Peter-Alexis Albrecht ist Professor in Frankfurt am Main. Sein strafrechtlicher Bezugspunkt ist primär Deutschland und sekundär Europa. Die Schweiz spielt keine nennenswerte Rolle in seinem Buch. Anders beim Werk des Schweizer Autorenteams Killias, Kuhn und Aebi. Es vermittelt viel empirisches Fachwissen - gerade zur Schweiz, aber auch zu anderen europäischen Ländern. Das Buch steht auf dem Boden einer erfahrungswissenschaftlichen Kriminologie, die gute Dienste für die Anwendung des Strafrechts liefern will. Wer sich ein praxisnahes Handbuch für die Rechtspflege oder zur Einführung in die Disziplin wünscht, ist damit gut bedient, auch wenn der Stil bisweilen etwas trocken ist und Wertungen nicht immer deutlich als solche gekennzeichnet sind.
Albrechts Werk dagegen ist in einem umfassenderen Sinne geistes- und sozialwissenschaftlich angelegt und einer kritisch-autonomen Kriminologie als Reflexionsdisziplin verpflichtet. Es hebt sich wohltuend von einem durchschnittlichen Rechtslehrbuch ab. Der Autor bekennt sich klarer als die Schweizer Kollegen zu seiner rechtspolitischen Verortung: Er steht der Tendenz der Sicherheitsgesellschaft nach mehr Überwachung, der Erosion grundlegender Rechtsprinzipien sowie dem zunehmend verbreiteten Glauben ans Strafrecht als vermeintliches Allerweltheilmittel zur Lösung nahezu sämtlicher gesellschaftlicher Probleme sehr kritisch gegenüber. Seine Haltung begründet er - fast zu - detailliert mit Bezugnahme auf das europäische Kulturerbe. Diese Herangehensweise ermöglicht daher mehr als Killias', Kuhns und Aebis Werk einen «Blick von aussen» auf das Strafrecht sowie auf heutige gesellschaftspolitische Entwicklungen und löst bei der Lektüre grundsätzlichere Fragen aus.
Albrechts Buch ist dem Rezensenten insgesamt näher. Die Suche in dessen Werk nach praxistauglichem Detailhilfswissen für das hiesige Recht mündet aber zwangsläufig in eine Enttäuschung. Wer sich sowohl eine kritisch-autonome kriminologische Lektüre und empirische Daten zur Schweiz wünscht, kommt daher kaum um den Kauf beider Bücher herum. Oder man besorgt sich die eben neu aufgelegte, sehr lesenswerte «Kriminologie» des Berner Ordinarius Karl-Ludwig Kunz. Sie pflegt einen ähnlichen Zugang wie Albrechts Buch und nimmt Bezug auf die Schweiz. Stephan Bernard
Öffentliches Prozessrecht
René Rhinow / Heinrich Koller / Christina Kiss / Daniela Thurnherr / Denise Brühl
Öffentliches Prozessrecht, Grundlagen und Bundesrechtspflege, 2. Auflage
Helbing Lichtenhahn,
Basel 2010, 632 Seiten, Fr. 148.-
Gut 14 Jahre nach der Erstauflage legt ein erweitertes Autorenteam eine vollständig überarbeitete Fassung dieses Werks vor, die angesichts der Justizreform und der Revision der Bundesrechtspflege überfällig war. Das Konzept wurde beibehalten: Im ersten Teil werden die Grundlagen des öffentlichen Prozessrechts vermittelt, wobei die Darstellung der verfassungs- und völkerrechtlichen Grundlagen erweitert wurde. Der zweite, etwas kürzere Teil befasst sich mit der öffentlichen Rechtspflege des Bundes. Stets wird auch die neuere Praxis des Bundesgerichts und des EGMR berücksichtigt. Das Buch ist sehr übersichtlich gestaltet, auf Fussnoten wird verzichtet und die Verweise auf Literaturstellen sind wohltuend knapp. Das Stichwortverzeichnis erleichtert die rasche Orientierung.
Bewertung: Grundlagenwerk für Studium und Verwaltungspraxis. df
Zivilprozessrecht
Karl Spühler / Dominik Vock
Rechtsmittel in Zivilsachen im Kanton Zürich und im Bund, 2. Auflage Schulthess, Zürich 2011,
164 Seiten, Fr. 118.-
Das schlanke, schön gemachte Büchlein wagt den Spagat zwischen einem Lehrbuch für Studenten und Anwaltskandidaten einerseits und einem Wegweiser für Praktiker und Gerichte. Das Kunststück gelingt. Die zweite Auflage berücksichtigt das Bundesgerichtsgesetz und die Zivilprozessordnung. Die Darstellung erfolgt aus Zürcher Sicht, was für Zürcher Juristen angenehm ist. Sie erfahren etwa, dass Nichteintretensentscheide neu berufungsfähig sind. Oder dass prozessleitende Verfügungen im bundesgerichtlichen Verfahren Zwischenentscheid heissen, während die in der ZPO als berufungsfähig aufgeführten Zwischenentscheide etwas anderes sind, nämlich Prozessendentscheide, etwa wegen Verjährung, fehlender Partei- oder Prozessfähigkeit. Das Werk ist knapp und gut formuliert. Und nützlich als Nachschlagewerk.
Bewertung: Eine Übersicht für Studenten, eine Aufdatierung für Praktiker. kpf
Vertragsrecht
Heinrich Honsell
Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 9. Auflage Stämpfli, Bern 2010,
536 Seiten, Fr. 122.-
Das bewährte Lehrbuch ist im Vergleich zur achten Auflage von 2006 nur marginal aktualisiert worden (Literatur und Rechtsprechung Stand 1. Juni 2010). Ausführlich wird nach wie vor der Kaufvertrag (inklusive UN-Kaufrecht) dargestellt. Nicht behandelt werden Arbeits- sowie Gesellschaftsrecht. Das Lehrbuch zeichnet sich durch eine kritische Auseinandersetzung - wo nötig unter Beizug rechtsvergleichender und rechtshistorischer Überlegungen - mit der herrschenden Lehre und geltenden Rechtsprechung aus. Nebst der Vermittlung des Lernstoffs schult das Werk damit auch das kritische Hinterfragen des Gelernten und das Verstehen von Zusammenhängen.
Bewertung: Ein wertvolles Lehrbuch, in Spezialfragen auch für Praktiker interessant. kub
Versicherungsrecht
Gabriela Riemer-Kafka (Hrsg.)
Versicherungsmissbrauch, Ursachen - Wirkungen - Massnahmen, Schulthess, Zürich 2010,
217 Seiten, Fr. 65.-
Der Tagungsband enthält medizinische Überlegungen der Suva-Psychiaterin Ulrike Hoffmann-Richter und beleuchtet Missbrauchstatbestände in Kranken-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung sowie der Zweiten Säule. Ausführungen zu den Grenzen der Observation liefern die Professoren Regina Aebi-Müller und Andreas Eicker, unterstützt von Assistent Michel Verde. Am Briefkasten, vor der Haustüre und selbst im einsehbaren Garten beginnt die Schutzzone der Privatsphäre. Sozialversicherer müssen für Observationen auf ein formelles Gesetz zurückgreifen können, laut den Luzerner Professoren ist die bestehende Grundlage «eher knapp», reicht dem Bundesgericht aber allemal. Gerade im Auftrag der Sozialversicherer bewegen sich die Detektive jedoch auf dünnem Eis, sie können sich strafbar machen.
Bewertung: Eine Auslegeordnung, für Praktiker bedingt nützlich. kpf
Opferrecht
Marianne Schwander
Das Opfer im Strafrecht, Aktuelles und potenzielles Opfer zwischen Recht, Psychologie und Politik
Haupt, Bern 2010,
288 Seiten, Fr. 49.-
Im ersten Teil des multidisziplinären Werks geht die Autorin auf die Stellung des Opfers im materiellen Strafrecht, im Strafprozessrecht, in der Kriminologie und in der Kriminalpolitik ein. Gegenstand des zweiten Teils ist «Das Opfer bei ausgewählten Straftatbeständen»: Häusliche Gewalt, Prostitution, Menschenhandel, Pornografie und weibliche Genitalverstümmelung. Die Autorin erläutert dabei jeweils die aktuelle rechtliche Situation und schlägt Lösungen für das künftige Recht vor. Sie spürt auch der Frage nach, ob das Strafrecht mit seiner Orientierung an der beschuldigten Person der jeweiligen Opfergruppe gerecht wird und ob es die adäquate Antwort für die aktuellen (konkreten) Opfer ist.
Bewertung: Für alle Strafrechtler, insbesondere für Geschädigtenvertreter. sb
Immaterialgüterrecht
Roland von Büren / Lucas David (Hrsg.)
Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht. Der Rechtsschutz im Immaterialgüterrecht, 3. Auflage
Helbing Lichtenhahn, Basel 2011, 638 Seiten, Fr. 268.-
Rechtzeitig zum Inkrafttreten der Schweizerischen ZPO und des revidierten LugÜ legen die Herausgeber die aktualisierte Version des bewährten Leitfadens zur Rechtsdurchsetzung im Immaterialgüterrecht vor. Die allgemeinen Ausführungen zu den Klagearten, zum Verfahren an und für sich und insbesondere zu den vorsorglichen Massnahmen sind nicht nur für immaterialgüterrechtlich interessierte Adressaten wertvoll. Das Werk liest sich in weiten Teilen als anschaulicher Kommentar zu allgemeinen Fragen des aktuellen Prozessrechts. Gleichsam als Zugabe wird zudem ein Abriss über das Eintragungsverfahren für die gewerblichen Schutzrechte vor dem Institut für Geistiges Eigentum geliefert und kurz auf das markenrechtliche Widerspruchs- sowie das patentrechtliche Einspruchsverfahren eingegangen.
Bewertung: Ein unverzichtbares Standardwerk der prozessrechtlichen Literatur. tva
Europarecht
Astrid Epiney / Nina Gammenthaler (Hrsg.)
Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2009/2010, Stämpfli / Schulthess, Bern / Zürich 2010, 540 Seiten, Fr. 174.-
Bereits zum siebten Mal gibt das Schweizerische Jahrbuch für Europarecht einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Rechts in der EU und dessen Auswirkungen auf die Schweiz. Einen Meilenstein bildet diesmal das Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags, der die Drei-Pfeiler-Struktur aufgehoben und die EG in der EU hat aufgehen lassen. Die mehrsprachigen Abhandlungen beleuchten verschiedenste Rechtsgebiete (Gleichstellungsrecht, Personenfreizügigkeit, Wettbewerbs-, Subventions-, Gesellschafts- und Immaterialgüterrecht). Erhellend sind auch die Beiträge zu den sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, etwa zur Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands.
Bewertung: Für Wissenschafter und Praktiker mit Interesse am Verhältnis Schweiz-EU. af
Grundrechte
Heidrun Gutmannsbauer
Grundrechtsschutz beim privatrechtlichen Staatshandeln, Schulthess, Zürich 2011,
193 Seiten, Fr. 67.-
In bestimmten Gebieten kann sich der Staat privatrechtlich betätigen, so in der Bedarfs- oder der Finanzvermögensverwaltung. Diese Dissertation behandelt die Frage, wie weit der Staat dabei an die Grundrechte gebunden ist. Sie stellt den Einsatz des privatrechtlichen Vertrages in der Staatstätigkeit überblicksweise dar und erörtert die Anforderungen an die Gewährleistung des Grundrechtsschutzes. Aufgezeigt werden die Auswirkungen einer unmittelbaren sowie einer mittelbaren Grundrechtsbindung des Staates im Privatrechtsverkehr sowie mögliche Grundrechtseinschränkungen von Privaten durch den privatrechtlich handelnden Staat sowie die prozessuale Durchsetzung des Grundrechtsschutzes. Dabei wird die Rechtsprechungspraxis instruktiv und wertvoll miteinbezogen.
Bewertung: Ein wertvoller Überblick und Beitrag zur Weiterentwicklung der Praxis. me