Übertriebene Verschwiegenheit bei Aids-Erkrankung des Partners
Der Lebenspartner der 1968 geborenen Ayse Colak hatte den gemeinsamen Arzt im Dezember 1992 informiert, er leide an Aids und untersagte ihm, diese Information seiner Partnerin mitzuteilen. Der Arzt verschwieg deshalb Colak jahrelang die Aids-Erkrankung. Er orientierte sie erst mehr als zwei Jahr später, nach dem Tod des Lebenspartners. Ein Test ergab, dass sie HIV-positiv war. Colak verlangte von ihrem Hausarzt Schadenersatz, unterlag aber vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Die deutsche Justiz hielt zwar fest, der Arzt habe seine Verschwiegenheitspflicht zu stark gewichtet und hätte Frau Colak informieren müssen. Dies sei aber kein gravierender ärztlicher Fehler. Colak verlor den Prozess, da ihr der Nachweis misslang, dass sie sich erst nach 1993 angesteckt hatte. Der Gerichtshof verneinte einstimmig eine Missachtung des Rechts auf Leben (Art. 2 EMRK), wobei er nicht klar beantwortete, ob diese Garantie überhaupt auf HIV-positive Personen anwendbar ist, die (noch) nicht an Aids leiden.
Eines der sieben Gerichtsmitglieder votierte dennoch für eine Verletzung der EMRK. Missachtet wurde nach seiner Auffassung nicht das Recht auf Leben, sondern der Anspruch auf Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK). Die Patientin habe während mehrerer Jahre in Unsicherheit gelebt und sei mangels Information daran gehindert worden, adäquate Schutzvorkehrungen zu treffen. Der Staat habe das Privatleben ungenügend geschützt, denn er habe dem Hausarzt keine klaren rechtlichen Leitlinien für die Interessenabwägung zur Verfügung gestellt.
(Urteil N° 77144/01 and 35493/05 «Colak & Tsakiridis c. Deutschland» vom 5. März 2009)
Foto eines Neugeborenen: 8000 Euro Genugtuung für Eltern
Am 31. März 1997 wurde in einer Athener Privatklinik Anastasios Reklos geboren. Unmittelbar nach der Geburt wurde Anastasios in einen sterilen Raum verlegt, zu dem nur medizinisches Personal Zugang hatte. Tags darauf machte ein Berufsfotograf im Auftrag des Privatspitals auch von diesem Neugeborenen die üblichen zwei Aufnahmen. Die Eltern protestierten bei den Klinikverantwortlichen gegen das Betreten des sterilen Raums durch den Fotografen und gegen das Fotografieren ohne ihr Einverständnis. Sie verlangten vergeblich die Herausgabe der Negative. Die griechische Ziviljustiz wies ihre Genugtuungsforderung von rund 12000 Euro für den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Neugeborenen ab. Sie hielt fest, ein bloss ein Tag alter Säugling könne durch eine Fotoaufnahme nicht in seinem seelischen Gleichgewicht oder seiner Persönlichkeit beeinträchtigt werden.
Der Gerichtshof bejahte einstimmig eine Missachtung des menschenrechtlichen Anspruchs auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK), der auch das Recht am eigenen Bild umfasse. Ein effektiver Schutz dieses Rechts setze voraus, dass die betroffene Person bereits der Aufnahme – und nicht erst einer späteren Veröffentlichung – zustimme. Das Recht auf Zustimmung (oder Ablehnung) lag bei den Eltern. Die Verwaltung der Klinik habe nicht nur dieses Zustimmungsrecht missachtet, sondern dem Fotografen sogar den Zutritt zur sterilen Abteilung ermöglicht. Nicht zu vernachlässigen sei zudem die unberechtigte Weigerung des Fotografen, den Eltern die Negative herauszugeben. Die griechische Justiz habe das Recht auf Schutz des Privatlebens des Neugeborenen ungenügend geschützt. Zudem hatte sie ein Rechtsmittel der Eltern wegen angeblich ungenügender Begründung abgeschmettert. Dieser überspitzte Formalismus missachtete das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK).
Der Gerichtshof sprach den Eltern für die erlittene Unbill eine Genugtuungssumme von 8000 Euro zu.
(Urteil N° 1234/05 «Reklos & Davourlis c. Griechenland» vom 15. Januar 2009)
Tabak-Schleichwerbung in Zeitschrift verboten
In Frankreich gilt seit 1993 ein fast vollständiges Verbot direkter oder indirekter Werbung für Tabakprodukte (Loi Evin vom 10. Januar 1991). Als unzulässige indirekte Werbung gilt zum Beispiel das Zeigen der Logos von Tabakmarken. Eine Ausnahme macht das französische Gesetz für die Fernsehübertragung ausländischer Motorsportveranstaltungen: «La retransmission des compétitions de sport mécanique qui se déroulent dans des pays où la publicité pour le tabac est autorisée, peut être assurée par les chaînes de télévision.»
Wegen Missachtung der Loi Evin wurden die Verantwortlichen der Monatszeitschrift «Action Auto Moto» zu einer Busse von 30000 Euro verurteilt. Sie hatten im März 2002 im A4-Format ein Bild der Siegerehrung des Grand Prix von Australien abgedruckt, welches die Sponsorenlogos von zwei Zigarettenmarken auf den Overalls von Michael Schumacher und einem anderen Piloten in einer Grösse von etwa einem Zentimeter zeigten. Eine Busse von 20000 Euro gab es für die Zeitschrift «Entrevue», die in einem redaktionellen Bericht über die bestbezahlten Sportler der Welt unter allem eine Fotografie von Michael Schumachers Helm mit Marlboro-Logo sowie eine satirische Fotomontage mit zwei kopulierenden Marlboro-Packungen und dem Text «Attention, fumerdonne le cancer de l’anus» veröffentlicht hatte.
Die gebüssten Verlage argumentierten in Strassburg vergeblich, die Bussen bedeuteten eine unverhältnismässige Beschränkung der Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK). Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit sei der Kampf gegen Tabakkonsum ein vordringliches Ziel,das einem breiten europäischen Konsens entspreche. Auch die Massnahme gegen die Fotomontage sei verhältnismässig. Sie zeige Marlboro nicht in einem negativen Licht, sondern parodiere eher den gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweis auf Zigarettenpackungen. Der Gerichtshof verwarf auch den Einwand, dies bedeute eine Diskriminierung (Art. 14 EMRK) der gedruckten Medien gegenüber dem Fernsehen.
Im Fernsehen ist laut EGMR ein Ausblenden der Tabakwerbung aus technischen Gründen – bei Live-Übertragungen – gar nicht machbar. Die Situation des Fernsehens entspreche in dieser Hinsicht nicht jener der Presse.
(Urteile N° 13353/05 «Hachette Filipacchi Presse Automobile & Dupuy c. Frankreich» und N° 26935/05 «Société de Conception de Presse et d’Edition & Ponson c. Frankreich» vom 5. März 2009)