Sozialversicherung
Unentgeltlicher Rechtsbeistand auch bei Rückzug
Eine Beschwerde, welche ergänzende Abklärungen notwendig macht, ist nicht zum vornherein aussichtslos. Also kann das Gericht auch beim Rückzug einer solchen Beschwerde unentgeltlichen Rechtsbeistand zusprechen.
Sachverhalt:
Gegen einen Rentenentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich erhob X. Beschwerde beim kantonalen Sozialversicherungsgericht. Gleichzeitig beantragte er für das Beschwerdeverfahren unentgeltliche Rechtsverbeiständung. Der Gerichtsschreiber wies den Rechtsvertreter auf die drohende reformatio in peius hinsichtlich eines Teils der zugesprochenen Rente hin.
Darauf zog X. die Beschwerde zurück und das Gericht schrieb sie ab. Mit derselben Verfügung wies das Gericht zudem das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung ab und auferlegte dem Beschwerdeführer die Gerichtskosten. Dagegen erhob X. Beschwerde beim Bundesgericht.
Aus den Erwägungen:
8.1 Der angefochtene Entscheid vom 2. Dezember 2009 verneint den Anspruch des Beschwerdeführers auf unentgeltliche Verbeiständung nach Art. 61 lit. f ATSG (vgl. auch Art. 29 Abs. 3 BV) für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht betreffend Leistungen der Invalidenversicherung wegen Aussichtslosigkeit des Prozesses.
Gemäss Art. 61 lit. f ATSG muss im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, wird der beschwerdeführenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt (vgl. auch Art. 29 Abs. 3 BV). Nach der Praxis sind die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung erfüllt, wenn der Prozess nicht aussichtslos erscheint sowie die Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (SVR 2009 UV Nr. 12 S. 49, 8C_530/ 2008 E. 3 mit Hinweisen).
8.2 Die Ablehnung des Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung wird im angefochtenen Entscheid selbst nicht näher begründet (vgl. zu den Begründungsanforderungen Art. 112 Abs. 1 BGG). Die Vorinstanz hat daher auch keine Feststellungen zur Aussichtslosigkeit des Beschwerdeverfahrens getroffen. Von einer Rückweisung an die Vorinstanz aus diesem Grund kann indessen abgesehen werden (Art. 112 Abs. 3 BGG), da die Akten dem Bundesgericht erlauben, diesbezüglich den massgeblichen Sachverhalt festzustellen (Art. 105 Abs. 2 BGG).
In der Vernehmlassung hält die Referentin fest: «Sodann muss die Beschwerde in Anbetracht des Umstandes, dass in der Streitsache selber eine reformatio in peius resultiert hätte, was dem Rechtsvertreter am 3. August 2009 hinlänglich klar gemacht worden war (vgl. Aktennotiz), weshalb dieser denn auch in der Folge die Beschwerde zurückzog, als aussichtslos bezeichnet werden.»
8.3 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 61 lit. f ATSG und von Art. 29 Abs. 3 BV und somit von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG). Zur Begründung wird vorgebracht, das Sozialversicherungsgericht habe die Beschwerde nicht als aussichtslos beurteilt, sondern laut telefonischer Auskunft des Gerichtsschreibers vom 3. August 2009 sogar erwogen, die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit diese weitere Abklärungen vornehme, was seinem vorinstanzlich gestellten Hauptantrag entsprochen hätte und einem Obsiegen gleichgekommen wäre. Vor diesem Hintergrund widerspreche es dem Grundsatz von Treu und Glauben, die Beschwerde als aussichtslos zu qualifizieren. Da der Beschwerdeführer die meisten Hilfsarbeitertätigkeiten wegen der körperlichen und neuropsychologischen Einschränkungen selbst im Rahmen einer verbleibenden Restarbeitsfähigkeit von 50 Prozent nicht mehr voll ausüben könne, sei zudem von einem leidensbedingten Abzug vom Invalideneinkommen von 25 Prozent - und nicht wie von der IV-Stelle angenommen von 15 Prozent - auszugehen. Zu berücksichtigen sei zudem , dass teilzeitbeschäftigte Männer gegenüber vollzeitlich Angestellten eine zusätzliche Lohneinbusse zu gewärtigen haben.
9.1 Eine allfällige reformatio in peius oder der Rückzug der Beschwerde wegen einer möglichen Schlechterstellung schliessen den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht schlechthin aus (Urteil U 131/06 vom 19. Mai 2006 E. 3.1; vgl. auch SVR 1996 UV Nr. 40 S. 123, U 134/94 E. 3b sowie AHI 1994 S. 180, H 301/92 E. 4a). Andererseits kommt der Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren keine entscheidende Bedeutung für die Frage der unentgeltlichen Verbeiständung für das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren zu (Urteil U 131/06 vom 19. Mai 2006 E. 3.1).
9.2 Laut Telefonnotiz des Gerichtsschreibers vom 3. August 2009 wurde die Androhung der reformatio in peius bezüglich der von der IV-Stelle zugesprochenen befristeten ganzen Invalidenrente damit begründet, dass es gestützt auf die medizinischen Berichte fraglich sei, «ob die Zusprechung der ganzen Rente vom 1. April 2002 bis 30. September 2006 richtig sei. Diesbezüglich sei wohl eine reformatio anzudrohen oder allenfalls die Sache zurückzuweisen.» Ein Rechtsmittel, dessen Erledigung die Durchführung ergänzender Abklärungen notwendig macht, kann nicht zum vornherein als aussichtslos bezeichnet werden. Auch eine von der Verwaltung abweichende Würdigung der medizinischen Akten, welche im Entscheid zudem mit keinem Wort begründet wird, rechtfertigt die Annahme von Aussichtslosigkeit nicht.
9.3 Bezüglich der bei einem Invaliditätsgrad von 56 Prozent zugesprochenen halben Invalidenrente mit Wirkung ab 1. Oktober 2006 wurde in der bereits erwähnten Aktennotiz vom 3. August 2009 festgehalten, die IV-Stelle sei mit der Annahme eines Valideneinkommens von Fr. 55 000.- überaus grosszügig gewesen. Bei näherer Betrachtung könne indessen kaum ein Valideneinkommen in dieser Höhe angenommen werden. Selbst wenn von den Zahlen der IV-Stelle ausgegangen werde, müsse anstelle des von dieser anerkannten 15-prozentigen Abzugs vom Tabellenlohn ein solcher von 25 Prozent vorgenommen werden, damit ab 1. Oktober 2006 eine höhere Rente zugesprochen werden könne. Daraus ergibt sich, dass sich die Androhung der reformatio in peius nur auf die zugesprochene ganze und nicht auch auf die halbe Invalidenrente bezogen hatte. Zwar entfällt bei einem Beschwerderückzug, welcher im Ergebnis einer Abweisung gleich kommt, der Anspruch auf Parteientschädigung. Die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege setzt das Unterliegen des Gesuchstellers im Hauptprozess voraus, was jedoch nicht bedeutet, dass die Beschwerdeführung unbegründet war (SVR 1996 UV Nr. 40 S. 123, U 134/94 E. 3b).
Der Beschwerdeführer hatte die Erhöhung des leidensbedingten Abzugs auf das rechtsprechungsgemäss auf 25 Prozent festgesetzte Maximum (BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80) eingehend begründet. Dieses Begehren kann nicht als aussichtslos bezeichnet werden. Die Suva ging in der Verfügung vom 12. Oktober 2004 ebenfalls von einem Abzug von 25 Prozent vom Tabellenlohn aus und erhöhte den Invaliditätsgrad gemäss Verfügung vom 31. Mai 2007 sogar auf 65 Prozent.
Aus dem Bericht von Frau Dr. med. Krebs vom 7. Juli 2005 ergibt sich überdies, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Kraftverminderung und reduzierten Belastbarkeit der Hände auch leichte Handarbeiten nur mit häufigen Pausen durchführen kann. Das Gutachten der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsspitals Zürich vom 24. Juli 2006 kam zum Schluss, dass Störungen der exekutiven Funktionen mit psychomotorischer Verlangsamung und verminderter figuraler Flüssigkeit sowie mnestische Störungen mit vermindertem Lernen, Abrufen und Wiedererkennen figuraler Modalitäten und vermindertem Abruf und Wiedererkennen in der verbalen Modalität vorliegen würden. Zusätzlich wirkten sich die chronischen Schmerzen und die depressive Stimmungslage aggravierend auf die neuropsychologische Symptomatik aus. Die Gutachter gehen von einer täglichen Arbeitstätigkeit von drei bis vier Stunden aus.
9.4 Indem die Vorinstanz unter diesen Umständen Aussichtslosigkeit der Beschwerde angenommen und deswegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Verbeiständung verneint hat, hat sie Art. 61 lit. f ATSG und damit Bundesrecht verletzt. Dispositiv-Ziffer 2 und 3 des angefochtenen Entscheids sind daher auch aus diesem Grund aufzuheben. Die Sache geht daher an das kantonale Gericht zurück, damit es die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung prüfe und hernach entscheide.
Urteil 8C_107/2010 der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 2. August 2010
Über Befangenheit ist sofort zu entscheiden
Bevor ein Verfahren weitergeführt werden kann, muss über die Ausstandsgründe entschieden werden, welche gegenüber einem Gutachter geltend gemacht werden. Eine Leistungseinstellung darf nicht angedroht werden.
Sachverhalt:
Gegen die Kürzung ihrer vollen IV-Rente auf eine Dreiviertelsrente erhob X. Beschwerde. Die IV-Stelle hob in der Folge die angefochtene Verfügung am 9. Januar 2009 auf, weil weitere medizinische Abklärungen durchgeführt werden müssten, und wollte eine Begutachtung durch die Medas Oberaargau einleiten. X. lehnte die Begutachtung durch diese Institution ab, worauf ihr die IV-Stelle eine Leistungseinstellung androhte. Als X. zum Begutachtungstermin nicht erschien, sistierte die IV-Stelle die Rente ab sofort mit Verfügung vom 27. März 2009. Dagegen erhob X. Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht.
Aus den Erwägungen:
5.1 Auf S. 6 (Ziff. 8 f.). der Beschwerde wird ausgeführt, im konkreten Fall sei geltend gemacht worden, die vorgesehenen Gutachter seien «parteilich». Damit sei eindeutig ein gesetzlicher Ablehnungsgrund geltend gemacht worden. Ob ein solcher vorliege oder nicht, brauche an dieser Stelle nicht entschieden zu werden. Wesentlich sei nur die Feststellung, dass die Vorbringen der Beschwerdegegnerin gegen die vorgesehenen Gutachter gesetzliche Ausstandsgründe beinhalteten. Damit hätte die Beschwerdegegnerin über das Vorliegen von gesetzlichen Ausstandsgründen entscheiden müssen. Praxisgemäss könne das Verfahren bei einer entsprechenden Rüge nicht weitergeführt werden, bevor über das Ablehnungsgesuch entschieden sei. Unter diesen Umständen könne es der Beschwerdeführerin auch nicht zum Vorwurf gereichen, dass sie sich der Begutachtung nicht unterzogen habe, nachdem über die von ihr geltend gemachten Ablehnungsgründe (noch) nicht entschieden worden sei.
5.2 Indem Art. 44 ATSG vorsieht, dass die versicherte Person den Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen kann, geht diese Bestimmung über die gesetzlichen Ausstandsgründe gemäss Art. 10 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG hinaus (BGE 132 V 107 Erw. 6.4).
Zu unterscheiden ist zwischen Einwendungen formeller und Einwendungen materieller Natur. Dabei zählen die gesetzlichen Ausstandsgründe (vgl. Art. 10 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG) zu den Einwendungen formeller Natur, weil sie geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erwecken.
Einwendungen materieller Natur können sich zwar ebenfalls gegen die Person des Gutachters richten. Sie beschlagen jedoch nicht dessen Unparteilichkeit. Oft sind sie von der Sorge getragen, das Gutachten könne mangelhaft ausfallen oder jedenfalls nicht im Sinne der zu begutachtenden Person. Solche Einwendungen sind in der Regel mit dem Entscheid in der Sache im Rahmen der Beweiswürdigung zu behandeln. So hat beispielsweise die Frage, aus welcher medizinischen Fachrichtung ein Gutachten einzuholen ist, nichts mit Ausstandsgründen, sondern mit der Beweiswürdigung zu tun. Dasselbe gilt mit Bezug auf den Einwand, der Sachverhalt sei bereits hinreichend abgeklärt oder das Leiden aufgrund der selbst ins Recht gelegten Gutachten erstellt. Es besteht kein Recht der versicherten Person auf einen Sachverständigen ihrer Wahl. Fehlende Sachkunde eines Gutachters bildet ebenfalls keinen Umstand, der Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Gutachters wecken würde. Vielmehr ist bei der Würdigung des Gutachtens in Betracht zu ziehen, dass ein Gutachter nicht genügend sachkundig war (BGE 132 V 108 f. Erw. 6.5).
Bedenken materieller Natur (so Kompetenz des vorgesehenen Arztes und Geeignetheit der materiellen Fragen) können nicht Gegenstand eines Ablehnungsgesuches (Art. 36 ATSG) sein, sondern sind allenfalls im Rahmen der materiellen Würdigung der medizinischen Unterlagen vorzubringen (BGE 133 V 450 Erw. 7.6 mit Hinw. auf BGE 132 V 108 f. Erw. 6.5). Mit andern Worten sind Einwendungen materieller Natur grundsätzlich mit dem Entscheid in der Sache zu behandeln (Urteil des BGer vom 28. Juli 2009 [8C_418/2009] Erw. 2.2 mit Hinw. u.a. auf BGE 132 V 108 Erw. 6.5). Anders verhält es sich demgegenüber mit Einwendungen formeller Natur gegen Sachverständige. Über derartige Einwendungen ist in einer selbständig anfechtbaren Zwischenverfügung zu entscheiden. Zu den Einwendungen formeller Natur gehören im Wesentlichen die Ausstandsgründe gemäss Art. 36 Abs. 1 ATSG, die mit denjenigen nach Art. 10 Abs. 1 VwVG (u.a. ein persönliches Interesse in der Sache, enge verwandtschaftliche oder freundschaftliche Verbundenheit mit einer Partei oder Befangenheit in der Sache aus anderen Gründen) übereinstimmen (Urteil des BGer vom 24. Juni 2009 [9C_500/2009] Erw. 1 mit Hinw. auf SVR 2008 IV Nr. 22, 9C_67/2007 Erw. 2.2).
5.3.1 Die Beschwerdeführerin machte im Verwaltungsverfahren (vgl. VB 67) insbesondere geltend, sie lehne die vorgeschlagenen Gutachter unter anderem wegen fehlender Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ab. Die Beschwerdegegnerin machte demgegenüber geltend, es lägen keine Einwendungen formeller Natur im Sinne der gesetzlichen Ausstandsgründe von Art. 10 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG vor (VB 68) und kam der Aufforderung des Beschwerdeführers, eine anfechtbare Zwischenverfügung zu erlassen (VB 69), nicht nach (VB 70).
5.3.2 Die Beschwerdeführerin forderte mit Schreiben vom 17. März 2009 (VB 69) die Beschwerdegegnerin auf, über die Ausstands- und Ablehnungsgründe in Form einer anfechtbaren Zwischenverfügung zu entscheiden. Die Verwaltung beziehungsweise die Beschwerdegegnerin war zur Verfügung verpflichtet, auch wenn sie der Auffassung war, die geltend gemachten Einwendungen gegen die Gutachter seien materieller Natur und darüber sei erst mit dem Entscheid in der Sache zu befinden (vgl. Urteil des BGer vom 9. Juni 2009 [9C_199/2009] Erw. 4.1).
Das Verhalten der Beschwerdegegnerin als Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 56 Abs. 2 ATSG zu qualifizieren, liefe dem anzustrebenden Ziel zuwider, das Abklärungsverfahren nicht unnötigerweise zu formalisieren und zu verkomplizieren und dadurch in die Länge zu ziehen. Vielmehr ist entweder dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 23. März 2009 (VB 70) Verfügungscharakter (formlose Mitteilung als faktische Verfügung) beizumessen oder ein direktes Beschwerderecht der versicherten Person zu bejahen (vgl. Urteil des BGer vom 9. Juni 2009 [9C_199/2009] Erw. 4.2). Welcher Variante der Vorzug zu geben ist, kann offen bleiben; denn so oder anders war zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (27. März 2009; VB 72) über das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers noch nicht rechtskräftig entschieden worden.
5.4 Werden Ausstandsgründe geltend gemacht, kann das Verfahren nicht weitergeführt werden, bevor hierüber entschieden ist (Ueli Kieser, a.a.O., N 22 zu Art. 44 ATSG mit Hinweis auf SVR 2002 UV Nr. 7). Insbesondere darf eine Leistungseinstellung nicht angedroht werden (Ueli Kieser, a. a. O., N 24 zu Art. 44 ATSG mit Hinw. auf SVR 2002 UV Nr. 7 Erw. 6). Wie bereits hiervor ausgeführt wurde, ist über das Ausstandsgesuch zum massgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinw.) noch nicht rechtskräftig entschieden worden, weshalb eine Leistungseinstellung im Sinne von Art. 43 Abs. 3 ATSG schon mangels zulässiger Mahnung nicht erfolgen darf. Es kommt dazu, dass unter diesen Umständen auch nicht gesagt werden kann, das Verhalten der Beschwerdeführerin, welche nicht zur Untersuchung erschien, sei unentschuldbar gewesen. Die diesbezüglichen Ausführungen auf S. 6 Ziff. 9 der Beschwerde erweisen sich als zutreffend. Ergänzt sei einzig, dass in Konstellationen wie der vorliegenden auch kein allgemeiner prozessualer Grundsatz besteht, der eine vorsorgliche Rentensistierung gebieten oder erlauben würde (vgl. Erw. 4.1), zumal eine definitive Einstellung beziehungsweise Herabsetzung der Rente nur für die Zeit nach dem Erlass der entsprechenden Verfügung in Betracht käme (Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV), da keine Meldepflichtverletzung (Art. 88bis Abs. 2 lit. b) zur Diskussion steht. Somit ist die angefochtene Verfügung vom 27. März 2009, mit der die Rentenleistungen sistiert wurden, aufzuheben.
6 Trotz des hiervor Gesagten rechtfertigt es sich im vorliegenden Falle im Sinne eines (nicht entscheidrelevanten) obiter dic-tum darauf hinzuweisen, dass gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Zugehörigkeit zur Vineyard-Bewegung nicht dazu führt, dass auf ein Gutachten schon aus diesem Grunde nicht abgestellt werden kann. Dasselbe gilt in Bezug auf den in der Beschwerde genannten Zeitungsartikel vom 2. März 2002 (vgl. Urteil des BGer vom 24. März 2010 [9C_333/2009] Erw.2.2).
7 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin in der angefochtenen Verfügung vom 27. März 2009 (VB 72) zu Unrecht die Rentenleistungen sistierte. Demgemäss ist die angefochtene Verfügung in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.
Urteil VBE.2009.334 der 2. Kammer des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 24. Juni 2010, nicht rechtskräftig
Befangenheit wegen Äusserung zu Rechtsfragen
Ein Gutachter erklärt dem Versicherten, dass die Versicherung nicht zahlungspflichtig sei. So erweckt er den Eindruck der Befangenheit. Ein Ausstandsgrund ist gegeben.
Sachverhalt:
X. erlitt einen Auffahr- und einen Velounfall, für deren Folgekosten die Allianz aufkam. Zur Abklärung ihrer weiteren Leistungspflicht ordnete die Allianz beim Zentrum für versicherungsmedizinische Begutachtungen (ZVMB) ein interdisziplinäres Gutachten an. Gemäss den Aussagen von X. hat ihn dabei insbesondere das Verhalten von Gutachter Dr. Di Stefano nervlich äusserst aufgewühlt. Am zweiten Teil der Begutachtung nahm X. in der Folge nicht teil, da er nicht reisefähig sei. Daraufhin verlangte X. einen Entscheid über die Befangenheit der Gutachter. Die Allianz stellte ihre Versicherungsleistungen mit Verfügung vom 7. Dezember 2009 rückwirkend ein und stellte fest, dass keine Ausstands- oder Ablehnungsgründe vorliegen. X. erhob Beschwerde gegen die Verfügung und verlangte, das Gutachten der ZMBV wegen Befangenheit der Gutachter aus den Akten zu entfernen.
Aus den Erwägungen:
2.2.1 Dr. Di Stefano wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe ihm vor der Untersuchung erklärt, die MRI- und EEG-Verfahren hätten nichts ergeben. Weil für die Versicherung aber die bildgebenden Verfahren entscheidend seien, sei sie nicht zahlungspflichtig. Auch gegenüber der Ehefrau habe Dr. Di Stefano nach der Untersuchung erkärt, die Versicherung sei nicht kostenpflichtig. Weiter habe sich der Gutachter über den Hausarzt und über Dr. Riederer sowie deren Berichte abfällig geäussert (Urk. 1 S. 3 und S. 5).
2.2.2 Entgegen der scheinbaren Erwartung des Beschwerdeführers (vgl. Urk. 1 S. 5 Ziff. 2.2) war es nicht Aufgabe des neuropsychologischen Gutachters, das bisherige bildgebende Untersuchungsmaterial selber zu interpretieren. Er musste sich auf die Erkenntnisse der entsprechenden Experten stützen. Wenn er die bisherigen Abklärungsresultate der Ehefrau (und, wie anzunehmen ist, auch dem Beschwerdeführer) erläuterte und deren versicherungsmedizinische Relevanz erklärte (vgl. dazu etwa das Urteil des Bundesgerichts in Sachen R. vom 22. Juni 2010, 8C_97/2010, Erw. 3), ist darin keine Voreingenommenheit zu erblicken.
2.2.3 Es bleibt die Frage, ob Dr. Di Stefano aufgrund seiner angeblich abfälligen Bemerkungen zu früher behandelnden Ärzten und wegen seiner Aussage zur Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin als befangen zu gelten hat. Die Beschwerdegegnerin geht diesbezüglich von unbewiesenen Schutzbehauptungen aus, die zudem nur indirekt durch den Rechtsvertreter wiedergegeben worden seien. Weiter macht die Beschwerdegegnerin geltend, selbst wenn diese Aussagen gefallen sein sollten, wären diese aufgrund der Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen des Beschwerdeführers stark zu relativieren; zudem dürften sie vom Rechtsvertreter noch etwas dramatisiert worden zu sein (Urk. 13 S. 6).
Dr. Di Stefano - wie auch Dr. Brinkmann - wurden von der Beschwerdegegnerin wie auch vom hiesigen Gericht aufgefordert, zu den Vorwürfen des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen. Aus unbekannten Gründen äusserten sie sich zum erhobenen Befangenheitsvorwurf nicht (vgl. Urk. 13 S. 9; Urk. 21-22). Aufgrund des bisherigen Schweigens erscheint eine weitere schriftliche oder mündliche Befragung nicht sinnvoll, wären doch davon kaum neue Erkenntnisse zu erwarten, zumal die fraglichen Äusserungen nunmehr eineinhalb Jahre zurückliegen. Betreffend die geltend gemachten Bemerkungen zu den Berichten des Hausarztes und zu denjenigen von Dr. Rieder fehlen seitens des Beschwerdeführers konkrete Angaben über den genauen Wortlaut, welche eine objektive Beurteilung erlauben würden. Die allgemeinen Begriffe «abschätzig» oder «negativ» geben das persönliche Empfinden und die subjektive Wertung des Beschwerdeführers wieder. Eine Voreingenommenheit lässt sich objektiv nicht begründen.
Anders sieht es mit dem Vorwurf aus, Dr. Di Stefano habe erklärt, die Beschwerdegegnerin sei nicht zahlungspflichtig. Diese Bemerkung soll er sowohl gegenüber dem Beschwerdeführer wie auch gegenüber der Ehefrau gemacht haben (vgl. Urk. 1 S. 3 und Urk. 3/3). Die Aussagen der beiden Beteiligten stimmen diesbezüglich überein, weshalb davon auszugehen ist, dass sich Dr. Di Stefano in dieser oder ähnlicher Weise über die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin geäussert hat. Es ist klarerweise nicht Aufgabe eines Gutachters, zu den rechtlichen Folgen der medizinischen Abklärungsergebnisse Stellung zu beziehen. Dies obliegt allein dem involvierten Sozialversicherungsträger. Mit derartigen Aussagen könnte bei der zu begutachtenden Person der Eindruck erweckt werden, der Gutachter habe sich möglicherweise bereits eine Meinung zur gesundheitlichen Situation gebildet und bemühe sich nicht mehr um eine unvoreingenommene Abklärung. Die von einem Gutachter verlangte neutrale Haltung gegenüber allen involvierten Parteien wird vom Beschwerdeführer bei Dr. Di Stefano zu Recht in Frage gestellt. Der Anschein der Befangenheit ist nicht von der Hand zu weisen, weshalb bei Dr. Di Stefano ein Ausstandsgrund gegeben ist.
Urteil UV.2010.00024 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. August 2010, nicht rechtskräftig
Befangenheit wegen persönlicher Nähe
Besteht der Eindruck, ein Gutachter unterhalte mit einer IV-Stelle sehr direkte oder allenfalls persönliche Beziehungen, muss eine allfällige Befangenheit geprüft werden.
Sachverhalt:
Nachdem das Bundesgericht die Angelegenheit zwischen T. und der IV-Stelle des Kantons Zürich an die Vorinstanz zurückgewiesen hatte, ordnete diese die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens bei P. an. Um sich über allfällige Ausstandsgründe äussern zu können, verlangte T. erst beim Gericht und dann direkt bei P. erfolglos weitere Angaben. P. wiederum ersuchte das Gericht, sich der Sache anzunehmen. T. machte schliesslich als Ausstandsgrund geltend, dass P. sowohl Auskünfte über seine Beziehung zur IV-Stelle als auch die direkte Kontaktaufnahme verweigere. Das kantonale Gericht verneinte den Ausstandsgrund und beauftragte P. mit der Begutachtung, wogegen T. das Bundesgericht anrief.
Aus den Erwägungen:
2.1 Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt eine ausgedehnte Gutachtertätigkeit für die Sozialversicherungsträger auch bei einem gerichtlich bestellten Experten keinen Befangenheitsgrund dar (SVR 2009 UV Nr. 32 S. 111 E. 6.2 [8C_509/2008] mit Verweis auf die grundsätzlichen Ausführungen in SVR 2008 IV Nr. 22 S. 69 E. 2.4 [9C_67/2007]). Auf die in der Beschwerde vorgetragene Kritik an dieser Rechtsprechung braucht indes nicht weiter eingegangen zu werden, da die Vorinstanz gestützt auf das Schreiben des Dr. med. P. vom 18. Dezember 2008 ohnehin weitere Abklärungen bezüglich einer allfälligen Befangenheit hätte veranlassen müssen (vgl. E. 2.2 und 2.3).
2.2 Das Schreiben des Dr. med. P. vom 18. Dezember 2008 an die Vorinstanz lautet wie folgt: «Wie Sie der beigelegten Kopie entnehmen können, werde ich im Zusammenhang mit einem geplanten Gutachten im Schreiben vom 8.12.2008 von Rechtsanwältin Dr. Cristina Schiavi gefragt, ob ich Gutachten im Auftrag der SVA des Kantons Zürich sowie Gutachten im Auftrag von Versicherten gegenüber der Sozialversicherung erstattet habe. Zwecks Überprüfung einer allfälligen Befangenheit solle ich mitteilen, in welchem zahlenmässigen Verhältnis meine Gutachten im Auftrag der Sozialversicherungen zu meinen Gutachten im Auftrag der Versicherten stünden. Ich ersuche Sie hiermit, sich der Sache direkt anzunehmen. Falls die SVA Fragen an mich hat, bitte ich darum mit mir Kontakt aufzunehmen.»
2.3 Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass der vom Gericht bestellte Gutachter nicht direkt Kontakt mit der Rechtsvertreterin des Versicherten aufgenommen, sondern sich an das Gericht gewandt hat. Dieses war für die Instruktion der Streitsache zuständig und hatte ihn auch mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt. Das Angebot des Dr. med. P., falls die SVA (mithin die Beschwerdegegnerin) Fragen habe, bitte er, mit ihm Kontakt aufzunehmen, erscheint hingegen zumindest aussergewöhnlich. Es kann der Eindruck entstehen, der Gutachter unterhalte mit der Beschwerdegegnerin sehr direkte oder allenfalls persönliche Beziehungen. Ob daraus auf eine Befangenheit des Dr. med. P. geschlossen werden muss, kann vorerst offen bleiben. Die Vorinstanz hätte dieses Angebot des Dr. med. P. aber zum Anlass nehmen müssen, nachzufragen, weshalb dieser sich so geäussert hatte, und gestützt auf die Antwort das Vorliegen einer allfälligen Befangenheit prüfen müssen. Denn nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vermag die ungleiche Behandlung der Parteien durch den Gutachter unter Umständen den Anschein der Befangenheit zu erwecken (Urteil 4P.254/2006 vom 6. Dezember 2006 E. 2; vgl. auch Alfred Bühler, Beweismass und Beweiswürdigung bei Gerichtsgutachten - unter Berücksichtigung der jüngsten Lehre und Rechtsprechung, jusletter vom 21. Juni 2010, Rz. 103). Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Urteil 8C_214/2010 der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 7. Juli 2010
Stundenansatz von 104 Franken
Die Parteientschädigung für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist ausserhalb der Bandbreite von 160 bis 320 Franken willkürlich.
Sachverhalt:
Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich verpflichtete F. zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Beiträge in Höhe von 33 184.95 Franken, in solidarischer Haftung mit H. und G. Auf Einsprache von F. reduzierte die Ausgleichskasse den Schadensbetrag auf 29 345.55 Franken. Hiegegen erhoben F., H. und G. Beschwerde. Die von F. beantragte unentgeltliche Verbeiständung wurde ihm gewährt. Das Sozialversicherungsgericht hiess die Beschwerden gut und verpflichtete die Ausgleichskasse, den dreien eine Prozessentschädigung von je 800 Franken zu bezahlen. F. erhob dagegen Beschwerde, damit ihm Gelegenheit eingeräumt werde, vor der Festsetzung der Prozessentschädigung eine Honorarnote einzureichen.
Aus den Erwägungen:
3.1 Nach Art. 61 lit. g ATSG und § 34 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht vom 7. März 1993 (LS 212.81; GSVGer) hat die obsiegende Beschwerde führende Person im kantonalen Verfahren Anspruch auf Ersatz der Parteikosten, wobei diese vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen wird.
3.2 Das Bundesgericht prüft frei, ob der vorinstanzliche Entscheid hinsichtlich der Bemessung der Parteientschädigung den in Art. 61 lit. g ATSG statuierten bundesrechtlichen Anforderungen genügt. Weil die Bemessung der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren im Übrigen dem kantonalen Recht überlassen ist (Art. 61 Satz 1 ATSG), prüft das Bundesgericht darüber hinaus nur, ob die Höhe der Parteientschädigung vor dem Willkürverbot standhält. Dies gilt insbesondere mit Bezug auf den vom kantonalen Versicherungsgericht angewendeten Tarif (Urteil 9C_688/2009 vom 19. November 2009 E. 3.2.1 mit Hinweisen).
4 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe ihn vor Festsetzung der Parteientschädigung nicht angehört und die Entschädigung ermessensweise auf 800 Franken festgesetzt, was unzulässig sei. Der zeitliche Aufwand des Rechtsvertreters für seine Vertretung und jene der zwei Mitbeschwerdeführenden habe 22 Stunden und 20 Minuten betragen. Umgerechnet auf den ihm selbst zuzurechnenden Anteil, der vernünftigerweise einen Drittel des Aufwandes betrage, ergebe die zugesprochene Entschädigung ein Stundenhonorar von 104.35 Franken.
5.1 Die kantonale Instanz ist bei der Bemessung der Parteientschädigung von Bundesrechts wegen nicht an die allenfalls geltend gemachten Honoraransprüche gebunden, weshalb Art. 29 Abs. 2 BV nicht verletzt wird, wenn auf die Einholung einer Kostennote verzichtet wird (Urteil 2P.83/1998 vom 5. Januar 1999 E. 3a). Soweit der Beschwerdeführer rügt, das kantonale Gericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es keine Honorarnote seines Rechtsvertreters einholte, sind seine Vorbringen unbegründet (vgl. auch Georg Wilhelm, in: Zünd/Pfiffner (Hrsg.), Gesetz über das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, 2009, N 12 zu § 34 mit Hinweis auf SVR 2001 AHV Nr. 4 S. 12 E. 3b und c).
5.2 Nach der Rechtsprechung kann die Parteientschädigung für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht willkürfrei in einer Bandbreite von 160.- bis 320.- Franken pro Stunde (inklusive Mehrwertsteuer) festgelegt werden (SVR 2002 AlV Nr. 3 S. 5 E. 4c). Gemäss BGE 132 I 201 E. 8.7 muss das Honorar des unentgeltlichen Anwalts in der Regel mindestens bei etwa 180 Franken pro Stunde liegen.
Vorliegend war der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt worden. Der obsiegende Beschwerdeführer darf nicht schlechter gestellt werden als der unterliegende (Urteil 9C_688/ 2009 vom 19. November 2009, SVR 2010 IV Nr. 27, E. 5.2.1). Mit dem zugesprochenen Honorar von 800 Franken wäre bei einem Stundenansatz von 180 Franken somit ein Aufwand von knapp 4,5 Stunden entschädigt. Der Rechtsvertreter hat in seiner zulässigerweise (Art. 99 Abs. 1 BGG) letztinstanzlich eingereichten Kostennote für die drei Beschwerdeführenden einen Aufwand von insgesamt 22 Stunden 20 Minuten angegeben und den Betrag durch drei geteilt. Der Aufwand kann angesichts des Umfangs des Dossiers und der Bedeutung der Sache nicht als unangemessen hoch betrachtet werden. Er ist durch die zugesprochene Parteientschädigung bei weitem nicht abgedeckt. Insoweit erweist sich der vorinstanzliche Entscheid als willkürlich (vgl. Urteil C 223/05 vom 16. November 2005 E. 4.4, SVR 2006 AlV Nr. 15). Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie über die Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Parteientschädigung neu entscheidet.
Urteil 9C_338/2010 der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 26. August 2010
Arbeitsrecht
Gekündigte Kurzarbeiter haben vollen Lohn zugut
Wird einer Angestellten gekündigt, während im Betrieb Kurzarbeit herrscht, so hat sie ein Recht auf Rückerstattung der durch die Kurzarbeit erlittenen Lohneinbusse.
Sachverhalt:
Die Klägerin erklärte sich mit der von der Beklagten vorgeschlagenen Kurzarbeit einverstanden, um die Kündigung abzuwenden. Trotzdem wurde ihr schliesslich gekündigt. Gerichtlich fordert die Arbeitnehmerin nun die Rückerstattung der durch die Kurzarbeit erlittenen Lohneinbusse von der Arbeitgeberin.
Aus den Erwägungen:
1 «Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist.» (Art. 324 Abs. 1 OR)
«Kurzarbeit wird vom Arbeitgeber angeordnet, weil die Auftragslage die volle Arbeitsleistung nicht erlaubt. Dabei ist für den Arbeitnehmer erkennbar, dass der Arbeitgeber sie mit einer entsprechenden Lohnkürzung verbinden will, da sie ihm nur dann die gewünschte Einsparung bringt. Kurzarbeit kann vom Arbeitgeber nicht einseitig angeordnet werden. Vielmehr braucht es die Zustimmung der Arbeitnehmer ausdrücklich oder indem sie sich nicht zur Wehr setzen und damit den Antrag des Arbeitnehmers akzeptieren. Es empfiehlt sich, von den Arbeitnehmern eine schriftliche Zustimmung zur Kurzarbeit einzuholen, um nachträgliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Wenn der Arbeitgeber während der Kurzarbeit eine Kündigung ausspricht, muss er während der Kündigungsfrist trotzdem den vollen Lohn bezahlen, weil die Arbeitslosenversicherung keine Zahlungen erbringt, da das Ziel der Verhinderung einer Entlassung nicht mehr erreicht werden kann.
Doch selbst wenn der Arbeitnehmer der Kurzarbeit ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, kann er den ganzen dadurch erlittenen Ausfall nachträglich vom Arbeitgeber verlangen, falls ihm während oder unmittelbar nach der Kurzarbeit doch noch gekündigt wird. Der Zweck der Kurzarbeit wird auch hier nicht erfüllt, sodass die meist stillschweigende Bedingung, unter der der Arbeitnehmer zugestimmt hatte, nachträglich dahingefallen ist (so auch das Arbeitsgericht Bern in JAR 1994, Seite 125).» (Ullin Streiff / Adrian von Kaenel, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 6. Auflage 2006, N 7 zu Art. 324 OR).
Die Beklagte ordnete in Absprache mit den davon betroffenen Arbeitnehmern ab 15. März 2009 Kurzarbeit in ihrem Betrieb an. Die gesetzlich absolut zulässige Kündigung des Arbeitsvertrages mit der Klägerin erfolgte bereits am 26. Juni 2009, also noch während der Kurzarbeit.
Den eben zitierten klaren Ausführungen der Autoren Streiff / von Kaenel zum Arbeitgeberverzug und gegebenenfalls zur Lohnnachzahlungspflicht bei «fehlgeschlagener Kurzarbeit» ist nichts beizufügen. Die Beklagte hat der Klägerin somit die entstandene Lohndifferenz von dreimal 359.70 Franken (für April bis und mit Juni 2009) und einmal 179.85 Franken (für März 2009) brutto nachzubezahlen.
Urteil des Arbeitsgerichts des Kantons Solothurn vom 26. April 2010, nicht rechtskräftig
Strafprozessrecht
Untersuchungshaft muss gut begründet sein
Bei der Anordnung einer Untersuchungshaft darf der an die Begründungspflicht angesetzte Massstab nicht tief sein. Für die Annahme einer Verdunkelungsgefahr müssen konkrete Indizien genannt werden.
Sachverhalt:
X. wurde am 29. April 2010 verhaftet, weil er am 1. Mai des Vorjahres zusammen mit anderen Personen an einer Sachbeschädigung beteiligt gewesen sein soll. Wegen angeblich dringendem Tatverdacht und gleichzeitiger Kollusionsgefahr kam X. mit Verfügung vom 30. April in Untersuchungshaft. Dagegen reichte X. Beschwerde ein. Am 19. Mai wurde X. aus der Untersuchungshaft entlassen, erklärte aber dem Bundesgericht gegenüber, dass er weiterhin ein aktuelles Interesse an einem materiellen Entscheid habe.
Aus den Erwägungen:
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, sein Rechtsvertreter sei nicht an die Haftrichterverhandlung vom 30. April 2010 vorgeladen worden und habe auch keine Akteneinsicht erhalten. Damit würden Art. 5 EMRK, Art. 31 BV und § 61 StPO/ZH verletzt.
2.2 Gemäss § 61 Abs. 1 StPO/ZH gibt das Haftgericht der beschuldigten Person und ihrer Verteidigung Gelegenheit, sich zu den Vorbringen der Untersuchungsbehörde zu äussern. Es gewährt ihnen Einsicht in die von der Untersuchungsbehörde unterbreiteten Akten. Die beschuldigte Person ist auf ihr Verlangen hin persönlich anzuhören.
2.3 Bei der Hafteinvernahme durch die Staatsanwaltschaft vom 29. April 2010 gab der Beschwerdeführer auf die entsprechende Frage zu Protokoll, er habe einen eigenen Verteidiger, nämlich Marcel Bosonnet. Den gleichentags dem Haftgericht unterbreiteten Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft teilte die Staatsanwaltschaft Marcel Bosonnet aber nicht mit. Die Vorinstanz hörte den Beschwerdeführer tags darauf an, ohne jedoch dessen Rechtsvertreter über den Verhandlungstermin zu orientieren. Die angefochtene Verfügung vom 30. April 2010 stellte die Vorinstanz allerdings sowohl dem Beschwerdeführer als auch seinem Verteidiger zu.
Obwohl die Vorinstanz somit Kenntnis davon hatte, dass der Beschwerdeführer Marcel Bosonnet mit der Wahrung seiner Interessen betraut hatte, lud sie diesen nicht an die Haftrichterverhandlung vor. Sie verunmöglichte dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers damit, Einsicht in die Haftakten zu nehmen und sich zu den Vorbringen der Untersuchungsbehörde zu äussern.
Mit ihrem Vorgehen missachtete die Vorinstanz offensichtlich die Bestimmung von § 61 Abs. 1 StPO/ZH. Dieser Verstoss gegen die massgeblichen kantonalen Verfahrensvorschriften bedeutet nach dem Gesagten zugleich eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 EMRK und Art. 31 Abs. 1 BV. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Gehörsverletzungen dieser Art im Dispositiv des Haftprüfungsentscheids förmlich festzustellen und bei der Kostenverlegung mitzuberücksichtigen (vgl. Urteile BGE 1B_326/2009 vom 11. Mai 2010 E. 2.3 und 1B_166/2010 vom 14. Juni 2010 E. 2.4).
3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und des Haftgrunds der Kollusionsgefahr.
Die Vorinstanz begründet in der angefochtenen Verfügung den dringenden Tatverdacht betreffend Sachbeschädigung mit dem Hinweis auf eine DNA-Spur des Beschwerdeführers, die auf einem in der Nähe des Tatorts aufgefundenen Stofftuch sichergestellt werden konnte. Den Haftgrund der Kollusionsgefahr erachtet sie als erfüllt, da die Ermittlungen erst am Anfang stünden und Konfrontationseinvernahmen mit einem weiteren Mitbeschuldigten sowie mit Zeugen erforderlich seien. Zudem müssten Umfeldabklärungen vorgenommen und sichergestellte Datenträger und Unterlagen ausgewertet werden. Die Vorinstanz folgert, der Beschwerdeführer könnte, auf freien Fuss gesetzt, versucht sein, Zeugen unter Druck zu setzen oder sie zu falschen Aussagen zu verleiten, sich mit Mitbeteiligten abzusprechen oder weitere Beweismittel zu beseitigen.
Der Beschwerdeführer wendet in seiner Beschwerde unter anderem ein, die Tatsache, dass sich am 31. Mai 2009 - und damit rund elf Monate vor der angeordneten Untersuchungshaft - an einem in einem Abwasserschacht in der Nähe des Tatorts aufgefundenen Tuch eine DNA-Spur von ihm habe feststellen lassen, begründe keinen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der angeblichen Sachbeschädigung. Des Weiteren könnten die beiden mutmasslichen Zeugen keinen der Täter identifizieren, weshalb auch kein Bedarf für eine Konfrontationseinvernahme und keinerlei Gefahr der Beeinflussung bestehe. Ferner - so betont der Beschwerdeführer - hätte er rund ein Jahr Zeit gehabt, sich mit allfälligen Mitbeteiligten abzusprechen, so dass auch insoweit keine Verdunkelungsgefahr auszumachen sei.
3.2.1 Bei der Anordnung von Untersuchungshaft handelt es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit. Deshalb darf an die Begründungspflicht als Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör kein tiefer Massstab angesetzt werden. Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst, führt seine Verletzung in der Regel zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die Praxis lässt in Haftsachen zwar gewisse Ausnahmen zu. Eine Substitution der Begründung des angefochtenen kantonalen Entscheids ist jedoch nur möglich, wenn sich zulässige Haftgründe ohne besondere beweisrechtliche Abklärungen liquide aus den Akten ergeben. Es ist nicht die Aufgabe des Bundesgerichts in den Akten selbständig nach allfälligen ausreichenden Haftgründen zu forschen (vgl. zum Ganzen Urteil 1P.464/1996 vom 12. September 1996 E. 2c und d, in: EuGRZ 1997 S. 15).
3.2.2 Kollusion bedeutet nach der bundesgerichtlichen Praxis insbesondere, dass sich die beschuldigte Person mit Zeugen oder Mitbeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass sie Spuren und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Beschuldigte die Freiheit dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Beschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Anordnung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Solche konkreten Anhaltspunkte können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Beschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen beziehungsweise Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23, mit Hinweisen).
3.3 Im vorliegenden Fall erscheint bereits fraglich, ob ein hinreichend konkreter Tatverdacht besteht. Jedenfalls aber geht der Haftgrund der Kollusionsgefahr nicht liquide aus den Akten hervor.
Die Vorinstanz begründet nicht, welche konkreten Indizien oder Anhaltspunkte für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Zeugen, die den Beschwerdeführer identifizieren können, scheinen nicht bekannt zu sein, so dass eine erhebliche Gefahr der Zeugenbeeinflussung prima vista nicht ersichtlich ist. Ebenso wenig konkretisiert die Vorinstanz, inwiefern eine konkrete Gefahr der Absprache mit anderen Tatverdächtigen besteht, zumal der untersuchte Sachverhalt bereits ein Jahr zurückliegt. Nicht aufgezeigt wird im angefochtenen Entscheid ferner, welche Beweismittel der Beschwerdeführer trotz bereits erfolgter Hausdurchsuchung beseitigen könnte.
Die Vorinstanz verletzt damit ihre Begründungspflicht. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat in Würdigung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen zu prüfen, ob zum Verfügungszeitpunkt (30. April 2010) ausreichend konkrete Hinweise für das Bestehen eines dringenden Tatverdachts und von Kollusionsgefahr vorlagen. Ihren Entscheid wird sie eingehend zu begründen haben.
Urteil 1B_161/2010 der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 12. Juli 2010, rechtskräftig
Zivilprozessrecht
Unentgeltliche Prozessführung zu Unrecht abgelehnt
Bei der unentgeltlichen Prozessführung muss der Gesuchsteller seine Einkommensverhältnisse nicht von sich aus weiter erläutern, soweit das effektive Einkommen anhand der eingereichten Belege ermittelbar ist.
Sachverhalt:
Am 23. September 2003 erwarb X. eine Dreieinhalbzimmerwohnung zu einem Preis von 719 000 Franken. Um deren Fertigstellung führt er vor dem Kantonsgericht Schaffhausen einen Prozess gegen die Verkäufer. Nachdem er zur Leistung eines Gerichtskostenvorschusses von 8000 Franken aufgefordert worden war, stellte er ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Vertretung. Am 2. November 2009 wies das Kantonsgericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. X. rekurrierte dagegen erfolglos beim Obergericht und erhob in der Folge Beschwerde beim Bundesgericht.
Aus den Erwägungen:
1.1 Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch auf Grund von Art. 29 Abs. 3 BV. Der Beschwerdeführer ruft keine kantonale Bestimmung an, welche verletzt sein soll, weshalb die Beschwerde ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt von Art. 29 Abs. 3 BV zu beurteilen ist. Danach hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Streitig ist einzig die prozessuale Bedürftigkeit des Beschwerdeführers.
1.2 Grundsätzlich obliegt dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und so weit möglich auch zu belegen (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181f.). Soweit er seiner Beweisführungspflicht hinreichend nachgekommen ist, genügt Glaubhaftmachung der Mittellosigkeit (BGE 104 Ia 323 E. 2b S. 326). Das Bundesgericht prüft frei, ob die Kriterien zur Bestimmung der Bedürftigkeit zutreffend gewählt worden sind, wobei es seinem Urteil aber den Sachverhalt zugrunde legt, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dagegen kann eingewendet werden, die Feststellung des Sachverhalts sei offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG, und die Behebung des Mangels sei für den Ausgang des Verfahrens erheblich (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223).
1.3 Als bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV gilt eine Person dann, wenn sie die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, die für die Deckung des eigenen notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen ihrer Familie erforderlich sind. Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich nach der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs. Dazu gehören einerseits sämtliche finanziellen Verpflichtungen, andererseits die Einkommens- und Vermögensverhältnisse (BGE 135 I 221 E. 5.1 S. 223f. mit Hinweisen). Soweit das Vermögen einen angemessenen «Notgroschen» übersteigt, ist dem Gesuchsteller unbesehen der Art der Vermögensanlage zumutbar, dieses zur Finanzierung des Prozesses zu verwenden, bevor dafür öffentliche Mittel bereitzustellen sind. Die Art der Vermögensanlage beeinflusst allenfalls die Verfügbarkeit der Mittel, nicht aber die Zumutbarkeit, sie vor der Beanspruchung des Rechts auf unentgeltliche Prozessführung anzugreifen.
Insbesondere darf von einem Grundeigentümer verlangt werden, einen Kredit auf sein Grundstück aufzunehmen, soweit es noch belastet werden kann (BGE 119 Ia 11 E. 5 S. 12f.). Ist keine höhere Belastung möglich, ist zu prüfen, ob eine Veräusserung zumutbar ist. Zumutbarkeit ist anzunehmen, wenn eine gewinnbringende Veräusserung möglich ist und dazu eine angemessene Frist angesetzt wird. Bis zu deren Ablauf ist die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen (Urteile des Bundesgerichts 5A_294/2008 vom 18. August 2008; 4P.313/2006 vom 14. Februar 2007).
2 Die Vorinstanz hielt dafür, die Angaben und Belege zum behaupteten Einkommen des Beschwerdeführers von rund 2500 Franken ergäben kein schlüssiges und widerspruchsfreies Bild. Es sei nicht feststellbar, inwieweit er selbständig und wieweit er unselbständig tätig sei und welches Einkommen er in welcher Position erzielt habe. Ausserdem verfüge er mit der Eigentumswohnung über realisierbares Vermögen. Deren Kaufpreis entspreche nach Angaben des Beschwerdeführers etwa dem Verkehrswert der Liegenschaft. Deren hypothekarische Belastung betrage gemäss Steuererklärung 2008 566 500 Franken. Der Beschwerdeführer habe zwar eine Bestätigung der WIR Bank eingereicht, nach welcher eine Erhöhung der bestehende Hypothek nicht in Frage komme. Dies schliesse indessen nicht aus, dass die Liegenschaft bei einer anderen Bank weiter belehnt werden könne oder dass er bei Freunden und Verwandten Geld aufnehmen und durch Grundpfand sicherstellen könne.
3 Der Beschwerdeführer macht einerseits geltend, er sei seiner Mitwirkungspflicht durch Vorlegung diverser Unterlagen (Bedürftigkeitszeugnisse, Steuererklärung, -veranlagung und -rechnung, Arbeitsvertrag, Lohnabrechnung) hinreichend nachgekommen. Die Vorinstanz lege auch nicht dar, welche Belege er noch beizubringen hätte. Das erstinstanzliche Gericht habe denn auch sein Einkommen «punktgenau» berechnen können. Es entspreche den Tatsachen, dass sich seine berufliche Laufbahn in den letzten Jahren durch diverse Wechsel kompliziert gestaltet habe. Er habe mit Eingabe vom 21. September 2009 im kantonalen Verfahren klargestellt, dass er bis Ende 2008 selbständig gewesen sei und ab 2009 in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Dazu habe er alle Unterlagen eingereicht, aus denen sich sein Einkommen bei Gesuchseinreichung (15. Juni 2009) ergebe. Daraus sei ersichtlich, dass er ab 2009 ein monatliches Nettoeinkommen von 2677 Franken erzielt habe.
3.1 Insoweit ist die Beschwerde begründet. Nachdem das erstinstanzliche Gericht das effektive Einkommen des Beschwerdeführers anhand der eingereichten Belege zu ermitteln vermochte, war der Beschwerdeführer im Rahmen des von ihm eingereichten Rekurses nicht gehalten, von sich aus seine Einkommensverhältnisse weiter zu erläutern. Unter diesen Umständen hätte ihm die Vorinstanz im Rekursverfahren die Gelegenheit zu weiteren Erklärungen und gegebenenfalls zur Nachreichung von Belegen einräumen müssen, wenn sie die Einkommensverhältnisse für unklar erachtete. Indem die Vorinstanz dies unterliess und dennoch mangels hinreichender Substanziierung nicht auf die Angaben des Beschwerdeführers abstellte, verletzte sie seinen verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern zur Beurteilung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers weitere Belege notwendig sein sollten.
3.2 Was sein Vermögen anbelangt, führt der Beschwerdeführer aus, die unentgeltliche Prozessführung dürfe nicht mit der Begründung, er solle sich «bei Freunden oder Verwandten» Geld beschaffen, verweigert werden. Im Übrigen wären weder seine Kinder noch seine Partnerin in der Lage, die zur Führung des Prozesses nötigen Mittel aufzubringen. Im kantonalen Verfahren sei von ihm auch nie verlangt worden, bei weiteren Banken eine Erhöhung der Hypothek zu beantragen. Von sich aus weitere Banken anzugehen habe er sich nicht veranlasst gesehen, da er einerseits entsprechende Anträge für aussichtslos gehalten habe und es andererseits in aller Regel für die Annahme der Prozessarmut genüge, dass die aktuelle Bank eine Erhöhung der Hypothek ablehne. Eine zusätzliche Belastung seiner Liegenschaft sei aber schon mangels Tragbarkeit ausgeschlossen, sei doch schon die aktuelle Hypothek für den Beschwerdeführer im Verhältnis zu seinem Bruttoeinkommen von weniger als 3000 Franken kaum mehr tragbar, da daraus nach gängiger Berechnung monatliche Wohnkosten von 2200 Franken resultieren würden.
3.3 Auch diese Rügen sind begründet, zumal die Vorinstanz nicht darlegt und auch nicht notorisch ist, dass eine höhere als die bereits bestehende, beinahe achtzig Prozent erreichende Hypothek im Jahre 2009 erhältlich war. Der allgemeine Hinweis, der Beschwerdeführer könne den Prozess durch grundpfandgesichertes Darlehen von Verwandten oder Bekannten finanzieren, taugt offensichtlich nicht als hinreichende Begründung zur Ablehnung des Begehrens um unentgeltliche Prozessführung, bleibt doch offen, welche Personen im Umfeld des Beschwerdeführers zu einer Darlehensgewährung überhaupt in der Lage und bereit sein könnten. Da Prozesskosten nicht unter den im Rahmen der Verwandtenunterstützung zu deckenden notwendigen Lebensunterhalt fallen (BGE 115 Ia 193 E. 3a S. 195, mit Hinweis; zuletzt: Urteil des Bundesgerichts 5A_231/2009 vom 18. September 2009 E. 2.4), ginge die Verwandtenunterstützungspflicht dem Anspruch auf Armenrecht ohnehin nicht vor.
3.4 Bislang nicht untersucht wurde von der Vorinstanz, ob ein Verkauf der Liegenschaft des Beschwerdeführers in absehbarer Frist möglich und dabei ein Überschuss zu erwarten wäre. Auf diese von der Vorinstanz in der Vernehmlassung angesprochene Frage braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden, zumal bei allfälliger Zumutbarkeit eines Verkaufs hierfür ohnehin eine Frist zu setzen und bis zu deren Ablauf die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren wäre (vgl. E. 1.3 hiervor, am Ende). Ob im vorliegenden Falle die Zumutbarkeit eines Verkaufs nicht von vornherein zu verneinen wäre, weil Streitgegenstand gerade die Fertigstellung der im Eigentum des Beschwerdeführers stehenden Liegenschaft bildet, braucht daher nicht geprüft zu werden.
4 Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Beschwerde als begründet und ist gutzuheissen. Der angefochtenen Entscheid ist daher aufzuheben, und dem Beschwerdeführer ist für das am 17. März 2009 beim Kantonsgericht Schaffhausen anhängig gemachte Verfahren die unentgeltliche Prozessführung zu erteilen und Fürsprecher Gregor Marcolli als unentgeltlicher Rechtsbeistand beizugeben.
Urteil 4A_294/2010 der I. zivilrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 2. Juli 2010
Schiedsrichter zu Recht als befangen abgelehnt
Ein vertraglich ernannter Schiedsrichter ist gleichzeitig ein Organ derjenigen Firma, welche einer der beiden Vertragsparteien ein Darlehen im Zusammenhang mit der Streitsache gewährte. Damit ist die richterliche Unabhängigkeit des Schiedsrichters in Frage gestellt.
Sachverhalt:
A. X. und B. Y. schlossen am 31. Juli 2002 einen Vertrag zur Übertragung eines Notariatsbüros. Für den Fall von Vertragsstreitigkeiten verpflichteten sich die Parteien, Z. als Schiedsrichter anzurufen. Als im Jahr 2007 B. Y. aufgrund einer Vertragsstreitigkeit Z. als Einzelschiedsrichter anrief, reichte A. X. ein Ablehnungsbegehren gegen Schiedsrichter Z. ein, das er mit der geschäftlichen Verbindung von B. Y. mit dem Einzelschiedsrichter begründete. Das Obergericht des Kantons Aargau wies das Ausstandsbegehren ab. Mit einer weiteren Eingabe verlangte A. X. wiederum den Ausstand von Z., weil die Z. AG - deren Verwaltungsratspräsident Z. sei - B. Y. ein Darlehen von 100 000 Franken gewährt habe. Auch dieses Begehren wies das Obergericht mit Urteil vom 3. Februar 2010 ab. Dagegen erhob A. X. Beschwerde beim Bundesgericht.
Aus den Erwägungen:
2 Der Beschwerdeführer bringt unter Berufung auf Art. 18 Abs. 1 KSG in Verbindung mit Art. 34 Abs. 1 BGG sowie sowie Art. 30 Abs. 1 BV vor, die Vorinstanz habe einen Ablehnungsgrund zu Unrecht verneint.
2.1 Die Vorinstanz hielt fest, es sei im Verfahren unbestritten geblieben, dass die Z. AG der Beschwerdegegnerin im Juli 2005 ein Darlehen über 100 000 Franken gewährt habe; dies ergebe sich auch aus dem vom Beschwerdeführer eingereichten schriftlichen Darlehensvertrag. Es sei auch nicht bestritten, dass der Schiedsrichter als Vizepräsident des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft mit Einzelunterschrift amte. Der Beschwerdeführer habe die Darstellung des Schiedsrichters in der Verfügung vom 22. Mai 2009, wonach dieser keine Aktien der Gesellschaft besitze, jedoch nicht bestritten. Ein besonderes persönliches, indirektes wirtschaftliches Interesse des Schiedsrichters an diesem Darlehen und insbesondere an dessen Rückzahlung bestehe somit nicht.
Zudem treffe zwar zu, dass eine Gutheissung der Klage der Beschwerdegegnerin - unter der Voraussetzung, dass die aus einem Urteil fliessenden Verpflichtungen auch erfüllt würden - die Zahlungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin verbessern würde und damit im Interesse der Z. AG als Darlehensgläubigerin liege. Dieses Interesse sei jedoch nicht vergleichbar mit dem Interesse der unmittelbar Verfahrensbeteiligten am Prozessausgang. Es sei auch «sehr viel geringer und anderer Qualität» als das Interesse einer nicht verfahrensbeteiligten Person, die sich wegen weiterer rechtlicher Verknüpfungen bei einem bestimmtem Verfahrensausgang unmittelbar damit konfrontiert sehe, für die einer Partei mit dem Urteil auferlegten Pflichten einstehen zu müssen.
Hinsichtlich der Umstände der Darlehensgewährung durch die Z. AG hielt die Vorinstanz fest, es sei zwar naheliegend, dass die Gewährung des Darlehens durch die Gesellschaft im Zusammenhang damit stehe, dass der Einzelschiedsrichter und die Beschwerdegegnerin miteinander bekannt seien und in geschäftlicher Beziehung stünden. Dies reiche jedoch nicht aus, um den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit zu erwecken.
2.2 Nach Art. 18 Abs. 1 KSG können die Parteien die Schiedsrichter aus den im OG genannten Gründen für die Ausschliessung und Ablehnung der Bundesrichter sowie aus den in einer von ihnen anerkannten Schiedsordnung oder in der Schiedsabrede vorgesehenen Gründen ablehnen. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog und auch die Parteien nicht in Frage stellen, ist die Bestimmung nach Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes als Verweis auf die in Art. 34 BGG genannten Ausstandsgründe auszulegen (so auch Berger/Kellerhals, Internationale und interne Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, Bern 2006, Rz. 787). Art. 34 BGG beinhaltet eine Konkretisierung von Art. 30 Abs. 1 BV, wonach jede Person Anspruch darauf hat, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird (Urteil 2C_755/2008 vom 7. Januar 2009; vgl. auch BGE 4A_118/2010; BGE 135 I 14; je mit Hinweisen).
Nach Art. 34 Abs. 1 lit. a BGG hat eine Gerichtsperson unter anderem dann in Ausstand zu treten, wenn sie in der Sache ein persönliches Interesse hat. Dazu gehören nicht nur Interessen, welche die Gerichtsperson direkt, sondern auch solche, die sie indirekt betreffen (Florence Aubry Girardin, in: Commentaire de la