Werbung darf sich nicht als E-Mail tarnen
Die Einblendung von Werbenachrichten in E-Mail-Postfächern, die ähnlich wie normale E-Mails aussehen, sind gemäss dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg mit Spam vergleichbar und können gegen die Richtlinie 2002/58 (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) und die Richtlinie 2005/29 (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) verstossen.
Der Stromlieferant Eprimo GmbH schaltete auf dem kostenlosen E-Mail-Dienst von T-Online Werbenachrichten, die in der Einblendung von Bannern in den E-Mail-Postfächern bestanden. Die Werbenachrichten unterscheiden sich optisch von der Liste der anderen E-Mails nur dadurch, dass das Datum durch die Angabe «Anzeige» ersetzt war, dass keine Absenderin und kein Absender angegeben war und dass der Text grau unterlegt war. Der Betreff enthielt einen Text zur Bewerbung vorteilhafter Preise für Strom und Gas.
Der mit Eprimo im Wettbewerb stehende Stromlieferant Städtische Werke Lauf a. d. Pegnitz GmbH (StWL) war der Ansicht, diese Werbepraxis verstosse gegen die Vorschriften über den unlauteren Wettbewerb. Der mit der Sache schliesslich befasste deutsche Bundesgerichtshof legte den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
In seinem Urteil weist der EuGH darauf hin, dass die Richtlinie 2002/58 darauf abziele, Nutzer gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung zu schützen. Dieses Ziel müsse unabhängig von der zugrunde liegenden Technologie gewährleistet sein. Deshalb sei eine weite und aus technologischer Sicht entwicklungsfähige Interpretation geboten. Der EuGH ist der Ansicht, dass die Werbepraxis eine Verwendung elektronischer Post darstellt, die geeignet ist, das Ziel der Richtlinie zu beeinträchtigen.
Zweitens hält der EuGH fest, dass die Werbepraxis als Nachrichten für die Zwecke der Direktwerbung einzustufen sei, weil eine zu kommerziellen Zwecken vorgenommene Kommunikation vorliege, welche die Zielpersonen direkt und individuell erreiche.
Drittens stellt der EuGH klar, dass die Verwendung elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung unter der Voraussetzung gestattet ist, dass ein Empfänger zuvor ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage eingewilligt hat. Der EuGH überlässt es dem Bundesgerichtshof festzustellen, ob die betroffenen Nutzer des kostenlosen E-Mail-Dienstes von T-Online ordnungsgemäss über die genauen Modalitäten dieser Werbepraxis informiert wurden und tatsächlich darin einwilligten, Werbenachrichten in dieser Art zu erhalten.
Viertens hält der EuGH fest, dass die Werbepraxis den Zugang der Nutzer zu ihren E-Mails ähnlich behindere wie Spam und darum eine Belastung darstelle.
Hinsichtlich Richtlinie 2005/29 und der Werbepraxis hielt der EuGH fest, dass sie den Begriff des hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens erfülle, wenn die Einblendung der Werbenachrichten so häufig und regelmässig war, dass sie als hartnäckiges Ansprechen eingestuft werden kann und bei Fehlen einer von den Nutzern zuvor erteilten Einwilligung als unerwünschtes Ansprechen beurteilt werden muss.
Urteil C-102/20 des Gerichtshofs vom 25.11.2021, StWL Städtische Werke Lauf a. d. Pegnitz GmbH, EU:C:2021:954.
Entschädigung auch bei vorverlegten Flügen
Eine Entschädigungszahlung kann auch bei vorverlegten Flügen fällig werden, wenn die Verschiebung mehr als eine Stunde beträgt und sie nicht mindestens zwei Wochen im Voraus angekündigt wurde.
Das österreichische Landesgericht Korneuburg und das deutsche Landgericht Düsseldorf befassen sich mit mehreren Rechtsstreitigkeiten zwischen Fluggästen sowie den Unternehmen Airhelp und Flightright auf der einen Seite und verschiedenen Fluggesellschaften wie Eurowings oder Austrian Airlines auf der anderen Seite. Die Fluggäste und die Unternehmen, an die sie ihre Ansprüche abgetreten haben, verlangen Entschädigungszahlungen wegen der Annullierung von Flügen. Die beiden Gerichte legten dem EuGH eine Reihe von Fragen zu den Voraussetzungen vor, unter denen Fluggäste die in der Verordnung 261/2004 (Verordnung über Fluggastrechte) vorgesehenen Ansprüche geltend machen können.
Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass ein Flug als annulliert anzusehen sei, wenn die Fluggesellschaft ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt und dies nicht mindestens zwei Wochen vorher mitteilt. Die Vorverlegung könne für Fluggäste wie eine Verspätung zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen. Sie nehme den Fluggästen die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihre Reise oder ihren Aufenthalt nach Massgabe ihrer Erwartungen zu gestalten. Eine neue Abflugzeit könne Fluggäste zwingen, erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, um einen Flug zu erreichen. Teilweise könnten sie eine neue Abflugzeit gar nicht wahrnehmen. Die erhebliche Vorverlegung des Fluges bei zu später Information führe damit zu einem Ausgleichsanspruch, wobei stets der in der Verordnung 261/2004 vorgesehene Gesamtbetrag zu zahlen sei (also je nach Entfernung 250 Euro, 400 Euro oder 600 Euro). Der EuGH unterstreicht, dass Flugunternehmen die Ausgleichszahlung nicht um 50 Prozent kürzen dürfen, selbst wenn sie den Fluggästen eine anderweitige Beförderung angeboten haben, mit der die Destination ohne Verspätung erreichbar gewesen wäre. Der EuGH verlangt auch, dass die Fluggesellschaften die Fluggäste darüber informieren, unter welcher Unternehmensbezeichnung und Anschrift sie die Ausgleichszahlung verlangen können und welche Unterlagen dafür benötigt werden.
Wurde ein Flug über eine Vermittlung (etwa eine elektronische Plattform) gebucht und ist dieses Unternehmen schuld daran, dass die Fluggäste nicht rechtzeitig über die Verschiebung eines Flugs informiert wurden, können die Fluggesellschaften nur auf dieses Unternehmen Regress nehmen. Will die Fluggesellschaft das Risiko dieses Umwegs vermeiden, muss sie die Verschiebung den Gästen selbst mitteilen.
Zudem hält der EuGH fest, dass die Fluggäste keinen Flugschein brauchen, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Es reiche, wenn sie von einem Unternehmen einen anderen Beleg erhalten haben, aus dem Abflugort, Abflugzeit, Ankunftsort, Ankunftszeit und die Flugnummer hervorgingen. Auch spiele es keine Rolle, ob das vermittelnde Unternehmen von der betreffenden Fluggesellschaft eine Bestätigung über die Abflugzeit und die Ankunftszeit des Flugs erhalten oder überhaupt nur eine Buchung bei der Fluggesellschaft vorgenommen habe. Die Ansprüche bestünden dennoch.
Urteile des Gerichtshofs vom 21.12.2021: C 146/20, C 188/20, C 196/20 und C 270/20 Azurair u. a., EU:C:2021:1038; C 263/20 Airhelp, EU:C:2021:1039, C 395/20, Corendon Airlines, EU:C:2021:1041