giessen. Konzerne müssen also die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt abklären – ihre Lieferkette durchleuchten und aktiv auf die Suche nach Risiken gehen.
Als zweiten Schritt müssen sie geeignete Massnahmen zur Verhütung von Verletzungen ergreifen und bestehende Probleme lösen. Schliesslich sind sie verpflichtet, Rechenschaft über diese Sorgfaltsprüfung abzulegen, zum Beispiel in Form eines öffentlichen Berichts. Diese Pflichten gelten analog zum Verständnis der Uno-Leitprinzipien für alle Geschäftsbeziehungen.
Mechanismus analog zur Geschäftsherrenhaftung Um die Durchsetzung dieser Pflicht sicherzustellen, wurde auf einen verwaltungs- oder strafrechtlichen Sanktionskatalog verzichtet, stattdessen sieht die Initiative einen zivilrechtlichen Haftungsmechanismus vor: Schweizer Konzerne haften künftig für Schäden, die durch sie kontrollierte Unternehmen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzung verursacht haben. Allerdings können sie sich aus der Haftung befreien, indem sie nachweisen, dass sie die Sorgfaltsprüfung durchgeführt haben. Die Verantwortungsgrundsätze der Initiative lauten wie folgt:
– Wer ein Unternehmen kontrolliert, soll diese Kontrolle bei gebotener Sorgfalt auch zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen ausüben.
– Wer aus der Tätigkeit eines anderen wirtschaftlichen Nutzen zieht, soll auch die damit verbundenen Risiken tragen.
Diese Haftungsprinzipien stimmen mit jenem der Geschäftsherrenhaftung von Art. 55 OR überein.2 Der Verfassungstext ist deshalb dieser Bestimmung nachgebildet.
Die Wirtschaftsverbände haben bereits begonnen, die Initiative zu bekämpfen. Dabei werden auch absichtlich Missverständnisse in die Welt gesetzt. Economiesuisse schreibt zum Beispiel: «Die Initiative verlangt, dass Schweizer Unternehmen für alles, was irgendwo auf der Welt geschieht und entfernt Berührungen mit ihnen hat, in der Schweiz eingeklagt werden dürfen.» Das ist falsch.
Zunächst ist festzuhalten, dass es sich um eine Sorgfalts- und nicht um eine Durchgriffshaftung handelt: Die juristische Trennung der beiden Einheiten wird aufrechterhalten, es geht einzig um eine Überwachungspflicht des Mutterunternehmens in Bezug auf menschenrechtlich relevante Tochtertätigkeiten. Zweitens erstreckt sich die Haftung nur auf kontrollierte Unternehmen. Das sind grundsätzlich Konzernkonstellationen, doch im Einzelfall sind auch Verhältnisse faktischer Kontrolle, also durch wirtschaftliche Machtausübung, eingeschlossen. Dazu zählt zum Beispiel ein Alleinbezugsvertrag. Normale Zulieferer sind aus der Haftung ausgeschlossen.
Im Grundsatz geht es um «eine zweckmässige, dem Verhältnis von Kontrolle, Risiken und Mitteln entsprechende Kompetenzaufteilung innerhalb der Unternehmensgruppe, die organisatorisch darauf abzielt, menschenrechtliche Beaufsichtigungslücken zu vermeiden».3
Ausrichtung an internationalen Standards Seitens der Wirtschaftsverbände wird den Initianten auch gerne Rechtsimperialismus vorgeworfen. Dazu gilt es zwei Punkte festzuhalten: Erstens ist die materielle Messlatte für die Sorgfaltsprüfung nicht Schweizer Recht, sondern die international anerkannten Menschenrechte. Von einem «Werteexport» kann also nicht gesprochen werden. Zweitens richtet sich die Initiative an Schweizer Konzerne und verlangt von ihnen, ihre Verantwortung für Tochterunternehmen im Ausland wahrzunehmen – und nicht an ausländische Unternehmen. Der Gerichtsstand Schweiz ist deshalb kein Novum.
Zum Thema Extraterritorialität hält auch eine entsprechende Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte fest: «Der Vorschlag gemäss Konzernveranwortungsinitiative [ist] als innerstaatliche Massnahme mit extraterritorialer Wirkung zu qualifizieren.»4
Breit abgestützte Volksinitiative Die Konzernverantwortungsinitiative wurde im Oktober 2016 mit über 120 000 gültigen Unterschriften eingereicht. Mehr als 80 Organisationen der Zivilgesellschaft und viele engagierte Einzelpersonen, aber auch progressive Unternehmer stehen hinter dem Anliegen. In Bälde wird der Bundesrat die Botschaft zur Initiative veröffentlichen. Wie er bereits Anfang Jahr angekündigt hat, gedenkt der Bundesrat die Vorlage zur Ablehnung zu empfehlen.
Ein Blick über den nationalen Tellerrand hinaus lässt hoffen, dass Parlament und Stimmbevölkerung anders entscheiden. Denn überall sind Regulierungen auf dem Vormarsch und die Schweiz hinkt bereits jetzt nach. Mit der Konzernverantwortungsinitiative hat die Schweiz auch die Chance, eigenständig und vorausschauend zu handeln, bevor sie erneut von anderen Staaten dazu gezwungen wird – man denke an den Bankenplatz.
Lektüretipp: Die Augustausgabe der AJP (8/2017) widmet sich dem Thema Unternehmen und Menschenrechte aus juristischer Perspektive.
Heinz Rey, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4. Aufl., Zürich 2008, N 84 und 897 ff.; Martin Petrin, Fortentwicklung der Geschäftsherrenhaftung in der Schweiz, Zürich 2004, S. 21 f.; Lukas Handschin, Der Konzern im geltenden schweizerischen Privatrecht, Zürich 1994, S. 347.
Gregor Geisser, «Konzernverantwortungsinitiative. Darstellung, rechtliche Würdigung und mögliche Umsetzung», in: AJP 8/2017, S. 943 ff.
Dick Marty
ehemaliger Tessiner Staatsanwalt und alt Ständerat FDP, Fescoggia TI
Rahel Ruch
Koordinatorin Konzernverantwortungsinitiative, Bern