Vor einer Jury wetteifern Teams mit zwei bis acht Studenten. Mit Klageschriften und Plädoyers kämpfen sie sich Runde um Runde weiter - so läuft ein Moot Court ab. Unterdessen bieten alle Rechtsfakultäten in der Schweiz die Teilnahme am Zurich oder Lucerne Moot Court oder am Swiss Moot Court (siehe plädoyer 2/2010) an. Mindestens eine der internationalen Ausgaben dieser simulierten Gerichtsprozesse oder Schiedsverfahren steht ebenfalls auf dem Programm.
Die Schweizer Universitäten folgen damit einem Trend: «Eine moderne Jus-Fakultät muss die Teilnahme an Moot Courts anbieten», sagt Thomas Koller, Professor für Privatrecht und Sozialversicherungsrecht an der Universität Bern. «Wir decken damit einen Teil der Ausbildung ab, den wir mit anderen Vorlesungen nicht hinbekommen können: Das Schreiben von Klageschriften, das Plädieren vor Gericht», sagt Markus Müller-Chen, Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen.
Zur Vorbereitung auf die juristische Arbeit in der Praxis kommt die Vertiefung in ein Rechtsgebiet - Menschenrechte beim World Human Right Moot Court in Pretoria, dem Inter-American Human Rights Moot Court in Washington und dem französischsprachigen Concours René Cassin in Strassburg, das UN-Kaufrecht und die Schiedsgerichtsbarkeit beim grössten und bekanntesten Moot Court, dem Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot Court in Wien.
Grosser Aufwand für wenig Kreditpunkte
Und noch etwas lernen die Studenten: «Ein halbes Jahr als Team arbeiten», so der St. Galler Professor Müller-Chen. So lange dauert ein internationaler Moot Court. Es gilt, sich Runde für Runde vorwärts zu kämpfen, allenfalls bis in den Final. Und so weisen die meisten Professoren darauf hin, dass Teilnehmer eines Moot Courts im entsprechenden Semester kaum andere Lehrveranstaltungen belegen können. Die Vorbereitung für den Vis Moot Court kann für Studenten gut 40 oder 50 Stunden pro Woche in Anspruch nehmen, sagt Claudio Marti Whitebread, Assistent an der Universität Basel.
Dennoch vergibt kaum eine Universität für die Teilnahme an einem Moot Court die angemessene Anzahl ECTS-Punkte: Können in einem Semester normalerweise rund 25 ECTS-Punkte erarbeitet werden, vergibt die Universität Luzern 12 bis 20, die Universität Bern 15, die Universität St. Gallen nur 10 Punkte - ab dem Herbstsemester 2013 sind es immerhin 15. Nur die Universität Basel vergibt für den Vis Moot Court mit 30 Punkten gleich viel wie für eine grosse Masterarbeit.
Auch die Professoren investieren viel: «Der Aufwand für den Moot Court entspricht dem Maximalaufwand, den ich für ein Seminar leiste», sagt Claire Huguenin, Professorin für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht an der Universität Zürich. Neben den Professoren unterstützen Coaches die Teams. Das sind je nach Universität und Moot Court Assistenten, ehemalige «Mooties» (wie die Teilnehmer an Moot Courts auch genannt werden) oder Anwälte. Bei Müller-Chen in St. Gallen und Huguenin in Zürich kümmert sich je ein Assistent in erster Linie um die Mooties. Und Koller aus Bern erwähnt eine Assistentin, die neben dem Chief Coach - einem Lehrbeauftragten - um das Moot-Team besorgt ist.
Rechtsschriften in Englisch oder Französisch
Was müssen Studenten machen, um in ein Moot-Team zu kommen? An der Universität Zürich können 40 Studenten am internen Zurich Moot Court mitmachen. Die Sieger und allenfalls andere engagierte Teilnehmer werden in das Zürcher Vis-Moot-Court-Team aufgenommen. Andere Universitäten setzen auf Bewerbungsverfahren und Assessments.
Neben dem zeitlichen Aufwand lassen sich die Mooties auf weitere Herausforderungen ein: Die Rechtsschriften müssen meist in Englisch, seltener in Französisch verfasst und auch die Plädoyers in dieser Sprache gehalten werden. Dazu Koller: «Wer an einem internationalen Moot Court mitmacht, ist kein 08/15 Student, sondern gehört zu den 10 Prozent der spezielleren Studenten.» Alexander Morawa, Professor für Rechtsvergleichung und angloamerikanisches Recht von der Universität Luzern bestätigt: «Studenten eines Moot-Teams haben oft einen Auslandbezug, sind etwa Doppelbürger oder von zu Hause aus bilingue.»
«Naturgegebene Eliteförderung»
Sind Moot Courts eine elitäre Veranstaltung für privilegierte Studenten? Ja, sagt Peter Jung, Professor für Privatrecht an der Universität Basel. Da nur wenige Studenten mitmachen könnten, sei «die Eliteförderung naturgegeben». Andere hören das Wort «elitär» nicht gerne. Von Begabtenförderung spricht der Luzerner Professor Morawa. Und Koller, Huguenin und Müller-Chen erklären, der Anlass sei nicht elitär, da sich jeder um eine Teilnahme bewerben könne und die Teilnahme dank Sponsoring gratis sei.
In der Tat wäre die Teilnahme an Moot Courts sonst teuer: Sie finden etwa in Pretoria, Washington, Hongkong oder Wien statt. Bei einigen gibt es zudem Pre-Moot Courts, an denen die Teams zu Übungszwecken gegeneinander antreten. Doch die Reise- und Übernachtungskosten werden von Fonds, Vereinen oder Sponsoren gedeckt. Für die Teilnahme an den internationalen Menschenrechts-Moot-Courts kann der Luzerner Professor Morawa auf Sponsoren und subsidiär gar auf das Fakultätsbudget zurückgreifen. Der Berner Kollege kann sich für die Teilnahme am Vis Moot Court unter anderem an einen Fonds des Bernischen Anwaltsverbandes wenden und die Flüge über das Universitätsbudget decken. An der Universität Basel gibt es eine «Moot Court Society», die finanzielle Beiträge leistet. Für den Vis Moot Court setzen alle Universitäten auf Sponsoring durch grosse Wirtschaftsanwaltskanzleien.
Finanzieller und personeller Einsatz von Kanzleien
So engagiert sich etwa Homburger Rechtsanwälte an allen Schweizer Universitäten, wie Felix Dasser, Partner bei Homburger und Titularprofessor an der Universität Zürich, erklärt. Mehr wert als das Sponsoring sei «die Zeit unserer Anwälte - sie engagieren sich als Moot-Court- oder Übungsschiedsrichter». Der Kanzlei gehe es bei ihrem Engagement auch um Nachwuchsförderung: «Prozessrecht ist an der Uni oft eher trocken, hier sehen die Studenten die Praxis, bei der es um das Argumentieren und Plädieren geht.»
Unterstützung für die Vis-Moot-Court-Teams bietet auch die Kanzlei Walder Wyss. Philipp Habegger, ein Partner der Kanzlei, bezeichnet die Moot Courts, die es zu seiner Studienzeit «leider» nicht gegeben habe, als eine «Herzensangelegenheit». Seit Jahren engagiert er sich als Lehrbeauftragter am Zürcher Moot Court und in der Vorbereitung des Zürcher Teams für den Vis Moot Court. Als Nebeneffekt kann sich die Kanzlei bei der Rekrutierung «bei diesen Studenten bekannt machen».
Um Marketing geht es auch den Universitäten. Sie können sich an den Moot Courts auf einer internationalen Plattform präsentieren. Morawa aus Luzern weist darauf hin, dass die Teilnahme an den Wettbewerben ein Qualitätsmerkmal sei. So erstaunt es nicht, dass sich die Universitäten mit ihren Erfolgen brüsten. So wurde der vom Luzerner Student Gabriel Zalazar erlangte erste Platz bei den englischsprachigen Plädoyers am Inter-American Human Right Moot in Washington mit einer Medienmitteilung breit gestreut. Glücklich darüber war auch Zalazar: Er wurde als «Best English Oralist» ausgezeichnet - vor allen Muttersprachlern. «Der Moot Court war das Highlight meines Studiums.» Er habe viel gelernt und an Selbstsicherheit gewonnen. Er entspricht als Argentinier, der als Teenager in die Schweiz gekommen ist, dem Bild der «spezielleren Studenten».
Zu diesen gehört auch Gabrielle Tschopp: Die 25-jährige Romande spricht Chinesisch und hat an der Universität St. Gallen einen Bachelor in internationalen Beziehungen absolviert und ein Master-Studium in Recht angehängt. Tschopp ist an den Moot-Court-Vorbereitungen: «Ich mache mit, weil es um die Praxis geht - sonst ist das Studium eher theoretisch.» Zudem hoffe sie, dass sie sich durch diese Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt behaupten könne. Trotz des Aufwands würde sie es wieder machen - und schwärmt von der «einmaligen Erfahrung».