Morgens die rechtlichen Voraussetzungen einer Grundrechtseinschränkung büffeln, nachmittags die Macht der Staatsgewalt am eigenen Leibe spüren. So erging es kürzlich Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, die sich im Rahmen der Gruppierung «Students for Palestine» engagieren.
Ihre Forderungen: eine klare Positionierung der Universität «gegen den Genozid in Gaza» und die Beendigung der akademischen Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten, die Geheimdienstmitarbeiter und Armeeangehörige ausbilden würden. Schweizer Unis würden sich so an den Kriegsverbrechen in Gaza beteiligen.
plädoyer sprach Ende Mai mit drei Mitgliedern von Students for Palestine, die Jus studieren. Vor ihnen lagen die Semesterprüfungen, hinter ihnen aufwühlende Wochen. Am 17. Mai 2024 fuhren an der Universität Zürich mehr als zehn Polizeiwagen und ein Wasserwerfer vor. Anlass war ein Aufruf von Students for Palestine zur Demonstration an der Uni.
Wegweisung wegen Palästinensertuch
Die Polizei führte am Uni-Eingang Kontrollen durch und verwehrte Leuten mit einem Palästinensertuch den Zugang. Gleichzeitig verfügte die Polizei mündliche Wegweisungen aus dem ganzen Stadtkreis 1 für 24 Stunden. Bei einer Jus-Studentin genügte dafür bereits, dass die Polizei in ihrer Tasche ein Palästinensertuch fand. Das sei «Demonstrationsmaterial». Zwei weitere Studenten wurden verhaftet.
Die von plädoyer befragten Studenten kritisieren das Vorgehen der Polizei. In ihren Grundrechtsvorlesungen hätten sie gelernt, dass zur persönlichen Freiheit die freie Wahl der Kleider gehöre. Professoren der Universität Zürich wollten sich auf Anfrage nicht zu den Protesten äussern.
Tragen eines Schals gefährdet Sicherheit nicht
Markus Schefer, Professor für Staatsrecht an der Uni Basel, bezeichnet die Wegweisung als «nicht zulässig», auch wenn die Demonstration unbewilligt gewesen sei. Dafür müsste eine Gefahr für die Sicherheit bestehen, wie dies auch das Zürcher Polizeigesetz festhält. Es sei eine unzulässige Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit, das Tragen des Schals zu verbieten, ohne dass eine solche Gefahr vorliege.
Schefer weist aber auch darauf hin, dass das Demonstrationsrecht an der Uni weniger weit geht als das Recht auf Kundgebungen auf öffentlichem Grund. Die Uni sei zwar als staatlicher Akteur an die Grundrechte gebunden. Zweck der Institution sei aber die Wissensvermittlung. Dies müsste jederzeit gewährleistet sein. Demonstrationen, die den Lehrbetrieb stören, dürften verboten werden.
Bernhard Waldmann, Professor an der Universität Freiburg, ergänzt, dass Verbote von Podiumsdiskussionen eine Grundrechtsverletzung darstellen können. Und: Die Polizei dürfe nur bei Gefahr eingreifen oder wenn sie von der Unileitung gerufen werde.
Sowohl die Universität Zürich als auch die kantonale Bildungsdirektion sagen, sie hätten die Polizei nicht gerufen. Gemäss Studenten behauptete die Polizei das Gegenteil. Im Zürcher Gemeinderat reichten mehrere Politiker eine Anfrage zu den Vorfällen an der Uni ein.