So aufgeblasen der Glaspalast, so fragil das Füsschen, mit dem er sich auf den abschüssigen Grund stützt. Alles ganz wie die Anklageschriften, die hier fabriziert werden, spotten Kritiker: dünn die Basis, gewaltig der Aufbau. Und krimireif die Sicherheitsvorrichtungen. Mal wird der Besucher in einem Glaskäfig gefangen gehalten, bis es klickt und surrt und ihn die Maschinerie wieder freigibt. Mal muss er sich - rasch, rasch! - durch einen Türspalt zwängen und findet sich in einer Art Metallrechen wieder.
So viel Show ist ganz nach dem Geschmack der Bundesanwälte, die hier schon walteten. Erst Carla Del Ponte, die sich stets filmreif von mehreren Bodyguards begleiten liess, wenn sie zackig durch die Welt stiefelte. Dann Valentin Roschacher, dessen abenteuerlicher Abstecher in die Unterwelt und Poussieren mit dem Kriminellen Ramos für empörte Schlagzeilen sorgten. Und jetzt Bundesanwalt Erwin Beyeler, der sich, so erzählt man in seiner Heimatstadt Schaffhausen, gern mit Stiefeln, Waffen und anderem Polizeizubehör schmückt.
Pech für alle drei: Der Alltag an der Berner Taubengasse 16 ist sehr viel grauer als erträumt. Carla Del Ponte brachte in ihren fünf Amtsjahren keine einzige wichtige Anklage zustande. Valentin Roschacher erging es, trotz heftigem Strampeln und viel Getöse, nicht besser. Bei seinem unfreiwilligen Abgang hinterliess er Nachfolger Beyeler 1,2 Millionen Seiten in Sachen Finanzjongleur Behring, 8000 Stunden abgehörte Hells-Angels-Gespräche und einen gigantischen Aktenberg aus dem siebenjährigen Verfahren gegen Privatbankier Oskar Holenweger.
Schwierige Altlasten? Längst verlorener Überblick? «Ich habe mein Team», antwortet Erwin Beyeler. Seine Stimme ist leise, sein Lächeln feinsinnig, wie bei einem Menschen, der mehr weiss, als sich sein Gegenüber träumen lässt.
Gut, von der ursprünglich geplanten Holenweger-Anklage wegen organisiertem Verbrechen ist nicht viel übrig geblieben. Doch ein Schweizer Bundesanwalt gibt nicht auf. Jetzt wird er den Bankier wegen ungetreuer Geschäftsführung und Urkundenfälschung vor Gericht bringen - Zufallstreffer, auf die die Ermittler im Laufe der Marathon-Untersuchung stiessen. Holenweger soll der französischen Firma Alstom geholfen haben, ausländische Amtsträger zu bestechen. Geschätzte Deliktsumme: eine Million Franken.
Ein kleiner Fisch. Besonders, wenn man Holenwegers Vergehen mit der Liste der Straftaten vergleicht, für die die Bundesanwaltschaft zuständig ist: Spionage und Sprengstoffdelikte zum Beispiel, Mafia und Terrorismus.
Anders als seine beiden Vorgänger, die aus dem Nirgendwo kamen, hatte Erwin Beyeler bei seinem Amtsantritt bereits eine beachtliche Karriere hinter sich, immer solide eingebettet in die freisinnige Partei: «Hier geniesst man am meisten Freiheit und darf auch eine andere Meinung haben.»
In munteren Rösselsprüngen hüpfte er von Top-Stelle zu Top-Stelle, quer durch die Schweiz. Von Schaffhausen, wo er Polizeikommandant war, nach Zürich als Stabschef der Kantonspolizei, und nach einem eineinhalbjährigen Abstecher als Chef der Bundeskriminalpolizei in Bern nach St. Gallen, wo er erster Staatsanwalt wurde. Grund des letzten Wechsels: Seine beiden Teenie-Töchter fanden Bern zu langweilig (Version Beyeler). Er will überall die Nummer eins sein (Version Beyeler-Kenner). Und wo war er am liebsten? «In Schaffhausen», sagt er.
Auch andere Fragen beantwortet Erwin Beyeler gerne mit drei Wörtern. Merke: Dieser Mann hat keine Zeit für journalistisches Geplänkel. Stress im Job? «Sache der Tagesform.» Joggen? «Unter anderem.» Vorliebe für Waffen und Stiefel? «Falsch.» Das Spannendste in seinem Beruf? «Organisatorisches und Politik.» Mitverantwortlich für das Einschleusen von Drogenbaron Ramos, dessen Tipps sich als lauter Nieten erwiesen? «In der Vorabklärungsphase habe ich eine Frage beantwortet.» Sein bisher grösster Erfolg in Bern? Schulterzucken.
Nur wenn es um Medien geht, beleben sich Stimme und Haltung: «Manche Journalisten haben ihre vorgefertigte These und fragen nur noch pro forma.» Wohl wahr. Denn nach der Ramos-Groteske waren die Meinungen gemacht: Die Bundesanwaltschaft ist auf dem Egotrip, jagt Phantome und spielt Räuber und Gendarm. Immer aufgeblasener der Apparat - die Zahl der Bundesbeamten explodierte von 190 auf heute 500. Immer mickriger das Ergebnis: 2009 wurden 13 der 14 Verhafteten noch im gleichen Jahr wieder entlassen, und von den 221 hängigen Verfahren kamen nur 12 zur Anklage. «Aber mit 32 Angeklagten», verbessert Erwin Beyeler das Ergebnis.
Um das ramponierte Image aufzupolieren, suchte er Hilfe bei PR-Profi Jürg Wildberger. Und, sein Rat? «Grundsätzlich mehr Kommunikation.» Kommunizieren beispielsweise, dass die Bundesanwaltschaft das Problem der Verschleppung erkannt hat und mit Projektteams die Verfahren straffen will. Doch das Trommeln in eigener Sache ist, sagt Beyeler, nicht sein Stil. «Ich arbeite lieber, statt Propaganda zu machen.»
Wer hofft, in Beyelers gekonnt und flott geschriebener Kriminalnovelle «Kern» mehr über den Autor zu erfahren, hofft vergebens. Der Held, der Schaffhauser Fahnder Kern, scheint ein Abbild dessen, was Beyeler selbst sein möchte: Cool, über der Sache stehend, von Freund und Feind geschätzt, obwohl er «weder zu Smalltalk noch zu Einleitungsfloskeln neigt».
Das Weltbild von Kern dürfte sich mit Beyelers Ansichten decken: Journalisten sind die «Medienmeute», Anwälte vor allem am Geldverdienen interessiert, und der Richter, der sich gern über die Arbeit der Polizisten lustig macht, wird abgemurkst. Wunschdenken? Subtile Rache? Wäre nur zu verständlich. Bisher schmetterten die Richter des Bundesstrafgerichts viele Klagen aus Bern als zu unfundiert und fehlerhaft ab.
Der Überraschungscoup, mit dem der damalige Bundesrat Christoph Blocher seinen Schaffhauser Landsmann Beyeler zum obersten Kriminalpolizisten gemacht hatte, hat Folgen. Ende 2011 wird der Bundesanwalt erstmals durch das Parlament gewählt. Erwin Beyeler ist «guten Mutes», wieder gewählt zu werden. Andernfalls - nicht weiter schlimm. In hohen Ämtern Gescheiterte finden im Schweizer Justizwesen immer wieder neue, prestigeträchtige Posten.