Die Suntory-time-Szene in Sofia Coppolas Film «Lost in Translation» von 2003 ist legendär: Bob Harris ist ein alternder amerikanischer Filmstar, der nach Tokio geholt wurde, um für Suntory-Whiskey Werbung zu machen. Er sitzt im Smoking auf einem Ledersessel in einem Studierzimmer. Neben ihm auf einem Tisch ein Glas und eine Flasche Whiskey. Der japanische Regisseur erläutert wort- und gestenreich, dass Bob sein Whiskey-Glas wie einst Bogart in Casablanca in die Kamera halten und dem Zuschauer «Suntory time!» zuprosten soll. Die Dolmetscherin übersetzt: «Er möchte, dass Sie in die Kamera schauen.» Bob fragt ungläubig: «Das ist wirklich alles, was er gesagt hat?» Die Szene zeigt, dass nicht nur Worte in der Übersetzung verloren gehen, sondern manchmal auch Menschen.
Am 18. Mai 2016 wurde eine 30-jährige Frau am Grenzübergang im Bahnhof SBB in Basel kontrolliert. Weil sie einen gefälschten kamerunischen Pass vorwies, wurde sie festgenommen. Am nächsten Tag liess die Staatsanwaltschaft der Frau, ohne sie einvernommen zu haben, durch die Polizei einen Strafbefehl aushändigen. Darin wurde sie zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von eineinhalb Monaten verurteilt. Der Strafbefehl war auf Deutsch verfasst. Die Frau sprach nur Französisch. Zwei Wochen später erhob sie Einsprache. Das Appellationsgericht Basel-Stadt hielt den Strafbefehl für rechtskräftig. Fremdsprachigen werde ein auch in Französisch abgefasstes Merkblatt zum Strafbefehl ausgehändigt. Das Bundesgericht liess diesen Einwand nicht gelten (6B_1294/2019 vom 8. Mai 2020).
Die Schweiz hat entschieden, ihrer Massenkriminalität nicht vermittelnd – etwa mit Einstellungen unter Auflagen –, sondern mit aller Härte durch Verurteilungen zu begegnen. Mit dem Strafbefehl leistet sie sich ein Erledigungsverfahren, das die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention in vielen Bereichen strapaziert. Die Einsprachefrist ist kurz. Die drohenden Maximalstrafen sind lang. Die Praxis, auf Einvernahmen zu verzichten, unerhört. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, dass ein Mitgliedstaat, der Tausende Beschuldigte ohne Anwalt und Einvernahme durch nichtrichterliche Instanzen zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilen lässt, irgendwann in Strassburg auflaufen wird.
Aus diesem Potpourri von EMRK-Problemen sticht die Übersetzung hervor. Die Konvention garantiert den Beschuldigten ein Recht auf Übersetzung. Da reicht kein Aufklärungsblatt. Es genügt nicht, dass die Polizei die Vorwürfe übersetzt. Und schon gar nicht kann die Übersetzung auf den Anwalt abgeschoben werden. Der beschuldigten Person muss nicht nur klar sein, was ihr vorgeworfen wird, sie hat auch Anspruch darauf, zu erfahren, wie über die Vorwürfe entschieden wurde (Schuld- oder Freispruch), welche Strafe und Kosten ihr auferlegt wurden und wie sie sich wehren kann.
Der Basler Fall hat eine erfreuliche Wendung genommen. Der Kanton am Rheinknie hat auf die Niederlage in Lausanne souverän reagiert. Nach dem Verdikt vom Mon Repos ist er als erster Kanton dazu übergegangen, in allen Strafbefehlen das Dispositiv und die Rechtsmittelbelehrung zu übersetzen. Da kann man nur sein Glas erheben und ein freudiges «Suntory time!» aussprechen.