Arbeitsrecht
Nach manipulierten Rapporten fristlose Entlassung zulässig
Verfälscht ein leitender Angestellter systematisch die Arbeitsrapporte von Angestellten, liegt ein erheblicher Vertrauensverlust vor. Dies rechtfertigt eine fristlose Kündigung ohne vorherige Verwarnung.
Sachverhalt
Ein Einsatzleiter war 14 Jahre bei einer Aargauer Reinigungsfirma tätig. Der Betrieb kündigte dem Angestellten unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist und stellte ihn frei, nachdem es zu Zerwürfnissen in der Firma gekommen war. Drei Wochen später erfährt der Betrieb, dass der Einsatzleiter Dutzende Stundenrapporte falsch ausgefüllt und visiert hatte. Die Firma entlässt ihn fristlos. Der Entlassene fordert vom Betrieb 22'700 Franken entgangenen Lohn plus eine Entschädigung von 7000 Franken wegen der fristlosen Kündigung. Das Zivilgericht Solothurn und das Obergericht Solothurn weisen die Klage ab.
Aus den Erwägungen
4.1 Nach Art. 337 des Schweizerischen Obligationenrechts kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus wichtigen Gründen jederzeit fristlos auflösen (Abs. 1). Als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Abs. 2). Nach der Rechtsprechung zu Art. 337 OR ist eine fristlose Entlassung nur bei besonders schweren Verfehlungen des Arbeitnehmers gerechtfertigt.
Diese müssen einerseits objektiv geeignet sein, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu zerstören oder zumindest so tiefgreifend zu erschüttern, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zuzumuten ist, und anderseits auch tatsächlich zu einer derartigen Zerstörung oder Erschütterung des gegenseitigen Vertrauens geführt haben. Sind die Verfehlungen weniger schwerwiegend, so müssen sie trotz Verwarnung wiederholt vorgekommen sein.
Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Bei der Gewichtung einer Pflichtverletzung ist bei Kaderpersonen aufgrund des ihnen entgegengebrachten Vertrauens und der Verantwortung, welche ihnen ihre Funktion im Betrieb überträgt, ein strenger Massstab anzulegen. Über das Vorhandensein eines wichtigen Grundes zur fristlosen Entlassung entscheidet das Gericht nach seinem Ermessen (Art. 337 Abs. 3 OR; vgl. zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 4A_685/2011 vom 24. Mai 2012, E. 4.1 und 4.2 mit Hinweisen).
5.2 Weiter moniert der Berufungskläger, dass das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren betreffend gewerbsmässigen Betrugs und Urkundenfälschung eingestellt worden sei, da das Strafgericht insbesondere davon ausgegangen sei, dass die Unregelmässigkeiten aufgrund mangelhafter und unsorgfältiger Arbeit entstanden seien und nicht aufgrund absichtlicher Manipulation.
Der Zivilrichter ist nicht an die strafrechtlichen Erkenntnisse gebunden und ist damit in seiner Beurteilung insbesondere in Bezug auf die Tatbestandsfrage (Sachverhalt) frei (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 4A_230/2021 vom 7. März 2022, E. 2.2). Die Vorinstanz schloss – im Gegensatz zum Strafgericht – auf eine bewusste Manipulation der Stundenrapporte durch den Berufungskläger.
5.3 Fraglich ist, ob die Vorinstanz zu Recht auf eine bewusste Manipulation der Stundenrapporte durch den Berufungskläger schloss. In Bezug auf die angeblich bewusste Manipulation ist festzuhalten, dass – entgegen der Behauptung des Berufungsklägers – gerade gestützt auf den Gesamtkontext davon ausgegangen werden muss, dass der Berufungskläger nicht unsorgfältig gearbeitet, sondern er die Stundenschreibung bewusst manipuliert hat. Die Unstimmigkeiten bei den Arbeitsstundenrapporten sind massiv. Unerklärlich ist, wie bei so massiven Unstimmigkeiten von unsorgfältigem Arbeiten gesprochen werden kann. Der Berufungskläger hat die Stunden und insbesondere Ferienabwesenheiten von Hand angepasst, geändert oder ergänzt.
Er hat also nicht nur die vorgedruckten Stundenrapporte visiert, sondern sie aktiv handschriftlich geändert. Zudem hat er für C. zusätzliche Stundenrapporte für weitere Objekte mit ihrer Mitarbeiternummer ergänzt und mit zusätzlichen Stunden ausgefüllt und visiert. Von einem passiven, naiven, unsorgfältigen Unterzeichnen kann keine Rede sein. Würde es sich lediglich um Fehler handeln, wären wohl nicht nur einer Person dermassen viele Stunden zu viel gutgeschrieben worden.
5.5 Wenn die ordentliche Kündigung bereits ausgesprochen ist, sind an eine fristlose Entlassung erhöhte Ansprüche zu stellen. Hat ein Arbeitgeber auf die weiteren Dienste des Arbeitnehmers verzichtet (sog. Freistellung), so ist der Fall recht selten, dass er während der Kündigungsfrist noch eine fristlose Entlassung aussprechen und die Lohnfortzahlung einstellen kann. Unzumutbarkeit ergibt sich meist bei persönlicher Konfrontation; diese entfällt beim nicht mehr am Arbeitsort erscheinenden Arbeitnehmer.
Nur wenn nach der Freistellung schwerwiegende Tatbestände, z.B. Veruntreuungen, festgestellt werden oder sich der freigestellte Arbeitnehmer zu krassen Illoyalitäten gegen den bisherigen Arbeitgeber hinreissen lässt, kann nachträglich die fristlose Entlassung ausgesprochen werden (Ullin Streiff / Adrian von Kaenel / Roger Rudolph, in: Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, Art. 337).
5.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Berufungskläger, indem er die Stundenrapporte wie oben dargestellt manipuliert und dennoch als richtig unterzeichnet hat, das Vertrauen der Berufungsbeklagten missbraucht hat. Die Entdeckung der Manipulation der Stundenrapporte und das Ergebnis der Befragungen der Mitarbeitenden, welche am 31. März 2020 stattfanden, d.h. nach dem Aussprechen der ordentlichen Kündigung, haben das Vertrauensverhältnis zum Berufungskläger zerstört. Es war der Berufungsbeklagten nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die fristlose Kündigung war gerechtfertigt. Die Berufung ist gestützt auf die obigen Ausführungen abzuweisen.
Obergericht Solothurn, Urteil ZKBER.2023.30 vom 31.8.2023
Gesellschaftsrecht
Verwaltungsrats- beschluss nach Ende der Sitzung ungültig
Ein Vorsitzender darf die Sitzung des Verwaltungsrats abbrechen, wenn sie nicht ordnungsgemäss durchgeführt werden kann. Führen die anderen Verwaltungsräte die Besprechung weiter, sind deren Beschlüsse ungültig.
Sachverhalt
Zwei zerstrittene Brüder besitzen zusammen eine Aktiengesellschaft mit Sitz im Kanton Zug. 2021 führten sie mit einem weiteren Verwaltungsrat eine Videokonferenz über Zoom durch. Der Vorsitzende bemerkte, dass eine unbekannte Drittpartei in der Konferenz anwesend war. Er forderte diese Person wiederholt auf, die Sitzung zu verlassen, was diese nicht tat. Der Vorsitzende beendete die Sitzung und verliess diese. Die beiden verbleibenden Verwaltungsräte besprachen die Traktanden weiter.
Sie beschlossen, die Anträge des Vorsitzenden abzulehnen und diejenigen des anderen Inhabers gutzuheissen. Durch die Beschlüsse änderten sich die Personen, die im Handelsregister zur Vertretung der Firma befugt sind. Der übergangene Vorsitzende beantragte beim Kantonsgericht Zug, es sei dem Handelsregister superprovisorisch zu verbieten, Änderungen am Eintrag der Firma vorzunehmen. Das Gericht hiess die Handelsregistersperre superprovisorisch und auch nach Anhörung der Firma gut. Diese beschwerte sich ohne Erfolg vor dem Obergericht Zug.
Aus den Erwägungen
4.2.3 Verwaltungsratsbeschlüsse können sowohl aus formellen wie auch aus materiellen Gründen nichtig sein. Aus formellen Gründen ist ein Verwaltungsratsbeschluss insbesondere dann nichtig, wenn ein Nichtbeschluss vorliegt, weil beispielsweise der Beschluss von einem anderen Organ als dem Verwaltungsrat gefasst wurde (z.B. vom Präsidenten oder von einem Ausschuss), gar keine Willensäusserung des Verwaltungsrats vorliegt, lediglich eine informelle Versammlung stattgefunden hat (unter Vorbehalt der ausdrücklich von allen Mitgliedern akzeptierten Durchführung einer Universalversammlung) oder bereits die Wahl des Verwaltungsrats nichtig gewesen ist (Wernli / R izzi, Basler Kommentar, 5. Aufl. 2016, Art. 714 OR, N 12; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 5. Aufl. 2022, § 9 Rz 333; von der Crone, Aktienrecht, 2. Aufl. 2020, S. 631).
Die Vorbereitung und die Leitung einer Verwaltungsratssitzung obliegt dem Verwaltungsratspräsidenten. Ist dieser verhindert, übernimmt der Vizepräsident seine Funktion als Vorsitzender (Wernli / Rizzi, a.a.O., Art. 712 OR N 3 und 8). Der Verhandlungsleiter (Vorsitzende) hat in der Sitzung besondere Aufgaben zu erfüllen. Diese beginnen damit, dass er die Versammlungsteilnehmer begrüsst und gleich zu Beginn die Regelung hinsichtlich der Protokollführung bekannt gibt (Müller / Lipp / Plüss, Der Verwaltungsrat, 4. Aufl. 2014, S. 267). Der Vorsitzende stellt die Präsenz fest und erläutert die Traktanden. Die Mitglieder des Verwaltungsrats haben die Gelegenheit, zusätzliche Traktanden zu nennen (Hungerbühler, Der Verwaltungsratspräsident, 2003, S. 105).
Lässt der Vorsitzende Dritte zu, kann jedes Mitglied dagegen Einspruch erheben, woraufhin die Mehrheit entscheidet (Müller /Lipp / Plüss, a.a.O., S. 267; vgl. Böckli, a.a.O., § 9 Rz 157). Die Einladung von Gästen ist nur nach jeweiliger Absprache mit dem Vorsitzenden möglich (Müller /Horber, Jahres- und Sitzungsplanung des Verwaltungsrats, SJZ 114 [2018], S. 272).
Im Rahmen der Leitung der Verwaltungsratssitzung hat der Vorsitzende insbesondere unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots zu bestimmen, wer wann zu Wort kommt. Unter Wahrung des Meinungsäusserungsrechts steht dem Vorsitzenden das Recht zu, Weisungen zur Ordnung der Verhandlungen zu erlassen. So kann er beispielsweise nach einer gewissen Dauer einer Debatte eine Redezeitbeschränkung einführen oder den Abschluss der Beratungen feststellen und zur Beschlussfassung übergehen.
Gegen die Entscheide des Vorsitzenden zur Verhandlungsführung kann jedes Mitglied des Verwaltungsrats Einsprache an den Gesamtverwaltungsrat erheben (Art. 715a Abs. 5 OR analog). Macht ein Mitglied des Verwaltungsrats von diesem Recht Gebrauch, so hat der Gesamtverwaltungsrat darüber zu entscheiden, ob die vom Vorsitzenden angeordnete Massnahme aufrechterhalten bleiben soll oder nicht (von der Crone, a.a.O., S. 616 m.w.H.). Der Verwaltungsrat kann nicht nur einen Verfahrensentscheid des Vorsitzenden aufheben, er kann auch selbst eine Verfahrensanordnung erlassen.
Im Gegensatz zum Vorsitzenden kann der Verwaltungsrat einen Entscheid allerdings nur auf Antrag eines Mitglieds hin fällen (Hungerbühler, a.a.O., S. 100 f.). Bei der Beschlussfassung innerhalb des Verwaltungsrats zählt zwingend das Kopfstimmprinzip (von der Crone, a.a.O., S. 617). Über die Verhandlungen und Beschlüsse des Verwaltungsrats ist ein Protokoll zu führen, das vom Vorsitzenden und vom Sekretär zu unterzeichnen ist (Müller / Lipp / Plüss, a.a.O., S. 268). Das Ende der Verwaltungsratssitzung ist vom Vorsitzenden formell festzuhalten (Forstmoser, Organisation und Organisationsreglement der Aktiengesellschaft, 2011, S. 265).
4.2.4 Da die Einladung von Gästen nur nach vorgängiger Absprache mit dem Sitzungsleiter möglich ist, eine solche aber weder behauptet noch glaubhaft gemacht wurde, und der Gesuchsteller ausserdem in seiner Funktion als Sitzungsleiter bereits in der Einladung die Teilnahme von externen Beratern untersagt hatte, handelte es sich vorliegend bei der Teilnahme der Rechtsvertreter und der Übersetzer an der Verwaltungsratssitzung vom 16. August 2021 um einen Verstoss gegen die Anordnung des Vorsitzenden.
Nachdem der Gesuchsteller die unbefugt eingewählten Dritten mehrfach erfolglos aufgefordert hatte, die Videokonferenz zu verlassen, war der Gesuchsteller berechtigt, die Sitzung abzubrechen und formell zu beenden. Bei diesem Entscheid des Gesuchstellers handelte es sich nicht um die Vertagung der Beratung oder Abstimmung über einen traktandierten Verhandlungsgegenstand auf eine künftige Verwaltungsratssitzung, sondern um einen Verfahrensentscheid zur Sicherstellung einer ordnungsgemässen Durchführung der Sitzung. Dieser Entscheid lag in der Kompetenz des Vorsitzenden.
4.2.5 Da die Verwaltungsratssitzung vom 16. August 2021 vom Gesuchsteller als Vorsitzendem für beendet erklärt wurde und die übrigen Verwaltungsräte nicht dagegen opponierten, ist die Sitzung als formell beendet zu betrachten. Folglich konnte diese Verwaltungsratssitzung – anders als bei einem Unterbruch – nicht mehr von den in der Videokonferenz verbleibenden Personen fortgeführt werden.
Damit nach der Beendigung der Sitzung gültige Verwaltungsratsbeschlüsse hätten gefasst werden können, hätte vorliegend – da nach dem Verlassen des Zoom-Meetings durch den Gesuchsteller die Voraussetzungen einer Universalversammlung des Verwaltungsrats nicht mehr gegeben waren – der Verwaltungsratspräsident zu einer neuen Verwaltungsratssitzung einladen müssen. Dies war jedoch nicht der Fall. JA. und K. hielten daher lediglich eine informelle Versammlung unter zwei Mitgliedern des Verwaltungsrats ab, an der jedoch keine gültigen Verwaltungsratsbeschlüsse gefasst werden konnten. Die Vorinstanz ist daher zu Recht zum Schluss gelangt, dass die Fortführung der Sitzung durch JA. unzulässig war und es glaubhaft ist, dass die von JA. und K. gefassten Beschlüsse nichtig sind.
Obergericht Zug, Urteil Z2 2022 37 vom 5.1.2023
Zivilprozessrecht
Darlehen des Betriebs ist kein Fall fürs Arbeitsgericht
Ein Streit um ein Darlehen ist keine arbeitsrechtliche Angelegenheit. Bei Beiträgen des Betriebs für Weiterbildungen von Angestellten gilt es zu unterscheiden zwischen Finanzierungs- und Ausbildungsvereinbarungen.
Sachverhalt
Ein Maschinenführer arbeitete bei einer Aargauer Baufirma. Der Betrieb gab dem Angestellten ein Darlehen von 102 356 Franken für die Ausbildung zum Bauführer. Zwei Jahre später kündigte der Betrieb dem Mann und forderte darauf das Darlehen vor dem Arbeitsgericht Laufenburg AG zurück. Das Arbeitsgericht trat aufgrund fehlender sachlicher Zuständigkeit nicht auf die Klage ein. Das Aargauer Obergericht bestätigt den Entscheid.
Aus den Erwägungen
1.2 Die Klägerin begründet ihre Berufung im Wesentlichen damit, dass sämtliche Forderungen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis als Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis zu qualifizieren seien. Es genüge, wenn der Lebenssachverhalt sich auf ein Arbeitsverhältnis beziehe. Indem es sich bei der strittigen Forderung um die Vorfinanzierung einer beruflichen Ausbildung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses handle, liege eine Streitigkeit aus Arbeitsverhältnis vor, zumal die strittige Forderung zum grossen Teil aus grundlos bezahlten Löhnen bestehe.
1.3 Unter die Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnis fallen sämtliche Klagen über Ansprüche, die auf Regeln gründen, welche auf Arbeitsverträge anwendbar sind, und zwar unabhängig davon, ob die Anspruchsgrundlage vertraglicher oder ausservertraglicher Natur ist, sofern nur der vom Kläger behauptete Lebenssachverhalt auf ein Arbeitsverhältnis bezogen ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_580/2013 vom 26. Juni 2014, E. 4.3). Nicht dazu zählen aber Klagen über Ansprüche, die ihren Ursprung nicht in einem Arbeitsverhältnis haben, sondern nur in Zusammenhang damit stehen, wie hier die Darlehensrückzahlung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_80/2019 vom 25. November 2019, E. 3.3; siehe auch Frank Emmel, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. Aufl. 2016, N. 2 zu Art. 343 OR).
In ihrer Klageschrift brachte die Klägerin vor, dass der Beklagte von sich aus die Ausbildung zum Bauführer unbedingt habe absolvieren wollen und sie selbst kaum Interesse daran gezeigt habe. Damit der Beklagte für die Ausbildung keinen Kredit habe aufnehmen müssen, habe sie sich bereit erklärt, ihm hierfür ein zinsloses Darlehen zu gewähren.
Anders als bei den früheren vom Beklagten absolvierten Ausbildungen hätten die Parteien keine Ausbildungsvereinbarung, sondern einen Darlehensvertrag abgeschlossen. Indem die Klägerin kaum Interesse an der Ausbildung des Beklagten zum Bauführer zeigte und bewusst einen Darlehensvertrag abschloss, bezweckte sie, das Arbeitsverhältnis vom Darlehen klar abzugrenzen.
Dadurch steht das Darlehen zwar in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag. Es handelt sich dabei aber weder um ein gekoppeltes noch um ein gemischtes Vertragsverhältnis, weshalb diesbezüglich auch keine Streitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis vorliegt (vgl. Balz Gross, in: Kommentar Gerichtsstandsgesetz, 2. Auflage 2005, N. 49 zu Art. 24 GestG). Die Darlehensgewährung hatte somit nur einen indirekten Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis der Parteien, indem der Beklagte von Sonderkonditionen profitieren konnte und die Rückzahlung mit Lohnforderungen, die er gegenüber der Klägerin hatte, verrechnet wurden. Somit hatte das Arbeitsverhältnis lediglich Anlass zu einer Darlehensgewährung zu Sonderkonditionen gegeben, wurde dem Beklagten aber nicht als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung gewährt.
Entgegen den klägerischen Ausführungen in der Berufung besteht der «Hauptteil der Forderung» auch nicht «in der Rückforderung grundlos bezahlter Löhne», hat doch die Klägerin in der Klage selber vorgebracht, dass sie es dem Beklagten ermöglicht habe, die Schule auch «während der Arbeitszeit» zu besuchen, wobei die Kosten für die ausgefallene Arbeitszeit vom Mitarbeitenden getragen werden müssten. Es sei vereinbart worden, dass die Klägerin dem Beklagten während der Ausbildung den vollen «Lohn» zahle und die «Lohnkosten» der für die Ausbildung verwendeten Arbeitszeit zum Darlehensbetrag hinzugerechnet und später vom Beklagten der Klägerin zurückbezahlt würden. Mithin liegen keine «grundlos bezahlten Löhne» vor, sondern es handelt sich um einen Teilbetrag des vereinbarten Darlehens.
Dass dieser Teilbetrag jeweils zusammen mit dem Lohn ausbezahlt wurde, betrifft lediglich den Zahlungsmodus des Darlehens und führt nicht zum Vorliegen einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit. Zusammengefasst ist die Vorinstanz mangels sachlicher Zuständigkeit zu Recht auf die Klage hinsichtlich der Forderung aus dem Darlehensvertrag nicht eingetreten.
Obergericht Aargau, Urteil ZOR.2023.9 vom 1.11.2023
Pauschales Honorar für unentgeltlichen Beistand zulässig
Die Kantone können das Honorar von unentgeltlichen Rechtsbeiständen mit Pauschalen festlegen. Das Bundesgericht greift nur bei offensichtlich zu tiefen Honoraren ein.
Sachverhalt
Eine Zürcher Anwältin reichte bei einem Friedensrichter ein Schlichtungsgesuch für ihre Mandantin ein. Sie forderte im Namen ihrer Klientin von einer Bank Auskunft über Personendaten und zudem die Feststellung, dass ein Konsumkredit über 50'000 Franken wegen schwerwiegender Sorgfaltswidrigkeiten der Bank nichtig sei. Weiter forderte sie die Rückerstattung bereits getätigter Ratenzahlungen durch die Kreditnehmerin. Die Anwältin beantragte beim Bezirksgericht Zürich für das Schlichtungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege und die Einsetzung als unentgeltliche Rechtsbeiständin.
Das Bezirksgericht hiess das Gesuch gut. Die Parteien einigten sich in einem aussergerichtlichen Vergleich. Die Anwältin forderte ein Honorar von 6842 Franken. Der Friedensrichter schrieb das Verfahren ab und sprach ihr ein Honorar im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege von 2056 Franken zu. Die Anwältin wehrte sich vor dem Obgergericht Zürich gegen die Reduktion der Entschädigung. Das Obergericht erhöhte das Entgelt auf 2910 Franken.
Aus den Erwägungen 4.3 Art. 122 Abs. 2 ZPO räumt dem unentgeltlichen Rechtsbeistand im Zivilprozess einen Anspruch auf «angemessene» Entschädigung ein. Die Tarifhoheit bei der Festsetzung der Prozesskosten ist Sache der Kantone (vgl. Art. 96 ZPO), und damit auch die Festlegung von deren Angemessenheit. Den kantonalen Behörden kommt bei der Bemessung der Entschädigung im Rahmen des Gesetzes ein beträchtliches Ermessen zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Festsetzung des Honorars ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleisteten Diensten steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstösst (vgl. BGE 141 I 124, E. 3.2).
Im Kanton Zürich berechnet sich die Gebühr für den unentgeltlichen Rechtsbeistand vor den Zivilgerichten wie auch vor den Schlichtungsbehörden nach der Verordnung des Obergerichts über die Anwaltsgebühren vom 8. September 2010 (§ 23 AnwGebV i.V.m. § 1 AnwGebV). Die Vergütung des Anwalts setzt sich aus der Gebühr (Grundgebühr sowie allfällige Zuschläge/Abzüge) und den notwendigen Auslagen zusammen (vgl. § 1 Abs. 2 AnwGebV), und sie wird festgesetzt, nachdem die Rechtsvertretung dem Gericht bzw. der Schlichtungsbehörde eine Aufstellung über den Zeitaufwand und die Auslagen vorgelegt hat (§ 23 Abs. 2 AnwGebV). Die Bemessungsgrundlagen im Allgemeinen bilden bei Zivilprozessen der Streitwert bzw. der Interessewert, die Verantwortung der Anwältin oder des Anwalts, der notwendige Zeitaufwand und die Schwierigkeit des Falles (§ 2 Abs. 1 AnwGebV).
Die Entschädigung stellt keine reine Zeitaufwandentschädigung dar. Der effektive Zeitaufwand ist nur bedingt massgebend, mithin bloss ein Indiz für den angemessenen Aufwand, und wird lediglich im Rahmen des Tarifansatzes berücksichtigt. Ein pauschalisiertes Bemessungssystem ist im Lichte von Art. 122 Abs. 1 lit. a ZPO zulässig (BGer 5D_213/2015 vom 8. März 2016, E. 7.1.3 f.). Es dient einerseits der gleichmässigen Behandlung und begünstigt eine effiziente Mandatsführung. Das pauschalisierende Vorgehen setzt keine systematische «Kontrollrechnung» mit einem Stundenansatz von 180 Franken voraus (BGE 143 IV 453, E. 2.5.1).
4.5 Ausgangspunkt bildet der Streitwert, welcher gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen bei 50'000 Franken liegt. Die Grundgebühr gemäss § 4 Abs. 1 AnwGebV beträgt damit 7000 Franken. Die Grundgebühr deckt ein gewisses «Schwankungsmass» an Verantwortung, Schwierigkeit und Zeitaufwand ab; liegen diese Kriterien in besonderem Mass verstärkt bzw. abgeschwächt vor, kann die Gebühr erhöht oder ermässigt werden (vgl. Weisung des Obergerichts vom 8. September 2010 zur Verordnung über die Anwaltsgebühren, S. 2008, publiziert im Amtsblatt des Kantons Zürich vom 1. Oktober 2010, Nr. 39).
Was die Verantwortung anbelangt, so ist diese vorliegend als erhöht zu bezeichnen, zumal es sich bei der Klientin der Beschwerdeführerin – wie den Akten zu entnehmen ist – um eine junge und rechtsunkundige Person handelt und das vorliegende Verfahren betreffend einen Konsumkredit in Höhe von 50'000 Franken für die Klientin aufgrund deren geringen Einkommens von grosser finanzieller Tragweite ist.
Als aufwanderhöhend sind jedoch die aussergerichtlichen Bemühungen um eine Einigung der Parteien zu beurteilen. In zeitlicher Hinsicht ist jedoch zu berücksichtigen, dass nur die Bemühungen ab Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege gedeckt sind. Ferner ist aufgrund der Einfachheit des Falles das Mass für ein Vorliegen eines besonders hohen Zeitaufwands als noch nicht erreicht zu betrachten. Vielmehr kommt der Zeitaufwand insgesamt im mittleren Bereich zu liegen.
4.6 Bei der Festlegung der Entschädigung ist – wie bereits erwähnt – zudem das Wesen des Schlichtungsverfahrens zu berücksichtigen, welches so einfach wie möglich zu halten ist. Dabei ist aufgrund der Nähe des Schlichtungsverfahrens zum Summarverfahren die analoge Anwendung und Reduktion des Gebührenrahmens im Sinne von § 9 AnwGebV sachgerecht. Es handelt sich bei Schlichtungsverfahren jeweils um «schnelle» Verfahren, welche in der Regel innerhalb eines Gerichts- bzw. Schlichtungstermins zu erledigen sind. Die Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens rechtfertigt es aber zusätzlich, dieses wie ein einfaches Summarverfahren zu behandeln und die Entschädigung im unteren Bereich des sich in Anwendung von § 9 AnwGebV ergebenden Gebührenrahmens anzusiedeln.
Demzufolge ist die Grundgebühr vorliegend gestützt auf § 9 AnwGebV zwischen 4669 Franken (Reduktion um ein Drittel) bzw. 1400 Franken (Reduktion auf ein Fünftel) anzusiedeln. Die Höhe der Reduktion nach § 9 AnwGebV ist nach Massgabe der Verantwortung, des Zeitaufwands der Vertretung sowie der Schwierigkeit des Falls festzulegen. Die Schwierigkeit des Falls ist – wie gesehen – im unteren Bereich einzustufen, während die Verantwortung und der Zeitaufwand im mittleren Bereich anzusiedeln sind.
Zusätzlich zu beachten ist, dass das Schlichtungsverfahren – wie vorstehend ausgeführt – im unteren Bereich des sich aus § 9 AnwGebV ergebenden Gebührenrahmens festzulegen ist. Unter diesen Umständen erscheint – auch unter Berücksichtigung der aussergerichtlichen Bemühungen – eine Reduktion der ordentlichen Gebühr auf einen Drittel angemessen.
4.8 Nach dem Ausgeführten erscheint damit eine Parteientschädigung in Höhe von 2333 Franken (= ein Drittel von 7000 Franken) angemessen. Die beantragten Auslagen der Beschwerdeführerin von 369 Franken sind zusätzlich zu entschädigen (§ 1 Abs. 2 und § 22 Abs. 1 AnwGebV). Zu vergüten ist schliesslich auch die beantragte Mehrwertsteuer (7,7 Prozent bzw. 208 Franken).
Obergericht Zürich, Urteil RU220062 vom 21.6.2023
Kommentar:
Soweit ersichtlich hat das Zürcher Obergericht zum ersten Mal ausdrücklich entschieden, wie die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsvertretung in Schlichtungsverfahren zu bemessen ist. Zunächst hält es fest, dass sich auch Honorare bei der unentgeltlichen Rechtspflege (URP) nach der streitwertabhängigen kantonalen Anwaltsgebührenverordnung richten, was sich aus § 23 AnwGebV/ZH ohne Weiteres ergibt. Festgehalten wird ebenso, dass eine schematische Kontrollrechnung mit einem Stundensatz von 180 Franken nicht in jedem Fall erforderlich, sondern die Schwelle der Verfassungswidrigkeit erst dann erreicht sei, wenn die konkrete Entschädigung ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den tatsächlich geleisteten anwaltlichen Diensten stehe.
Diese grundsätzlichen Ausführungen sind keineswegs neu. Neu ist hingegen der explizite Hinweis auf § 9 AnwGebV/ZH für das Summarverfahren. Jene Bestimmung zur Gebührenreduktion auf zwei Drittel bis einen Fünftel sei angesichts der relativen Einfachheit des Schlichtungsverfahrens auch auf die diesbezügliche Honorarbemessung analog anzuwenden. Diese obergerichtliche Lückenfüllung durch Analogieschluss überzeugt grundsätzlich, zumindest bei höheren Streitwerten wie im vorliegenden Fall.
Problematisch sein dürfte die Reduktion nach § 9 AnwGebV/ZH indes bei tiefen Streitwerten, insbesondere solchen unter 10'000 Franken. Diesfalls dürfte regelmässig die Schwelle eines verfassungswidrig tiefen Anwaltshonorars erreicht sein, würde weiterhin auf einer tarifgemässen Reduktion bestanden.
Artur Terekhov, Jurist, Oberengstringen ZH
Anwaltsrecht
Sanktion für gesetzeswidrige Verteidigung
Die Vertretung eines Klienten an einer Einvernahme durch einen Nichtjuristen verstösst grob gegen das Anwaltsgesetz. Daran ändert sich nichts, wenn ein Vertreter die Einvernahme mit dem Mandanten vorbereitet hat.
Sachverhalt
Eine amtliche Verteidigerin aus dem Kanton Bern liess sich bei der Schlusseinvernahme ihres Mandanten von einer Psychologin vertreten. Die Aufsichtskommission des Kantons Bern erteilte ihr einen Verweis. Zudem muss sie die Verfahrenskosten von 1500 Franken zahlen.
Aus den Erwägungen
28. Bekanntermassen hat sich die Disziplinarbeklagte anlässlich der Einvernahme ihres Klienten in einem Strafverfahren, in dem sie als notwendige Verteidigerin der beschuldigten Person eingesetzt worden war, durch ihre juristisch nicht ausgebildete Mitarbeiterin vertreten lassen.
29. Die Disziplinarbeklagte bringt vor, dass ihre Mitarbeiterin bevollmächtigt gewesen sei, dass ihr Klient mit der Begleitung durch die Kanzleimitarbeiterin einverstanden gewesen sei und dass dem Klienten aus dem Vorgehen kein Schaden erwachsen sei.
30. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich offensichtlich um eine Schlusseinvernahme gehandelt hat, so dass letztmals im Rahmen der Voruntersuchung Fragen an den Beschuldigten gestellt werden konnten und auch die Frage nach Zivilansprüchen sowie nach weiteren Beweisanträgen zu beantworten war. Zwar kann eine solche Befragung mit der vertretenden Person vorbereitet und sowohl die Frage nach den Zivilansprüchen als auch nach den weiteren Beweisanträgen vorbereitet werden, jedoch können diese Themen vor der Einvernahme nicht abschliessend beurteilt werden, so dass eine juristische Ausbildung notwendig ist, um nach der Einvernahme und in Kenntnis der Aussagen neu zu beurteilen, wie auf die Fragen zu antworten ist.
Dies kann eine Vertretung ohne juristische Ausbildung keinesfalls übernehmen. Wer also zu einer solchen Verfahrenshandlung eine nicht juristisch ausgebildete Person einsetzt, übt den Anwaltsberuf nicht mit der gebotenen Sorgfalt aus.
31. Vorliegend ist von einem groben Fehlverhalten auszugehen, weil die Disziplinarbeklagte ihre auftragsrechtliche Sorgfaltspflicht in grober Weise verletzt hat, indem sie die Ausführung der beauftragten Tätigkeiten in Ermangelung einer befähigten Vertretung nicht persönlich ausgeführt hat, obwohl dafür eine persönliche Erfüllungspflicht bestand. Sie war weder zur Übertragung an ihre nicht juristisch ausgebildete Mitarbeiterin ermächtigt noch war sie durch die Umstände dazu genötigt.
32. Aus dem Gesagten folgt, dass die Disziplinarbeklagte durch ihr Handeln auch Art. 12 lit. a BGFA verletzt hat.
35. Die Disziplinarbeklagte hat sich bisher klaglos verhalten. Der festgestellte Verstoss gegen das BGFA ist jedoch nicht unbedeutend. Eine Verwarnung im Sinne eines mahnenden Winks, mit welchem die Disziplinarbeklagte veranlasst werden soll, sich inskünftig untadelig zu verhalten und eine Verfehlung, wie sie im vorliegenden Verfahren begangen wurde, zu unterlassen, erscheint angesichts der Schwere des Verstosses zum Vornherein nicht als hinreichend. Die Anwaltsaufsichtsbehörde erachtet aufgrund der gesamten Umstände das Aussprechen eines Verweises als angemessen.
Anwaltsaufsichtsbehörde des Kantons Bern, Entscheid AA 2023 80 vom 7.9.2023
Verwaltungsrecht
Für eine Pergola ist keine Baubewilligung erforderlich
Für geringfügige Bauvorhaben ist keine Bewilligung notwendig. Darunter zählen zum Beispiel Gartenwege, Pools, Sitzplätze – oder eine Pergola.
Sachverhalt
Ein Ehepaar aus dem Kanton Zug erstellte auf seinem Grundstück einen Sitzplatz mit einer Pergola, ohne vorgängig eine Baubewilligung einzuholen. Das Bauamt der Gemeinde forderte sie auf, die Baute nachträglich bewilligen zu lassen oder sie abzureissen. Das Paar wehrte sich mit einer Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Zug. Er gab dem Paar recht.
Aus den Erwägungen
3. b) Bauten und Anlagen sind gemäss § 4 Abs. 1 V PBG künstlich geschaffene und auf Dauer angelegte Einrichtungen, die den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Unter den Begriff der Baute fallen auch Kleinbauten. Kleinbauten werden als eingeschossige, nicht Wohn- oder Gewerbezwecken dienende selbständige Nebengebäude von höchstens 50 Quadratmetern Grundfläche, 3,50 Metern Gebäudehöhe und 5 Metern Firsthöhe definiert (§ 4a Abs. 1 V PBG).
Von Bauten bzw. Kleinbauten sind geringfügige Bauvorhaben zu unterscheiden. Geringfügige Bauvorhaben und Solaranlagen, welche die nachbarlichen und die öffentlichen Interessen nicht erheblich berühren, sind der zuständigen Gemeindebehörde nur mittels Bauanzeige zu melden (§ 44a Abs. 1 PBG). Massstab dafür, ob eine bauliche Massnahme erheblich genug ist, um sie dem Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen, ist die Frage, ob mit der Realisierung der Baute oder Anlage im Allgemeinen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarschaft an einer vorgängigen Kontrolle besteht.
Zu beachten ist, dass die Bauanzeige kein förmliches Baubewilligungsverfahren darstellt, sondern dem Zweck dient, bei der zuständigen Baubewilligungsbehörde vorfrageweise abzuklären, ob ein Bauvorhaben einer Baubewilligung bedarf bzw. ob ein förmliches Baugesuch einzureichen ist.
c) Es stellt sich hier die Frage, ob eine Pergola eine Klein- oder eine geringfügige Baute darstellt. Gemäss kantonaler Rechtsprechung handelt es sich bei Pergolen üblicherweise nicht um Kleinbauten gemäss § 4a V PBG, da sie über keine feste Überdachung und Seitenwände verfügen und damit keinen Schutz für Menschen, Tiere oder Sachen bieten (vgl. Regierungsratsbeschluss vom 20. Dezember 2022 i.S. S. u. A.,, E. 7). Mit anderen Worten kommt ihnen aufgrund dessen kein Gebäudecharakter zu, womit sie die Schwelle zur Kleinbaute nicht überschreiten.
Weiter sei auch gemäss Luzerner Rechtsprechung eine Pergola dann als baubewilligungsfreie Anlage zu qualifizieren, wenn sie als Balkenkonstruktion kein Dach und keine Seitenwände aufweise. Der typische Pflanzenbewuchs gelte dabei nicht als Dach im baurechtlichen Sinne bzw. als Witterungsschutz (Urteil des Kantonsgerichts Luzern 7H 20 131 vom 21. Mai 2021, E. 6 und 7). Es zeigt sich, dass eine Pergola, die keinen Witterungsschutz bietet, nicht etwa als Kleinbaute, sondern – je nach Ausmass – als geringfügiges Bauvorhaben zu qualifizieren ist.
Wie vorstehend ausgeführt, stellt eine Pergola grundsätzlich keine Kleinbaute im Sinne von § 4a Abs. 1 V PBG dar. Mit einer Fläche vom rund 14,5 Quadratmetern ist eine solche denn auch als geringfügiges Bauvorhaben zu qualifizieren, da sie optisch und baulich weder nachbarliche noch öffentliche Interessen erheblich berührt. Aus diesem Grund wird festgehalten, dass für die Pergola kein nachträgliches Baugesuch eingereicht werden muss.
Regierungsrat des Kantons Zug, Beschluss BD 2023-114 vom 11.7.2023
Sozialversicherungsrecht
Einstellung der Invalidenrente war diskriminierend
Die Vermutung der IV-Stelle, eine Rentnerin würde nach der Geburt von zwei Kindern nur noch in Teilzeit arbeiten, verstösst gegen das Gleichbehandlungsgebot.
Sachverhalt
Eine 30-jährige Frau aus dem Kanton Zug beantragte wegen Darm- und Blasenfehlfunktionen sowie weiterer Erkrankungen eine IV-Rente. Die IV sprach ihr eine halbe Rente zu. Die Frau fragte nach, ob man ihr bei der beruflichen Integration helfen könne. Während der Abklärungen gebar sie zwei Kinder. Nach der Geburt des zweiten Kinds strich die IV-Stelle ihre Rente. Die IV-Stelle ging davon aus, dass die Frau aufgrund der Mutterschaft nur noch zu 50 Prozent erwerbstätig wäre. Dies führte zu einer neuen Berechnung und zur Einstellung der Rente. Dagegen wehrte sich die Frau mit Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Zug.
Aus den Erwägungen
3.1 Die IV-Stelle begründete ihren Schluss auf einen Status als Teilerwerbstätige unter Verweis auf den Abklärungsbericht vom 12. April 2021. Darin sei die Abklärungsperson aufgrund der aktuellen persönlichen und familiären Situation der Versicherten davon ausgegangen, dass diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem 50-Prozent-Pensum erwerbstätig wäre.
Dies habe sie damit begründet, dass in den Akten seit 2017 keine Angaben dazu vorhanden gewesen seien, dass die Versicherte 100 Prozent habe arbeiten wollen. Angesichts der Tatsache, dass der Kindsvater und Lebenspartner mit der Familie zusammenlebe, 100 Prozent arbeite und ein Einkommen von 6590 Franken pro Monat erziele, sei nicht nachvollziehbar, dass die Versicherte mehr als 50 Prozent arbeiten würde, zumal dazu aus finanzieller Sicht keine Notwendigkeit bestehe.
5.1 Zur Begründung des hier angenommenen Statuswechsels formuliert die IV-Stelle bezüglich der Erwerbstätigkeit von jungen Müttern zweier Kleinkinder als Erfahrungssatz, und mithin natürliche Vermutung, dass bei dieser Personengruppe eine Erwerbstätigkeit von mehr als 50 Prozent jeglicher Wahrscheinlichkeit entbehre und unrealistisch sei.
Diese Annahme ist zumindest kritisch auf ihre Begründetheit zu hinterfragen. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass bereits im Jahr 1991, mithin vor über 30 Jahren, das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht festhielt, es seien Mann und Frau nach (damals noch) neuem Eherecht frei, ihre Partnerschaft nach eigenen Wünschen auszugestalten. Mit Blick darauf sei es unzulässig, im Rahmen der Invaliditätsbemessung einer traditionellen Rollenverteilung den Vorrang einzuräumen, bei welcher der Frau die Besorgung des Haushalts (inkl. Kinderbetreuung) zugewiesen werde, und bei der demnach ihre beruflich-erwerblichen Interessen von vornherein als geringer eingestuft würden als diejenigen des Mannes (BGE 117 V 194, E. 4).
Ein differenziertes Bild zeigt auch der Blick auf die statistischen Erhebungen aus dem Jahr 2022: Von den Müttern mit Partner und Kindern unter drei Jahren im Haushalt waren 16,7 Prozent voll erwerbstätig; weitere 30,6 Prozent waren im Umfang von 50 bis 89 Prozent erwerbstätig und 4,7 Prozent waren unfreiwillig erwerbslos (vgl. BFS, zitiert soeben in E. 4). Angesichts dieser statistischen Daten (mit einem Anteil von ca. 50 Prozent der Mütter mit kleinen Kindern und Partner, die zwischen 50 bis 100 Prozent erwerbstätig sind) kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass mit einer Reduktion des Erwerbspensums der Beschwerdeführerin auf maximal 50 Prozent im Gesundheitsfall nach der allgemeinen Lebenserfahrung so sehr zu rechnen wäre, dass sie als natürliche Vermutung ohne Weiteres vorausgesetzt werden dürfte, bis die Versicherte ihrerseits das Gegenteil als überwiegend wahrscheinlich nachweise.
Die IV-Stelle hat demnach das in Art. 8 Abs. 3 BV verankerte Gebot der Gleichstellung der Geschlechter verletzt, indem sie allein aufgrund des Geschlechts der Versicherten eine natürliche Vermutung zur Anwendung brachte, wonach diese nach der Geburt zweier Töchter nicht mehr voll erwerbstätig wäre. Vielmehr hätte sie die Statusfrage individuell-konkret abklären und darlegen müssen, aus welchen Gründen bei der konkreten Versicherten ein Statuswechsel als überwiegend wahrscheinlich erschien.
6.1 Zusammenfassend hat die IV-Stelle in unzulässiger Weise eine natürliche Vermutung zu Ungunsten einer vollen Erwerbstätigkeit junger Mütter zur Anwendung gebracht und den massgeblichen individuell-konkreten Sachverhalt in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes unzureichend abgeklärt. Damit hat sie letztlich die unzulässige natürliche Vermutung gar zur unumkehrbaren Fiktion erhoben.
Verwaltungsgericht Zug, Urteil S 2022 68 vom 30.10.2023