Arbeitsrecht
Impfstatus von Angestellten geht den Betrieb nichts an
Die Bekanntgabe von besonders schützenswerten Gesundheitsdaten an den Arbeitgeber ist überaus zurückhaltend zu handhaben. Ein Vertrauensarzt des Betriebs darf gesundheitsrelevante Informationen wie den Impfstatus nicht dem Arbeitgeber mitteilen, ausser der Angestellte entbinde den Arzt vom Berufsgeheimnis.
Sachverhalt:
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) führte 2021 die Covid-Zertifikatspflicht ein. Diese galt für alle Studenten und Dozenten. Weiter entschied sich die Hochschule, bei Angestellten ohne gültiges Covid-Zertifikat die Testkosten zu übernehmen. Zwei Professoren fochten den Beschluss bei der Rekurskommission der Zürcher Hochschule teilweise mit Erfolg an. Die Einführung des Zertifikats sei unter den damaligen Umständen zwar geeignet, erforderlich und verhältnismässig gewesen, um den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten und eine Verbreitung des Virus einzudämmen. Doch punkto Gesundheitsdaten habe die Hochschule nicht die mildeste geeignete Vorgehensweise gewählt.
Aus den Erwägungen:
6 aa Die Rekurrenten führen aus, dass die Rekursgegnerin den Immunitätsstatus der Betroffenen durch die Zertifikatspflicht uneingeschränkt in Erfahrung bringe. Denn nur die Ungeimpften müssten sich testen lassen, um ein Zertifikat zu erhalten. Da der Arbeitgeber die Kosten der Tests bezahle, wisse er konsequenterweise stets darüber Bescheid, ob der einzelne Arbeitnehmer nun geimpft sei oder nicht. Da eine formellgesetzliche Grundlage für das Bearbeiten der Information über den Immunitätsstatus fehle, sei die Covid-Zertifikatspflicht in der vorliegenden Konstellation in datenschutzrechtlicher Hinsicht gegenüber den Mitarbeitenden gesetzeswidrig. Zudem liege ein ungerechtfertigter Eingriff in den Schutzbereich von Art. 13 BV vor, welcher einen umfassenden Schutz des Umgangs mit personenbezogenen Daten gewährleiste. Demnach entscheide jeder selbst über die Offenlegung seiner persönlichen Lebenssachverhalte, könne Einsicht in die ihn betreffenden persönlichen Daten verlangen und habe Anspruch auf Schutz solcher Daten. Somit müssten die Rekurrenten zumindest mit ihrem Eventualbegehren – Aufhebung des Beschlusses gegenüber Mitarbeitenden – durchdringen.
6 ab Die Rekursgegnerin merkt an, dass es Angestellten freistehe, auf eine Rückforderung der Testkosten zu verzichten. Würden sie aber die Testkosten als Spesen zurückfordern, so stelle dies eine Einwilligung zur Bearbeitung ihrer Personendaten dar. Die Rekurrenten äussern sich dahingehend, dass eine Einwilligung in die Datenbearbeitung nur dann gültig sei, wenn sie freiwillig erfolge. Aus dem Nicht-Verzicht auf einen relativ zwingenden Anspruch des Arbeitnehmers auf dessen Einwilligung in eine Datenbearbeitung zu schliessen, sei rechtswidrig. Denn zwingende Ansprüche bestünden, damit sie auch ohne aufwendige Parteidisposition geltend gemacht werden könnten.
6 ba Beim Impfstatus handelt es sich um Gesundheitsdaten und damit um besonders schützenswerte Daten im Sinne von Art. 3 lit. a Ziff. 2 lOG. Das Bearbeiten besonderer Personendaten bedarf einer hinreichend bestimmten Regelung in einem formellen Gesetz (§ 8 Abs. 2 lOG).
6 bb Es ist vorliegend unbestritten, dass der Impfstatus der Rekurrenten dem Arbeitgeber durch die Einreichung der Spesenabrechnung bekannt wird, weil nämlich nur – oder hauptsächlich – ungeimpfte Personen regelmässig Testkosten zurückfordern. Die Rekurrenten bestreiten die von der Rekursgegnerin vertretene Auffassung, sie würden ihre Gesundheitsdaten im Rahmen der Spesenrückforderung freiwillig bekanntgeben und damit in die entsprechende Datenbearbeitung einwilligen. Bei der Bearbeitung von besonders schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeitsprofilen muss – der Schwere des Grundrechtseingriffs entsprechend – die Einwilligung ausdrücklich erfolgen. Auch wenn das eidgenössische Datenschutzgesetz auf vorliegenden (kantonalen) Sachverhalt nicht anwendbar ist, können dessen Bestimmungen, als Konkretisierung der allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze, zur Eruierung der Voraussetzungen einer rechtsgültigen Einwilligung in die Veröffentlichung besonders schützenswerter Personendaten herangezogen werden. Eine Einwilligung gilt weiter auch dann als nicht freiwillig, wenn der betroffenen Person keine zumutbare Handlungsalternative zur Verfügung stand (BVGer, 4. August 2009, A-3908/2008, E. 4.2).
Die Rekurrenten führen die Testkosten in der Spesenabrechnung zwar eigenhändig auf und reichen sie zur Rückvergütung bei der ZHAW auch selber ein. Sie tun dies aber nur, weil sie andernfalls nicht zu dem ihnen gemäss Beschluss der Hochschulleitung zustehenden Auslagenersatz kommen und nicht unbeachtliche finanzielle Auslagen in Kauf nehmen müssten. Von einer freiwilligen Einwilligung in die Bearbeitung ihrer besonders schützenswerten Daten kann daher nicht gesprochen werden.
6 ca Die mit der Rückforderung via Spesenabrechnung einhergehende Verpflichtung zur Bekanntgabe des Impfstatus an die ZHAW stellt einen Eingriff in den Datenschutz und das informelle Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Art. 13 Abs. 2 BV dar. Es fragt sich deshalb, ob nicht eine zweck- und verhältnismässigere Alternative zur Verfügung stehen würde, um den Rekurrenten die notwendigen Tests kostenlos anbieten zu können, ohne dass dazu besonders schützenswerte Personendaten von der Arbeitgeberin bearbeitet werden müssten (BGE 125 II 29, E. 3daa). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit erfordert nämlich, dass sowohl der Zweck, der mit der Datenbearbeitung verfolgt wird, als auch die Art und Weise der Bearbeitung verhältnismässig ist. Personendaten dürfen daher nur so weit bearbeitet werden, als dies für einen bestimmten Zweck objektiv geeignet und tatsächlich erforderlich ist (BVGer, 4. August 2009, A-3908/2008, E. 3.1).
Die Bekanntgabe von besonders schützenswerten Gesundheitsdaten – wie der Impfstatus einer Person – an den Arbeitgeber ist gemäss Rechtsprechung zudem mit grosser Zurückhaltung zu handhaben. So darf bspw. auch ein vom Arbeitgeber eingesetzter Vertrauensarzt gesundheitsrelevante Informationen nicht ohne Weiteres an den Auftraggeber weitergeben. Ob und in welchem Umfang der Arzt dem Arbeitgeber berichten darf, hängt davon ab, ob er seitens des Arbeitnehmers vom Geheimnis entbunden worden ist (BGE 143 IV 209, E. 1.2). Ohne besondere Einwilligung des Arbeitnehmers darf der Vertrauensarzt den Arbeitgeber jedoch nicht über die Befunde und die Diagnose informieren.
6 cb Es muss deshalb hinterfragt werden, ob es tatsächlich erforderlich war, die Testkosten via Spesenabrechnung zurückzufordern. ln Betracht fällt insbesondere das folgende alternative Vorgehen: Das Testcenter stellt die Kosten für die Tests der Dozierenden direkt bei der Rekursgegnerin in Rechnung. Die Rekursgegnerin müsste den Mitarbeitenden des Testcenters lediglich eine Liste der Dozierenden aushändigen. Das Testcenter würde der Rekursgegnerin sodann die Anzahl der getesteten Dozierenden mitteilen und den ihr zustehenden Betrag einfordern, ohne die Namen der Dozierenden anzugeben.
Es ergibt sich also, dass es durchaus eine zweck- und verhältnismässige Möglichkeit gäbe, um die Dozierenden kostenlos zu testen und keine besonders schützenswerten Personendaten an die Arbeitgeberin zu übermitteln.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Rekursgegnerin bei der konkreten Umsetzung der Kostenlosigkeit datenschutzrechtliche Vorgaben verletzt hat, indem besonders schützenswerte Daten bearbeitet wurden, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre.
Rekurskommission der Zürcher Hochschulen, Beschluss 131/21 vom 19.5.2022
Zivilprozessrecht
Klage aus Mieter-Vorkaufsrecht betrifft kein Mietrecht
Streitigkeiten aus einem im Mietvertrag vorgesehenen Vorkaufsrecht sind nicht den mietrechtlichen Klagen zuzuordnen. Deshalb ist nicht die mietrechtliche Schlichtungsbehörde zuständig, sondern die allgemeine.
Sachverhalt:
Die Kläger mieteten im Sommer 2008 vom Beklagten ein Einfamilienhaus. Im Mietvertrag hielten sie unter dem Punkt «besondere Bestimmungen» unter anderem fest, dass den Mietern «ein Vorkaufsrecht eingeräumt» werde. Mit öffentlich beurkundetem Grundstückkaufvertrag verkaufte der Beklagte im September 2018 die Liegenschaft an eine Drittperson. Er verstiess damit gegen das vertraglich zugesicherte Vorkaufsrecht. Die Kläger gelangten an das allgemeine Vermittlungsamt in Rorschach SG und anschliessend an das Kreisgericht. Dieses trat jedoch mangels gültiger Klagebewilligung nicht auf die Klage ein. Zuständig sei das Mietgericht. Das Kantonsgericht St. Gallen gab hingegen den Mietern recht.
Aus den Erwägungen:
3.b) Die Frage, ob das von den Klägern eingeleitete Verfahren eine mietrechtliche Streitigkeit betrifft, ist vorliegend mit Blick auf die Erfüllung der Prozessvoraussetzungen in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Einerseits hängt davon die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bzw. der angerufenen Schlichtungsbehörde ab, da gemäss Art. 33 ZPO für Klagen aus Miete und Pacht unbeweglicher Sachen ein – teilzwingender (vgl. Art. 35 ZPO) – Gerichtsstand am Ort der gelegenen Sache besteht. Andererseits liegt die sachliche Zuständigkeit in Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht bei der besonderen – entsprechend der bundesrechtlichen Vorgaben in Art. 200 Abs. 1 ZPO paritätisch zusammengesetzten – Schlichtungsstelle für Miet- und Pachtverhältnisse und nicht beim Vermittler als allgemeiner Schlichtungsbehörde (Art. 3 EG-ZPO).
4.a) Bundesgerichtlich wurde die Frage, ob Streitigkeiten aus einem in einem Mietvertrag vorgesehenen Vorkaufsrecht unter den Begriff der mietrechtlichen Klagen fallen, soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Auch das Kantonsgericht St. Gallen hatte sich damit noch nicht zu befassen.
d/aa) Es ist nicht bestritten, dass das Vorkaufsrecht, aus dessen Verletzung die Kläger Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten geltend machen, im Mietvertrag vom 19. Juni 2008 betreffend die Liegenschaft Y. in Z. vereinbart wurde. Damit besteht zwischen der anhängig gemachten Klage und dem (früheren) Mietverhältnis der Parteien offensichtlich ein sachlicher Zusammenhang, wobei dies grundsätzlich unabhängig davon gilt, wie bedeutend das Vorkaufsrecht bei Abschluss des Mietvertrags für die Kläger tatsächlich war.
Zwar kann der vom Beklagten (auch) im Berufungsverfahren vertretenen Auffassung, wonach bereits «irgendein Zusammenhang mit einem Mietverhältnis» zur Begründung der Zuständigkeit am Ort der Sache hinreichend sei, nicht gefolgt werden, da sich eine solche Auslegung jedenfalls mit der nach BGE 120 II 112 ergangenen Präzisierung der Rechtsprechung durch das Bundesgericht nicht mehr vereinbaren lässt. Zuzugestehen ist dem Beklagten jedoch, dass der vorliegende Streit insofern in einer mietrechtlichen Beziehung gründet, als ohne das Zustandekommen des Mietverhältnisses zwischen den Parteien auch das Vorkaufsrecht an der Mietliegenschaft, um das es hier geht, nicht begründet worden wäre.
Dem ist allerdings mit den Klägern entgegenzuhalten, dass die Klage an sich keinen Anspruch aus Miete oder einem mietähnlichen Verhältnis betrifft, sondern einen aus Art. 216d Abs. 1 i.V.m. Art. 97 OR abgeleiteten Schadenersatzanspruch des Vorkaufsberechtigten gegenüber dem (vormaligen) Grundeigentümer und Verkäufer zum Gegenstand hat. Mithin ist der Sachverhalt, auf welchen die Kläger die eingeklagte Forderung stützen, auf das vertragliche Vorkaufsrecht bezogen, während der Bezug zum Mietverhältnis der Parteien bloss mittelbar in dem Sinne ist, dass ebendieses Vorkaufsrecht im Rahmen des Mietvertrags eingeräumt wurde. Betrachtet man den konkreten Gegenstand der vorliegenden Streitsache, geht es jedenfalls insofern nicht schwergewichtig um ein Rechtsverhältnis mit mietrechtlichem oder mietrechtsähnlichem Charakter.
cc) Nach dem Gesagten ist somit festzuhalten, dass Streitigkeiten aus einem im Mietvertrag vorgesehenen Vorkaufsrecht nicht den mietrechtlichen Klagen i.S.v. Art. 33 bzw. Art. 200 Abs. 1 ZPO zuzuordnen sind und die besonderen Zuständigkeitsvorschriften in Mietangelegenheiten demgemäss darauf keine Anwendung finden.
An diesem Ergebnis vermögen die vom Beklagten ins Feld geführten Praktikabilitätsüberlegungen, wonach der Begriff der mietrechtlichen Streitigkeit weit auszulegen sei, weil es den Mietvertragsparteien nicht zugemutet werden könne, im Einzelfall abklären zu müssen, ob ein mietrechtlicher Tatbestand gegeben sei oder nicht, nichts zu ändern. Wie bereits erwähnt, ergibt sich bereits aus der noch unter Geltung des GestG ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass die mietrechtliche Zuständigkeitsordnung – entgegen dem Standpunkt des Beklagten – nicht generell für Klagen, die in einem engen Zusammenhang mit einem Mietverhältnis stehen, zur Anwendung kommt (vgl. auch Leuenberger /Uffer-Tobler, a.a.O., N 2.104). Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass sich die örtliche Zuständigkeit zur Beurteilung der von den Klägern geltend gemachten Schadenersatzansprüche wegen Verletzung des ihnen vom Beklagten vertraglich eingeräumten Vorkaufsrechts nicht nach Art. 33 ZPO richtet und in sachlicher Hinsicht nicht die Schlichtungsstelle für Miet- und Pachtverhältnisse, sondern das Vermittlungsamt als allgemeine Schlichtungsbehörde zuständig ist. Die vom Vermittlungsamt Rorschach ausgestellte Klagebewilligung erweist sich demnach als gültig und die Prozessvoraussetzungen sind insofern als erfüllt zu betrachten.
Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid BO.2021.3 vom 2.3.2022
Grundrechte
Beschlagnahme eines Plakats unzulässig
Die Polizei darf eine Meinungsäusserung nicht leichtfertig verbieten. Das Statthalteramt Zürich gab einem Demonstranten recht, der sich gegen die Beschlagnahmung seines coronamassnahmen-kritischen Plakats wehrte.
Sachverhalt:
Ein Mann lief am 1. Mai 2020 mit einem umgehängten Sandwich-Plakat durch Zürich. Darauf stand: «Grundrechte sind kein Geschenk und die CH keine Schönwetter Demokratie, oder?» Beim Zürcher Bellevue stoppte ihn die Polizei. Die Beamten nahmen ihm das Plakat weg. Der Betroffene wehrte sich vor Statthalteramt gegen die Beschlagnahmung. Die Polizei habe rechtswidrig gehandelt, er habe nur von seiner Meinungsäusserungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Aus den Erwägungen:
29. Vorliegend ist unbestritten, dass die Sicherstellung des Plakats einen Eingriff in die Eigentumsgarantie des Rekurrenten darstellte (vgl. Art. 26 Abs. 1 BV). Ebenfalls bleibt unbestritten, dass ihm grundsätzlich das Recht zustand, seine Meinung am fraglichen 1. Mai 2020 als Einzelperson bzw. ohne Teilnahme an einer Demonstration frei zu äussern (vgl. Art. 16 Abs. 2 BV).
Nach Art. 36 Abs. 1 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage. Zudem müssen sie durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein (Abs. 2). Weiter müssen Einschränkungen von Grundrechten verhältnismässig sein (Abs. 3) und ihr Kerngehalt ist unantastbar (Abs. 4).
30. Mit § 38 lit. a PoIG liegt eine gesetzliche Grundlage für die Sicherstellung von Gegenständen vor. Es gilt zu überprüfen, ob die Bestimmung zu Recht angewandt wurde. Die polizeiliche Sicherstellung dient unmittelbar der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung. Sie gehört damit zum sicherheitspolizeilichen Handeln und ist in erster Linie präventiver Natur.
Die Gefahr nach § 38 lit. a PoIG kann sich auf jegliche Polizeigüter beziehen. Dementsprechend kann etwa auch die Sicherstellung von Flugblättern zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig sein. Je nach betroffenem Polizeigut dürfte die Schwelle der Erheblichkeit aber unterschiedlich rasch erreicht sein. Die notwendige Erheblichkeit der Gefahr lässt sich schon aus diesem Grund nicht abstrakt umschreiben. Der Polizei wird durch die Verwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt. Bei der pflichtgemässen Handhabung dieses Spielraums ist sie in erster Linie auf das Verhältnismässigkeitsprinzip verwiesen. Sie hat daher die Schwere der drohenden Gefahr und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich tatsächlich verwirklicht, gegen den mit der Sicherstellung verbundenen Eingriff in die Rechte des Betroffenen abzuwägen.
31. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit setzt voraus, dass für eine Massnahme ein öffentliches Interesse vorliegt. Die Massnahme muss geeignet sein, dem öffentlichen Interesse zu dienen. Im polizeilichen Kontext bedeutet dies, dass eine Massnahme geeignet sein muss, die angestrebte Verbesserung der öffentlichen Sicherheit oder den Schutz von bestimmten Personen oder Sachen zu erreichen oder mindestens einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten. Ein schwerer Eingriff in Grundrechtspositionen ist nur dann zulässig, wenn das verfolgte öffentliche Interesse ebenfalls einen hohen Stellenwert hat.
32. Vorliegend zielte die Sicherstellung des Sandwichplakats auf die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, d.h. konkret auf die Durchsetzung des damals geltenden – zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erlassenen – Demonstrationsverbots ab. So war es gemäss Art. 6 Abs. 1 der Covid-19-Verordnung 2, Stand am 30. April 2020, verboten, öffentliche oder private Veranstaltungen, einschliesslich Sportveranstaltungen und Vereinsaktivitäten durchzuführen. Ebenfalls waren Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen im öffentlichen Raum, namentlich auf öffentlichen Plätzen, auf Spazierwegen und in Parkanlagen, verboten (Art. 7c Abs. 1 Covid-19-Verordnung 2). Diese Massnahmen waren zur Verminderung des Übertragungsrisikos und zur Bekämpfung des Coronavirus angeordnet worden (vgl. Art. 1 Covid19-Verordnung 2) und die Polizei und weitere durch die Kantone ermächtigte Vollzugsorgane hatten für die Einhaltung der Vorgaben im öffentlichen Raum zu sorgen (Art. 7c Abs. 3 Covid-19-Verordnung 2).
Es lag somit grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Sicherstellung des Sandwichplakats vor, wenngleich fraglich ist, in welchem Umfang ein Demonstrationsverbot (bei gleichzeitiger Erlaubnis einer Menschenansammlung bis zu fünf Personen und in Anbetracht der Möglichkeit von Schutzkonzepten) überhaupt rechtmässig bzw. verfassungskonform war. Tatsache ist allerdings, dass keine städtischen Bewilligungen für Demonstrationen am 1. Mai 2020 vorlagen und zumindest grössere (mehr als fünf Personen umfassende) spontane Kundgebungen ohne vorgängige Vorlage und Genehmigung von Schutzkonzepten zweifelsohne verboten waren.
33. Zu prüfen ist weiter, ob die Massnahme geeignet war, dem öffentlichen Interesse (die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung) zu dienen. Vom Sandwichplakat selber ging keine direkte Gefahr aus. Fraglich ist allerdings, ob es zu einer erheblichen Gefahr beigetragen hat und diese durch die Sicherstellung beseitigt werden konnte.
Diesbezüglich ist zu beachten, dass der Rekurrent vorbringen lässt, er habe an keiner Demonstration teilnehmen, sondern als Einzelperson seine Meinungsäusserungsfreiheit wahrnehmen wollen. Geht man davon aus, dass dies zutrifft, so würde dies bedeuten, dass keine Gefahr der Teilnahme an einer Demonstration vorlag. Dabei mag zwar zutreffen, dass sein auffälliges Plakat andere Demonstrationswillige hätte anziehen und damit zu einer Gefahr hätte beitragen können, allerdings wird bei dieser Hypothese dem Rekurrenten unterstellt, dass er einerseits überhaupt (bewusst) unterwegs zu einem sog. Hotspot bzw. Anziehungspunkt war und dass er andererseits zugelassen hätte, dass sich eine Menschenansammlung um ihn herum bildet. Dafür lagen aber keine Anhaltspunkte vor. Zusammengefasst lagen zu wenige Hinweise auf die beabsichtigte Teilnahme an einer unerlaubten Demonstration vor, als dass davon ausgegangen werden konnte, dass das Plakat zu einer erheblichen Gefahr beitrug und diese durch die Sicherstellung beseitigt werden konnte. Selbst wenn es ein zeitlich beschränkter und damit nicht allzu schwerer Eingriff war, so wurde dem Rekurrenten damit die Möglichkeit genommen, am fraglichen Tag sein Grundrecht im erlaubten Rahmen auszuüben. Dabei ist dem Rekurrenten zuzustimmen, wenn er ausführen lässt, dass es gerade in Anbetracht der damals geltenden Restriktionen essentiell war, die verbleibenden Grundrechte – vorliegend die politische Meinungsäusserung als Einzelperson auf öffentlichem Grund – weiterhin ausüben zu können.
Statthalteramt Bezirk Zürich, Verfügung RK 2020.16 vom 23.11.2021
Strafrecht
Die Verwahrung muss “ultima ratio” bleiben
Eine Verwahrung setzt eine schwere Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität einer Person voraus. Bei einfachen Brandstiftungen sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.
Sachverhalt:
Das Kantonsgericht St. Gallen verurteilte einen Mann Ende Juni 2017 wegen mehrfacher vollendeter Brandstiftung und mehrfach versuchter Brandstiftung mit geringem Schaden zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten und bestätigte die von einem Kreisgericht angeordnete stationäre therapeutische Massnahme. Der Vollzug dieser Massnahme begann direkt im Anschluss an die Untersuchungs- und Sicherheitshaft in einer Klinik. Im Mai 2021 hob das Sicherheits- und Justizdepartement die stationäre Massnahme auf und ordnete für den Verurteilten die vollzugsrechtliche Sicherheitshaft an. Es überwies die Sache an die Strafkammer des Kantonsgerichts und beantragte die Verwahrung des Verurteilten. Die Strafkammer sah von einer Verwahrung und einer anderen Massnahme ab und entliess den Verurteilten aus der Sicherheitshaft.
Aus den Erwägungen:
III. 1.a/aa) Nach rechtskräftiger Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme hat das in der Sache zuständige Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde über die Rechtsfolgen zu befinden. Es besteht damit Raum für eine Umwandlung der ursprünglich angeordneten Massnahme, also für Korrekturen hinsichtlich der Behandlung und Sicherungsintensität. Dem Gericht obliegt es mithin, darüber zu entscheiden, ob die Reststrafe zu vollziehen (Art. 62c Abs. 2 StGB), eine andere Massnahme (Art. 62c Abs. 3 StGB; siehe auch Art. 62c Abs. 6 StGB) oder gegebenenfalls gar die Verwahrung (Art. 62c Abs. 4 StGB) anzuordnen ist. Das Gericht ist dabei nicht an den Antrag beziehungsweise die Empfehlung der Vollzugsbehörde gebunden (BGE 141 IV 49, E. 2.5 m.H.).
Die Verwahrung ist als «ultima ratio» nur unter qualifizierten Voraussetzungen möglich. Die blosse Erfüllung eines Anlasstatbestands genügt nicht. Das Bundesgericht hat sich in BGE 139 IV 57 intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie das Kriterium der schweren Beeinträchtigung neben der Voraussetzung der im Gesetz umschriebenen Anlasstaten auszulegen ist. Gestützt auf die Gesetzesmaterialien und die in der Lehre vertretenen Meinungen hat es festgehalten, dass der schweren Beeinträchtigung als Ausdruck der Verhältnismässigkeit einschränkende Bedeutung zukommt. Es muss sich um «schwere Straftaten» handeln, durch die der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person «schwer» beeinträchtigte oder beeinträchtigen wollte. Dies gilt gleichermassen für Katalogtaten und Straftaten nach der Generalklausel als Anlasstaten als auch für die ernsthaft zu erwartenden Folgetaten. Von einer schweren Opferbeeinträchtigung ist unter Zugrundelegung eines objektiven Massstabs auszugehen, wenn aufgrund der zu beurteilenden Tat nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit einer Traumatisierung des Opfers zu rechnen ist. Ein materieller Schaden genügt nicht.
dd) Gemäss Art. 221 Abs. 1 StGB macht sich der Brandstiftung schuldig, wer vorsätzlich zum Schaden eines andern oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht. Es muss ein Brand von einer gewissen Erheblichkeit vorliegen. Die Entfachung einer Feuersbrunst erfüllt für sich allein den Tatbestand nicht. Als weitere Merkmale müssen ein unmittelbar aus der Schädigung der in Brand gesteckten Sache resultierender Sachschaden bei einem andern oder die Herbeiführung einer Gemeingefahr hinzutreten, wobei bereits die Gefahr, dass das Feuer auf benachbarte Gebäude oder andere Sachen übergreift, genügt.
bb) Brandstiftung wird in Art. 64 Abs. 1 StGB als Anlasstat für eine Verwahrung genannt. Dabei wird die einfache Brandstiftung gemäss Art. 221 Abs. 1 StGB nicht explizit ausgeschlossen. Die Erfüllung einer Katalogtat alleine genügt für die Anordnung der Verwahrung allerdings nicht. Es muss sich vielmehr zudem im Einzelfall um eine «schwere Straftat» handeln, durch die der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person «schwer» beeinträchtigte oder beeinträchtigen wollte.
cc) Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen davon ausgehen wollte, dass eine Verwahrung bei einer Verurteilung wegen einfacher Brandstiftung gemäss Art. 221 Abs. 1 StGB grundsätzlich möglich wäre, kommt eine Verwahrung vorliegend nicht in Frage. Denn auch für diesen Fall müsste es sich um schwere Straftaten handeln, durch die die Verurteilte die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte. Bei der Beurteilung dieser Frage ist die Strafkammer dabei im vorliegenden Verfahren an die Feststellungen der Sachgerichte gebunden. Eine eigene freie Würdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist der Strafkammer wie dargelegt verwehrt. Weder aus den Entscheiden des Kreisgerichts und des Kantonsgerichts ergibt sich, dass Personen verletzt oder konkret gefährdet worden sind und/oder dass die Verurteilte dies gewollt oder in Kauf genommen hat.
dd) Insgesamt liegt nach dem Gesagten keine schwere Straftat im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB vor. Entsprechend scheidet die Verwahrung aus.
Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid ST.2021.78 vom 2.2.2022
Strafprozessrecht
Strafbefehl bei ungeklärtem Sachverhalt ungültig
Wird ein Strafbefehl erlassen, obwohl kein eindeutiges Geständnis und auch kein ausreichend geklärter Sachverhalt vorliegt, ist der Strafbefehl ungültig.
Sachverhalt:
Die Luzerner Staatsanwaltschaft erliess gegen die Beschuldigte einen Strafbefehl unter anderem wegen mehrfacher Veruntreuung. Dagegen erhob die Beschuldigte Einsprache. Die Staatsanwaltschaft überwies den Strafbefehl dem Bezirksgericht zur Durchführung des Hauptverfahrens.
Aus den Erwägungen:
2.3 Die vorangehenden Ausführungen zeigen, dass der Sachverhalt betreffend den Vorwurf der mehrfachen Veruntreuung durch die Beschuldigte eindeutig weder eingestanden noch anderweitig ausreichend geklärt ist.
2.4 Zu prüfen bleibt, ob das eindeutige Fehlen eines Geständnisses bzw. eines anderweitig ausreichend geklärten Sachverhalts den Strafbefehl i.S.v. Art. 356 Abs. 2 StPO ungültig macht und dazu führt, dass ihn das Gericht i.S.v. Art. 356 Abs. 5 StPO aufzuheben und den Fall zur Durchführung eines neuen Vorverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen hat. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts dazu ist uneinheitlich. In den Urteilen 6B_432/2016 und 6B_434/2016 vom 27.3.2017 führte das Bundesgericht aus, es sei eine Frage der Beweiswürdigung und primäre Aufgabe des urteilenden Gerichts, zu prüfen, ob der Sachverhalt hinreichend erstellt sei. Eine Rückweisung des Strafbefehls an die Staatsanwaltschaft, weil der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt sein solle, komme anders als bei Mängeln formaler Natur nicht in Frage (E. 1.2). Davon abweichend hielt das Bundesgericht im Urteil 6B_848/2013 vom 3.4.2014 fest, ein ungültiger Strafbefehl liege beispielsweise vor, wenn eindeutig weder ein Geständnis noch ein anderweitig ausreichend geklärter Sachverhalt im Sinne von Art. 352 Abs. 1 StPO vorliege (E. 1.3.2). Im Urteil 6B_910/2017 vom 29.12.2017 bestätigte es diese Ansicht. Ungültig sei ein Strafbefehl nicht nur bei formellen, sondern auch bei inhaltlichen Mängeln, namentlich wenn kein im Sinne von Art. 352 Abs. 1 StPO ausreichend geklärter Sachverhalt vorliege (E. 2.4).
Die Lehre vertritt mehrheitlich die Auffassung, ein Strafbefehl sei ungültig und aufzuheben, wenn der Sachverhalt weder eingestanden noch ausreichend geklärt sei (Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung Praxiskommentar, 2018, N 7 zu Art. 356 StPO; Schwarzenegger, Kommentar zur Strafprozessordnung, 2020, N 12d zu Art. 352 StPO und N 2 zu Art. 356 StPO; wohl a.M. Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2020, N 1961). Dieser Ansicht ist zu folgen.
Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, dass die Staatsanwaltschaft nur unter den in Art. 352 Abs. 1 StPO statuierten Voraussetzungen einen Strafbefehl erlassen darf. Die beschuldigte Person muss den Sachverhalt im Vorverfahren entweder eingestanden haben oder dieser anderweitig ausreichend geklärt sein. Die Prüfung der in Art. 352 Abs. 1 StPO statuierten Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in Art. 356 Abs. 2 StPO dem Gericht übertragen. Entsprechend muss das Gericht einen Strafbefehl, gegen den Einsprache erhoben wurde, zumindest dann aufheben können, wenn das Fehlen eines Geständnisses bzw. eines ausreichend geklärten Sachverhalts eindeutig ist. Selbst eine direkte Anklage kann das Gericht nach Art. 329 Abs. 2 StPO zur Erhebung unverzichtbarer Beweise – Beweise, deren Fehlen die materielle Beurteilung der Sache verhindern – zurückweisen (vgl. BGE 141 IV 39, E. 1.6.2; Urteil BGer 1B_304/2011 = Pra 101 [2012] Nr. 54, E. 3.2.2). Müsste das Gericht bei Einsprache gegen einen Strafbefehl über die blosse Beweisergänzung hinausgehende Beweisabnahmen vornehmen, würde das Vorverfahren in das erstinstanzliche Hauptverfahren verlagert und das Gericht in die Rolle der untersuchenden Behörde gedrängt.
Vor diesem Hintergrund ist ein Strafbefehl, der erlassen wird, obwohl eindeutig weder ein Geständnis noch ein anderweitig ausreichend geklärter Sachverhalt vorliegt, i.S.v. Art. 356 Abs. 2 StPO ungültig und i.S.v. Art. 356 Abs. 5 StPO aufzuheben und der Fall zur Durchführung eines neuen Vorverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
Bezirksgericht Luzern, Entscheid 2Q1 21 89 vom 13.4.2022
Parteientschädigung auch bei einem Bagatelldelikt
Ein Zürcher Autofahrer hat sich erfolgreich gegen eine Parkbusse in der Höhe von 40 Franken gewehrt. Das Bundesgericht entschied, dass ihm sogar der Anwalt bezahlt werden muss.
Sachverhalt:
Die Stadtpolizei Zürich büsste vor zwei Jahren einen Autofahrer mit 40 Franken wegen Parkierens ohne Parkzettel. Noch am selben Tag beschwerte sich dieser mit einem Brief bei der Stadtpolizei Zürich. Er schickte einen gültigen Parkzettel für die fragliche Zeit mit. Die Stadtpolizei hielt an der Ordnungsbusse fest. Später bekam er einen Strafbefehl vom Stadtrichteramt mit einer Busse von 40 Franken plus 90 Franken Verfahrenskosten. Jetzt nahm der Beschuldigte einen Rechtsanwalt und dieser erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Das Stadtrichteramt stellte das Verfahren ein. Die Kosten nahm es auf die eigene Kasse, eine Entschädigung aber verweigerte es dem Autofahrer. Dagegen wehrte er sich vor Obergericht. Das Obergericht wies die Beschwerde ab. Erst das Bundesgericht gab ihm recht.
Aus den Erwägungen:
3.4.1 Zu beachten ist, dass es im Rahmen von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO um die Verteidigung einer vom Staat zu Unrecht beschuldigten und gegen ihren Willen in ein Strafverfahren einbezogenen Person geht. Das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht sind zudem komplex und stellen insbesondere für Personen, die das Prozessieren nicht gewohnt sind, eine Belastung und eine grosse Herausforderung dar. Wer sich selbst verteidigt, dürfte deshalb prinzipiell schlechter gestellt sein. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Schwere des Deliktsvorwurfs. Auch bei blossen Übertretungen darf deshalb nicht generell davon ausgegangen werden, dass die beschuldigte Person ihre Verteidigungskosten als Ausfluss einer Art von Sozialpflichtigkeit selbst zu tragen hat.
Beim Entscheid über die Angemessenheit des Beizugs eines Verteidigers sind neben der Schwere des Tatvorwurfs und der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Falls insbesondere auch die Dauer des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf die persönlichen und beruflichen Verhältnisse der beschuldigten Person zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht auch bei blossen Übertretungen ein Anspruch auf Entschädigung für Anwaltskosten, wenn der Rechtsanwalt erst nach Ergehen eines Strafbefehls beigezogen wurde und die Übertretung von der Staatsanwaltschaft daher mit einer gewissen Hartnäckigkeit verfolgt wurde (Urteil 6B_950/2020 vom 25. November 2020, E. 2.3.1 mit Hinweisen). Massgebend für die Beurteilung der Angemessenheit des Beizugs eines Verteidigers sind die Umstände, die im Zeitpunkt der Mandatierung bekannt waren.
3.5.1 Dem Beschwerdeführer wurde im Strafbefehl eine Übertretung im Bagatellbereich vorgeworfen. Der Fall war weder rechtlich noch tatsächlich besonders komplex. Allerdings hat der Beschwerdeführer vor Beizug eines Rechtsvertreters bereits zweimal einen schriftlichen Einwand mit Beilage gegen die verhängte Busse verfasst.
Nach der Zustellung des Strafbefehls zog er einen Rechtsvertreter bei. Auf die durch diesen ausgearbeitete Einsprache hin erfolgte die Einstellung des Strafverfahrens.
3.5.2 Im vorliegenden Fall erweist sich der Beizug eines Rechtsvertreters trotz des Bagatellcharakters der Übertretung als angemessen. Es ist nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer davon ausging, sein Laien-Argumentarium sei ausgeschöpft und anscheinend nicht ausreichend, um die Behörden von seiner Unschuld zu überzeugen. Die vorinstanzliche Begründung verkennt, dass der Beschwerdeführer vor dem Beizug des Rechtsvertreters seine Argumentation bereits mehrfach vergeblich in das Strafverfahren eingebracht hatte. Der Beschwerdeführer hat zweimal seine Position in einer gut verständlichen, jeweils unterschiedlich formulierten Laienbegründung dargelegt und das zentrale Beweismittel für seine Unschuld seinen Eingaben beigelegt. Gleichwohl wurde das Verfahren durch die Behörden weiterverfolgt.
Nachdem das Verfahren mit dem Strafbefehl durch die Behörden auf eine neue Stufe gehoben wurde, ist nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in dieser Situation davon ausging, anwaltliche Hilfe zu benötigen, und ebenfalls eine neue Stufe wählte, indem er seine mittlerweile dritte Eingabe mit Hilfe eines Rechtsvertreters einreichte.
Zu konstatieren ist, dass die Eingabe des Rechtsvertreters als professionell ausgearbeitete Einsprache ein juristisches Argumentarium etwa zur Unschuldsvermutung enthält und sich damit anders präsentiert als die Laien-Eingaben des Beschwerdeführers. Gleichzeitig unterscheidet sie sich im Kerngehalt der Argumentation inhaltlich nicht von den Laienbegründungen des Beschwerdeführers. Dies spricht aber nicht gegen einen Entschädigungsanspruch, sondern zeigt vielmehr, dass der Beschwerdeführer tatsächlich davon ausgehen durfte, seine Möglichkeiten als Laie ausgeschöpft zu haben.
3.5.3 Der zu beurteilende Fall unterscheidet sich hinsichtlich der konkreten Umstände in mehrfacher Hinsicht von dem im Urteil 6B_843/2015 vom 24. Februar 2016 beurteilten Fall, auf welchen die Vorinstanz sich beruft. Belastend für den Beschwerdeführer war vorliegend das Strafverfahren als solches, anders als im zitierten Fall, in dem nicht das Strafverfahren belastend war, sondern ein zugrundeliegender Nachbarschaftsstreit. Zudem war im zitierten Urteil die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts auf Willkür beschränkt.
3.6 Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich als begründet. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Höhe der auszurichtenden Entschädigung ist durch die Vorinstanz festzulegen.
Bundesgericht, Urteil 6B_1472/2021 vom 30.5.2022
Sozialversicherungsrecht
Anspruch auf Prämienverbilligung trotz dritter Säule
Der Kapitalbezug aus der Säule 3a stellt keinen Vermögenszuwachs dar. Bei der Berechnung der Krankenkassenverbilligung zählt er deshalb zum Vermögen, nicht zum Einkommen.
Sachverhalt:
Ein Aargauer Rentner hatte Anspruch auf eine Verbilligung der Krankenkassenprämie. Die Ausgleichskasse strich die Unterstützung rückwirkend, nachdem sich der Rentner das in der dritten Säule gesparte Geld von 39 424 Franken hatte auszahlen lassen. Dagegen wehrte sich der Mann mit Erfolg vor dem Versicherungsgericht Aargau. Es hielt fest: Das Altersgeld habe Vorsorgecharakter. Der Rentner müsse damit den Lebensunterhalt über einen längeren Zeitraum sichern. Das Geld zähle daher nur zum Vermögen und nicht zum Einkommen.
Aus den Erwägungen:
2. Bei einer wesentlichen Verschlechterung oder Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist der Prämienverbilligungsanspruch im ausserordentlichen Verfahren zu bemessen (§ 11 Abs. 1 KVGG). Als wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse gilt dabei eine Erhöhung des Einkommens um mindestens 20 Prozent oder um mindestens 20 000 Franken oder ein Vermögenszuwachs von mindestens 20 000 Franken (§ 11 Abs. 3 KVGG). Im ausserordentlichen Verfahren erfolgt die Berechnung des Anspruchs auf Prämienverbilligung auf der Grundlage der aktuellen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KVGG). Vermögenszuwachs gemäss § 11 Abs. 3 KVGG wird im entsprechenden Jahr als Einkommen behandelt (§ 14 Abs. 2 KVGG).
3.2 Der Wortlaut von § 14 Abs. 2 KVGG hält fest, dass ein Vermögenszuwachs von mehr als 20000 Franken im entsprechenden Jahr als Einkommen zu berücksichtigen ist, und nimmt keine Differenzierung hinsichtlich der Quelle des Vermögenszuwachses vor.
Aus der Botschaft des Regierungsrats betreffend das Gesetz zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVGG) geht betreffend § 14 Abs. 2 KVGG hervor, dass wesentliche positive Vermögensveränderungen im Jahr des Vermögensanfalls nicht im Rahmen der 20-prozentigen Anrechnung des Vermögens im Sinne von § 6 Abs. 2 KVGG berücksichtigt würden, sondern im betreffenden Jahr als Einkommen und erst im Folgejahr als Vermögen gälten. Damit werde eine Verbesserung des Erwerbseinkommens um mindestens 20000 Franken einem einmaligen Vermögenszuwachs von 20000 Franken gleichgestellt. Beides gelte im betreffenden Jahr als Einkommensverbesserung, was es von der Wirkung her ja auch sei. Eine Berücksichtigung des Vermögenszuwachses bei der Anspruchsberechnung lediglich im normalen Rahmen von 20 Prozent würde eine unverhältnismässige Ungleichbehandlung gegenüber der Einkommensverbesserung bedeuten (Botschaft Seite 61).
Diese Ausführungen lassen für die vorliegend relevante Frage der Berücksichtigung eines Kapitalbezugs aus der Säule 3a als Einkommen jedoch keine relevanten Schlussfolgerungen zu. Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, dass das bei der Berechnung des Prämienverbilligungsanspruches berücksichtigte massgebende Einkommen aus dem rechtskräftig veranlagten steuerbaren Einkommen besteht, dem unter anderem die Abzüge für Einkaufsbeiträge an die Säule 2 und Beiträge an die Säule 3a hinzugerechnet werden (§ 6 Abs. 3 lit. b KVGG). Der Botschaft lässt sich hinsichtlich der Zielsetzung dieser Wiederaufrechnung der Abzüge für Beiträge an die Säule 3a in grundsätzlicher Hinsicht entnehmen, dass das steuerbare Einkommen (im Gegensatz zur Handhabung unter dem damals noch geltenden EG KVG) um diejenigen Faktoren bereinigt werden solle, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsteller nicht tangierten. Diesem Ziel dient auch § 14 Abs. 2 KVGG: Die öffentliche Hand soll nicht jene Personen entlasten, denen die Bezahlung der Krankenkassenprämien durch einen Vermögenszuwachs von (mindestens) 20000 Franken ohne weiteres möglich wäre. Auf Kapitalbezüge aus den Säulen 2 und 3a trifft dies allerdings nicht in gleichem Masse zu wie auf andere Arten des Vermögenzuwachses wie bspw. Erbschaften, Schenkungen oder Lottogewinne. Zum einen sind die entsprechenden Kapitalbezüge entweder an strenge Voraussetzungen geknüpft oder können nicht frei verwendet werden. Zum anderen haben diese Guthaben einen Vorsorgecharakter und dienen daher der Bestreitung des Lebensbedarfs über einen längeren Zeitraum hinweg. Dieser Zielsetzung liefe es zuwider, wenn der Kapitalbezug im Auszahlungsjahr bei der Prüfung der Prämienverbilligung als Einkommen angerechnet würde.
4.1 Nach dem Dargelegten ist der angefochtene Einspracheentscheid vom 20. Januar 2021 in teilweiser Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und die Sache zur Festsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers und seiner Familie auf Prämienverbilligung für den Zeitraum von Juni bis Dezember 2018 an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.
Versicherungsgericht Aargau, Urteil VBE.2021.72 vom 24.6.2021
Steuerrecht
Abzug für auswärtige Verpflegung zu Unrecht gekürzt
Der Sinn des Pauschalabzugs etwa für die Benützung des Velos auf dem Arbeitsweg oder für die auswärtige Verpflegung besteht darin, dass die Kosten nicht detailliert nachgewiesen werden müssen. Es besteht eine gesetzliche Vermutung, dass gewisse Auslagen entstehen, die über den Pauschalabzug geltend gemacht werden können.
Sachverhalt:
Die Steuerkommission Buchs AG kürzte einer Pflegerin die Steuerabzüge für Mittagsmahlzeiten um 1320 Franken. Das Amt argumentierte, die Frau könne in der Kantine für 12 bis 14 Franken günstig essen. Das sei nur 2 bis 4 Franken teurer als ein Essen zu Hause. Die Steuerkommission verweigerte auch einen Steuerabzug für das Velo. Die Frau wehrte sich dagegen, das Aargauer Spezialverwaltungsgericht gab ihr recht.
Aus den Erwägungen:
4.2.1 Als von den steuerbaren Einkünften in Abzug zu bringende Berufskosten gelten unter anderem «die notwendigen Mehrkosten für Verpflegung ausserhalb der Wohnstätte und bei Schichtarbeit» (§ 35 Abs. 1 lit. b StG).
4.2.2 Soweit es um die Mehrkosten der auswärtigen Verpflegung geht, wird von Unselbständigerwerbenden nicht der Nachweis verlangt, dass sie sich tatsächlich auswärts verpflegen. Indes setzt der Abzug voraus, dass eine Hauptmahlzeit wegen zu grosser Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte oder wegen kurzer Essenspause oder Schichtarbeit nicht zu Hause eingenommen werden kann. Ob und wie der Steuerpflichtige die Hauptmahlzeit «ersetzt», interessiert nicht. Stets müssen die Aufwendungen jedoch mit der Einkommenserzielung in unvermeidbarer Weise verbunden sein.
4.2.3 Die aus Praktikabilitätsgründen angewendeten Pauschalen erfüllen den Zweck der Verfahrensvereinfachung nur dann, wenn sich nicht eine Vielzahl von Steuerpflichtigen zum Nachweis höherer tatsächlicher Kosten veranlasst sieht. Das Wesen eines Pauschalabzuges liegt gerade darin, dass von den Steuerpflichtigen kein detaillierter Kostennachweis erbracht werden muss. Es besteht mithin eine gesetzliche Vermutung, dass in Ausübung einer bestimmten Tätigkeit gewisse Auslagen entstehen, die über den Pauschalabzug geltend gemacht werden können. Der Pauschalabzug steht damit einem unselbständig Erwerbstätigen bei Nachweis der Vermutungsbasis grundsätzlich unabhängig von den tatsächlich angefallenen Kosten zu. Steht jedoch fest, dass ein Steuerpflichtiger in Ausübung einer Berufstätigkeit in einem Bereich überhaupt keine Kosten (selber) zu tragen hatte, folgt aus dem Charakter der Gewinnungskosten, dass diesbezüglich kein Abzug möglich ist.
4.2.4 Das Bundesgericht hat darauf hingewiesen, dass die kantonalen Behörden unter Berücksichtigung der regionalen bzw. lokalen Begebenheiten Zeitpauschalen festlegen können, innerhalb derer die Rückkehr nach Hause zur Mittagsverpflegung als zumutbar gelte. Es billigte dabei die Praxis der Steuerverwaltung Graubünden, wonach die Verpflegung zu Hause zumutbar sei, wenn für das Mittagessen inklusive Hin- und Rückfahrt nicht mehr als 90 Minuten benötigt werden und die Aufenthaltsdauer in den eigenen Räumlichkeiten mindestens 30 Minuten beträgt (Urteil vom 12. Mai 2003 [2P.254/2002], in: StE 2003 B 22. 3 Nr. 76). Im konkreten Fall erachtete das Bundesgericht – für einen alleinstehenden Steuerpflichtigen mit flexiblen Arbeitszeiten – einen Zeitaufwand von 85 Minuten für das Mittagessen inklusive Hin- und Rückfahrt bei einer Aufenthaltsdauer von 50 Minuten zur Zubereitung und Einnahme der Mahlzeit als ausreichend.
Das aargauische Verwaltungsgericht hat festgehalten, dass allfällige veränderte Alltagsgewohnheiten bezüglich der Einnahme des Mittagessens steuerrechtlich unbeachtlich seien. Es entschied, dass einem alleinstehenden Steuerpflichtigen mit flexiblen Arbeitszeiten und kurzem Arbeitsweg ohne weiteres eine Rückkehr über Mittag zugemutet werden könne (VGE vom 16. Juni 2010 [WBE. 2009. 382] = AGVE 2010 S. 118). Die gängige Praxis des Spezialverwaltungsgerichts, wonach die Heimkehr über Mittag als zumutbar gilt, wenn der Aufenthalt zu Hause mindestens 75 Minuten (Mahlzeit muss selber zubereitet werden) bzw. 45 Minuten (Mahlzeit muss nicht selber zubereitet werden) beträgt (vgl. RGE vom 26. April 2007 [3-RV.2006. 224] unter anderem mit Hinweis auf AGVE 1981, S. 338), wurde dabei nicht in Frage gestellt, ist indes als grosszügig zu bezeichnen.
5. 6 Wird von einer Aufenthaltsdauer zu Hause von 75 Minuten ausgegangen, da aufgrund der Deklaration in der Steuererklärung 2019 anzunehmen ist, dass die Mahlzeit selber zubereitet werden muss, müssen der Rekurrentin bei einer Dauer von Hin- und Rückfahrt zwischen Arbeitsort und Wohnort von 10 Minuten für die Mittagspause 85 Minuten zur Verfügung stehen. Wie bereits oben erläutert, stand der Rekurrentin an 32 Arbeitstagen eine Mittagspause von mindestens drei Stunden und 24 Minuten zur Verfügung, womit es der Rekurrentin möglich warm an diesen Tagen das Mittagessen zu Hause einzunehmen.
5.7 Wie bereits unter den Erwägungen 4.2.2 und 4.2.3 festgehalten ist vorliegend allerdings nicht massgebend, ob und wie die Rekurrentin die Hauptmahlzeit ersetzt hat, respektive welche Kosten ihr dabei angefallen sind. Folglich ist für die restlichen 55 Arbeitstagen der Rekurrentin der volle Abzug für die Mehrkosten der auswärtigen Verpflegung zu gewähren, da ihr gemäss dem Lohnausweis für das Jahr 2019 keine Kantinenverpflegung zur Verfügung stand.
5.8 Folglich ist der Rekurs in diesem Punkt teilweise gutzuheissen und der Abzug für die auswärtige Verpflegung für 122 (67 + 55) Tage à 15 Franken, insgesamt 1830 Franken zu gewähren.
6.2.1 Für die tatsächliche Benützung eines Fahrrades kann grundsätzlich ein Pauschalabzug von 700 Franken pro Jahr geltend gemacht werden.
6.2.2 Die Vorinstanz ist hingegen der Ansicht, dass aufgrund der kurzen Distanz von 1,1 Kilometern (recte: 1,2 Kilometern) kein Anspruch auf den Abzug bestehe.
6.2.3 Massgebend ist ein Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 2017 (2C_745/2017 = ASA 86 S. 324 = ZStP 2017, S. 317 = StE 2017 B 22.3 Nr. 119). Es wurde ausgeführt, dass der Verordnungsgeber nahezu jede Fahrradfahrt zur Arbeitsstätte als «wirtschaftlich durch die Erwerbstätigkeit veranlasst» erachtet. Kein Unterschied bestehe, wenn das Fahrrad dazu diene, die öffentlichen Verkehrsmittel (ÖV) zu erreichen. Mit Blick auf den geringfügigen Abzug sei insgesamt eine grosszügige Praxis am Platz. Anders zu entscheiden sei nur, wenn die ÖV-Haltestelle gewissermassen vor dem Haus liege und der Einsatz eines Fahrrades nicht nachgewiesen werden könne.
6. 3 Gestützt auf die Ausführungen des Bundesgerichts ist der Rekurrentin für die Fahrt vom Wohnort an den Arbeitsplatz der Pauschalabzug für ein Fahrrad zuzulassen.
8. In teilweiser Gutheissung des Rekurses wird das steuerbare Einkommen auf 93 817 Franken festgesetzt.
Spezialverwaltungsgericht Kanton Aargau, Urteil 3-RV.2021.83 vom 24.3.2022