Unnötige Überwachung ­eines 94-jährigen Aktivisten

Der Beschwerdeführer mit Jahrgang 1925 ist seit 1948 in der Friedensbewegung aktiv. Im März 2010 verlangte er Einsicht in Polizeiakten über ihn. Das Britische Datenschutzrecht sieht solche Auskunftsbegehren ausdrücklich vor. Die Behörden hatten für die Zeit zwischen 2005 und 2009 insgesamt 66 Einträge über den Beschwerdeführer angelegt. Der Grossteil dieser Daten betraf seine Tätigkeit als Aktivist im Rahmen von Kundgebungen gegen den Waffenproduzenten EDO MBM Technology Ltd. Die Einträge enthalten keine Hinweise auf gefährliches oder gewaltsames Verhalten. Dennoch wurden alle in der sogenannten Extremismusdatenbank angelegt. 

Die Polizei lehnte eine vom ­Beschwerdeführer verlangte Löschung der Daten ab.  2011 legte der Mann Beschwerde gegen die Entscheide der Polizeibehörden ein. Insbesondere machte er geltend, dass sein Recht auf Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8 EMRK verletzt wurde. Der Beschwerdeführer macht überdies geltend, dass eine allfällige Rechtfertigung durch die britischen Behörden einer Verhältnismässigkeitsprüfung im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 EMRK nicht standhalte.

2012 entschied der britische High Court, Art. 8 EMRK sei nicht tangiert. 2014 entschied ein Berufungsgericht, dass in diesem Fall Art. 8 EMRK durchaus tangiert sei, jedoch ein staatlicher Eingriff im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK den Eingriff rechtfertige. Der britische Supreme Court stützte diese Ansicht in seinem Urteil von 2015. Die Mehrheit der Richter war der Ansicht, die gesammelten Informationen seien keine sensiblen Daten. Dennoch könnten sie für die nachrichtendienstliche Tätigkeit von Wert sein. Der Wert könne jedoch zum Teil erst retrospektiv beurteilt werden, wenn eine Suche nach auffälligen Datenmustern durchgeführt würde. Der Supreme Court hielt fest, der Beschwerdeführer sei durch die angelegten Daten nicht stigmatisiert. 

Der Beschwerdeführer liess nicht locker und machte die Verletzung der entsprechenden Normen aus der EMRK vor dem EGMR geltend. Dieser erinnerte an seine Spruchpraxis, wonach die blosse Aufbewahrung von Daten bereits Art. 8 EMRK verletzen kann. Der EGMR hielt in seinem Urteil fest, dass die britischen Behörden einen legitimen Zweck verfolgten. Sie hätten jedoch nicht überzeugend darlegen können, dass die Datenspeicherung erforderlich sei.

Urteil der 1. Kammer des EGMR N° 43514/15 «Catt c. Vereinigtes Königreich» vom 24.1.2019 

Konvention schützt nicht vor Zerstörung von Kulturgut

Der Gerichtshof hat sich mit den  Auswirkungen des Baus des Ilisu-­Staudamms auf archäologische Stätten in der Türkei befasst. Beschwerdeführer sind zwei Pro­fessoren für Archäologie und Architektur, ein Journalist und ein Rechtsanwalt. Sie beschäftigten sich beruflich mit den archäologischen Stätten in der Umgebung von Hasankeyf, die teilweise 12 000 Jahre alt sind und in der Türkei unter höchsten Schutz gestellt wurden.

Hasankeyf soll überflutet werden, sobald der Ilisu-Damm fertiggestellt ist. Nachdem das zuständige türkische Gericht eine Beschwerde in dieser Sache abgelehnt hatte, gelangten die Beschwerdeführer an den EGMR. Sie fordern den Stopp der Bauarbeiten und argumentieren, dass mit dem Verschwinden der Stadt mit ihren Artefakten aus verschiedenen Zeitepochen das Recht auf Bildung jetziger und künftiger Generationen aus Art. 8 EMRK in Verbindung mit Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt würde. Die Beschwerdeführer führten auch ökologische Gründe an. 

Der Gerichtshof hielt in seiner Entscheidung fest, dass das Völkerrecht und die Menschenrechte durchaus den Schutz von Kulturgütern vorsehen, insbesondere auch wenn es um den Zugang zu historisch wertvollen Zeitzeugnissen geht. Allerdings präzisierte er, dass das Recht auf Schutz von Kulturgütern in erster Linie ethnischen und kulturellen Minderheiten zusteht. Gemäss dem Gerichtshof ist bei den Unterzeichnern der EMRK keine Tendenz erkennbar, das Recht auf unversehrte Kulturgüter als universelles Recht für alle ­Menschen auszudehnen. Der Gerichtshof lehnte die Beschwerde deshalb ab.

Urteil der 2. Kammer des EGMR N° 6080/06 «Zeynep Ahunbay und andere c. Türkei» vom 29.1.2019

Streichung von Wohngeld war zulässig

Die Rückforderung von Wohnförderungsgeldern in den Niederlanden hat das Recht auf Familienleben gemäss dem Gerichtshof nicht verletzt. Die Beschwerdeführerin, eine niederländische Staatsbürgerin, erhielt aufgrund ihrer prekären ökonomischen Situation Wohnförderungsgelder und Sozialhilfe, um die Miete ihrer Wohnung in Beverwijk (Niederlande) zu bezahlen. Die Beschwerdeführerin wurde nach ihrer Flucht aus Äthiopien 1996 im Jahre 2001 niederländische Staatsbürgerin, ihr Sohn nicht. Da der mittlerweile erwachsene Sohn sich in den Jahren 2006 und 2007 illegal in den Niederlanden aufhielt, forderte die Behörde die Wohn­förderungsgelder für diese beiden Jahre zurück. Nach niederländischem Recht werden solche Gelder nur ausbezahlt, wenn sich sämtliche Bewohner rechtmässig im Land aufhalten.

Die Beschwerdeführerin wehrte sich vor Gericht gegen diese Anordnung. Ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK würde verletzt. 

In seinem Urteil hält der EGMR fest, dass die Entscheidung, der Beschwerdeführerin keine Wohnförderungsgelder mehr zu zahlen, sich nicht gegen das Zusammenleben der Beschwerdeführerin und ihres Sohnes richtete. Diese För­dergelder seien dafür vorgesehen, dass sich legal in den Niederlanden Aufhaltende in den Genuss von Wohnförderungen kommen. Da der Sohn der Beschwerdeführerin sich ebenfalls in dieser Wohnung aufhielt, kam er ungerechtfertigt in den Genuss dieser Gelder. Der Gerichtshof hält fest, dass weder der Aufenthalt des Sohnes in den Niederlanden noch die Vergabe von Sozialhilfe, welche die Beschwerdeführerin ebenfalls erhält, zur Diskussion standen. Das Recht auf Familienleben ist in den Augen des Gerichtshofs somit nicht verletzt und die Beschwerde wurde abgewiesen.

Urteil der 1. Kammer des EGMR N° 37115/11 «Emabet Yeshtla c. Niederlande» vom 15.1.2019