Bevor man diese Frage beantworten kann, muss zuerst geklärt werden, was Satire ist. Dies geht zuweilen vergessen – oder man ist sich nicht über den Stellenwert der Satire bewusst und lässt jede witzige Bemerkung unter der Flagge der Satire segeln. Es ist aber sehr wohl ein Unterschied, ob beispielsweise ein Kommentar bloss witzig – im besten Fall humoristisch – oder (auch) satirisch gemeint ist. Denn die grundrechtliche Interessenabwägung zwischen Meinungsfreiheit beziehungsweise Kunstfreiheit einerseits und Persönlichkeitsschutz oder Glaubensfreiheit andererseits hat fallbezogen nach bestimmten Kriterien zu erfolgen.
Was also ist Satire? Nach der anerkannten Rahmendefinition enthält der Begriff der Satire drei konstitutive Merkmale: das aggressive, das soziale und das ästhetische Merkmal. Damit lässt sich aber auch feststellen, dass Satire nicht eine Gattung für sich, sondern ein gattungsübergreifendes Prinzip ist, das in verschiedensten Genres angewandt wird – beispielsweise im Kabarett, in der Karikatur, im Film. Deshalb wird vom satirischen Prinzip oder dem Satirischen gesprochen.
Das Merkmal der Aggression wendet sich engagiert gegen eine Autorität, eine Ordnung oder eine andere Macht. Das Objekt ist – idealtypisch – weniger eine individuelle Person, sondern ein Repräsentant eines typischen Verhaltens oder eine Institution, wie dies zu Recht vom Bundesgericht im Fall «Vasella» erkannt wurde.
Das soziale Merkmal konfrontiert die dargestellte Wirklichkeit mit einer Norm. Satire ist somit zweckgebunden. Sie darf nicht primär einen individuellen, persönlichen Angriff zum Ziel haben. Ist dies – wie im Fall «Michael von der Heide / Blick» vom Bundesgericht zutreffend festgehalten – hauptsächliche Absicht, dann handelt es sich um reine Polemik, respektive um das juristische Pendant: die Schmähkritik. Das soziale Merkmal kann auch aufklären, wie das beispielsweise in der ZDF-Kabarettsendung «Die Anstalt» geradezu in Vollendung gelingt – und damit (indirekt) auch den häufig nicht erfüllten Auftrag der Informationsvermittlung durch die Nachrichtenmedien kritisiert.
Das ästhetische Merkmal bedient sich definitionsgemäss künstlerischer und fiktiver Elemente. Das Satirische kann insofern als Ästhetisierung des Wirklichen durch das Moment der Fiktionalität bezeichnet werden und unterliegt (erst) dann der Kunstfreiheit. Das hat die Zeitschrift «Charlie Hebdo» auf ihrer Titelseite mit der Karikatur «Intouchables» exemplarisch getroffen (Ausgabe Nr. 1057 vom 19. September 2012).
Der Satire kommt dementsprechend ein hoher Stellenwert zu. Erst wenn die qualifizierten Anforderungen aufgrund der konstitutiven Merkmale erreicht werden, kann überhaupt von Satire gesprochen werden. Und erst dann sind auch die Rechtfertigungsgründe gegeben, damit sich in der grundrechtlichen Güterabwägung die Interessen zugunsten einer satirischen Äusserung auswirken können. Es kann somit auch nicht (generell) gesagt werden, dass eine als Satire bezeichnete Äusserung per se erlaubt wäre. So gesehen ist auch eine Karikatur bei «Charlie Hebdo» nicht an sich zulässig. Denn massgebend ist auch hier die Beurteilung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der beschriebenen Bedingungen.