«Mit den umstrittenen Wegweisungsverfügungen wird den Beschwerdeführern weder das Begehen und die Benützung des bezeichneten Perimeter-Areals noch der Zugang zu den Zügen und den Bahnhofeinrichtungen (etwa Schalter und Läden) verwehrt.
Ausschlaggebend ist vielmehr, dass sich die Beschwerdeführer in Gruppen zusammengefunden haben, die dem Alkohol erheblich zugesprochen haben, mit Abfall und Unrat grosse Unordnung hinterlassen, grossen Lärm verursacht und damit ein Verhalten an den Tag gelegt haben, an welchem zahlreiche Passanten Anstoss genommen haben. Solche Erscheinungen sind geeignet, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden oder zu stören. Das öffentliche Interesse kann es gebieten, das den öffentlichen Raum benützende Publikum und die Passanten vor derartigen Erscheinungen zu bewahren. Es rechtfertigt sich daher im Grundsatz, entsprechende Vorkehren zu treffen und Gruppen, von denen die Gefährdungen und Störungen ausgehen, wegzuweisen und fernzuhalten. An der Bejahung des öffentlichen Interesses an den umstrittenen Massnahmen ändert auch der Umstand nichts, dass dem Begriff der Gefährdung und Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eine subjektive Komponente anhaftet.
Was wie im vorliegenden Fall bei mehreren Passanten Anstoss erregte oder gar zu Verunsicherung und Angstgefühlen führt, kann bei objektivierter Betrachtung als Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verstanden werden, der zu begegnen im öffentlichen Interesse liegt.
Die Gefährdung und Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wird nicht im blossen Umstand des Vorhandenseins einer Ansammlung von Personen erblickt. Sie stehen vielmehr in unmittelbarem Zusammenhang mit den Auswirkungen, die von Personenansammlungen, in denen in beträchtlichem Ausmass Alkohol konsumiert wird, regelmässig und erfahrungsgemäss ausgehen.»
Die Frage, was als Verstoss gegen die Verfügung vom 11. April 2005 gilt, kann die Kammer nach dem Entscheid des Bundesgerichts nicht einzig aufgrund des Wortlauts der Verfügung beurteilen. Vielmehr hat sie dazu auf die zitierten Erwägungen des Bundesgerichts zu Art. 29 Abs. 1 Bst. b PolG abzustellen. Es genügt also nicht, dass die Angeschuldigte sich am 27. Juni 2005 und am 7. Juli 2005 in Personenansammlungen im Perimeter A aufhielt, in welchem Alkohol konsumiert wurde. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Gruppe dem Alkohol erheblich zugesprochen hat, ob sie mit Abfall und Unrat eine grosse Unordnung hinterlassen oder grossen Lärm verursacht hat oder sonst wie ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das die Passanten verunsichert oder verängstigt und sie gar zum Ausweichen veranlasst hat.
b) In den Anzeigen vom 7. Juli 2005 wird jedes Mal ausgeführt, zu erwähnen sei, dass mehrere Passanten sichtlich Anstoss am Benehmen der Personen in den Personenansammlungen genommen hätten. Polizist X. erklärte zu der Personenansammlung vom 27. Juni 2005, er könne nicht sagen, ob es Lärm oder Unrat gegeben habe. Wenn es so wäre, hätte er es in der Anzeige geschrieben. Er führe Besonderheiten in den Anzeigen auf, zum Bespiel wenn sich Passanten beschweren. Polizist Y. erklärte zu den Personenansammlungen vom 7. Juli 2005, er wisse nicht mehr, wie es bei der Kontrolle vor Ort ausgesehen, ob Unrat herumgelegen habe, ob es lärmig gewesen und ob getrunken worden sei.
Als Zwischenergebnis ist demnach festzuhalten, dass die als Zeugen einvernommenen Polizisten sich an keine Vorkommnisse in und um die Personenansammlungen erinnern können, die geeignet gewesen wären, die Passanten zu entsetzen, zu verunsichern oder gar zu ängstigen. Aufgrund der Aussage des Polizisten X., wonach er in der Anzeige geschrieben hätte, wenn es solche Auswirkungen gegeben hätte, muss die Kammer wenigstens bezüglich der Personenansammlung vom 27. Juni 2005 sogar davon ausgehen, dass es effektiv keine solchen Auswirkungen gab. Allein schon deswegen fehlt es an der erforderlichen Beweisgrundlage, um im Lichte der vorerwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung in concreto einen Schuldspruch wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung ins Auge zu fassen.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Anzeigen standardisiert verfasst wurden und kaum wiedergeben, was rund um die Personenansammlungen tatsächlich geschah, erkennt die Kammer darin, dass die einvernommenen Polizisten X. und Y., entgegen den Angaben in den Anzeigen, wonach die Angeschuldigte einer Personenkontrolle unterzogen worden sei und danach von der Verzeigung Kenntnis erhalten habe, erklärten, dass die Angeschuldigte sich bei einer drohenden Kontrolle immer schnell aus der Personenansammlung entfernte und sie wohl keine Personenkontrolle durchgeführt hätten, da sie die Angeschuldigte ohnehin bereits kannten.
c) Im Einklang mit vorstehendem Zwischenergebnis stehen die Aussagen der Angeschuldigten und ihres Freundes zu den Personenansammlungen vom 27. Juni und 7. Juli 2005. Wenngleich deren Motivationslage und Interesse am Ausgang des Strafverfahrens nicht verkannt werden, dürfen ihre zu Protokoll gemachten Angaben nicht ohne weiteres als unglaubhaft oder als reine Schutzbehauptungen abgetan werden: Der als Zeuge einvernommene Freund der Angeschuldigten sagte zu der Personenansammlung vom 27. Juni 2005 aus, es sei in der Personenansammlung vielleicht schon ein Bier getrunken worden. Die Gruppe habe aber keine Sauerei gemacht. Sie sei ruhig gewesen. Passanten hätten sich nicht nach ihnen umgedreht und sich nicht gestört gefühlt.
Zu den Personenansammlungen vom 7. Juli 2006 führte er aus, dass in diesen Alkohol getrunken worden sei. Sonst sei es aber normal gewesen. Man habe sich nur dort getroffen. Es habe keinen Dreck und keinen Lärm gegeben. Sie entfernten sogar selbst Dreck von anderen Personen. Die Angeschuldigte selbst gab bei ihrer ersten Einvernahme an, am 27. Juni 2005 sei in der Personenansammlung ausser Alkohol konsumieren nichts passiert. Es sei sicher kein Lärm verursacht worden. Zu den Personenansammlungen vom 7. Juli 2005 sagte sie, es sei kein Lärm verursacht worden. An einen Streit könnte sie sich erinnern.
d) Aufgrund der Aussagen der Angeschuldigten, ihres Freundes und der Polizisten X. und Y. ist es für die Strafkammer im Ergebnis jedenfalls nicht erstellt, dass über den blossen Alkoholkonsum hinaus die Personenansammlungen, in denen sich die Angeschuldigte befand, mit Abfall grosse Unordnung hinterlassen, grossen Lärm verursacht oder sonst wie ein Verhalten an den Tag gelegt haben, an dem zahlreiche Passanten Anstoss nahmen oder das sie verunsichert oder verängstigt oder gar zum Ausweichen veranlasst hätte. Nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» muss die Angeschuldigte freigesprochen werden.
(Urteil 2006/290/HEG vom 9. Oktober 2006 der 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern, rechtskräftig)
Verwaltungsrecht
Gemeinde muss Einbürgerungen vorantreiben
Der Regierungsrat des Kantons Luzern schiebt der Praxis der Gemeinde Littau einen Riegel, pro Jahr nur 45 Einbürgerungsgesuche zu behandeln. Eine Frau hätte sechs Jahre auf die Behandlung ihres Gesuchs warten müssen.
Sachverhalt:
Am 11. März 2004 reichte eine Frau in Littau (Luzern) ein Einbürgerungsgesuch ein. Am 29. Juni 2005 teilte ihr die Gemeinde mit, wegen einer überparteilichen Vereinbarung würden pro Jahr dreimal 15 Gesuche (rund 120 Personen) bearbeitet und dem Einwohnerrat zur Abstimmung unterbreitet. Ihr Gesuch werde in der dritten Tranche 2010 bearbeitet. Die Frau erhob Beschwerde wegen Rechtsverzögerung und Rechtsverweigerung mit dem Ersuchen, der Vorinstanz eine maximale Frist von rund einem Jahr anzusetzen, um ihr Einbürgerungsgesuch zu entscheiden.
Aus den Erwägungen:
7. Zu den durch die Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV) gewährleisteten Verfahrensgarantien gehört laut Art. 29 Abs. 1 BV auch das Recht auf Beurteilung innert angemessener Frist. Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung liegt vor, wenn eine Behörde untätig bleibt oder das gebotene Handeln über Gebühr hinauszögert, obschon sie zum Tätigwerden verpflichtet wäre.
Der Zeitraum, der für die Beurteilung der Verfahrensdauer relevant ist, beginnt in Verwaltungssachen mit der Einreichung des entsprechenden Gesuches bei der zuständigen Behörde. Schreibt das Gesetz eine Frist oder einen Zeitraum vor, innerhalb dessen eine Behörde zu entscheiden hat, verstösst eine Überschreitung dieser Frist gegen das Verbot der Rechtsverzögerung. Bestehen keine entsprechenden gesetzlichen Fristen, ist die Grenze der zulässigen Verfahrensdauer unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände des Einzelfalles festzulegen. Wesentliche Umstände stellen die Schwierigkeiten und der Umfang der Sache dar, ihre Dringlichkeit und Bedeutung für die Parteien, die Art der Behandlung durch die Behörden und das Verhalten der Parteien. Je umfangreicher sich ein Fall gestaltet, desto längere Zeit darf seine Beurteilung in Anspruch nehmen. Je grundlegender der Verfahrensausgang den Rechtsuchenden betrifft, umso schwerer wiegt der Anspruch auf beförderliche Erledigung. Die personellen und sachlichen Mittel der befassten Behörde sind ebenfalls mit einzubeziehen, doch rechtfertigen sie länger dauernde Wartezeiten oder wesentliche Überschreitungen von Ordnungsfristen nicht.
Die Gemeinwesen sind ihren Bürgerinnen und Bürgern gegenüber zur Gewährung eines ordnungsgemässen Verwaltungsverfahrens verpflichtet. Den Gesetzgeber trifft die Pflicht, die Verwaltung so zu organisieren, dass die Behörden ihre Verfahren innert angemessener Frist abschliessen können. Chronische Arbeitsüberlastung oder Personalmangel können eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Im Verwaltungsverfahren darf der Betroffene darauf vertrauen, dass die zuständigen Behörden die ihnen zustehende aktive Rolle richtig ausüben, um innert nützlicher Frist zu einem Entscheid zu gelangen. Es genügt zur Bejahung der Rechtsverzögerung, wenn die ungebührliche Verzögerung aus objektiven Gründen der Behörde zur Last fällt (Urteil des Bundesgerichts 5A.35/2005 vom 18. April 2006 E. 2, BGE 119 Ib 311 E. 5, S. 323 ff.; 110 Ib 332 E. 2c, S. 336; 107 Ib 160 E. 5c, S. 165; 103 V 190 E. 5c; LGVE 1997 II Nr. 43; Entscheid des Verwaltungsgerichts Baselland vom 4. März 1992 Nr. 21; BVR 1992 S. 457 f.; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, 3. Auflage, S. 504 ff.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N 63 ff. zu Art. 49).
8. Ob ein Verfahren ungebührlich lange dauert und daher das Beschleunigungsgebot laut Artikel 29 Absatz 1 BV verletzt wird, muss also am konkreten Fall geprüft werden. Vorliegend geht es um ein Einbürgerungsgesuch, welches seit dem 11. März 2004 hängig ist. Der Beschwerdeführerin wurde eine Behandlung ihres Gesuches durch die Einbürgerungskommission im Herbst 2010, das heisst sechs Jahre nach Gesuchseinreichung in Aussicht gestellt. Der hier für eine allfällige Rechtsverzögerung zu beurteilende relevante Zeitraum von der Gesuchseinreichung bis zum Entscheid umfasst somit über sechs Jahre.
a) Von Gesetzes wegen ist für Einbürgerungen keine bestimmte Verfahrensdauer vorgeschrieben, weder im kantonalen noch im Bundesrecht finden sich dazu Vorschriften. Eine fixe Verfahrensdauer vorzuschreiben wäre auch nicht sinnvoll, da von Gemeinde zu Gemeinde verschiedene Einbürgerungsverfahren zur Anwendung kommen. Trotzdem kann es zur Entscheidfindung beitragen, wenn man sich vorab einen Überblick darüber verschafft, was in der Rechtsprechung und Praxis als eine angemessene Dauer für ein Einbürgerungsverfahren angesehen und für welche Verfahren welche Dauer angestrebt wird.
b) Wie sich aus den Protokollen der Einwohnerrats- und Bürgerrechtskommissionssitzungen von Littau ergibt, waren sich die zuständigen Behörden darüber im Klaren, dass man sich der Gefahr einer Rechtsverzögerungsbeschwerde aussetzt, wenn die Gesuche nicht im notwendigen zeitlichen Rahmen behandelt werden. Bereits im Jahre 2001 stauten sich die Gesuche bei der Bürgerrechtskommission. Aus den Akten ist ersichtlich, dass die Bürgerrechtskommission zunächst eine Verfahrensdauer von einem Jahr anstrebte, dass man dann aber aufgrund der Befürchtung, dass bei einer solchen Verfahrensdauer mehr Einbürgerungsgesuche gestellt würden, auf eine längere Verfahrensdauer einschwenkte.
d) In BGE 130 I 140 E. 4.2, S. 147 hat sich das Bundesgericht beiläufig zur Behandlungsdauer von Einbürgerungsgesuchen geäussert. Es hielt fest, dass die Gemeinden verpflichtet seien, die bei ihnen hängigen Einbürgerungsverfahren innert angemessener Frist zu entscheiden, um keine Rechtsverweigerung zu begehen. Dabei sei zu bedenken, dass die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung, die Voraussetzung für die Einbürgerung auf Kantons- und Gemeindeebene sei, auf drei Jahre befristet sei (Art. 13 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts vom 29. September 1952; SR 141.0). Diese Richtlinie spielt vor allem in Kantonen eine Rolle, welche zuerst die Bundesbewilligung beantragen und erst dann in Gemeinden und Kanton über die Einbürgerung beschliessen. Im Kanton Luzern wird hingegen zuerst geprüft, ob Gemeinde und Kanton die Einbürgerung bewilligen können und erst dann wird beim Bund die Einbürgerungsbewilligung eingeholt.
9. Allgemein zeigt sich, dass eine Dauer des Einbürgerungsverfahrens auf Gemeindestufe von bis zu ungefähr einem Jahr als normal gilt. Drei Jahre sind schon als lange zu bezeichnen, jedenfalls wenn es nur um die Dauer der ersten Stufe des Verfahrens, d.h. vorab die Erteilung des Gemeindebürgerrechts, geht. Eine Verfahrensdauer von sechs Jahren ist ein Vielfaches dessen, was allgemein als angemessene Verfahrensdauer gilt, und wäre als Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot in Artikel 29 Absatz 1 BV zu werten, falls dafür keine sachlichen Gründe vorgebracht werden könnten.
10. Als wesentliche Umstände, die einen Einfluss auf die Länge des Verfahrens haben können, gelten die Schwierigkeit und der Umfang der Sache, ihre Dringlichkeit und Bedeutung für die Parteien, die Art der Behandlung durch die Behörden und das Verhalten der Parteien.
a) An der Sitzung des Einwohnerrates von Littau vom 7. November 2001 wurde ausgeführt, dass der Gemeinderat im neuen Richtlinienprogramm der Aufarbeitung der Einbürgerungsgesuche einen grossen Stellenwert gebe. Es scheine, dass die Gemeinde Littau wieder einmal den Turbo bei den Einbürgerungen zünde.
In der heutigen Zeit wäre das jedoch ein grosser Fehler, da man in den umliegenden Agglomerationsgemeinden mit den Einbürgerungen viel zurückhaltender umgehe. Es sei zu befürchten, dass, wenn man in Littau weiter so schnell einbürgere, sehr viele Einbürgerungswillige und vor allem Problemfälle in die Gemeinde Littau ziehen würden, um hier das Gesuch zu stellen. Man fordere daher, dass der Einwohnerrat im Maximum pro Jahr Gesuche von 40–50 Personen behandle. An der Einwohnerratssitzung vom 13. März 2002 wurde festgehalten, dass mittlerweile zwei Sitzungen mit der Bürgerrechtskommission und den Fraktionen stattgefunden hätten, mit dem Ziel, das weitere Vorgehen abzusprechen. Die Hauptaussagen daraus seien, dass der Pendenzenberg nicht abgebaut werden könne und es keinen Stopp, sondern ein dosiertes Weiterbearbeiten der Gesuche gebe. Es sei einstimmig verabschiedet worden, dass man dreimal im Jahr Einbürgerungsvorlagen mit rund je 15 Gesuchen behandeln werde.
b) Anhand der Einwohnerratsprotokolle sowie der Vernehmlassung des Gemeinderates lassen sich zwei Begründungen für die lange Dauer des Einbürgerungsverfahrens finden: die Abschreckungswirkung auf Gesuchstellende und die Möglichkeit, Gesuche seriös zu bearbeiten.
aa) Mit dem Ziel, weniger Einbürgerungsgesuche zu erhalten, sowie Einbürgerungswillige aus Littau fernzuhalten, darf die Behandlung von Einbürgerungsgesuchen nicht verzögert werden. Das für die Einbürgerung zuständige Organ hat sich unter anderem an den Beschleunigungsgrundsatz von Artikel 29 Absatz 1 BV zu halten. Es ist verpflichtet, Gesuche, für deren Bearbeitung es zuständig ist, auch zu bearbeiten und zwar innert angemessener Zeit.
Die ausländischen Einwohnerinnen und Einwohner von Littau haben das Recht, beim Einwohnerrat ein Gesuch um Einbürgerung einzureichen. Diesem ist es nicht erlaubt, Gesuchstellende von der Ausübung eines ihnen zustehenden Rechtes durch eine lange Behandlungsdauer abzuhalten.
bb) Die seriöse Bearbeitung der Einbürgerungsgesuche darf eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Es ist aber unzulässig, weil man nicht mehr Gesuche bearbeiten möchte, die Gesuche einfach nicht schneller zu behandeln, obwohl man dies eigentlich mit gleicher Seriosität tun könnte.
c) Um eingebürgert zu werden, muss die gesuchstellende Person eine gewisse Zeit in der Einbürgerungsgemeinde gewohnt haben. Die Erfüllung der gesetzlichen Wohnsitzvoraussetzungen stellt einen weiteren Grund dar, der für die beförderliche Behandlung der Gesuche spricht: Gemäss den §§ 12 f. BüG müssen Einbürgerungswillige in den letzten fünf Jahren vor der Gesuchseinreichung während insgesamt dreier Jahre und unmittelbar vor der Einbürgerung während mindestens eines Jahres ununterbrochen in der Einbürgerungsgemeinde gewohnt haben. Das bedeutet im Verfahren der Vorinstanz, dass es den gesuchstellenden Personen praktisch auf über sieben Jahre hinaus verunmöglicht wird, ihren Wohnsitz zu wechseln. Würden sie den Wohnsitz trotzdem vor dem Entscheid über ihr Gesuch wechseln, müssten sie wiederum drei Jahre warten, bis sie ein neues Einbürgerungsgesuch in einer anderen Luzerner Gemeinde stellen könnten. In sechs Jahren kann sich aber die persönliche Situation einer Person stark verändern. So wird auf dem Arbeitsmarkt immer mehr Flexibilität erwartet.
Gerade bei jungen Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern ist es gut möglich, dass sie eine Arbeitsstelle in einer Entfernung zu ihrem Wohnort antreten wollen respektive müssen, die einen unzumutbaren Arbeitsweg zur Folge hat, oder dass sie aus persönlichen Gründen ihren Lebensmittelpunkt an einen andern Ort verlegen möchten. Diese Flexibilität wird durch ein hängiges Einbürgerungsgesuch beschränkt. Weiter führt eine lange Behandlungsdauer dazu, dass die bei Einreichung des Gesuchs beigelegten Dokumente (Strafregisterauszug, Betreibungsregisterauszug, Familienschein) vermehrt Veränderungen unterliegen. Dieselben Dokumente müssen also ein zweites Mal eingereicht werden, was finanzielle Folgen für die Gesuchstellenden hat und einen Mehraufwand für die Behörden bedeutet.
d) Im vorliegenden Fall liegen keine speziellen Gründe vor, die ein überdurchschnittlich langes Verfahren rechtfertigen könnten. Die Gesuchstellerin ist Schülerin und lebt noch bei ihren Eltern. Besondere Schwierigkeiten, die langwierige Abklärungen bedingen würden, sind aus den Akten jedenfalls nicht ersichtlich.
11. Eine Behandlungsfrist für Einbürgerungsgesuche von über sechs Jahren ist nicht zu rechtfertigen. Aus den in Erwägung 8 angeführten Vergleichszahlen zeigt sich, dass ein Einbürgerungsverfahren auf Gemeindeebene längstens ein bis drei Jahre dauern sollte, drei Jahre dabei aber schon als lange zu bezeichnen sind. Ein Einbürgerungsgesuch, das keine besonderen Schwierigkeiten bietet, sollte daher innerhalb dieser Fristen behandelt werden können. Ist eine Behandlung der Einbürgerungsgesuche innert angemessener Zeit mit den momentanen personellen Mitteln oder dem bestehenden Verfahren nicht möglich, ist ein Gemeinwesen verpflichtet, Änderungen vorzunehmen, so dass den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren genügt werden kann.
d) Wenn es sich wie hier im Rahmen einer Einzelfallprüfung zeigt, dass es sich beim gerügten Verfahren um ein insgesamt rechtswidriges Verfahren handelt, das viele Personen betrifft, ist es angezeigt, dass der Regierungsrat aufgrund seiner Aufsichtsfunktion über den Einzelfall hinaus eine Weisung erteilt, mit dem Zweck, dass in der Gemeinde ein rechtsstaatlich korrektes Einbürgerungsverfahren eingeführt wird. Die Vorinstanz ist folglich anzuweisen, ihr Einbürgerungsverfahren so zu organisieren, dass eine Gesuchsbehandlung innert angemessener Frist (siehe E. 11) möglich ist. Bereits hängige Einbürgerungsgesuche sind innert angemessener Frist zu behandeln und zu entscheiden.
(Entscheid Protokoll-Nr. 1222 des Regierungsrats des Kantons Luzern vom 3. November 2006)
Strafvollzug
Fachkommission muss Anhörung durchführen
Weil sich die Vollzugsbehörde kaum je den Empfehlungen der Fachkommission widersetzt, hat die Fachkommission bei ihrer Entscheidfindung gewisse rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten. Vor allem hat sie das rechtliche Gehör zu gewähren.
Sachverhalt:
Ein Mann gab am 22. April 2000 mehrere Schüsse auf seine Familienmitglieder ab und verletzte dabei seine Ehefrau und seine beiden Söhne. Der Mann wurde vom Strafgericht Basel-Landschaft unter anderem der mehrfachen versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig gesprochen und zu einer Zuchthausstrafe von 5 Jahren verurteilt. Am 25. August 2003 stellte der Mann das Gesuch, ihn nach zwei Dritteln der Strafe am 22. Dezember 2003 bedingt zu entlassen. Die Justiz-, Polizei- und Militärdirektion (JPMD) wies das Gesuch ab. Der Mann erhob dagegen erfolglos Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. Danach erhob er gegen diesen regierungsrätlichen Beschluss Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. Er machte unter anderem geltend, die Vorinstanz habe sich bei der Beurteilung der Gemeingefährlichkeit massgeblich auf eine Empfehlung der zuständigen Interkantonalen Fachkommission zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit von Straftätern abgestellt, die ihren Bericht verfasst habe, ohne ihn vorher anzuhören.
Aus den Erwägungen:
11. Bevor die Beschwerde bezüglich der Nichtgenehmigung der bedingten Entlassung inhaltlich geprüft werden kann, ist zu untersuchen, ob das bisherige Verfahren den rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt hat, insbesondere, ob das Recht angehört zu werden, gewahrt wurde.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne einer mündlichen oder schriftlichen Anhörung des Betroffenen ist zwar im Rahmen des Verfahrens vor der Fachkommission nicht explizit gewährleistet. Zwar könnte man diesen Ausschluss durch die Tatsache rechtfertigen, dass das Verfahren vor der Fachkommission nicht zu einem Entscheid, sondern lediglich zu einer Empfehlung für die verfügende Behörde führt. Dem steht allerdings entgegen, dass die Garantie des rechtlichen Gehörs ein fundamentales Recht des Einzelnen darstellt, das immer dann beachtet werden muss, wenn eine Person vom Ausgang eines Verfahrens betroffen ist (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz. 3. Auflage, Bern 1999, S. 509). Dies gilt im Grundsatz unabhängig davon, wie das betreffende Verfahren ausgestaltet ist und ob Sachverständige oder Fachkommissionen hinzugezogen werden oder nicht.
b) Den Verfahrensgrundsätzen liegt der Gedanke der Fairness zugrunde (siehe etwa BGE 124 IV 40 f. E. 3c; 123 I 91 E. 4a; 122 V 163 f. E. 2; 119 Ia 83 f. E. 3). Dementsprechend garantieren Art. 29 ff. BV Aspekte «fairer gerichtlicher und administrativer Verfahren» (Müller J. P., a. a. O., S. 493). Zum Erfordernis eines fairen Verfahrens gehört vor allem, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (BGE 113 Ia 315 E. 3d). Dieses Gebot der Fairness des Verfahrens beinhaltet insbesondere den Anspruch auf persönliche Teilnahme am Verfahren, das Recht auf Waffengleichheit und den Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 122 V 163 f. E. 2b).
c) Die Fachkommission wurde geschaffen, um die Praxis bei der Erkennung, Beurteilung, Behandlung und Unterbringung von gemeingefährlichen Straftäterinnen und Straftätern zu vereinheitlichen (siehe Ziff. 1.1 der Richtlinien des Strafvollzugskonkordats der Nordwest- und Innerschweiz [fortan: Richtlinien]).
Sie setzt sich gemäss Ziff. 2.2 der Richtlinien aus Experten und Expertinnen aus den Bereichen Strafverfolgung/Justiz, Vollzug, Psychiatrie und Opferhilfe zusammen. Sie wird tätig, wenn die Frage der Gemeingefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern im Rahmen konkreter Vollzugsentscheidungen zu klären ist (Ziff. 3.1 und Ziff. 3.5 Abs. 1 der Richtlinien). Gemäss Ziff. 3.2 Abs. 3 hat die Fachkommission gegenüber den sie anrufenden Einweisungs- oder Vollzugsbehörden beratende Funktion betreffend die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit und die allenfalls angezeigten Massnahmen. Sie trifft mit anderen Worten lediglich Empfehlungen (siehe Ziff. 3.2 Abs. 4).
d) Fachkommissionen entscheiden nicht im rechtsfreien Raum, sondern übernehmen eine staatliche Funktion, selbst wenn ihre Verlautbarungen rechtlich nicht verbindlich und «soft law» sind. Faktisch jedenfalls wird sich die Vollzugsbehörde wohl nur in den seltensten Fällen einer Empfehlung widersetzen. Ihnen kommt zumindest Entscheidungscharakter zu beziehungsweise sie stellen Entscheidungsgrundlagen dar, deren Erkenntnisse unmittelbar in die Entscheidung der JPMD einfliessen. So hat denn auch im vorliegenden Fall die JPMD in ihrer Verfügung vom 10. März 2004 massgeblich auf die Empfehlung der Fachkommission abgestellt. Damit bekommt sie normative Wirkung.
e) Die Fachkommission hat bei der Entscheidfindung gewisse rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten. Laut Ziff. 3.6 der Richtlinien haben die Mitglieder, die mit einem zu beurteilenden Täter in anderer Funktion bereits zu tun hatten oder bei denen sonst wie ein Ausstandsgrund laut Rechtsordnung ihres Kantons vorliegt, bei Beratung und Beschlussfassung in den Ausstand zu treten. Auch kann nach Ziff. 3.8 der Richtlinien der Betroffene in das Verfahren vor der Fachkommission einbezogen werden. Selbst Anwälte sind als Begleitpersonen zugelassen, wobei ihnen keine Parteirechte zukommen.
Dagegen können laut Ziff. 3.7 der Richtlinien die Vollzugsbehörden und Vollzugsinstitutionen verlangen, von der Fachkommission angehört zu werden. Die Fachkommission kann bei diesen Stellen weitere Informationen einholen oder auch weitere Sachverständige beiziehen.
f) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die rechtsanwendenden Behörden im Rechtsstaat nicht Handlungskompetenz an andere Organe delegieren dürfen, ohne dass sichergestellt ist, dass diese Organe – sei es in Form von Sachverständigen, sei es in Form von Kommissionen oder dergleichen – zumindest gewisse zentrale rechtsstaatliche Grundsätze, wie sie für alle Behörden und für alle Träger staatlicher Aufgaben und Funktionen gelten, einhalten. Ein Minimalstandard an rechtsstaatlichen Grundsätzen gilt somit auch für Kommissionen, wenn ihnen faktisch Entscheidungskompetenz zukommt und sie im Gefüge staatlicher Funktionen eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Zu diesem Minimalstandard zählt unbestritten die Garantie des rechtlichen Gehörs.
12.a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert dem Einzelnen, in allen Verfahren staatlicher Einzelfallentscheidungen mitzuwirken, soweit der in Frage stehende Hoheitsakt ihn belasten könnte (BGE 127 I 56 E. 2b; 127 I 215 f. E. 3a; Müller J. P., a. a. O. S. 509 f.). Die Garantie des rechtlichen Gehörs hat für das rechtsstaatliche Verfahren eine zentrale Bedeutung.
b) Zum gefestigten Bestand des rechtlichen Gehörs zählen in Rechtsprechung und Lehre die Ansprüche auf vorgängige Stellungnahme, Anhörung und Berücksichtigung der Vorbringen, der Anspruch auf Teilnahme am Beweisverfahren unter Einschluss des Rechts, Beweisanträge zu stellen, das Recht auf Akteneinsicht, der Anspruch auf Ausschöpfung der Kognition sowie auf einen begründeten Entscheid und schliesslich das Recht, sich verbeiständen und vertreten zu lassen (Überblick bei Müller J. P., a. a. O., S. 509 ff.; Georg Müller, Art. 4 aBV, in: Kommentar zur Bundesverfassung, Basel/Bern/Zürich 1987, Rz.98 ff.; Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Bern 2000, S. 202 ff.).
c) Zum rechtlichen Gehör gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 56 E. 2b; 126 I 21 E. 2a; 124 I 241 E. 2; 123 I 66 E. 2a; 123 II 183 f. E. 6c; 122 I 55 E. 4a; 112 E. 2a; 122 II 469 E. 4a; 122 V 158 E. 1a; 121 V 152 E. 4a; 120 Ib 383 E. 3b; 120 V 360 E. 1a).
d) Das Recht auf vorgängige Äusserung und Anhörung («Anspruch auf rechtliches Gehör i. e. S.»; Müller J. P., a. a. O., S. 520) weist einen engen Bezug zur Menschenwürde auf (Lorenz Kneubühler, Gehörsverletzung und Heilung, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht [ZBl] 1998, S. 99).
Der Mensch ist nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt staatlicher Verfahren ernst zu nehmen; es soll nicht über ihn «verfügt» werden, sondern er ist in den ihn betreffenden Entscheidprozess einzubeziehen mit der Möglichkeit, seine Sicht, Argumente und Widersprüche frühzeitig äussern zu können (Müller Jörg Paul., a. a. O., S. 510; René Rhinow / Heinrich Koller / Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz. 288). Der Anspruch auf vorgängige Äusserung und Anhörung verkörpert somit in seinen Ausprägungen die Vorstellung des mündigen Menschen, der den Behörden als ein ebenbürtiger und geachteter Gesprächspartner gegenübertritt (Thomas Cottier, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, recht 1984, S. 2). Die beteiligte Privatperson soll im Hinblick auf ihre persönliche Eigenwürde nicht ohne vorherige Anhörung rechtlich belastet werden (statt vieler BGE 117 Ia 262 E. 4b).
Es geht mithin um ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht des Verfahrensbeteiligten. Das Recht auf vorgängige Äusserung dient im Weiteren als Mittel zur Sachverhaltsaufklärung. Der Bürger soll vor Erlass einer Verfügung oder eines Urteils angehört werden, damit die Sachlage möglichst optimal aufgeklärt, das heisst die Entscheidgrundlage möglichst umfassend bereitgestellt werden kann (Alfred Kölz / Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, Rz. 325). Indem das rechtliche Gehör sowohl ein Mittel zur Sachverhaltsaufklärung als auch ein Instrument zur Mitwirkung am Prozess der Entscheidfindung darstellt, verwirklicht es zwei verschiedene, aber miteinander verbundene Funktionen (siehe Albertini, a. a. O., S. 123 ff. und S. 261 f.).
e) Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur (BGE 127 I 132 f. E. 4c). Dies bedeutet, dass seine Missachtung die Aufhebung des angefochtenen Entscheides zur Folge hat, ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst (BGE 126 V 132f. E. 2b; 122 II 469 E. 4a; 121 I 232 E. 2a; 121 III 334 E. 3c; 121 V 155 f. E. 6; 120 Ib 383 E. 3b; 120 V 362 E. 2a; 115 Ia 10 E. 2a). Es kommt nicht darauf an, ob irgendwelche Aussichten bestehen, dass die Behörde nach richtiger Anhörung des Beschwerdeführers zu einer Änderung ihres Entscheides gelangen könnte (BGE 126 V 132 E. 2b.; 125 I 118 E. 3, 124 V 389 E. 1, 183 E. 4a mit Hinweisen; Rhinow/Koller/Kiss, a. a. O., Rz. 325).
f) Wird der Anspruch auf vorgängige Anhörung und Äusserung verletzt, anerkennen sowohl die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 122 II 286 E. 6b; 112 Ia 5 E. 2c; 104 Ia 69) als auch ein Teil der Lehre (Müller, a. a. O., Rz. 107; Cottier, a. a. O., S. 11 f.), dass die Anhörung unter gewissen Voraussetzungen nachgeholt werden darf (sog. Heilung). Dieser Ansicht steht allerdings entgegen, dass die Behörde den Betroffenen durch die Gehörsverweigerung zum Verfahrensobjekt gemacht und nicht als Partner behandelt hat, was im Grundsatz nicht «geheilt» werden kann, sondern sanktioniert werden muss (Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht. 4. Aufl., Zürich 2002, Rz. 1711).
Davon unberührt bleibt die Möglichkeit des Betroffenen, auf die Anhörung aus verfahrensökonomischen Gründen zu verzichten und sie erst in einem Einspracheverfahren (als Rechtsmittelverfahren) geltend zu machen, falls das im Interesse eines rationellen Verwaltungsganges wie etwa bei Massenverfügungen (Renten- oder Stipendienentscheide) angezeigt ist oder auch dem Interesse des Betroffenen entspricht (Müller G., a. a. O., Rz. 107, Cottier, a. a. O., S. 12).
g) Laut Praxis des Bundesgerichts kann die Verletzung der vorgängigen Anhörung unter der Voraussetzung geheilt werden, wenn der in erster Instanz nicht angehörte Beschwerdeführer Gelegenheit hat, sich vor einer Rechtsmittelinstanz zu äussern, die zur freien Prüfung aller Fragen befugt ist, welche der unteren Instanz hätten unterbreitet werden können (BGE 114 Ia 312). Ausserdem darf dem Beschwerdeführer durch die Heilung kein Nachteil erwachsen (BGE 126 I 72 E. 2; 125 I 219 f. E. 9; 107 Ia 2 E. 1). Die Heilung kommt somit gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung «nur» unter den folgenden Voraussetzungen in Frage: Die Beschwerdeinstanz muss mit umfassender und freier Überprüfungsbefugnis ausgestattet sein; die Kognition muss tatsächlich ausgeschöpft und die Anhörung tatsächlich nachgeholt werden; im Weiteren darf dem Beschwerdeführer aus der Heilung kein Nachteil erwachsen (zusammenfassend zur Praxis Rhinow/ Koller/Kiss, a.a.O., Rz. 330).
h) Die praktisch automatische Heilung des rechtlichen Gehörs unter den genannten Voraussetzungen wird in der Lehre stark kritisiert (Albertini, a.a.O., S. 463 ff., Müller J. P., a.a.O., S. 517 ff.; Kneubühler, a.a.O., S. 107 ff.; Müller G., a.a.O., Rz. 103; Kolz/Häner, a.a.O., Rz. 131; Rhinow/Koller/Kiss, a.a.O., Rz. 332). Selbst das Bundesgericht hat in einem älteren Entscheid festgestellt, der Umstand allein, dass die Möglichkeit bestehe, den Hoheitsakt mit einem die volle Überprüfung gestattenden Rechtsmittel anzufechten, rechtfertige es nicht, auf Anhörung des Betroffenen vor Erlass einer Verfügung zu verzichten (BGE 105 Ia 197 E. 2 b/cc).
Auch das Eidgenössische Versicherungsgericht lässt eine Heilung nur unter der Voraussetzung zu, dass eine nicht besonders schwerwiegende (BGE 126 V 132 E. 2b mit Hinweisen) oder nicht regelmässige (BGE 124 V 183 E. 4a; 116 Ia 187 E. 3c) Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt. Danach kann einerseits die Häufung von Verletzungen des rechtlichen Gehörs oder andererseits deren Schwere einen Verfahrensmangel darstellen, der nicht geheilt werden kann (BGE 124 V 183 E. 4a; begründet in BGE 107 V 249 E. 3).
i) Die Lehre schliesst sich diesen Voraussetzungen einer Heilung des rechtlichen Gehörs gemäss EVG weitgehend an. Zunächst kritisiert sie die Rechtsprechung des Bundesgerichts in grundsätzlicher Hinsicht, denn die weitgehend automatisch genehmigte nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs durch die Rechtsmittelinstanz verkürze den Instanzenzug und versetze den Betroffenen bei einem negativen Entscheid in die Lage, sich gegen diesen bereits ergangenen Entscheid vor der Rechtsmittelinstanz behaupten zu müssen (Müller G., a. a. O., Rz. 103; Rhinow/Koller/Kiss, a. a. O., Rz. 332). Die nachträgliche Anhörung bilde somit nur einen unvollkommenen Ersatz für das vorgängige Anhörungsrecht (Kölz/ Häner, a. a. O., Rz. 131).
Nur in nicht besonders schweren Fällen, in denen zudem das Interesse des Betroffenen eher auf einen raschen Abschluss als auf eine formell korrekte Durchführung des Verfahrens gerichtet sei, sei eine Heilung zulässig (Müller J. P., a.a.O., S. 518; Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 131). Im Weiteren verbiete sich eine Heilung, wenn eine Behörde generell oder in gewissen Fällen systematisch das rechtliche Gehör verletze (Kneubühler, a.a.O., S. 113). Dies gelte selbst dann, wenn der Eingriff in die Garantie des rechtlichen Gehörs als leicht zu beurteilen sei und so kein besonders schwerer Fall vorliege. Somit könne keine Heilung angenommen werden, wenn leichte Eingriffe regelmässig oder gar systematisch erfolgen würden (Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 131).
13.a) Die Fachkommission unterliess unbestritten die vorgängige Anhörung des Beschwerdeführers, obwohl die verfügende Behörde massgebend auf ihre Einschätzung abstellte. Nach der Rechtsprechung des EVG beurteilt sich eine derartige Unterlassung einer vorgängigen Anhörung als schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs. Deren Beachtung oder Nichtbeachtung darf nicht dem Belieben der Fachkommission belassen bleiben. Selbst wenn die Fachkommission gemäss den Richtlinien nicht verpflichtet ist, den Betroffenen in ihre Beurteilung einzubeziehen, darf sie dabei nicht zentrale Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens verletzen, ansonsten ihre Empfehlung weder für die Vollzugsbehörden noch für die diesen übergeordneten Behörden rechtlich verbindlich sein kann. In Zukunft wird die Fachkommission somit nicht umhin kommen, in jedem Fall eine Anhörung des Betroffenen durchzuführen.
b) Dies geht auch aus dem Umstand hervor, dass die Frage der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug wie auch die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit einer Straftäterin oder eines Straftäters erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Betroffenen haben. Dies schliesst im Grundsatz eine Heilung durch die der verfügenden Behörde übergeordneten Instanzen aus.
c) Die Nichtbeachtlichkeit derart zustande gekommener Empfehlungen ergibt sich im Weiteren aus der von der Fachkommission verfassten Empfehlung selbst. Diese schliesst aus der fehlenden Motivation des Beschwerdeführers, sich therapieren zu lassen, auf eine fehlende Einsicht und Reue und schliesslich auf eine erhebliche Rückfallgefahr oder Gemeingefährlichkeit. Dass allenfalls eine schlechte Prognose zu stellen ist, weil der Beschwerdeführer nicht fähig ist, wie die Fachkommission zu Recht feststellt, von seinen patriarchalen Denkstrukturen abzuweichen und sein Weltbild zu verändern, ist durchaus zuzustimmen. Nur darf aus einem solchen Verhalten des Beschwerdeführers im Rahmen des Strafvollzuges zumindest ohne Anhörung des Betroffenen nicht auf seine Gemeingefährlichkeit geschlossen werden. Hinzu treten sprachliche Schwierigkeiten, wie selbst die Fachkommission richtigerweise aufführt. Auch hier hätte eine Anhörung zu wesentlich mehr Erkenntnissen geführt, als sie im Bericht der Fachkommission aufgrund der einschlägigen Akten zum Ausdruck kommen.
Ob die aus den Akten gewonnenen Erkenntnisse ausreichen, um A. H. als gemeingefährlich beurteilen zu können, muss ernstlich bezweifelt werden.
(Urteile 810 04 333/71 und 810 04 337/72 der Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 9. März 2005, rechtskräftig)
Strafprozessrecht
Zu UnrechtVerfahrenskosten auferlegt
Einem Verurteilten dürfen die Kosten des Strafverfahrens nicht auferlegt werden, wenn bereits im Zeitpunkt des Urteils klar ist, dass er nicht in der Lage sein wird, die anfallenden Kosten zu bezahlen.
Sachverhalt:
Ein Mann wird wegen verschiedener Delikte verurteilt. Sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im Berufungsverfahren werden ihm die Verfahrenskosten auferlegt, einschliesslich der Kosten der amtlichen Verteidigung. Der Mann erhebt gegen die Kostenauflage Nichtigkeitsbeschwerde ans Kassationsgericht des Kantons Zürich.
Aus den Erwägungen:
3. Die Verteidigung bringt vor, die Vorinstanz habe einerseits § 190a StPO und damit materielles Recht verletzt und insofern den Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO gesetzt, indem sie die dem Beschwerdeführer auferlegten Verfahrenskosten – soweit diese den beschlagnahmten Betrag von 7000 Franken übersteigen – des erst- sowie des zweitinstanzlichen Verfahrens nicht sofort definitiv abgeschrieben habe. Andererseits hätten dem Beschwerdeführer aber aufgrund der unzutreffenden erstinstanzlichen Kostenregelung auch nicht die ganzen Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt werden dürfen.
3.1 Nach Rechtsprechung des Kassationsgerichts stellt die Missachtung von Vorschriften über die Kostenauflage eine Verletzung materieller Gesetzesvorschriften im Sinne von § 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO dar (ZR 89 Nr. 108, 72 Nr. 107, 69 Nr. 68, 67 Nr. 98; siehe jetzt auch ZR 103 Nr. 63 Erw. II.2b; von Rechenberg, a.a.O., S. 36; Schmid, in Donatsch/ Schmid, a.a.O., N 31 zu § 430).
Das Kassationsgericht beurteilt die Verletzung solcher Gesetzesvorschriften bezüglich der richtigen Anwendung der fraglichen Rechtsnorm mit freier Kognition (Kass.-Nr. 2000/180S, Beschluss vom 10. Juni 2001 i. S. S., Erw. II.1; Kass.-Nr. 2002/008S, Beschluss vom 28. April 2002 i. S. M., Erw. II.2; Schmid, a.a.O., N 31 zu § 430 StPO m.H.); dies gilt insbesondere auch für die Rüge, die Vorinstanz habe § 190a StPO nicht oder unzutreffend angewendet (Kass.-Nr. 99/065S, Beschluss vom 15. November 1999 i. S. B., Erw. II.2.4.b; Kass.- Nr. 2002/027S, Beschluss vom 22. Juni 2002 i. S. D., Erw. II.2.2).
3.2 Nach § 190a StPO (welche Bestimmung gemäss der Verweisung in § 398 Abs. 1 StPO auch für das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet) ist bei Bemessung, Auflage und Bezug der Kosten den Verhältnissen des Betroffenen Rechnung zu tragen. Mit den «Verhältnissen» sind insbesondere die finanziellen gemeint (Kass.-Nr. 99/065S, Beschluss v. 15.11.1999 i. S. B. Erw. II.2.4 lit. b). Gemäss langjähriger und konstanter Praxis verlangt § 190a StPO nicht, dass bereits im Strafentscheid darüber befunden wird, ob der Betroffene von der Tragung der auferlegten Kosten zu befreien ist; es ist vielmehr zulässig, darüber erst im Zeitpunkt des Kostenbezugs zu entscheiden (siehe anstatt vieler: RB 1987 Nr. 70; Kass.-Nr. 98/059S, Beschluss vom 18. Oktober 1998 i. S. R., Erw. 8; Kass.-Nr. 98/125S, Beschluss vom 20. Juli 1999 i. S. F., Erw. II.5.b; Schmid, a. a. O., N 9 zu § 190a StPO m. H.).
Eine Ausnahme besteht einzig dann, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidfällung feststeht, dass der Betroffene nicht in der Lage ist und auch in absehbarer Zukunft nicht sein wird, die ihm auferlegten Kosten zu bezahlen (RB 1999 Nr. 154; Kass.-Nr. 2000/148S, Beschluss vom 30. September 2000 i. S. B., Erw. II.3.2; Kass.-Nr. 2002/008S, Beschluss vom 28. April 2002 i. S. M., Erw. II.3.2; Kass.-Nr. 2002/027S, Beschluss vom 22. Juni 2002 i. S. D., Erw. II.2.3).
3.3 Wie in der Beschwerdeschrift erwähnt verwies die Vorinstanz bezüglich der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Der Einzelrichter erwog, der Beschwerdeführer, der seit etwa 1985 in der Schweiz lebe, sei verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er habe an der ETH Zürich Elektroingenieur studiert, allerdings ohne Schlussdiplom. Der Beschwerdeführer sei zwischen 1986 bis 1993 für verschiedene Unternehmen im Bereich der Elektrotechnik tätig gewesen und nach seiner Kündigung Mitte 1993 sei er unregelmässigen Arbeiten nachgegangen. Gegenwärtig sei er arbeitslos.
Seinen Lebensunterhalt bestreite der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben durch das Einkommen seiner Frau, welche zu 80 Prozent erwerbstätig sei und dabei ein Einkommen von rund 3500 Franken brutto pro Monat erziele. Der Beschwerdeführer verfüge über kein Vermögen; seinen Aussagen gemäss sei er dagegen mit Schulden von einigen hunderttausend Franken belastet. Belegt sei, dass er dem Staat Zürich aus verschiedenen rechtskräftig erledigten Verfahren bis heute rund 38000 Franken an Gerichtsgebühren schulde. Darüber hinaus hielt die Vorinstanz – wie schon die Erstinstanz – fest, die Kosten der Verfahren seien dem Beschwerdeführer ausgangsgemäss gestützt auf die §§ 188 Abs. 1 StPO beziehungsweise 396a StPO aufzuerlegen.
3.4 Die Verteidigerin stellt nicht in Frage, dass dem Beschwerdeführer als verurteiltem Angeklagten grundsätzlich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen waren. Sie wendet aber ein, der Einzelrichter hätte die nach Abzug der zur Deckung der Untersuchungs- und Gerichtskosten herangezogenen 7000 Franken verbliebenen Kosten angesichts der finanziellen Situation des Beschwerdeführers sofort abschreiben müssen. Bereits aufgrund der Höhe der Untersuchungskosten von 9475.10 Franken sei offensichtlich gewesen, dass die herangezogene Barkaution zur Begleichung der Kosten nicht ausreichen würde.
Die Vorinstanz ihrerseits habe diese Frage – obwohl von Amtes wegen dazu verpflichtet – nicht aufgegriffen, sondern das erstinstanzliche Kostendispositiv vollumfänglich bestätigt. Hätte die Vorinstanz – argumentiert die Verteidigerin weiter – richtigerweise das erstinstanzliche Kostendispositiv korrigiert, so könne der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nicht als vollumfänglich unterliegend betrachtet werden, weshalb er auch nicht die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen habe. Zudem hätte das Obergericht auch den Anteil der dem Beschwerdeführer aufzuerlegenden Kosten des Berufungsverfahren gestützt auf § 190a StPO sofort abschreiben müssen.
3.5 Angesichts der erwähnten Grundsätze zur Anwendung von § 190a StPO (Ziff. II.3.2) sowie der von beiden Vorinstanzen dargelegten persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers erweist sich der Vorwurf einer Verletzung von § 190a StPO als begründet. Es ist weder aus dem vorinstanzlichen Entscheid noch aus den übrigen Akten ersichtlich, aufgrund welcher Umstände sich die Annahme aufdrängte, der Beschwerdeführer sei im Entscheidzeitpunkt in der Lage gewesen oder er sei in absehbarer Zukunft in der Lage, die ihm auferlegten Kosten zu begleichen, soweit diese Kosten den beschlagnahmten Betrag von 7000 Franken übersteigen.
Keine der Vorinstanzen hat dargelegt, dass und weshalb nicht von den Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen werden könnte. Dass Einkünfte in der Höhe von 3500 Franken pro Monat für eine Familie mit zwei Kindern knapp bemessen sind, liegt auf der Hand. Zudem handelt es sich bei den erstinstanzlichen Kosten (einschliesslich diejenigen des Untersuchungsverfahrens) bereits um einen Betrag von 18956.30 Franken und damit – selbst nach Abzug der beschlagnahmten 7000 Franken – um eine Summe, die nicht innert angemessener Frist in (allenfalls zumutbaren) kleinen Raten abbezahlt werden könnte. Dasselbe gilt für die Kosten des Berufungsverfahrens. Indem die Vorinstanz weder das erstinstanzliche Kostendispositiv ergänzte (Abschreibung der Kosten) noch die Kosten des Berufungsverfahrens sofort abschrieb, hat sie § 190a StPO verletzt. Das Vorbringen der Verteidigung ist begründet und die Beschwerde gutzuheissen.
3.6 Nach dem Gesagten vermag sich die Frage, ob dem Beschwerdeführer zu Recht die gesamten Kosten des Berufungsverfahren auferlegt wurden, grundsätzlich nicht mehr zum Nachteil des Beschwerdeführers auszuwirken. Der Vollständigkeit halber erscheint es aber dennoch gerechtfertigt, die Rüge zu behandeln.
Die Auflage der Kosten und die Zusprechung einer Entschädigung erfolgen im Rechtsmittelverfahren in der Regel im Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Verfahrensbeteiligten. Von dieser Regel kann in begründeten Fällen abgewichen werden, namentlich wenn sich eine Partei in guten Treuen zu ihren Anträgen veranlasst sah (§ 396a StPO). Mit der Aufnahme dieser Bestimmung für das Rechtsmittelverfahren wurden grundsätzlich die zivilprozessualen Regeln der Kosten- und Entschädigungsfolgen in den Strafprozess eingeführt (Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, N 1202). Für den Zivilprozess hat das Kassationsgericht entschieden, der Grundsatz, dass die Kosten- und Entschädigungsfolgen nach Massgabe des Obsiegens zu regeln seien, gelte auch dann, wenn es um Fragen gehe, die von Amtes wegen zu prüfen seien, sofern die Parteien Anträge zu den entsprechenden Fragen gestellt hätten (Kass.-Nr. 223/82, Entscheid vom 2. November 1982 i. S. P., Erw. 4; Kass-Nr. 96/392, Entscheid vom 2. Juni 1997 i. S. T., Erw. II.4.d).
4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Nichtabschreibung der dem Beschwerdeführer auferlegten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens – soweit sie den Betrag von 7000 Franken übersteigen – sowie des Berufungsverfahrens als Verstoss gegen § 190a StPO und damit als Verletzung einer materiellen Vorschrift im Sinne von § 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO erweist. Die Beschwerde ist demzufolge gutzuheissen.
(Beschluss AC050081 des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 13. April 2006)
Anklagegrundsatz wegen ungenauer Zeitangabe verletzt
Der Sachverhalt ist in der Anklage zeitlich möglichst eng zu fixieren. Ein Zeitraum von fast einem Jahr, in dem eine einzelne Handlung stattgefunden haben soll, ist zu unbestimmt.
Sachverhalt:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bülach vom 10. September 2002 wurde S. der sexuellen Handlung mit Kindern gemäss Art. 187 Ziff. 1 StGB sowie der Schändung gemäss Art. 191 StGB schuldig gesprochen. Vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB wurde er freigesprochen. Er wurde mit 10 Monaten Gefängnis, abzüglich 76 Tage Haft, bestraft, wobei der Vollzug der Strafe aufgeschoben und die Probezeit auf drei Jahre angesetzt wurde. S. zog dieses Urteil ans Obergericht weiter. Dieses wies die Berufung mit Urteil vom 27. Februar 2004 ab. S. führte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde ans Kassationsgericht des Kantons Zürich.
Aus den Erwägungen:
1. Dem vorinstanzlichen Schuldspruch liegt der Vorwurf zugrunde, der Angeklagte habe zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt, ca. im zweiten Halbjahr 2000 der Tochter seiner Lebensgefährtin, X., gegenüber der er die Rolle eines Familienvaters eingenommen habe, unter Ausnutzung seiner väterlichen und dominanten Stellung in der gemeinsamen Wohnung befohlen, sich zu ihm in die Toilette zu begeben, seinen Penis in die Hand zu nehmen und zu frottieren, was die Geschädigte während etwa fünf Minuten auch getan habe.
3.2.1 Eine Verletzung des Anklageprinzips erblickt der Beschwerdeführer aber auch in der Umschreibung des Tatzeitraums durch die Anklage selbst. Der vorgegebene Zeitrahmen von rund einem Jahr für den angeblichen einmaligen sexuellen Übergriff sei derart vage, dass er keinerlei Anhaltspunkt liefere, wann sich der eingeklagte Vorfall von angeblich einigen wenigen Minuten Dauer zugetragen haben solle. Ebenso gut hätte auf jede Zeitangabe verzichtet werden können; für ihn – den Beschwerdeführer – hätte dies keinen Unterschied gemacht. Der Beschwerdeführer verweist auf § 162 Abs. 1 Ziff. 2 StPO, wonach von Gesetzes wegen die Tatzeit in der Anklage angegeben werden müsse. Er räumt ein, dass das Gesetz zwar keine exakte, sondern nur eine «möglichst genaue» Zeitangabe verlange, hält jedoch dafür, dass die Zeit nicht derart vage angegeben werden dürfe, dass dies einem Verzicht auf jede Zeitangabe gleichkomme. Nur wenn der Angeklagte wisse, wann er die vorgeworfene Tat begangen haben soll, könne er sich gegen diesen Vorwurf verteidigen respektive stehe ihm die Möglichkeit offen, den eingeklagten Vorwurf durch Nachweis eines Alibis oder auf andere Weise zu widerlegen.
In der Folge setzt sich der Beschwerdeführer kritisch mit der in der Literatur vertretenen und vom Bundesgericht übernommenen Auffassung auseinander, wonach auf die Angabe des Tatzeitpunkts ausnahmsweise ganz verzichtet respektive auch ein Zeitraum von mehreren Monaten angegeben werden könne, wenn die genaue Tatzeit nicht mehr eruierbar sei und der Angeklagte wisse, was ihm konkret vorgeworfen werde (mit Verweis auf Schmid, Strafprozessrecht, 4. Auflage, Zürich 2004, N 814 und Urteil des Bundesgerichts vom 16. November 2001, [1P.427/2001], insbesondere Erw. 5 und 6). Dagegen wendet der Beschwerdeführer hauptsächlich ein, eine effektive Verteidigung sei nur möglich, wenn die Zeitangabe Bestandteil der Anklage bilde.
Die gegenteilige These vermöge nur dann einer Überprüfung standzuhalten, wenn in Verletzung der Unschuldsvermutung präsumiert werde, der Angeklagte sei schuldig, denn der schuldige Angeklagte wisse selbstverständlich immer, worum es gehe. Sei der Angeklagte aber unschuldig, nütze es ihm herzlich wenig, wenn ihm zwar ein strafbares Verhalten vorgeworfen werde, er aber nicht ersehen könne, wann er die ihm zu Unrecht vorgeworfene Tat begangen haben soll; er tappe dann im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Weder könne er sich mit dem Nachweis eines Alibis aktiv gegen den Tatvorwurf wehren, noch sei es ihm möglich, die belastenden Aussagen des Geschädigten zu widerlegen, etwa indem er darlege, dass den Vorwürfen zwar eine wahre Begebenheit zugrunde liege, diese aber völlig entstellt wiedergegeben werde.
Geradezu zynisch mute die Auffassung des Bundesgerichts im Entscheid an, der Angeschuldigte könne und müsse auch dann ein Alibi angeben, wenn sich der Tatzeitpunkt über mehrere Monate erstrecke: Wenn nicht einmal der Geschädigte in der Lage sei, ein Ereignis zeitlich einzuordnen, sei nicht nachvollziehbar, wie ein (präsumtiv) unschuldiger Angeklagter für einen Zeitraum von mehreren Monaten solle angeben können, was er jeweils getan und gelassen habe. Ferner sei nicht einzusehen, weshalb in Fällen, in denen der Tatzeitpunkt eruiert werden könne, die Zeitangabe ein notwendiges Element der Anklage sein solle, nicht aber dann, wenn der Zeitpunkt nicht eruierbar sei. Werde die Argumentation des Bundesgerichts zu Ende gedacht, müsste, so der Beschwerdeführer, generell auf jede Zeitangabe verzichtet werden können.
Abschliessend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass im zitierten Bundesgerichtsurteil die Aufweichung des Anklagegrundsatzes nur deshalb akzeptiert worden sei, weil die angebliche Straftat schon verhältnismässig weit zurückgelegen habe. Zudem habe der Tatzeitpunkt dort immerhin auf drei Monate eingegrenzt werden können. Beides treffe hier nicht zu, weshalb die Anklage hier selbst nach der grosszügigen Praxis des Bundesgerichtes mit dem Anklagegrundsatz nicht vereinbar sei.
3.2.2 a) Laut Anklageschrift ereignete sich die Tat zu einem nicht mehr genauer bestimmbaren Zeitpunkt, zirka im zweiten Halbjahr 2000. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung lud der Gerichtspräsident die Bezirksanwältin ein, die Anklage mit Bezug auf den Tatzeitraum um die Periode Winter/Frühling 2001 zu ergänzen respektive zu berichtigen.
Die Bezirksanwältin ergänzte die Anklage in der Folge dahin, dass der Zeitraum der Tatbegehung nicht mehr genau bestimmbar sei, die Tat vermutlich jedoch im Winter 2000/2001 bis Frühjahr 2001, eventualiter im zweiten Halbjahr 2000 erfolgt sei. Bereits hier liess der Beschwerdeführer geltend machen, dass damit der Zeitpunkt sehr unpräzise sei, so dass die Widerlegung der Vorwürfe für ihn sehr schwierig und das Vorgehen unter dem Aspekt des Anklageprinzips sehr problematisch sei.
b) Der Anklagegrundsatz stellt ein konstituierendes Element eines rechtsstaatlichen Strafprozesses dar. Er verlangt einerseits eine personelle Trennung der Ankläger- und Richterrolle; andererseits wird aus ihm gefolgert, dass der Gegenstand des Gerichtsverfahrens von der Anklage bestimmt und fixiert wird, weshalb in der Anklageschrift die Person des Angeklagten und die ihm zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben sind, dass die erhobenen Vorwürfe im objektiven und subjektiven Bereich hinreichend konkretisiert werden (BGE 120 IV 353 f.; Schmid, Strafprozessrecht, a. a. O., N 143 ff.; Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. A., Basel u.a. 2002, § 50 N 6 f.).
Um die Verteidigungsrechte des Angeklagten zu schützen, wird Letzteres auch von Art. 32 Abs. 2 BV und von Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK garantiert (siehe Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. A., Zürich 1999, N 504 ff., insb. N 505; siehe Schmid, in Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1997, N 2 zu § 162 StPO mit Hinweisen; BGE 120 IV 354, 126 I 21 E. 2). Somit hat die Anklageschrift eine doppelte Funktion: Zum einen dient sie der Bestimmung und Begrenzung des Prozessgegenstandes (Umgrenzungsfunktion), zum andern vermittelt sie dem Angeklagten die zur Verteidigung notwendigen Informationen (Informationsfunktion). Beides wird erreicht, wenn die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat darin hinreichend bestimmt umschrieben wird (BGE 120 IV 354). Ob dies zutrifft, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (Kass.-Nr. 334/86 S, Entscheid vom 9. März 1987, Erw. 2; Kass.-Nr. 98/096 S, Entscheid vom 10. Juni 1999 in Sachen T., Erw. II.3.3, mit Hinweis auf BGE 103 Ia 6).
Im zürcherischen Strafprozess wird das Anklageprinzip durch die (formellen) Anforderungen an den Inhalt der Anklageschrift in § 162 StPO konkretisiert. Gemäss Abs. 1 Ziff. 2 der Bestimmung bezeichnet die Anklageschrift «kurz, aber genau» die dem Angeklagten «zur Last gelegten Handlungen oder Unterlassungen unter Angabe aller Umstände, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören sowie unter möglichst genauer Angabe von Ort und Zeit und andern Einzelheiten, so dass der Angeklagte daraus ersehen kann, was Gegenstand der Anklage bildet».
c/aa) Soweit es um Aspekte geht, die nicht Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes bilden, ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, dass diese nur mit der Genauigkeit anzugeben sind, welche nach dem Inhalt der Akten respektive gestützt auf das Untersuchungsergebnis möglich ist. Aber auch was diejenigen Punkte betrifft, aus denen der Ankläger die Erfüllung des zu beurteilenden Straftatbestandes ableitet, verlangt § 162 Abs. 1 Ziff. 2 StPO nicht strikte die genaue Angabe jeder Einzelheit. (Schmid, a. a. O. [Kommentar], N 5 a.E. zu § 162 StPO; Kass.-Nr. 99/249 S, Entscheid vom 5. Juli 2000 in Sachen P., Erw. II/1.5c; vgl. bereits ZR 60 Nr. 43 sowie Sträuli, Zürcherisches Rechtspflegegesetz, III. Teil, Strafprozessordnung, Zürich 1924, N 7 zu § 162 StPO).
bb) Was die zeitliche Fixierung des Sachverhaltes betrifft, ist vorab festzuhalten, dass dieser insbesondere im Lichte des Rechts auf Ermöglichung einer effektiven Verteidigung (Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK) eine wesentliche Bedeutung zukommt. Aus Sicht des Angeklagten (aber auch im Lichte materiell-rechtlicher Bestimmungen [Verjährung; Grundsatz «ne bis in idem»]) ist daher festzuhalten, dass eine schrankenlose Öffnung des «Zeitfensters» in der Anklage nicht angeht.
Ungeachtet allfälliger objektiver Schwierigkeiten bei der Abklärung des Sachverhaltes gibt es eine Grenze, jenseits welcher nicht mehr von einer genügend bestimmten Anklage gesprochen werden kann. Dem – als präsumtiv unschuldig zu betrachtenden – Angeschuldigten respektive Angeklagten ist nicht zuzumuten, im Hinblick auf eine in zeitlicher Hinsicht völlig unbestimmte Anklage konkrete Ausführungen dazu zu machen, wo er sich während der in Frage stehenden Zeitspanne befunden habe respektive wesha