Anwälte können auch selbst mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Drei Fälle aus der jüngsten Vergangenheit:
- Am 1. Mai dieses Jahres verurteilte das Bezirksgericht Lenzburg AG einen Anwalt zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Das Gericht sprach ihn der mehrfachen qualifizierten Veruntreuung, Geldwäscherei und Urkundenfälschung schuldig. Als Nebenstrafe verhängte das Gericht ein Berufsverbot von drei Jahren. Und zwar für Vermögens- und Liegenschaftenverwaltung, Willensvollstreckermandate und anwaltliche Tätigkeiten.
Laut dem Urteil hat der Anwalt Stockwerkeigentümer und Erbengemeinschaften um sechsstellige Beträge geprellt. Sein Vorgehen war stets dasselbe: Er hatte Zugriff auf die Konten von Klienten, die ihn als Liegenschaftenverwalter oder Willensvollstrecker eingesetzt hatten. Von diesen Konten bediente er sich – und das auch noch während des laufenden Strafverfahrens. Das Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg ist noch nicht rechtskräftig.
- Ein anderer Anwalt wurde im November des letzten Jahres vom Bezirksgericht Zürich zu einer bedingten Geldstrafe von 200 Tagessätzen à 120 Franken sowie einer Genugtuungszahlung an den Geschädigten von 500 Franken verurteilt. Das Gericht sprach den Anwalt der qualifizierten Veruntreuung, der versuchten Veruntreuung sowie der mehrfachen Verletzung des Berufsgeheimnisses schuldig. Auch hier standen die Delikte in Zusammenhang mit dem Mandat. Der Anwalt vertrat einen Ausländer, dessen Bruder Opfer eines Tötungsdelikts geworden war. Im Rahmen dieses Mandats verpasste es der Anwalt, rechtzeitig ein Gesuch um unentgeltliche Rechtsvertretung einzureichen und eine Genugtuung zu fordern. Um sich trotzdem schadlos halten zu können, behielt er einen Vorschuss für Todesfallkosten und beabsichtigte auch, allfällige Genugtuungszahlungen zu behalten.
- Anfang September hat das Regionalgericht Berner Oberland einen Fürsprecher wegen qualifizierter Veruntreuung zu 28 Monaten unbedingt verurteilt. Zudem muss er eine früher verhängte bedingte Strafe von 12 Monaten wegen Urkundenfälschung und Veruntreuung absitzen. Als Nebenstrafe verhängte das Gericht ein vierjähriges Berufsverbot. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Hintergrund des Urteils: Der Fürsprecher hatte eine Mutter vertreten, deren Sohn bei einem Autounfall ums Leben kam. Die Frau überwies ihm einen Kostenvorschuss von 12 000 Franken. Der Rechtsvertreter erreichte bei der Versicherung eine Schadenersatz- und Genugtuungszahlung von 94 000 Franken. Dieses Geld steckte er selbst ein.
Selten Berufsverbote nach Disziplinarverfahren
Wie können Klienten vor solchen Rechtsvertretern geschützt werden? Das im Rahmen eines Strafprozesses verhängte Berufsverbot ist dazu kaum ein wirksames Mittel. Erstens kann es laut Artikel 67 des Strafgesetzbuches maximal für fünf Jahre ausgesprochen werden. Zweitens entfaltet es keine Wirkung, solange das Verfahren läuft. Und das kann von der Strafanzeige bis zu einem letztinstanzlichen Urteil des Bundesgerichts ohne weiteres zehn Jahre dauern, wie verschiedene Beispiele aus der letzten Zeit belegen.
Ähnliches gilt für die im Rahmen eines Disziplinarverfahrens erlassenen Sanktionen. Geregelt sind diese auf Bundesebene im Anwaltsgesetz (BGFA). Artikel 17 sieht neben Verwarnung, Verweis, Busse bis 20 000 Franken auch ein befristetes Berufsausübungsverbot für längstens zwei Jahre oder ein dauerndes Berufsausübungsverbot vor. Eine plädoyer-Umfrage in ausgewählten Kantonen ergibt, dass in den letzten fünf Jahren nur selten ein disziplinarisches Berufsverbot erlassen wurde. In den Jahren 2009 bis 2013 führte etwa der Kanton Graubünden 2 bis 5 Disziplinarverfahren pro Jahr durch, St. Gallen 4 bis 5, Aargau und Luzern zwischen 10 und 13, Basel-Stadt zwischen 7 und 14, Bern zwischen 20 und 30 und Zürich zwischen 28 und 32. Alle diese Kantone sprachen etliche Verwarnungen, Verweise oder Bussen aus, selten bis nie dagegen ein befristetes oder dauerndes Berufsausübungsverbot.
Zuständig für die disziplinarischen Sanktionen sind die kantonalen Aufsichtbehörden über die Rechtsanwälte. Sie werden von den Staatsanwaltschaften darüber informiert, wenn ein Anwalt in einem Strafverfahren Beschuldigter ist – unabhängig davon, ob das Strafverfahren im Zusammenhang mit der anwaltlichen Berufsausübung steht. Die Aufsichtsbehörde des Kantons prüft dann parallel zum Strafverfahren allfällige Disziplinarmassnahmen. Dies jedoch erst dann, wenn ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, wie die verschiedenen Kantone bestätigen.
Andrea Schmidheiny, Sprecherin des Zürcher Obergerichts, verweist darauf, dass die Aufsichtskommission von einem strafrechtlichen Entscheid in ihrer Beurteilung unabhängig ist. Daher könne sie einer strafrechtlichen Verurteilung eine Disziplinarstrafe folgen lassen oder trotz strafrechtlicher Verurteilung auf eine Disziplinarstrafe verzichten – etwa wenn die strafrechtliche Sanktion als ausreichend erscheine. Andererseits bleibe aber eine Disziplinarstrafe trotz strafrechtlichen Freispruchs oder Einstellung der Strafuntersuchung zulässig.
Laut Gabrielle Kremo, Erste Gerichtsschreiberin am Appellationsgericht Basel-Stadt, sind Disziplinarmassnahmen von Gesetzes wegen keine Strafen. Sie sollen vielmehr erreichen, dass sich «die betroffene Person künftig korrekt verhält». Nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip müsse gegen einen Anwalt jene Massnahme ausgesprochen werden, die am mildesten sei und dennoch erfolgversprechend scheine.
Administrativentzug nicht in allen Kantonen möglich
Ein disziplinarisches Berufsausübungsverbot erfasst lediglich den vom Anwaltsgesetz geregelten Bereich der Anwaltstätigkeit, also nur die Vertretung von Parteien vor Gerichten im Rahmen des Anwaltsmonopols. Soll einem Anwalt auch die rechtsberatende Tätigkeit unter der mit dem Anwaltspatent verbundenen Berufsbezeichnung Rechtsanwalt untersagt werden, muss ihm zusätzlich zur Verhängung des disziplinarischen Berufsausübungsverbots von der zuständigen kantonalen Behörde in einem Administrativverfahren das Anwaltspatent entzogen werden, so Walter Fellmann und Paul Richli in einem Aufsatz in der «Anwaltsrevue» (11–12/2009). Laut den beiden Autoren stellen solche Administrativentzüge eine «ultima ratio» dar. Sie dienten nicht in erster Linie der Disziplinierung einer fehlbaren Person, «sondern dem Schutz der Rechtsuchenden und der Rechtspflege vor berufsunwürdigen Personen».
Solche Patententzüge sind aber nicht überall möglich. Der administrative Entzug basiert auf kantonalem Recht. Laut Nicole Payllier, Sprecherin der Aargauer Gerichte, kann die kantonale Anwaltskommission zwar ein disziplinarisch begründetes Berufsausübungsverbot über einen Anwalt verhängen, das Anwaltspatent aber nicht entziehen. Auch im Kanton Basel-Stadt ist das laut Appellationsgerichtssprecherin Kremo so, weil es keine gesetzliche Grundlage für die Anordnung eines administrativen Berufsausübungsverbotes gebe. Gleiches gilt für den Kanton Bern.
Anders im Kanton Zürich: Hier kann die Aufsichtskommission laut Schmidheiny parallel ein Berufsausübungsverbot verhängen und das Patent entziehen. Dasselbe gilt für die Kantone Luzern, St. Gallen und Graubünden.
Vorsorgliche Massnahmen im Laufe eines Verfahrens gegen einen Anwalt sind möglich, aber selten. Gemäss Artikel 17 BGFA können die kantonalen Aufsichtsbehörden die Berufsausübung vorsorglich verbieten. «In diesen Fällen ist aber das Gebot der Verhältnismässigkeit zu beachten», betont Kremo. Ein vorsorgliches Berufsausübungsverbot sei ein schwerer Eingriff in die Rechtsstellung des betroffenen Anwalts, weshalb es nur erlassen werden dürfe, wenn es wirklich notwendig erscheine. Ausserdem seien hohe Schadenersatz- und wohl auch Genugtuungsforderungen gegen den Staat zu befürchten, wenn sich in einer späteren Phase erweisen sollte, dass der Vorwurf der Pflichtverletzung zu Unrecht erhoben worden sei.
Rechtsuchende müssen sich selbst informieren
Renata Wüest-Schwegler, Präsidentin der Aufsichtsbehörde über die Anwälte des Kantons Luzern, verweist darauf, dass auch weniger einschränkende vorsorgliche Massnahmen als ein Berufsausübungsverbot zulässig wären: beispielsweise ein vorsorglicher Registeraustrag, damit der Betroffene vorläufig keine Parteien mehr vor Gericht vertreten kann. Im Kanton Zürich besteht zudem die Möglichkeit, dass die Aufsichtskommission die Öffentlichkeit über die Einleitung eines Verfahrens gegen einen Anwalt oder einen Entscheid informiere, wenn daran ein berechtigtes öffentliches Interesse bestehe, so Schmidheiny. In der Regel müssen sich Rechtsuchende selbst erkundigen, welche Anwälte nicht oder nicht mehr im Berufsregister eingetragen sind. Im Berner Register steht zurzeit bei einem einzigen Anwalt der Hinweis «Vorsorgliches Berufsausübungsverbot».
Einige Kantone publizieren den Entzug im Amtsblatt
In einigen Kantonen wie etwa Basel-Stadt und St. Gallen werden Berufsausübungsverbote und Patententzüge in der Regel im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht. Dasselbe gilt gemäss Wüest-Schwegler für den Kanton Luzern. Reichen diese Publikationen in den kantonalen Anwaltsregistern und Amtsblättern, um das Publikum vor schwarzen Schafen der Branche warnen zu können? Petra Thöny von der Aufsichtskommission Graubünden bejaht diese Frage. Auch Schmidheiny vom Zürcher Obergericht erachtet den Schutz des Publikums als ausreichend.
Renata Wüest-Schwegler glaubt nach den bisherigen Erfahrungen, dass der Schutz vor den «schwarzen Schafen» dann genüge, wenn die Anzeigen von betroffenen Klienten von der Aufsichtsbehörde sorgfältig geprüft würden. Und da im Kanton Luzern ja die meisten Anzeigeerstatter über den Ausgang eines Disziplinarverfahrens orientiert würden, funktioniere dann auch die negative Mundpropaganda.
Anzeigeerstatter werden teilweise im Unklaren gelassen
Gabriela Spielmann vom Obergericht des Kantons Bern sagt klar: «Der Anzeigeerstatter hat im Disziplinarverfahren keine Parteistellung.» Er hat daher kein Recht, sich daran zu beteiligen, etwa sich zu Stellungnahmen des Anwalts zu äussern oder Rechtsmittel zu ergreifen, wenn auf eine Sanktionierung des Anwalts verzichtet wird.
In den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Bern, Graubünden, Luzern und St. Gallen wird der Anzeigeerstatter über den Ausgang des Verfahrens in Kenntnis gesetzt. Im Kanton Luzern geschehe das aber nur auf ausdrückliches Verlangen des Anzeigeerstatters hin. Im Kanton Zürich wird dem Anzeigeerstatter dagegen bloss der Eingang der Verzeigung bestätigt, weitere Verfahrensrechte sieht das kantonale Anwaltsgesetz laut Andrea Schmidheiny nicht vor.
Im Kanton Luzern können Anzeigeerstatter Parteistatus verlangen, tragen dann aber ein Kostenrisiko. Im Kanton Basel-Stadt haben sie faktisch weitgehend Parteistatus. Anzeigeerstatter erhalten nämlich laut Gabrielle Kremo den Entscheid über die Disziplinaranzeige sowie die Eingaben des Anwalts zur Kenntnis zugestellt. Dazu können sie sich äussern.