Die Departemente Öffentliches Recht und Strafrecht der Universität Bern führen im Herbstsemester zum dritten Mal eine Human Rights Law Clinic durch – ein in der Schweiz einmaliges Angebot. Die drei involvierten Professoren Alberto Achermann, Jörg Künzli und Jonas Weber bieten den Studenten die Möglichkeit, zwei bis drei Semester lang an konkreten Fällen mitzuarbeiten: «Keine Trockenübungen», betont Achermann, assoziierter Professor für Migrationsrecht, «sondern reale Verfahren in den Bereichen Ausländer- und Asylrecht, Strafrecht, Justizvollzug, Polizei- und Sicherheitsrecht oder Sozialrecht».
Für die Human Rights Law Clinic sind pro Semester acht bis zehn Studenten zugelassen, die kurz vor dem Abschluss des Bachelors oder zu Beginn des Masters stehen. Für die Teilnahme während zwei Semestern erhalten sie zehn ECTS. Wird ein Vertiefungssemester angehängt, könnten weitere fünf ECTS erarbeitet werden. Bewertet werden sowohl die mündliche als auch die schriftliche Leistung.
Studenten müssen zeitlich flexibel sein
Laut Achermann sind für die Zusatzausbildung besonders motivierte Studentinnen und Studenten gesucht, die einen Zusatzaufwand nicht scheuten und zeitlich flexibel seien. Man erwarte von den Teilnehmern eine «solide Vorleistung». Die drei Professoren arbeiten eng mit Beratungsstellen, NGOs, Hilfswerken und Anwälten zusammen. Diese liefern die Fälle – die fachliche Einarbeitung und die Betreuung der Studenten übernimmt die Uni. In bisherigen Law Clinics wurde beispielsweise der Fall einer alleinerziehenden Mutter von zwei kleinen Kindern behandelt, die seit Jahren Nothilfe bezieht: «Eine psychisch stark belastete Klientin in einer schwierigen Situation. Die Studenten haben für die Mutter ein Wiedererwägungsgesuch verfasst», erzählt Achermann.
Oder dann befassten sich die Teilnehmer mit einem Gefängnisinsassen, der wegen eines minderschweren Anlassdelikts zu einer «kleinen Verwahrung» verurteilt worden war und sich nun seit Jahren im Massnahmenvollzug befindet. Dabei gilt es, einen Antrag auf bedingte Entlassung oder auf Vollzugslockerungen zu formulieren. Das bedeutet, dass man sich zuvor mit den Haftbedingungen und den forensischen Gutachten auseinandersetzen muss. Wichtig sei, sagt Alberto Achermann, dass man es nicht mit zu kurzen Fristen zu tun habe – das würde eine Kooperation verunmöglichen. Die Studenten verfassen Eingaben und Beschwerdeschriften, die vor nationalen und internationalen Gerichten eingereicht werden. Sie formulieren Vernehmlassungsbeiträge zu Gesetzesvorhaben oder übernehmen Aufgaben im Rahmen internationaler Vertragsüberwachungsmechanismen.
Neue Ideen auch für die Anwaltskanzleien
Zu den künftigen «Falllieferanten» gehört der Zürcher Rechtsanwalt Peter Nideröst. Er hat sein Interesse an einer Unterstützung angemeldet. Über «seinen Fall» mag er noch nicht viel erzählen, doch es gehe um das im Kanton Zürich für weggewiesene Asylsuchende geltende Nothilferegime. Nideröst erhofft sich von der Zusammenarbeit zusätzliche Ideen: von Seiten der Studenten und der Professoren. Gleichzeitig ist er der Meinung, dass im Rechtsstudium viel zu wenig Praxis vermittelt werde. Die forensisch tätige Zürcher Anwaltskanzlei, in der er arbeitet, bietet zweimal pro Jahr Studenten ein Praktikum an. Die Nachfrage ist gross. «Es wäre schade, wenn die praktische Ausbildung nur von den grossen Wirtschaftsanwaltskanzleien beeinflusst würde», sagt Nideröst.
Vorbild der Human Rights Law Clinic in Bern ist die Justus-Liebig-Universität in Giessen (D), die seit zehn Jahren Refugee Law Clinics anbietet. Die Idee fand in Deutschland viele Nachahmer. Einige dieser Projekte wurden ausgezeichnet. In Deutschland begannen inzwischen auch studentische Organisationen damit, Refugee Law Clinics zu initiieren – nicht zuletzt mit der Motivation, die migrationsrechtliche Beratung im Land zu stärken.