Ja. Die Aufgabe des Richters ist es, Recht zu sprechen. Recht sprechen heisst, das politisch errungene Gesetz mit den vorbestehenden Rechtssätzen in Einklang zu bringen – mithin das Gesetz auszulegen und eben zu Recht zu machen. Erst die richterliche Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ermöglicht die Überprüfung abstrakter Gesetzesnormen auf Konsistenz mit der bisherigen Fallpraxis. In diesem Sinn steht der Richter im Zentrum des Rechts – er ist der Schöpfer von Recht aus dem Gesetz. Wenn der Richter richtet, führt er den Gesetzgebungsprozess zu Ende.
Anders gewendet ist der Richter als rechtliche Institution in den Gesetzgebungsprozess miteingebunden. Vielfach wird diese institutionalisierte Einmischung ob ihrer Offensichtlichkeit gar nicht mehr als solche wahrgenommen. Man vergisst, dass Gesetzgebung gerade auch eine rechtliche Dimension birgt, die sich erst mit dem Richterspruch erschöpft. Dieser wiederum trägt ein Potenzial in sich, das Auswirkungen auf die Politik haben kann. Kurz: Richterliche Tätigkeit ist immer auch eine politische Tätigkeit.
Aus dieser kapitalen Position des Richters für die (Weiter-)Entwicklung von Gesetzen folgt zuvorderst, dass seine Urteile allgemeinverständlich sein müssen. Allgemeinverständlichkeit lässt sich nicht immer nur mit einer einfachen und klaren Sprache erzeugen. Vor allem komplexere Urteile müssen erklärt werden. Eine ideale Möglichkeit, ein Urteil vermitteln zu können, ist die mündliche Urteilseröffnung. Diese ist in der Straf- und Zivilprozessordnung vorgesehen, bisweilen auch in einzelnen Verwaltungsverfahrensordnungen.
Weitergehend wirkt das Engagement des Richters als Brückenbauer zwischen Recht und Politik, wenn es ausserhalb des «Kerngeschäfts» erfolgt, zum Beispiel im Rahmen eines wissenschaftlichen Artikels oder eines Zeitungsinterviews. Insbesondere politisch bedeutsamere Urteile wirken über den Gerichtssaal hinaus, sodass der Richter auch wirkungskräftigere Methoden als die mündliche Urteilseröffnung prüfen muss.
Exemplarisch für eine aktive und transparente Justizkommunikation steht Andreas Zünd, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Auf allen Kanälen versuchte er, das Klimaseniorinnen-Urteil des EGMR verständlich zu machen – für die Politik, für die Bürgerinnen und Bürger, für Parteien und Organisationen. Damit ermöglicht Zünd der Politik eine differenzierte Diskussion und Umsetzung des Strassburger Urteils.
Diese Gedanken zeigen: Der Richter muss sich aktiv in den Gesetzgebungsprozess einbringen. Nur ein kommunikativer und offener Richter kann die Gesellschaft voranbringen. Gerade hinsichtlich der unbändigen Gesetzesflut, der immer kürzer werdenden Lebensdauer von Erlassen und des gleichzeitig stetig steigenden Erledigungsdrucks auf Recht und Politik kann sich der Richter eine Kommunikationsblockade immer weniger leisten. In diesem Sinne ist ein Richter, der sich (rechts-)politisch äussert, eine Notwendigkeit.