Die «Basler Zeitung» vom 9. Oktober 2012 berichtete unter dem Titel «Zu Besuch bei einem Dealer» über einen mit dem Decknamen Roland getarnten Mann, der seit zehn Jahren Gras, Hasch und Blütenstaub an Konsumenten verkauft (online unter bazonline.ch/basel/ stadt/Zu-Besuch-bei-einem-Dealer/story/31180807). Roland schildert der Journalistin im Artikel ausführlich und im Detail, wie er vorgeht, wie viel er mit dem Drogenverkauf verdient und sogar, welche Vorkehren er trifft, um im Fall einer Entdeckung durch die Polizei relativ glimpflich davonzukommen.
Basler Appellationsgericht für Redaktionsgeheimnis
Es lag daher nahe, dass die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen unbekannt einleitete und die Journalistin als Zeugin vorlud. Sie machte indes bei der Einvernahme – wenig überraschend – ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend und verweigerte die Aussage.
Die Staatsanwaltschaft verfügte umgehend, dass der Journalistin kein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden werde, worauf diese die Verfügung beim Appellationsgericht Basel-Stadt anfocht. Der Präsident des Appellationsgerichts hiess die Beschwerde gut, hob die Verfügung der Staatsanwaltschaft auf und stellte fest, dass die Verfasserin des Artikels ein Zeugnisverweigerungsrecht habe. Diesen Entscheid zog die Staatsanwaltschaft ans Bundesgericht weiter, das die Beschwerde guthiess, den Entscheid des Appellationsgerichtspräsidenten aufhob und damit im Ergebnis der Journalistin das Zeugnisverweigerungsrecht entzog (Urteil 1B_293/2013 vom 31. Januar 2014).
«Ein fatales Signal zuungunsten der Medien»
Das höchstrichterliche Verdikt wurde in Medienkreisen unterschiedlich bewertet. Der ehemalige Präsident des Presserats, Peter Studer, sprach von einem Ermessensentscheid, der sicher keinen krassen Verstoss gegen die Meinungsäusserungsfreiheit darstelle, während MAZ-Studienleiter Dominique Strebel im Entscheid ein fatales Signal zuungunsten der Medien sieht. Beide Stellungnahmen finden sich unter www.edito.http://www.edito.ch/de/2014/02/21/bundesgericht-schraenkt-quellenschutz-einch/de/2014/02/21/bundesgericht-schraenkt-quellenschutz-ein.
Eine Analyse des Urteils zeigt, dass vermutlich beide Autoren nicht ganz falsch liegen. Der Quellenschutz ist sowohl im Strafgesetzbuch (Artikel 28a) als auch in der Strafprozessordnung (Artikel 172 Absatz 1) übereinstimmend so geregelt, dass gegen Journalisten, die als Zeugen nicht über Inhalt und Quellen ihrer Informationen aussagen, grundsätzlich weder Strafen noch prozessuale Zwangsmassnahmen verhängt werden dürfen.
Als Ausnahme vom Grundsatz spielt das Aussageverweigerungsrecht unter anderem dann nicht, wenn ohne das Zeugnis eine der im Gesetz aufgelisteten schweren Straftaten nicht aufgeklärt werden kann, zu denen der qualifizierte Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz gehört. Auch in solchen Fällen ist indes laut Rechtsprechung im konkreten Fall das Interesse an der Aufklärung des Delikts gegen das Interesse an der Geheimhaltung der Quelle abzuwägen. Im Fall des Artikels in der «Basler Zeitung» stellt sich somit zunächst die strafrechtliche Frage, ob das dem Dealer vorzuwerfende Verhalten ein qualifizierter Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz darstellt. Falls das bejaht wird, gilt es auszuloten, ob das Interesse an der Aufklärung dieser Straftat den letztlich die Pressefreiheit gewährleistenden Anspruch auf Quellenschutz überwiegt.
Der Handel mit weichen Drogen, um die es beim fraglichen Artikel einzig ging, stellt nur dann einen qualifizierten Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz dar, wenn dabei pro Jahr mehr als 100 000 Franken umgesetzt oder über 10 000 Franken Gewinn erzielt werden. Das Bundesgericht bejaht in seinem Urteil einen dringenden Verdacht auf ein qualifiziertes Drogendelikt, indem es den Dealer auf seine im Artikel zitierten Aussage behaftet, er verdiene mit dem Verkauf der weichen Drogen rund 12 000 Franken pro Jahr. Ob sich die Aussage im Strafverfahren erhärten lässt oder nachträglich als Prahlerei erweist, wird im Urteil als Spekulation ohne Belang abgetan.
Das steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu einer anderen Erwägung im Urteil, laut der die Journalistin ihre Quelle nicht preisgeben müsste, «wenn Roland mit seinem Drogenhandel die vom Bundesgericht für die Annahme des qualifizierten Falls festgelegte Umsatz- und Gewinnschwelle nicht überschritten hätte».
Gewagte höchstrichterliche Schlussfolgerungen
Wie es sich mit dem Quellenschutz verhielte, wenn eine Aussage der Journalistin erzwungen würde und sich alsdann ergäbe, dass ein Gewinn von mehr als 10 000 Franken und damit ein gewerbsmässiger Drogenhandel nicht nachzuweisen ist, wird im Urteil nicht erörtert, obwohl die brisante Frage eines Beweisverwertungsverbots im Raum steht. In jedem Fall dürfte die höchstrichterliche Schlussfolgerung auf eher dünnem Eis stehen, dass sich der Verdacht auf eine Straftat beziehe, «die vom Gesetzgeber als ausreichend schwer eingestuft wurde, um im Regelfall eine Aufhebung des Quellenschutzes zu ihrer Aufklärung zu rechtfertigen».
Interesse an Aufklärung des Falls sei «gross»
Im Rahmen der Abwägung der Interessen hatte der Appellationsgerichtspräsident den Standpunkt vertreten, das Interesse an der Strafverfolgung sei bei gewerbsmässigem Handel mit weichen Drogen weniger gross als bei qualifiziertem Handel mit als gefährlich eingestuften Mengen harter Drogen. Dem widerspricht das Bundesgericht, indem es meint, gewerbsmässiger Handel mit weichen Drogen wiege im Vergleich mit anderen Katalogtaten «nicht besonders schwer, ist aber auch nicht von geringem Gewicht». Der Fall wird als «nicht unbedeutend» gewichtet und das Interesse an der Aufklärung der Tat als «gross» eingestuft.
Unter diesen Umständen könnte der Quellenschutz aus Sicht des Bundesgerichts nur Vorrang beanspruchen, wenn ein «namhaftes öffentliches Interesse an der Berichterstattung» bestünde. Ein solches würde bejaht, wenn es der Journalistin gelungen wäre, mit ihrem Artikel schwere Missstände in Politik, Wirtschaft oder Verwaltung aufzuzeigen. In Tat und Wahrheit sei es jedoch nur darum gegangen, die Basler Cannabisszene zu illustrieren, dem Dealer Roland zu einer Werbeplattform zu verhelfen oder gar Dritte auf eine Gelegenheit für ein deliktisches Zubrot aufmerksam zu machen.
Gar nicht in Betracht gezogen wird vom Bundesgericht, dass eine derartige journalistische Recherche durchaus Informationen von öffentlichem Interesse vermitteln kann. Das selbst für die Staatsanwaltschaft, die sich durch die detaillierte Schilderung der örtlichen Cannabisszene zu sinnvollen Ermittlungen veranlasst sehen könnte, auch wenn der Quellenschutz in Bezug auf die Identität des Informanten gewahrt bliebe. Indem das Bundesgericht das ausblendet, gelangt es zum Schluss, dass «vorliegend weder dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse noch dem entgegenstehenden Interesse der Beschwerdegegnerin an der Geheimhaltung ihrer Quelle eine besondere, erhöhte Bedeutung zukommt». Damit bleibe es bei der vom Gesetzgeber für den Regelfall vorgenommenen Interessenabwägung, wonach das Strafverfolgungsinteresse das Interesse am Quellenschutz überwiegt.
Keine Publikation in der amtlichen Sammlung
Fazit: Der Einschätzung von Peter Studer ist zuzustimmen, dass ein Ermessensentscheid vorliegt, der durchaus so getroffen werden konnte, ohne dem Gesetz Gewalt anzutun. Das bedeutet indes gleichzeitig, dass das Ermessen auch zugunsten des Quellenschutzes hätte ausgeübt werden können, indem dem Delikt und seiner Aufklärung etwas weniger Bedeutung zugemessen und das öffentliche Interesse an der recherchierten Information etwas höher gewichtet worden wäre. Dass der dem Gericht zustehende Spielraum zugunsten der Strafverfolgung und zum Nachteil des Grundrechts der Pressefreiheit ausgereizt wurde, zeugt von wenig liberaler Gesinnung und könnte in der Tat zum folgenschweren Fanal werden, wie Dominique Strebel nicht ganz zu Unrecht befürchtet.
Die Leuchtkraft des Fanals wird allerdings gemindert durch den Umstand, dass das Bundesgericht das Urteil zwar in der für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Besetzung mit fünf Richtern entschieden, dann aber von einer Publikation in der amtlichen Sammlung der BGE abgesehen hat. Auf nachträgliche Anfrage erklärte die zuständige I. öffentlich-rechtliche Abteilung, dass es sich nicht um einen Grundsatzentscheid handle.
Und die Brenndauer des Fanals könnte sich als zeitlich begrenzt erweisen, weil das letzte Wort in der Sache vermutlich in Strassburg gesprochen wird.