Schon am 11. Oktober fiel der Startschuss für die Vergabe der Seminare im Frühlingssemester 2011. Punkt neun Uhr wurden sie auf der Website der Universität Zürich im Seminar-Einschreibe-Tool, kurz SET, zur Einsicht aufgeschaltet. 29 Seminare mit 574 Plätzen bieten die verschiedenen Lehrstühle für das Frühlingssemester 2011 an. Die Plätze waren heiss begehrt, das erste Seminar - «Grossbankenrecht» von Professor Peter Nobel - war schon nach dreissig Minuten ausgebucht.
Wer in Zürich die erste Stufe des Studiums mit dem Bachelor of Law abschliessen will, muss mindestens zwei Seminare belegen. Der Besuch wird mit je sechs Bologna-Punkten honoriert. Die verfassten Arbeiten im Umfang von ungefähr zwanzig bis dreissig Seiten gelten dann als Bachelorarbeiten. Für Seminar und Arbeit ist mit 180 Stunden Aufwand zu rechnen. Zum Vergleich: Die spätere Masterarbeit erfordert je nach Universität etwa den doppelten bis sechsfachen Zeitbedarf (siehe Kasten).
Verdoppelung der Anzahl Studenten seit 1980
Die Anforderungen an anderen Rechtsfakultäten variieren. Basel zum Beispiel kennt keine eigent-liche Bachelorarbeit und verlangt stattdessen ein Seminar (sechs Punkte) und ein Proseminar (drei Punkte) für die Zulassung zu den abschliessenden Fachprüfungen. Ebensowenig die Universität St. Gallen, die mit drei kleineren Seminararbeiten à zwei Punkten vorliebnimmt. In Bern besteht die Bachelorarbeit aus je einer Falllösung im öffentlichen Recht und im Privatrecht von rund 15 Seiten Umfang, wofür zusammen zehn Punkte vergütet werden. «Wir möchten, dass die Studenten anhand konkreter Fälle ein Bild von der Praxis erhalten und haben deshalb den Falllösungen das Gewicht der Bachelorarbeit verliehen», begründet Sabine Müller vom Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern.
Als Folge des Ansturms erhält in Zürich ein Student oft sein Wunschthema nicht zugesprochen. Es bleibt nur eine weniger attraktive Alternative übrig - oder er versucht sein Glück im nächsten Semester erneut. Nicht weiter schlimm? Für jene, die sich bewusst Ziele setzen schon. Denn Seminare sind auch eine erste Möglichkeit, sich in ein Spezialgebiet einzuarbeiten. «Es gibt Arbeitgeber, die sich die Seminararbeiten anschauen», erklärt David Studerus, Präsident des Fachvereins Jus, der Studierendenvereinigung an der Universität Zürich.
Die Universität Zürich steht vor der grössten Herausforderung, wenn es um eine gerechte Zuteilung der Seminarplätze geht. Da wurden mit 3627 Studenten im Wintersemester 2009/10 (aktuell 3777) der Löwenanteil oder ein Viertel der angehenden Juristen ausgebildet. Auf Platz zwei liegt die Universität Bern mit einem Anteil von 14 Prozent (2067 Studierende).Und weil die Beliebtheit des Studienwegs steigt, werden es von Jahr zu Jahr mehr. Gemäss provisorischen Erhebungen sind die Immatrikulationen im Herbstsemester gegenüber dem Vorjahr erneut angestiegen. Seit 1980 hat sich die Zahl der Jus-Studierenden in der Schweiz auf 14 641 verdoppelt. Für die kommenden Jahre wird ein anhaltendes Wachstum erwartet.
Je nach Professor andere Kriterien für Platzvergabe
In Zürich werden die Seminarplätze seit der Einführung des Bologna-Modells im Jahre 2006 im Internet über das SET vergeben. Die Liste mit den Seminarien wird stets an einem Stichtag zu Beginn des Semesters veröffentlicht. Sie soll den Studenten die Auswahl erleichtern, indem alle relevanten Informationen und Fristen zusammengetragen werden. Im Vergleich zum einstigen Liz-System bringt das Vorteile. «Zuvor musste sich jeder selbständig bei den Lehrstühlen über das Seminarangebot informieren, was doch ziemlich umständlich war, zumal die Seminare zu unterschiedlichen Zeiten angeboten wurden», sagt Studentenvertreter Studerus.
Beliebt sind naturgemäss Seminare, die aktuelle Themen zum Gegenstand haben oder wenig Aufwand versprechen. Ein Beispiel für Ersteres ist das erwähnte Grossbankenseminar von Peter Nobel, für Letzteres sind es die Übungen am Bundesgericht, wo der Umfang der Arbeit weniger gross ist. Wer also soll einen Platz erhalten? Jene, die sich zuerst melden? So hält es Professor Wolfgang Ernst. «First come, first served» ist das Prinzip bei seinem Seminar «Geschichte des Leistungsstörungsrechts». Anders bei Kollege Professor Dominique Jakob, der ein Seminar im Privatrecht zu «Fragen der (Vertrags-)Gestaltung und der notariellen Praxis» durchführt. Er nimmt den Aufwand, wie er sagt, auf sich, seine 16 Plätze nach dem individuellen Erfahrungsstand der Bewerber für die konkreten Themen zu besetzen, um eine möglichst homogene Gruppe zusammenzustellen.
Verwirrung und Unmut bei den Zürcher Studenten
Deshalb haben die Bewerber ein Motivationsschreiben zu verfassen und einen Lebenslauf beizulegen. Eine Foto darf man ebenfalls beilegen, «wie bei einer normalen Bewerbung», so Jakob. «Wozu eine Foto?», mögen sich Studierende wundern. Jakob: «Damit ich Studenten, die sich im Unterricht besonders engagieren, erkennen und bei gleicher Qualifikation gegebenenfalls berücksichtigen kann.»
Eine intransparente Methode? Jakob ist sich bewusst, dass er es auch damit nicht allen recht machen kann. Der seit 2007 in Zürich dozierende Professor betont, dass es kein optimales Vergabeverfahren für die wenigen Plätze gebe. Auch die computergesteuerte Vergabe über das SET oder eine manuelle Auslosung hätten zu unglücklichen Einzelfällen geführt, weshalb er versuche, nach nachvollziehbaren, objektiven Kriterien auszuwählen: «Es ist für jeden Professor eine Herausforderung, das richtige Verfahren bei der Vergabe zu finden, denn jede Art hat ihre Vor- und Nachteile.» Letztlich, meint Jakob, sei es wichtig, «dass der Professor nach bestem Wissen und Gewissen handelt».
Die unterschiedlichen Vergabemechanismen und uneinheitlichen Fristen sorgen in der Zürcher Studentenschaft für Unmut. David Studerus bemängelt, dass nicht alle Professoren die Seminare gleichermassen über das SET vergeben: «Das führt zu unterschiedlichen Kriterien und uneinheitlichen Terminen.» Tatsächlich stiften die verschiedenen Fristen, Anforderungen und Vergabeverfahren der Lehrstühle Verwirrung.
Nach vier Jahren: Reformen beim Bachelor stehen an
In Basel stellt sich das Problem nicht in derselben Schärfe. Zwar werden die Seminare ebenfalls an einem Stichtag veröffentlicht, doch weil ein Student nur ein Seminar - neben einem kleineren Proseminar - zu absolvieren hat, hält sich das Gedränge in Grenzen. «Wir haben weder von Seiten der Studenten noch der Professoren Beschwerden betreffend der Seminarvergabe», hält Patrick Ebnöther, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Studiendekanats, fest. Nicht zuletzt seien wohl auch die übersichtlicheren Verhältnisse an der Universität Basel (1267 Jus-Studierende) ein Grund dafür.
Vier Jahre nach der Einführung des Bologna-Modells erfährt die Bachelorarbeit also schweizweit eine unterschiedliche Bedeutung. Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Modell machen Anpassungen nötig. So stehen in Zürich bereits Reformen an, die auch die Seminare betreffen wird. «Wir werden das SET wieder abschaffen und schon im nächsten Semester ein neues Verfahren einführen», erklärt Urs Leemann, Leiter Lehre und Organisation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Die kritischen Reaktionen sowohl von Seiten der Studenten und der Dozenten hätten sich gehäuft. Zwar hätten einige Studierende den Einsatz des SET begrüsst, andere hingegen die Seminarwahl tatsächlich als zu einschränkend und sehr kompliziert bezeichnet, präzisiert Leemann.
Früher das Liz, heute 270 Punkte bis zum Master
Mit der Bologna-Reform führten die Universitäten das zweistufige System mit den Bachelor- und Masterstudiengängen ein. DerMasterabschluss ist mit dem bisherigen Lizenziat gleichwertig.
Für den Bachelor of Law sind 180 Punkte gemäss dem European Credit Transfer System (ECTS) erforderlich. Ein ECTS-Punkt entspricht einem Aufwand von ungefähr dreissig Stunden, womit ein Bachelorstudium einer Dauer von sechs Semestern entspricht (dreissig Punkte pro Semester).
Das Masterstudium erfordert neunzig Credits und entspricht somit drei Semestern. Von diesem Total entfallen je nach Universität und ihren Anforderungen zehn bis dreissig ECTS-Punkte auf die Masterarbeit.