Unzählige Stunden, lange Wochen oder gar Monate schreibt ein Jusstudent an seiner Masterarbeit. Und dann wird sie gerade mal von zwei Personen gelesen: Vom Professor und seinem Assistenten.
Mit etwas Glück schafft es eine gute Masterarbeit immerhin auf die Website des Professors. Bei standardisierter Archivierung wie an der Universität St. Gallen landen sogar alle Arbeiten auf dem Intranet der Fakultät oder der Universität. Viel mehr unternehmen die Deutschschweizer Universitäten nicht, damit all das erarbeitete Wissen in Fachkreisen publik wird.
An der juristischen Fakultät der Universität Bern gibt es allerdings einen Vorreiter in Sachen Publikation von herausragenden juristischen Masterarbeiten: Thomas Cottier, Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht. Seit 2007 stellt er zusammen mit Weblaw in der Reihe «Magister» unter epub.weblaw.ch Masterarbeiten, die an seinem Institut geschrieben worden sind, einem breiten Publikum in elektronischer Form zur Verfügung. Auswahlkriterien sind eine Note ab 5,5 und ein Thema, zu dem bislang kaum etwas publiziert worden war. Laut Simone Kaiser von Weblaw werden aber selbstverständlich auch Masterarbeiten anderer Institute und Universitäten, die den oben genannten Anforderungen entsprechen, veröffentlicht. Entstanden ist diese Plattform, als Thomas Cottier aus Kostengründen nach einer weniger aufwendigen Möglichkeit zur Publikation von Lizentiatsarbeiten suchte, als sie die Printausgaben der Reihe Swiss Papers on European Integration bietet.
Herausragende Arbeiten erscheinen als E-Book
Professor Cottier und die Gründer von Weblaw kennen sich seit Jahren. So sei die Idee entstanden, gemeinsam eine elektronische Form zu lancieren und auch Masterarbeiten aufzunehmen. Besonders gute Arbeiten werden nun als E-Book aufgeschaltet und Kurzfassungen davon im «Jusletter» elektronisch publiziert. Rachel Liechti-McKee, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Cottier: «Die Kooperation mit Weblaw soll Studierenden ermöglichen, sehr gute Arbeiten unkompliziert und kostenlos zu veröffentlichen, da fliesst kein Geld.»
Entscheidend ist der Erkenntniswert
Verlagshäusern werden Masterarbeiten zuweilen auch direkt angeboten - von Studenten mit Ehrgeiz und Selbstvertrauen, die sich gleich selbst melden. «Empfehlungen von Professoren erhalten wir selten», sagt Karen Schobloch, geschäftsführende Verlegerin bei Schulthess in Zürich. Der Verlag behandelt Masterarbeiten wie andere Bücher; eine Master-Schriftenreihe gibt es nicht. Denn «es ist nicht wichtig, dass es eine Masterarbeit ist, sondern dass sich eine Arbeit vom Thema und der Qualität her in unserem Verlagsprogramm und auf dem Markt behaupten kann», sagt Schobloch. Oft sei aber das Thema einer Masterarbeit eng gefasst und deshalb für eine grössere Öffentlichkeit nicht von Interesse.
Auch für Dike-Verleger Werner Stocker ist das ausschlaggebende Kriterium, dass eine wissenschaftliche Arbeit vom Thema her eine Marktlücke schliesst. Gewisse Professoren, die bei Dike Schriftenreihen herausgeben, sehen darin gerne auch hervorragende Masterarbeiten abgedruckt, nicht nur Dissertationen. So etwa die Herausgeber der Reihen «Recht in privaten und öffentlichen Unternehmen», «Luftverkehrsrecht» oder «Schriften zum Recht des ländlichen Raums». Der Verlag nimmt jedoch Masterarbeiten nicht als Einzelpublikation ins Programm auf.
Kürzen und umschreiben für eine Zeitschrift
Der Stämpfli-Verlag in Bern druckt Masterarbeiten nur in umgeschriebener Form ab, nämlich als Zeitschriftenartikel. «Von Masterarbeiten sind für ein grösseres Publikum nur These und Schlussfolgerung wichtig», so Stephan Grieb, Programmleiter der juristischen Publikationen.
Helbing Lichtenhahn in Basel wiederum publiziert Masterarbeiten nur als Einzelausgaben, nicht in Reihen. Helbing hat nach Auskunft des Programmleiters Men Haupt einen Vertrag mit einem Institut der Kalaidos Fachhochschule Zürich abgeschlossen: Alljährlich erkürt das Institut die drei besten Arbeiten der Steuerlehre und empfiehlt sie dem Verlag zur Publikation auf eigene Kosten. Den vertraglich vereinbarten Preis für diese Dienstleistung will Haupt nicht beziffern.
Weitere Internetplattform zeigt Interesse
Im Internet hat sich neben Weblaw eine zweite, relativ junge Plattform auf die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Arbeiten in elektronischer Form spezialisiert: Making Science. Sie prüft Masterarbeiten ab Note 5,5 auf Relevanz und Neuigkeitswert. Sind sie von öffentlichem Interesse, werden sie mit einer Kurzzusammenfassung auf Makingsciencenews.com aufgeschaltet. 184 Arbeiten haben es bis Anfang März 2013 geschafft, davon sechs juristische. Geschäftsführer Anton Stadelmann schreibt dieses Jahr zum zweiten Mal Wettbewerbe in der Neuen?Zürcher Zeitung und je einer grossen Zeitung in Deutschland und Österreich aus, um mehr wissenschaftliche Arbeiten zu erhalten. Er erwarte in Deutschland eine grössere Resonanz: «Dort gibt es bezüglich Masterarbeiten eine andere Kultur. Den Studenten ist viel daran gelegen, mit ihren Arbeiten an die Öffentlichkeit zu treten.»
Tatsächlich lädt der deutsche Grin Verlag jährlich 20 000 meist akademische Arbeiten auf der Website www.grin.com hoch und hat laut eigenen Angaben bereits über 80 000 Bücher und 140 000 E-Books auf den Markt gebracht. Dabei könnten die Autoren frei entscheiden, ob sie Geld verlangen oder die Arbeit kostenlos anbieten wollen.
Klares Plus bei einer Stellenbewerbung
In der Schweiz lässt sich mit einer Masterarbeit in der Regel kein Geld verdienen. Doch fürs Renommé lohnt sich eine Publikation alleweil, wie Thomas Wehrlin erklärt: «Mit relativ kleinem Mehraufwand für die Überarbeitung konnte ich den Wert der Arbeit steigern. Bei Bewerbungen zeigte sich, dass die Publikation wahrgenommen wird.» Wehrlin hatte für seine Arbeit «Zur Souveränität der Schweiz. Vom traditionellen Souveränitätsverständnis zu modernen Souveränitätskonzepten» 2010 eine sehr gute Note bei Professor Cottier und die Empfehlung für eine E-Publikation bei Weblaw erhalten.
Wie man die Chancen auf eine Publikation erhöht, weiss Mike Bacher, Assistent an der Uni Luzern. Er rät: «In Masterarbeiten sollten Themen aufgegriffen werden, zu denen wenig wissenschaftlich publiziert worden ist.» Mit Sagenforschung im Rechtsbereich wählte er einen Gegenstand, der ihn seit vielen Jahren begeistert. Während des Studiums vernetzte er sich mit europäischen Rechtshistorikern und vertiefte die Thematik während eines Semesters am Institut für Römisches Recht und Rechtsgeschichte in Innsbruck. Seine Masterarbeit «Das Recht in den Sagen Obwaldens» ging als Band 9 in der Reihe «Signa iuris, zeitliche Volkskunde» an rund 350 Abonnenten. Zusätzlich verkaufte Bacher knapp hundert Exemplare für rund 25 Franken.
Publikation je nach Universität unterschiedlich geregelt
Uni Luzern
Masterarbeiten werden grundsätzlich nicht veröffentlicht.
Uni St. Gallen
In der Uni-internen Datenbank für Abschlussarbeiten auf Stufe Bachelor und Master (EDOK) finden sich alle erfolgreichen Masterarbeiten, die mit 5,5 und besser benotet wurden. Im Merkblatt «Bedingungen zur Publikation von Bachelor- und Masterarbeiten» wird eine Weitergabe gegen Entgelt grundsätzlich verboten. Wird in einer Publikation Bezug auf die Uni genommen, muss die Publikation vom Rektor bewilligt werden.
Uni Bern
Grundsätzlich werden Masterarbeiten nicht publiziert. Seit 2007 hat jedoch Weblaw.ch auf Empfehlung des Berner Professors Thomas Cottier in einer Magister-Reihe unter epub.weblaw.ch kostenlos mehr als fünfzig Masterarbeiten ab Note 5,5 publiziert, zu deren Themen es bisher unzureichend Literatur gab.
Uni Basel
Den Professoren steht es frei, auf der Uni-Website Masterarbeiten zu platzieren oder der Redaktion der Basler Juristischen Mitteilungen (BJM) eine herausragende Masterarbeit zur Publikation zu empfehlen.
Uni Zürich
Masterarbeiten werden von der Fakultät archiviert, nicht aber systematisch öffentlich zugänglich gemacht. Jeder Professor darf Masterarbeiten auf seiner Website mit dem Einverständnis des Studenten aufschalten.
Uni Freiburg
Sehr gute Masterarbeiten werden ausnahmsweise von den zuständigen Professoren auf deren Website publiziert.