Zivilrecht
Fütterung von kleinen Vögeln erlaubt
Das gezielte Füttern von Wildvögeln kann eine übermässige Einwirkung auf das Nachbargrundstück darstellen. Das Aufstellen eines Vogelhäuschens für Kleinvögel fällt hingegen nicht darunter und ist erlaubt.
Sachverhalt:
Ein Hauseigentümer aus dem Kanton St. Gallen fütterte im Winter täglich Wildvögel. Dies zog viele Alpendohlen an. Ein Nachbar klagte. Das Gericht verbot dem Vogelfreund, Wildvögel zu füttern. Es verursache übermässigen Lärm und Schmutz. Der Beklagte wehrte sich gegen das aus seiner Sicht «unverhältnismässige» Verbot vor Kantonsgericht.
Aus den Erwägungen:
a) Gemäss Art. 684 Abs. 1 ZGB ist jedermann verpflichtet, sich bei der Ausübung seines Eigentums aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht (Art. 684 Abs. 2 ZGB). Das Verbot übermässiger Einwirkung lässt sich mit den Klagen gemäss Art. 679 ZGB durchsetzen. Danach kann auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen, wer dadurch geschädigt oder mit Schaden bedroht wird, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet. Generell hat dabei derjenige, der eine Verletzung des Verbots übermässiger Einwirkungen behauptet und daraus Rechte ableitet, die Eigentumsüberschreitung und den Kausalzusammenhang mit der Schädigung oder dem drohenden Schaden zu beweisen (Art. 8 ZGB); er muss daher den Nachweis erbringen, worin die Einwirkungen bestehen, wie intensiv sie sind, wie häufig sie auftreten, welchen Einfluss auf das Nachbargrundstück und dessen Bewohner sie haben, wie die Grundstücke gelegen und beschaffen sind und was am betreffenden Ort gebräuchlich ist (BGer 5A_648/2010 E. 2.1; Schmid / Hürlimann-Kaup, Sachenrecht, 5. Aufl., § 18 N 956).
e) Gemäss Lehre und Rechtsprechung ist unter Einwirkungen i.S.v. Art. 684 ZGB alles zu verstehen, was sich als eine nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge unwillkürliche Folge eines mit der Benutzung eines anderen Grundstücks adäquat kausal zusammenhängenden menschlichen Verhaltens auf dem betroffenen Grundstück auswirkt (BK-Meyer-Hayoz, 3. Aufl., Art. 684 ZGB N 67; BSK ZGB II-Rey / Strebel, 6. Aufl., Art. 684 N 4 f.; BGE 119 II 411, E. 4.b).
f) Zu klären bleibt damit noch die Frage, ob die festgestellten Einwirkungen als übermässig i.S.v. Art. 684 ZGB zu betrachten sind. Das Vorliegen des Übermasses ist vom Gericht nach pflichtgemässem Ermessen und unter umfassender Würdigung der individuell konkreten Interessenlage zu beurteilen (CHK-Göksu, 3. Aufl., Art. 684 ZGB N 9). Zu berücksichtigen sind über die in Art. 684 Abs. 2 ZGB erwähnte Lage und Beschaffenheit der Grundstücke und den Ortsgebrauch hinaus sämtliche ins Gewicht fallenden Umstände.
aa) In Anbetracht der aus Sicht des Tierschutzes fehlenden Notwendigkeit der Winterfütterung von Alpendohlen und der potenziellen Gefahr von Krankheitsverbreitungen wegen mit Kot kontaminierten Futters und mit Rücksicht auf die unschönen Verschmutzungen, welche Vogelexkremente an Dach und Fassade verursachen können, sowie darauf, dass sowohl das Grundstück des Beklagten als auch jenes der Klägerin Wohnzwecken dient, ist die vorinstanzliche Qualifikation der Immissionen als übermässig i.S.v. Art. 684 ZGB folglich zu bestätigen.
bb) Die vorliegend festgestellten übermässigen Immissionen gehen einzig von Alpendohlen bzw. deren Fütterung in der Winterzeit aus. Dass auch andere Wildvögel übermässige Einwirkungen auf das Grundstück der Klägerin verursachten, ist nicht nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund geht das vorinstanzlich angeordnete, dem Wortlaut nach generell auf die Fütterung von Wildvögeln gerichtete Verbot in der Tat zu weit und erweist sich daher als unverhältnismässig. Es ist insofern zu korrigieren bzw. zu präzisieren, als dem Beklagten nur, aber immerhin, verboten wird, auf seinem Grundstück Alpendohlen zu füttern. In dieser Hinsicht erweist sich die Berufung demnach als begründet.
Mit der modifizierten Formulierung des Verbots, d.h. der Ersetzung des Begriffs «Wildvögel» durch «Alpendohlen», besteht sodann auch Klarheit hinsichtlich der Abgrenzung zwischen den – was das Vogelfüttern betrifft – dem Beklagten untersagten und den ihm weiterhin gestatteten Verhaltensweisen. Vom Verbot betroffen ist demnach das absichtliche und gezielte Füttern von Alpendohlen, wie es vom Beklagten in der Vergangenheit zugegebenermassen (täglich) praktiziert wurde bzw. immer noch praktiziert wird. Das Aufstellen eines Vogelhäuschens für Kleinvögel fällt hingegen nicht darunter und bleibt dem Beklagten erlaubt, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich vereinzelt auch Alpendohlen dorthin «verirren» könnten. Vom Beklagten wird nicht verlangt, jegliches Vorkommen von Alpendohlen auf seinem Grundstück zu verhindern; er hat sich aber des aktiven Fütterns dieser Vögel zu enthalten.
Kantonsgericht St. Gallen, Urteil BO.2019.11 vom 17.12.2020
Arbeitsrecht
Vorwurf von Sturheit gehört nicht ins Arbeitszeugnis
Arbeitszeugnisse dürfen keine Sätze enthalten, die zweideutig formuliert sind. Denn sie verleiten dazu, als unterschwellige negative Botschaft interpretiert zu werden.
Sachverhalt:
Eine ehemalige Angestellte des Kantonsspitals Baselland war mit dem Arbeitszeugnis nicht einverstanden. Es sei eine Klausel eines früheren Zwischenzeugnisses ins Schlusszeugnis zu übernehmen. Zudem sei die Formulierung «In Konfliktsituationen legte sie Wert darauf, dass faire Diskussionen geführt werden» zu streichen. Der Satz sei zweideutig und codiert formuliert. Die Frau gelangte vor das Kantonsgericht Baselland.
Aus den Erwägungen:
3.2 Gemäss Art. 330a Abs. 1 OR kann der Arbeitnehmer jederzeit vom Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen, das sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht. Ein solch qualifiziertes Zeugnis, beziehungsweise Schlusszeugnis, soll einerseits das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers fördern und deshalb wohlwollend formuliert werden. Andererseits soll es künftigen Arbeitgebern ein möglichst getreues Abbild von Tätigkeit, Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers vermitteln, weshalb es grundsätzlich wahr, klar und vollständig zu sein hat. Es sind somit insbesondere die Grundsätze der Wahrheit, Klarheit, Vollständigkeit und des Wohlwollens zu beachten. Der Anspruch des Arbeitnehmers geht auf ein objektiv wahres, nicht auf ein gutes Arbeitszeugnis, womit der Grundsatz der Wahrheit dem Grundsatz des Wohlwollens vorgeht. Das Interesse des künftigen Arbeitgebers an der Zuverlässigkeit der Aussagen im Arbeitszeugnis muss höherrangig eingestuft werden als das Interesse des Arbeitnehmers an einem möglichst günstigen Zeugnis.
3.3 Aus den Grundsätzen der Wahrheit und Vollständigkeit des Arbeitszeugnisses folgt, dass ein qualifiziertes Zeugnis über alle in Art. 330a Abs. 1 OR erwähnten Punkte Auskunft geben muss (vgl. BGE 129 III 177, E. 3.2). Zudem ist es verkehrsüblich, dass sich das Arbeitszeugnis neben der Beurteilung einzelner Aspekte auch über eine Gesamtbeurteilung ausspricht. Die Leistungsbeurteilung umfasst die Bewertung von Arbeitsmenge, Arbeitsgüte und Arbeitsbereitschaft. Ihr ist ein objektiver Massstab zugrunde zu legen. Eigenschaften wie Fleiss, Sorgfalt, Zuverlässigkeit, Initiative, Einstellung zur Arbeit, Ausdauer und Belastbarkeit werden ebenfalls der Leistung zugeordnet. Die Verhaltensbeurteilung kommentiert das Auftreten beziehungsweise das dienstliche Verhalten des Arbeitnehmers während des Arbeitsverhältnisses gegenüber Vorgesetzten und Kollegen sowie gegenüber Kunden und weiteren Dritten. Auch hier gilt ein objektiver, verkehrsüblicher Massstab.
3.4 Der Arbeitgeber hat bei Werturteilen nach verkehrsüblichen Massstäben und pflichtgemässem Ermessen vorzugehen. Sowohl bezüglich der Leistungs- wie auch der Verhaltensbeurteilung wird dem Arbeitgeber ein Beurteilungsermessen zugestanden (vgl. BVGE 2012/22, E. 5.2; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6825/2017 vom 6. Juli 2018, E. 3.4). Ebenso bleibt es dem Beurteilungsermessen des Arbeitgebers überlassen, welche positiven oder negativen Verhaltensweisen und Eigenschaften des Arbeitnehmers hervorgehoben werden sollen.
3.5 Betreffend Wortwahl kommt dem Arbeitgeber bei der Erstellung des Arbeitszeugnisses ein gewisser Ermessensspielraum zu. Im Rahmen der vorgenannten Grundsätze ist er grundsätzlich frei, das Arbeitszeugnis zu redigieren. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf einen bestimmten Zeugnisinhalt oder auf von ihm gewünschte Formulierungen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_137/2014 vom 10. Juni 2014, E. 4). Nach dem Grundsatz der Klarheit müssen Formulierungen in Arbeitszeugnissen jedoch eindeutig und frei von jeder Kennzeichnung sein. Sprachliche Formulierungen, deren versteckte Bedeutung nur eingeweihten Arbeitgebern bekannt ist, dem uneingeweihten Leser jedoch verborgen ist (sog. Codierungen/Geheimcodes), sind deshalb unzulässig.
4.1 Der Beschwerdegegner hat im Laufe der Verhandlungen bereits diverse Änderungswünsche im Arbeitszeugnis der Beschwerdeführerin berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin besteht jedoch nach wie vor auf die folgenden zwei Änderungen: Die Ergänzung des Satzes «Frau A. pflegte einen freundlichen und respektvollen Umgang.» um den Adressatenkreis «mit Kunden, Mitarbeitenden und Vorgesetzten». Sowie die Streichung des Satzes «In Konfliktsituationen legte sie Wert darauf, dass faire Diskussionen geführt wurden.»
4.2.1 Als Grund betreffend den Antrag auf Ergänzung des Adressatenkreises gibt die Beschwerdeführerin an, dass das Auslassen des Bezugs der Umgangsformen zu bestimmten Adressaten nicht der Verkehrsanschauung entspreche und von branchenüblichen Standards abweiche. Das Auslassen des Adressatenkreises stelle ein bewusstes Schweigen und damit eine unzulässige Codierung dar, weshalb das Zeugnis unvollständig sei.
Zudem sei ihr weder im Zwischenzeugnis vom 1. November 2017 noch im Zwischenzeugnis vom 14. Mai 2018 ein ungebührliches Verhalten attestiert worden. Vielmehr werde darin jeweils aufgeführt, dass sie einen sehr freundlichen und respektvollen Umgang gepflegt habe und dass sie von Vorgesetzten und Mitarbeitenden anerkannt und vor allem auch geschätzt worden sei.
4.2.2 Der Beschwerdegegner bestreitet den Vorwurf, Codierungen verwendet zu haben, und weigert sich, die Ergänzung des Personenkreises vorzunehmen, mit der Begründung, dass dies gegen die Wahrheitspflicht verstossen würde. Aus den Gesprächsnotizen und dem Sachverhalt ergebe sich, dass das Arbeitsverhältnis belastet gewesen sei. Es habe wiederholt Diskussionen zwischen den Vorgesetzten und der Beschwerdeführerin über deren Verhalten gegeben. Gegenüber den Mitarbeitenden habe sie sich ebenfalls in einer nicht akzeptablen Art und Weise verhalten. Demzufolge entspreche die Formulierung, sie habe einen freundlichen und respektvollen Umgang mit Mitarbeitenden und Vorgesetzten geführt, nicht der Realität.
5.5 Aus den Formulierungen der Zwischenzeugnisse lassen sich sodann auch keine Ansprüche auf Formulierungen im Schlusszeugnis ableiten. Die Beschwerdeführerin kann zwar Formulierungswünsche anbringen, die Formulierung des Arbeitszeugnisses aber steht letztlich dem Beschwerdegegner als Arbeitgeber zu. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann in dem von ihr gerügten Satzteil keine Codierung erblickt werden. Der Vorwurf des qualifizierten Schweigens und damit einer unzulässigen Codierung überzeugt im vorliegenden Fall nicht.
6.1 Des Weiteren verlangt die Beschwerdeführerin die Streichung des Satzes «In Konfliktsituationen legte sie Wert darauf, dass faire Diskussionen geführt wurden».
6.2 Die Beschwerdeführerin bringt diesbezüglich als Begründung vor, dass dieser Satz zweideutig formuliert sei und er deshalb ebenfalls eine unzulässige Codierung darstelle. Leser seien geneigt, den Satz so zu verstehen, dass die Beschwerdeführerin stur und rechthaberisch sei.
6.5 Der ohne weiteren Kontext in den Raum gestellte Satz ist problematisch und lässt aufgrund seiner offenen Formulierung Raum für Interpretationen als unterschwellige negative Botschaft. Trotz der vordergründig vorteilhaften Darstellung unter Verwendung des positiv konnotierten Begriffs der Fairness ist der Satz letzten Endes nicht wohlwollend formuliert.
Schon alleine der Hinweis darauf, dass es am Arbeitsplatz zu Konflikten kam, ist für ein Arbeitszeugnis unüblich und lädt – zumal keine einordnende Erklärung abgegeben wird – beim nicht eingeweihten Leser geradezu zu Spekulationen ein. Mit Recht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass der Eindruck erweckt werden könnte, sie sei stur und rechthaberisch aufgetreten. Der Satz könnte auch so verstanden werden, dass die Beschwerdeführerin nur Wert darauf gelegt habe, dass faire Diskussionen geführt werden, sie selber jedoch keine fairen Diskussionen geführt habe. Die Formulierung des Satzes wird den Anforderungen an ein klares, wahrheitsgetreues, transparentes und wohlwollendes Zeugnis nicht gerecht.
6.6 Zusammengefasst erweist sich die Beschwerde als teilweise begründet. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde ist der Beschwerdegegner anzuweisen, den Satz «In Konfliktsituationen legte sie Wert darauf, dass faire Diskussionen geführt wurden» aus dem Arbeitszeugnis zu streichen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Urteil 810 20 27 vom 12.8.2020
Betreibungsrecht
Postsperre im Konkursverfahren unzulässig
Eine Postsperre stellt einen Eingriff in das durch die Verfassung geschützte Postgeheimnis dar. Es handelt sich somit um eine schwere Einschränkung der Persönlichkeitsrechte. Mangels einer gesetzlichen Grundlage ist eine Postsperre durch ein Konkursamt rechtswidrig.
Sachverhalt:
Über einen Schuldner wurde der Konkurs eröffnet. Das Konkursamt verfügte eine Postsperre sowohl an seiner Domizil- als auch an der Privatadresse. Das bedeutet, dass das Konkursamt alle Briefe des Schuldners einsehen kann. Der Schuldner war vorerst mit der Postsperre einverstanden, widerrief sein Einverständnis aber zu einem späteren Zeitpunkt und verlangte eine anfechtbare Verfügung. Das Konkursamt kam dem nach. Dagegen erhob der Schuldner betreibungsrechtliche Beschwerde.
Aus den Erwägungen:
3. Bei einer Postsperre bzw. Postkontrolle handelt es sich um eine schwerwiegende Einschränkung der durch Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantierten Persönlichkeitsrechte (BGE 103 III 76, E. 2; BGE 140 I 353, E. 8.3; BGer. 1B_299/2009, E. 3; KOV Kommentar, Art. 38 N 3). Jede Einschränkung eines Grundrechts bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Bei einer schwerwiegenden Einschränkung – wie der vorliegenden – muss diese in einem Gesetz selbst vorgesehen sein (Art. 36 Abs. 1 BV; vgl. auch Art. 8 Ziff. 2 EMRK).
Einschränkungen von Grundrechten müssen ausserdem durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sowie verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung setzt die Anordnung einer Postsperre denn auch voraus, dass diese als unbedingt notwendig erscheint, weil anders die Interessen der Konkursmasse und der Gläubiger wegen des Verhaltens des Gemeinschuldners ernsthaft gefährdet wären (BGE 103 III 76, E. 2).
3.1 Gemäss Art. 38 der Verordnung über die Geschäftsführung der Konkursämter (KOV [SR 281.32]) sind die Konkursämter berechtigt, von der zuständigen Kreispostdirektion für die Dauer des Konkurses die Einsichtnahme oder Auslieferung von Postsendungen und Postcheckgeldern, die an den Gemeinschuldner adressiert oder von ihm abgesandt werden, sowie Auskunftserteilung über den Postverkehr des Gemeinschuldners zu verlangen. Der Gemeinschuldner hat jedoch das Recht, der Öffnung der Sendungen beizuwohnen.
Bei Art. 38 KOV handelt es sich um eine Verordnungsbestimmung und nicht um ein Gesetz im formellen Sinn. Folglich stellt Art. 38 KOV keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine schwerwiegende Grundrechtseinschränkung dar. Ausserdem gründet er nicht auf einer hinreichenden Delegationsnorm. Zwar verweist Art. 38 KOV auf Art. 14 und 18 der Verordnung vom 1. September 1967 zum Postverkehrsgesetz, welche sich ihrerseits auf Art. 6 Abs. 4 aPG stützten. Im Zuge der Revision des Postgesetzes (PG [SR 783.0]) wurde die vorgenannte Verordnung allerdings aufgehoben und das aktuelle PG enthält keine mit Art. 6 Abs. 4 aPG vergleichbare Regelung.
Aus diesem Grund ist denn auch vorgesehen, Art. 38 KOV ersatzlos zu streichen (vgl. Erläuternder Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartementes vom 19. Oktober 2020 zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zur Verordnung des Bundesrates zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register, S. 5 f. und 9). Somit ist zu prüfen, ob das SchKG eine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Postsperre enthält.
3.2 Als gesetzliche Grundlage für eine Postsperre bzw. Postkontrolle durch das Konkursamt fallen die Art. 221–223 SchKG in Betracht.
Gemäss Art. 221 SchKG schreitet das Konkursamt sofort nach Empfang des Konkurserkenntnisses zur Aufnahme des Inventars über das zur Konkursmasse gehörende Vermögen und trifft die zur Sicherung desselben erforderlichen Massnahmen. Diese Regelung ist zu wenig bestimmt, um für eine Postsperre als gesetzliche Grundlage zu dienen. Ebenfalls keine hinreichende Rechtsgrundlage stellt Art. 222 SchKG dar, welcher sich mit der Auskunfts- und Herausgabepflicht des Schuldners wie auch Dritter befasst. Die Post ist keine Dritte, bei welcher Vermögensgegenstände des Schuldners verwahrt sind oder bei der dieser Guthaben hat.
Art. 223 SchKG – auf welchen sich das Konkursamt hier stützt – regelt die Sicherungsmassnahmen im Falle eines Konkurses. Die Sicherungsmassnahmen dienen dazu, möglichst viel Konkurssubstrat zu erhalten, damit die Gläubiger keine oder möglichst geringe Verluste erleiden müssen (BSK SchKG Lustenberger, Art. 223 N 1).
Als Sicherungsmassnahmen werden im Gesetz die Schliessung und unter Siegellegung von Magazinen, Warenlagern, Werkstätten, Wirtschaften und dergleichen genannt sowie das In-Verwahrung-Nehmen von Bargeld, Wertpapieren, Geschäfts- und Hausbüchern sowie sonstigen Schriften von Belang (Art. 223 Abs. 1 und 2 SchKG). Auch nicht ausdrücklich im Gesetz genannte Massnahmen zur Sicherung und Erhaltung von Rechten kommen in Betracht, so das Stellen des Betreibungsbegehrens zwecks Verjährungsunterbrechung, die Präsentation fälliger Wechsel, die sofortige Verwertung verderblicher Sachen, die Verwaltung von Liegenschaften des Schuldners, die Bezahlung von fälligen Versicherungsprämien oder die Einforderung fälliger Zahlungen.
Die Postsperre stellt jedoch einen Eingriff in das durch die Verfassung geschützte Postgeheimnis (Art. 13 Abs. 1 BV) und damit eine schwerwiegende Einschränkung der Persönlichkeitsrechte dar. Entsprechend ist das Erfordernis an die genügende Bestimmtheit des Rechtssatzes höher als bei nur leichten Eingriffen; notwendig ist eine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage (Häfelin / Müller / Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., N 343; BGE 130 I 360, E. 14.2). Die Postsperre bzw. Postkontrolle wird in Art. 223 SchKG mit keinem Wort erwähnt und es findet sich darin auch nichts ansatzweise Vergleichbares. Damit kann auch Art. 223 SchKG keine genügende gesetzliche Grundlage für eine Postsperre bzw. Postkontrolle bilden. Dies muss insbesondere auch mit Blick auf andere Rechtsgebiete gelten, in welchen Postüberwachungen explizit gesetzlich geregelt und an strenge Voraussetzungen geknüpft sind (vgl. Art. 269 StPO).
Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid AB.2020.41-AS vom 8.1.2021
Verwaltungsrecht
Sozialamt muss bei Wohnungssuche helfen
Die Gemeinde darf Sozialhilfeempfänger auffordern, eine günstigere Wohnung zu suchen. Sie muss ihnen dabei aber behilflich sein. Die Auflage, in eine andere Wohnung zu ziehen, stellt für hilfesuchende Personen einen Eingriff von erheblicher Tragweite dar.
Sachverhalt:
Eine Sozialhilfebezügerin aus Beringen SH zügelte in eine Zweieinhalbzimmerwohnung zu einem monatlichen Mietzins von anfänglich 1110 Franken. Später sollte sich dieser gemäss Mietvertrag auf 1410 Franken erhöhen. Ein paar Monate später strich das Sozialamt der Frau den Wohnbeitrag auf 800 Franken zusammen und drohte die gänzliche Streichung des Wohnbudgets an, wenn die Frau bis 1. August 2020 keine günstigere Wohnung beziehen sollte. Das Departement des Innern des Kantons Schaffhausen hiess den Rekurs der Frau gut. Es erachtete die Auflage, eine Wohnung für 800 Franken zu suchen, als unzulässig und wies die Gemeinde an, einen Mietzins von 1100 Franken zu zahlen. Die Gemeinde erhob Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor dem Obergericht Schaffhausen.
Aus den Erwägungen:
2. Wer für seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln aufkommen kann, hat Anspruch auf materielle Hilfe. Sie besteht aus dem Grundbedarf, den Wohnkosten sowie den Kosten für die medizinische Grundversorgung. Es können darüber hinaus weitere Leistungen zugesprochen werden (Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe und soziale Einrichtungen vom 28. Oktober 2013).
4.3 Eine sozialhilferechtliche Auflage, in eine andere Wohnung umzuziehen, stellt für hilfesuchende Personen einen Eingriff von erheblicher Tragweite dar. Die Verpflichtung zur Wohnungssuche obliegt zwar primär der unterstützten Person, doch hat sie die Sozialhilfebehörde im Rahmen der persönlichen Hilfe, zu der hinreichende Beratung und Betreuung gehören, bei ihren Bemühungen um eine günstigere Wohnung angemessen zu unterstützen.
Dies bedeutet vor allem, dass die Person auf geeignete freie Wohnungen hinzuweisen ist (vgl. Art. 20 sowie Art. 23 SHEG; Mösch Payot, Rz. 39.61 mit Hinweisen; Sozialamt des Kantons Schaffhausen, Handbuch öffentliche Sozialhilfe im Kanton Schaffhausen, Ausgabe 2015 [nachfolgend: Handbuch Sozialhilfe], S. 43). Eine Unterstützung erscheint umso mehr als geboten, wenn – wie vorliegend unstrittig der Fall – eine hilfesuchende Person gesundheitlich angeschlagen und das Angebot günstiger Wohnungen in einer Gemeinde knapp ist. Jedenfalls soweit aufgrund der Akten ersichtlich, wurde die Beschwerdegegnerin jedoch bei der angeordneten Wohnungssuche nicht unterstützt.
4.4 Mit Bezug auf die von ihr verwendeten Richtwerte der ortsüblichen Wohnungsmietzinse weist die Beschwerdeführerin zwar grundsätzlich zu Recht darauf hin, dass aufgrund einer einzelnen, negativ ausgefallenen Suchanfrage auf einem einzigen Internetsuchportal noch nicht davon ausgegangen werden kann, der von ihr verwendete Richtwert für einen Einpersonenhaushalt (Bruttomiete max. 800 Franken) sei unrealistisch.
Das Departement klärte mithin den Sachverhalt nicht hinreichend sorgfältig ab und griff übermässig in den kommunalen Gestaltungsspielraum ein, indem es anstelle des kommunalen Richtwerts ohne weitere Abklärung den Betrag der Wohnkosten gemäss Ergänzungsleistungen von 1100 Franken berücksichtigte. Im Ergebnis ist dem Departement jedoch beizupflichten, dass der vom Gemeinderat beschlossene Richtwert von 800 Franken für Einpersonenhaushalte unrealistisch tief angesetzt wurde und daher nicht als ortsüblicher Wohnungsmietzins für preiswerte bedarfsgerechte Wohnungen für Einzelpersonen in Beringen bezeichnet werden kann.
4.5 Die der Beschwerdegegnerin von der Beschwerdeführerin gemachte Auflage, eine günstigere Wohnung zu suchen, war somit rechtswidrig – dies zufolge Androhung unverhältnismässiger Folgen, mangelnder Unterstützung bei der Wohnungssuche sowie Verwendung ortsunüblich tiefer Richtwerte. Die Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids ist daher im Ergebnis zu bestätigen. Folglich hätte die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin grundsätzlich weiterhin – das heisst auch seit dem 1. August 2020 – die effektiven Wohnkosten zu erstatten.
Nicht zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich der Mietzins gemäss Staffelmietvertrag ab 1. August 2020 auf 1410 Franken (inkl. Nebenkosten) erhöhte. Dieser Umstand war der Beschwerdegegnerin bereits bekannt, als sie im November 2019 das Gesuch um Sozialhilfe stellte. Dennoch hat sie sich soweit ersichtlich nicht bemüht, eine günstigere Wohnung zu finden. Jedenfalls ist das untätige Verbleiben in einer Wohnung, deren Miete in absehbarer Zeit zufolge einer zum Voraus bekannten erheblichen Mietzinserhöhung deutlich überteuert sein würde, als Verstoss gegen die Schadenminderungspflicht gemäss Art. 26 Abs. 3 SHEG zu bewerten; die Sozialhilfebehörde ist daher nicht verpflichtet, die Erhöhung der Mietkosten zu übernehmen.
4.6 Dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin, es sei der Beschwerdegegnerin eine Auflage zur Wohnungssuche zu erteilen, ist teilweise zu entsprechen. Die von dieser aktuell bewohnte 2,5-Zimmer-Wohnung ist seit August 2020 klarerweise überteuert. Für eine Einzelperson in der Sozialhilfe ist in der Regel eine Einzimmerwohnung zumutbar (vgl. Mösch Payot, Rz. 39.59 mit Hinweisen).
Obergericht Schaffhausen, Urteil 60/2020/8 vom 8.12.2020
Verunfallter muss unnötige Ambulanz zahlen
Wenn ein Dritter nach einem Unfall eine Ambulanz aufbietet und sich dies als unnötig herausstellt, muss der Verunfallte den Einsatz trotzdem bezahlen. Laut dem Verwaltungsgericht Solothurn muss das Spital vor dem Einsatz nicht das Einverständnis des Verunfallten einholen.
Sachverhalt:
Ein Velo- und ein E-Bike-Fahrer kollidierten in Oensingen SO. Der E-Bike-Fahrer rief die Ambulanz. Die Sanitäter untersuchten den Velofahrer. Ein Transport ins Spital war unnötig. Das Solothurner Spital stellte dem Velofahrer 900 Franken für die Leerfahrt und 100 Franken für «die kleine medizinische Leistung» in Rechnung. Der Mann wehrte sich vor dem Verwaltungsgericht Solothurn: Er habe die Ambulanz nicht gerufen.
Aus den Erwägungen:
Die Solothurner Spitäler AG ist ein öffentliches Unternehmen in Privatrechtsform, das gegenüber der kantonalen Verwaltung weitestgehend verselbständigt ist. Sie hat alle Befugnisse, die einer Verwaltungsstelle eigen sind, namentlich auch die Verfügungsbefugnis.
Das Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG), welches das Verfahren vor den Verwaltungsbehörden des Kantons und den Rechtsschutz in Verwaltungssachen regelt, gilt nach § 4 sinngemäss nicht nur für Körperschaften und Anstalten des kantonalen öffentlichen Rechts, sondern auch für Private und für privatrechtliche Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen. Die Solothurner Spitäler AG gilt daher als Behörde, handelt in Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts in Verwaltungssachen und ist befugt, Verfügungen zu erlassen.
3.1 Das Entgelt, das die Solothurner Spitäler AG verlangt, ist rechtlich eine Benutzungsgebühr. Die Preise des Spitals stehen in keinem Gebührentarif. Dies ist aber auch nicht zwingend nötig. Die maximale Höhe der Gebühr ergibt sich aus dem Äquivalenzprinzip (Häfelin / Müller / Uhlmann: Allgemeines Verwaltungsrecht, Zürich 2020, Rz 2769 und 2809; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich VB.2017.00213).
3.2 Im Bereich der Sozialversicherung gilt Folgendes: Gemäss Art. 43 Abs. 4 KVG werden die Tarife in Verträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vereinbart oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zuständigen Behörde festgesetzt. Ein Tarifvertrag bedarf der Genehmigung durch die Kantonsregierung (Art. 46 Abs. 4 KVG). Kommt zwischen Leistungserbringern und Versicherern kein Tarif zustande, setzt die Kantonsregierung nach Anhören der Beteiligten den Tarif fest (Art. 47 Abs. 1 KVG). Vor der Tarifgenehmigung oder -festsetzung ist die Preisüberwachung anzuhören (Art. 14 Abs. 1 Preisüberwachungsgesetz). Als Beispiel möge der Beschluss Nr. 2018/100 betreffend die Vereinbarung zwischen der Solothurner Spitäler AG und der Tarifsuisse AG dienen.
Wenn für die Fahrt zu einer Behandlung aus medizinischen Gründen ein spezielles Transportmittel nötig ist (z.B. eben eine Ambulanz) oder der Gesundheitszustand der Patienten und Patientinnen einen Transport mit einem öffentlichen oder privaten Transportmittel nicht erlaubt, werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung die Hälfte der Kosten bis zu einem jährlichen Maximalbetrag von 500 Franken vergütet.
3.3 Nun aber handelt es sich hier nicht um eine Leistung, die wegen einer Krankheit erfolgt und von einer Krankenkasse zu bezahlen ist. Der Beschwerdeführer weigert sich, den Vorfall einer Versicherung zu melden (Unfall- oder Haftpflichtversicherung).
Wer verunfallt ist, wird oftmals nicht in der Lage sein, selber eine Ambulanz zu rufen. Das Spital kann vor dem Einsatz auch nicht das Einverständnis des Betroffenen einholen. Es muss möglich sein, dass jemand die Ambulanz für einen Dritten ruft. Es geht in analoger Rechtsanwendung um eine echte Geschäftsführung ohne Auftrag nach Art. 419 ff. OR (Häfelin et al., a.a.O., Rz 252 ff.). Dem Geschäftsführer, dem Spital, sind alle «Verwendungen» zu ersetzen (Art. 422 OR).
Nach Ziffer 7 der vom Verwaltungsrat herausgegebenen allgemeinen Geschäftsbedingungen des Spitals beträgt die Grundtaxe für «Primär-Krankentransporte» 900 Franken. Leerfahrten werden der Person in Rechnung gestellt, die von der Leistung hätte profitieren sollen. Hinzu kommt eine Pauschale für «kleine medizinische Leistungen» von 100 Franken. Rechnerisch ist die Faktura korrekt. Dass die Ambulanz ausgerückt ist, ergibt sich aus dem Protokoll. Dies ist auch nicht bestritten. Das Team hat sich auch um den Beschwerdeführer gekümmert, ihn jedoch nicht ins Spital eingewiesen, da dazu (nach der Untersuchung) keine Notwendigkeit bestand. Es hat folglich auch eine «kleine medizinische Leistung» stattgefunden.
4. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.
Verwaltungsgericht Solothurn, Entscheid VWBES.2020.379 vom 11.11.2021
Wochenaufenthalt: Ab 30 Jahren Steuer-pflicht am Arbeitsort
Wochenaufenthalter haben nachzuweisen, dass ihr Lebensmittelpunkt im Heimatkanton liegt. Gelingt das nicht, müssen sie die Steuern am Wochenaufenthaltsort zahlen.
Sachverhalt:
Ein Tessiner lebte und arbeitete zwei Jahre lang als Wochenaufenthalter in einer Zürcher Gemeinde. Nach seinem 30. Geburtstag entschied das Steueramt, dass der Mann im Kanton Zürich steuerpflichtig sei. Dieser wehrte sich vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich.
Aus den Erwägungen:
2.2 Die bundesgerichtliche Praxis hat zu diesen Grundsätzen typische Fallkonstellationen entwickelt. Bei einer verheirateten Person mit Beziehungen zu mehreren Orten, die im Erwerbsleben steht, werden die persönlichen und familiären Kontakte zum Familienort regelmässig höher gewichtet als jene zum Arbeitsort. Dies trifft jedenfalls zu, soweit die betreffende Person unselbständig erwerbstätig ist, keine leitende Stellung einnimmt (BGE 132 I 29, E. 4.2) und täglich («Pendler») oder regelmässig an den Wochenenden («Wochenaufenthalter») an den Familienort zurückkehrt (zum Ganzen: BGer, 2C_580/2017 vom 16. März 2018, E. 4.2).
Dasselbe gilt an sich auch, wenn es sich um eine unverheiratete Person handelt, die sowohl zum Arbeits- wie zum Familienort Beziehungen unterhält. Als Familie gelten diesfalls die Eltern und Geschwister (BGE 113 Ia 465, E. 4b). Da die Bindung zur elterlichen Familie gemeinhin aber lockerer ausfällt als jene unter Ehegatten, stellt die Praxis erhöhte Anforderungen (BGer 2C_296/2018 vom 6. Juni 2018, E. 2.2.2).
2.3 Hält sich eine Person abwechslungsweise an verschiedenen Orten auf, kommt es darauf an, zu welchem Ort die stärkeren Bindungen bestehen. Bei unselbständig erwerbstätigen Steuerpflichtigen ist das gewöhnlich der Ort, wo sie für längere oder unbestimmte Zeit Aufenthalt nehmen, um von dort aus der täglichen Arbeit nachzugehen, ist doch der Zweck des Lebensunterhalts dauernder Natur (vgl. BGE 132 I 29, E. 4.2; VGr, 26. März 1991, StE 1992 B 11.1 Nr. 11; BGE 121 I 14, E. 4a = StE 1995 A 24.24.3 Nr. 1; BGer 20. Januar 1994, ASA 63 [1994/95], 839).
Die Frage, zu welchem der Aufenthaltsorte die steuerpflichtige Person die stärkeren Beziehungen unterhält, ist jeweils aufgrund der Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BGE 132 I 29, E. 4.2; BGer 2C_311/2014 vom 30. April 2015, E. 2.2).
2.4 Die Beziehung unverheirateter Personen zum Arbeitsort tritt praxisgemäss in den Vordergrund, wenn die Person das dreissigste Altersjahr überschritten hat und/oder sich seit mehr als fünf Jahren ununterbrochen am selben auswärtigen Ort aufhält. Liegt zumindest eines der beiden Kriterien vor, begründet dies die natürliche Vermutung, der Lebensmittelpunkt befinde sich am Ort der Erwerbstätigkeit bzw. des Wochenaufenthalts, wenn die beiden letzteren Orte auseinanderfallen. Die Vermutung kann dadurch entkräftet werden, dass die unverheiratete Person regelmässig, mindestens einmal pro Woche, an den Ort der Familie heimkehrt, mit welcher sie besonders eng verbunden ist, und wo sie andere persönliche und gesellschaftliche Beziehungen pflegt. Gelingt ihr der Nachweis solcher familiärer, privater und gesellschaftlicher Beziehungen zum Familienort, hat der Kanton des Arbeits- oder Wochenaufenthaltsortes nachzuweisen, dass die Person die gewichtigeren wirtschaftlichen und gegebenenfalls persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen zu diesem Ort unterhält (BGer 2C_296/2018, E. 2.2.3; BGer 2C_270/2012, E. 2.5).
3.3.1 Vorliegend ist streitig, in welchem Kanton sich das Hauptsteuerdomizil des 1985 geborenen und somit in der zur Diskussion stehenden Steuerperiode dreissig Jahre alt gewordenen Beschwerdeführers ab 1. Januar 2015 befindet.
3.2 Die Vorinstanz hielt fest, der Beschwerdeführer sei 2015 dreissig Jahre alt geworden und damit nun in einem Alter, in dem man naturgemäss beginne, sich im Beruf zu etablieren und sich von früheren Bindungen zu Eltern und teilweise auch Freunden zu lösen. Er arbeite in einem qualifizierten Beruf als (...) in R. und sei auch finanziell unabhängig.
Die Schlussfolgerung der Vorinstanz bezüglich des Bestehens der natürlichen Vermutung für den Wohnsitz in B. erweist sich angesichts der gegebenen Umstände, so das Alter des Beschwerdeführers, seine berufliche Stellung und insbesondere die Wohnsituation in einer Loftwohnung, als korrekt. Dass der Beschwerdeführer im Lauf des Jahres 2015 bzw. erst nach seinem Gesuch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung als Wochenaufenthalter vom 18. Mai 2015 den dreissigsten Geburtstag feierte, ist unerheblich, ist doch der steuerrechtliche Wohnsitz am Ende der fraglichen Steuerperiode massgeblich (E. 2.1). Davon abgesehen ist das Gesamtbild massgebend und ein rein schematisches Abstellen auf Alter und Aufenthaltsdauer am Arbeitsort unter Missachtung anderer Kriterien unzulässig (vgl. Oesterhelt / Seiler, Kommentar StHG, Art. 3 N 52).
3.4.1.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers vermögen nicht zu widerlegen, dass sich ab 2015 der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in B. befand. Daran ändert auch die zurückhaltende Möblierung nichts. Es entspricht dem natürlichen Lebenslauf, dass sich bei fortschreitendem Alter und der damit einhergehenden Bestrebung, sich beruflich zu etablieren, der Mittelpunkt der Lebensinteressen vom ursprünglichen «familiären Kern» im Elternhaus wegverschiebt. So ist dies auch hier geschehen. Nach wie vor hatte der Beschwerdeführer ein ausgezeichnetes Verhältnis zu seinem Elternhaus und Bekanntenkreis im Kanton E. und stand ihm dort auch sein Zimmer zur Verfügung. Auch war es für ihn nicht ausgeschlossen, gegebenenfalls in den Kanton E. zurückzukehren, sofern er eine Arbeit und Wohnung finden würde.
Dies alles ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Beschwerdeführer mittlerweile hier beruflich Fuss gefasst hatte, sich dabei sehr engagierte und sich eine eigene grosszügige, bequeme 1-Zimmer-Attikawohnung für monatlich 1800 Franken zuzüglich eines Einstellplatzes gemietet hatte.
3.5 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Prüfung und Gewichtung der Gesamtumstände vorliegend für den steuerrechtlichen Wohnsitz im Kanton Zürich ab der Steuerperiode 2015 und nicht erst ab der später erfolgten Heirat sprechen. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Verwaltungsgericht Zürich, Urteil SB.2019.00108 vom 1.4.2020