Bisweilen mussten Studenten der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Uechtland nach Zürich reisen, wenn sie eine Lizentiatsarbeit schrieben. Nicht jedes notwendige Werk war in der Rechtsbibliothek der Saanestadt zu finden. Das Unfaire dabei: Die Jus-Studenten in Zürich mussten sich nicht mit solchen Problemen herumschlagen, kamen sie doch bequem ohne Lizentiatsarbeit zu ihrem Abschluss.
Heute ist alles anders, dürfte man meinen. Schliesslich wird in der Bologna-Deklaration der Europäischen Bildungsminister festgehalten, dass mit der Reform die akademischen Abschlüsse in allen Vertragsstaaten leicht vergleichbar sein sollen. Die Vergleichbarkeit hört aber spätestens bei den Masterarbeiten auf: Zwar müssen heute auch die Zürcher eine Masterarbeit verfassen - wie ihre Leidensgenossen in Basel, Bern, Freiburg, Luzern und St. Gallen. Aber die Anforderungen könnten unterschiedlicher nicht sein.
Professor entscheidet über das Thema
Am deutlichsten sind die Unterschiede in der Gewichtung und im Umfang der Masterarbeiten. Jede Fakultät entscheidet selbst, wie viele Kreditpunkte gemäss ECTS (European Credit Transfer System) für eine Masterarbeit vergeben werden. Ähnlich ist nur, wie jeweils das Thema festgelegt wird. Die Studenten haben in der Regel ein Vorschlags- oder Mitspracherecht, der Entscheid liegt aber in der Kompetenz des Professors.
In Freiburg bringt eine Masterarbeit 4 ECTS-Punkte. Den Umfang der Arbeit regelt die Fakultät nicht: «Jeder Professor macht dazu eigene Vorgaben», erklärt Isabelle Brodard vom Dekanat. In Luzern ist eine Masterarbeit 10 ECTS-Punkte wert, verlangt werden vierzig bis fünfzig Seiten. Die Universität St. Gallen vergibt für an ihrer juristischen Fakultät eingereichte Masterarbeiten 18 ECTS-Punkte. Mehr als sechzig Seiten bei einem festgelegten Zeilenabstand dürfen nicht eingereicht werden.
Die Abschlussarbeit in Bern wird mit 20 ECTS-Punkten bewertet und hat 80 000 bis 120 000 Zeichen zu umfassen. In Basel kann zwischen einer grossen und einer kleinen Masterarbeit gewählt werden: Mit der grossen erreicht man 30 ECTS-Punkte bei sechzig Seiten, mit der kleinen 22 ECTS-Punkte bei vierzig Seiten. Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich schliesslich vergibt 30 ECTS-Punkte. Die Besonderheit dabei: «Die Masterarbeit kann aus einer oder mehreren Arbeiten bestehen», wie der Leiter Lehre und Organisation, Urs Leemann, ausführt.
Je nach Universität zwei Wochen bis ein Jahr Zeit
Bei diesen unterschiedlichen Vorgaben in Sachen Umfang ist es denn auch nicht erstaunlich, dass die Jus-Studierenden unterschiedlich lang Zeit haben, um ihre Masterarbeit zu erstellen. Die Zeitspanne reicht von vierzehn Tagen (Freiburg) über fünfzehn Wochen (Bern) oder sechs Monate (Luzern) bis hin zu zwölf Monaten (St. Gallen). In Basel stehen gemäss Merkblatt des Studiendekanats «höchstens sechs Monate» zur Verfügung. Keine allgemeingültigen Vorgaben gibt es in Zürich: «Die Abgabefrist wird jeweils im Rahmen einer individuellen Vereinbarung zwischen dem Verfasser der Arbeit und dem Dozierenden festgelegt», erläutert Urs Leemann.
Sehr unterschiedlich ist auch die Form. In Freiburg, Luzern und St. Gallen darf grundsätzlich nur eine schriftliche Arbeit eingereicht werden. In Basel kann auch ein schriftliches Werk mit einer mündlichen Präsentation im Rahmen eines Seminars kombiniert werden. Beides sehen auch Bern und Zürich vor. In Zürich wie auch in Basel muss die Arbeit zudem nicht zwingend im Alleingang verfasst werden, vielmehr ist es möglich, die Masterarbeit zusammen mit Kommilitonen zu schreiben.
Teilnahme an einem Moot Court kann zählen
Als Spezialfall wird die Teilnahme an einem Moot Court - einem fiktiven Gerichtsverfahren - bewertet: Einige Universitäten rechnen sie zumindest teilweise an die Masterarbeit an. So können in Luzern Masterarbeiten im Rahmen eines Moot Courts eingereicht werden. Auch in Basel und Zürich ist es möglich, sich die Teilnahme an einem Moot Court als Masterarbeit anrechnen zu lassen, nicht so jedoch in Freiburg oder Bern. «Bei uns kann die Masterarbeit nicht im Rahmen eines Moot Courts absolviert werden», bestätigt die Dekanatsvorsteherin Sabine Senn.
An der Universität St. Gallen zeigt sich ein ähnliches Bild: Zwar kann ein Moot Court als Inspiration für ein Masterarbeitsthema dienen, aber: «Allein durch die Teilnahme an einem Moot Court ist keine Masterarbeit erstellt», so Veronika Müller, die administrative Leiterin der juristischen Masterprogramme.
Ist die Masterarbeit einmal abgeschlossen und angenommen, verschwindet sie oft in der Schublade. Beispielsweise in Freiburg: «Die Masterarbeiten werden nicht publiziert», hält Isabelle Brodard vom Dekanat fest. Dasselbe gilt in Zürich sowie grundsätzlich auch in Bern, wobei Sabine Senn auf eine Ausnahme hinweist: «Es ist bei uns auch schon vorgekommen, dass Dozenten einzelne Masterarbeiten als qualitativ derart hochstehend bewerteten, dass sie nach Möglichkeiten für eine Publikation gesucht haben.»
Publikation: Hinweis auf Uni nur bei guter Note
In St. Gallen verstauben vor allem die schlechten Arbeiten - herrscht doch für die Publikation eine Notenguillotine. Arbeiten, die schlechter als mit einer 5 bewertet wurden, können zwar veröffentlicht werden - aber es darf kein Bezug darauf genommen werden, dass sie im Rahmen des Master-studiums an der Universität St. Gallen erstellt wurden.
In Luzern gibt es keine fakultätsweite Regelung der Publikation von Masterarbeiten, aber: «Schätzt ein Professor eine Arbeit als besonders gut ein, kann er sich um eine Publikation in einer Fachzeitschrift bemühen», so Fakultätsmanager Marcel Amrein. Aktiv um die Publikation bemüht sich Basel. Hier willigen die Masterstudierenden mit der Unterzeichnung des Studienvertrages für die Masterarbeit in die Publikation auf der Forschungsdatenbank der Universität Basel ein.
Massive Unterschiede in Länge, Bearbeitungszeit, Form und Publikation - auch nach der Bologna-Reform ist Abschlussarbeit nicht gleich Abschlussarbeit. Etwas unfair ist die Lage also geblieben. Allerdings sind die Freiburger Studenten heute fein raus. Jedenfalls wenn man die zu investierende Zeit als Messlatte nimmt.
Masterarbeiten mit Praxisbezug
Mit ihrer Masterarbeit stellen die Masterstudierenden ihr ganzes Können unter Beweis - ein Potenzial, das bei Arbeiten mit rein akademischem Selbstzweck nicht ausgeschöpft wird. Dies will die Campus Lab AG mit der Austauschplattform Advanthesis ändern. Firmen können hier gegen ein Entgelt praxisrelevante Themen aufschalten, Studenten sich kostenlos bei den Firmen bewerben: «Wir funktionieren wie eine Jobbörse», erklärt Sara Huber von Campus Lab. «Seit Mai 2011 sind wir online. Bereits 200 Studenten und 65 Firmen, teilweise mit konkreten Themenvorschlägen, haben sich registriert», freut sich Huber. Wirtschaftsstudenten und ökonomische Themen sind dabei in der Überzahl, aber: «Die Plattform ist für alle offen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Firmen auch ein Interesse an juristischen Fragestellungen haben», so Huber.