1. Ausgangslage
1.1 Urteil des EGMR vom 10. Mai 2016 in Sachen Derungs gegen die Schweiz
Rudolf Derungs befand sich im Vollzug einer Verwahrung nach Art. 64 StGB. Zweimal wies das Bundesgericht eine Beschwerde ab, mit welcher er seine bedingte Entlassung verlangt und diverse Verfahrensmängel gerügt hatte.1, 2 Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hiess der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die von Derungs gegen die beiden Urteile erhobenen Beschwerden gut und stellte fest, dass die Schweiz Art. 5 Ziff. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)3 verletzt habe.4
Vorab bestätigte der EGMR seine konstante Praxis, wonach bei zeitlich nicht limitierten Freiheitsentzügen, deren Dauer von der persönlichen Entwicklung des Gefangenen abhängig ist,5 Art. 5 Ziff. 4 EMRK Anwendung findet.6 Unter Hinweis auf sein gutheissendes Urteil i. S. Fuchser c. Schweiz –7 welches ebenfalls den Kanton Zürich betroffen hatte – stellte der EGMR fest, eine Verfahrensdauer von elf Monaten bis zum (verwaltungs)gerichtlichen Haftprüfungsentscheid8 verletze a priori Art. 5 Ziff. 4 EMRK; er verzichtete deshalb auf die sonst übliche Prüfung, ob einzelne Phasen behördlicher Untätigkeit den Vorwurf der Verfahrensverzögerung rechtfertigen.9 Den Erwägungen des EGMR kann ohne weiteres entnommen werden, dass er von einer krassen Verletzung von Art. 5 Ziff. 4 EMRK ausgeht.10
Dementsprechend wurde Derungs eine relativ hohe Genugtuung von 7000 Euro zugesprochen. Zudem wurde die Schweiz verpflichtet, ihm eine Prozessentschädigung von 5000 Euro auszurichten.
Hingegen wurde die Beschwerde von Derungs insofern abgewiesen, als dieser die Verweigerung der persönlichen Anhörung durch das Verwaltungsgericht gerügt hatte. Der EGMR verneinte eine Konventionsverletzung deshalb, weil Derungs in Anwesenheit seines Rechtsvertreters vom Amt für Justizvollzug angehört worden war. Der EGMR erachtete das von Art. 5 Ziff. 4 EMRK garantierte Recht auf persönliche Anhörung dadurch als gewahrt.11
Das Urteil vom 10. Mai 2016 wurde am 10. August 2016 rechtskräftig. Die Schweiz ist nun verpflichtet, das Urteil des EGMR zu befolgen. Das Ministerkomitee überwacht den Vollzug.12
Die Folgerung aus dem Urteil vom 10. Mai 2016: Der gegenwärtig in vielen Kantonen vorgesehene Rechtsweg bei Entlassungsgesuchen aus einer freiheitsentziehenden Massnahme (Entscheid der Vollzugsbehörde, verwaltungsinterner Rekurs, Beschwerde an das Verwaltungsgericht) ist nicht vereinbar mit dem grundrechtlichen Anspruch auf unverzügliche gerichtliche Haftprüfung nach Art. 5 Ziff. 4 EMRK. Dies deshalb, weil die vom EGMR gerügte Verfahrensdauer von elf Monaten für das heute geltende Prozedere als eher zügig bezeichnet werden kann. Es besteht demnach gesetzgeberischer Handlungsbedarf.13
1.2 Urteil des EGMR vom 13. Juli 2006 in Sachen Fuchser gegen die Schweiz
Wie ausgeführt bezieht sich der EGMR im Urteil Derungs explizit und wiederholt auf das Urteil Andreas Fuchser gegen die Schweiz vom 13. Juli 2006. Zur Beantwortung der Frage, wie das Urteil Derungs umzusetzen ist, ist demnach dieses Urteil heranzuziehen.
Fuchser befand sich im Vollzug einer altrechtlichen stationären Behandlung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB.14 Er stellte ein Haftentlassungsgesuch. Nach dem damals geltenden Verfahrensrecht wurde sein Haftentlassungsgesuch vorerst von den Vollzugsbehörden15 behandelt und abgewiesen. Entgegen der heutigen Regelung war damals der gerichtlichen Haftprüfung lediglich ein einstufiges Verwaltungsverfahren vorangegangen (ohne verwaltungsinterne Rekursmöglichkeit) und entschied als gerichtliche Instanz nicht das Verwaltungsgericht in einem verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren, sondern das Sachgericht in einem ordentlichen Haupt- bzw. Nachverfahren. Erste Rechtsmittelinstanz war bei Fuchser das Bezirksgericht Zürich.16
Das Bezirksgericht Zürich wartete den Eingang eines psychiatrischen Gutachtens ab, führte eine mündliche Verhandlung durch und hiess das Haftentlassungsgesuch Fuchsers gut. Zwischen dem bei der Vollzugsbehörde gestellten Haftentlassungsgesuch und dem Urteil des Bezirksgerichts Zürich verstrichen vier Monate und sechs Tage.17
Mit seinem Urteil vom 13. Juli 2006 stellte der EGMR fest, dass die überlange Dauer bis zur gerichtlichen Entscheidung über das Haftentlassungsgesuch mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK nicht vereinbar ist. Es sprach Fuchser eine Genugtuung im Betrag von 3000 Euro zu und verpflichtete die Schweiz zur Zahlung einer Prozessentschädigung von ebenfalls 3000 Euro.
Die vom EGMR gerügte Verfahrensdauer von vier Monaten und sechs Tagen bei einem Prozedere, das der damaligen Rechtslage entsprach, kann wiederum als zügig bezeichnet werden. Dieses Prozedere sah bei korrekter Durchführung die folgenden Schritte vor:
- Entgegennahme des Haftentlassungsgesuchs durch die Vollzugsbehörde
- Eingehende Abklärungen und Neubeurteilung der Voraussetzungen für eine Haftentlassung
- Erlass einer einlässlich begründeten Verfügung, mit welcher das Haftentlassungsgesuch abgewiesen wird
- Anrufung des Gerichts durch Inhaftierten
- Sammlung des erforderlichen Prozessstoffs durch das Gericht
- Anhörung des Inhaftierten durch das Gericht
- Einlässliche Begründung des gerichtlichen Entscheids.
1.3 Anforderung an die gerichtliche Haftprüfung nach Art. 5 Ziff. 4 EMRK
Die Konventionsbestimmung spiegelt den Habeas-Corpus-Gedanken wider.18 Dieser verschafft der festgenommenen Person ein Grundrecht auf richterliche Haftprüfung. Im Einzelnen geht es um das Recht einer festgenommenen Person, ein Verfahren einzuleiten, in dem
a) von einem Gericht
b) in einem justizförmigen Verfahren mit mündlicher Anhörung
c) binnen kurzer Frist
d) mit uneingeschränkter Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis über das Haftentlassungsgesuch entschieden wird.19
2. Modelle zur Umsetzung der Rechtsprechung
2.1 Modell 1: Schaffung von Strafvollstreckungsgerichten
2.1.1 Wandel des Strafrechts und Strafvollstreckungsrechts
Der Wandel, den das Strafrecht – insbesondere das Strafvollstreckungsrecht – in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchgemacht hat, soll an dieser Stelle in Erinnerung gerufen werden. In zweifacher Hinsicht erfolgte ein Paradigmenwechsel. Einerseits fand ein Funktionswandel vom repressiven zum (auch) präventiven Strafrecht statt: die strafrechtliche Intervention soll nicht nur begangenes Unrecht verfolgen und sanktionieren, sondern (auch) künftiges Unrecht voraussehen und verhindern. Andererseits wird heute von der Strafvollzugspraxis eine konsequente Eliminierung von Rückfällen verurteilter Straftäterinnen und Straftäter gefordert, was in systematischem Widerspruch zu Verfassungsprinzipien steht: Das Null-Risiko-Prinzip und der Verhältnismässigkeitsgrundsatz schliessen sich gegenseitig aus.20
Die Konsequenzen sind bekannt: Der Insassenbestand beim stationären Massnahmenvollzug steigt Jahr für Jahr; auch die Zahl alter Gefangener nimmt kontinuierlich zu. Während bis in die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts Vollzugslockerungen und bedingte Entlassungen eher routinemässig geprüft wurden, wird heute ein ungleich grösserer Abklärungsaufwand betrieben. Vor allem bei der Prüfung von Vollzugslockerungen bei Gewalt- und Sexualstraftätern werden heute ungleich mehr und ungleich höhere Anforderungen an eine günstige Prognose gestellt.21
Als bekannt wird schliesslich vorausgesetzt, dass bei Inhaftierten, die sich in einem zeitlich nicht begrenzten Massnahmevollzug befinden, eine Entlassungsperspektive oft nur nach Gewährung von fortschreitenden Vollzugslockerungen besteht. Dies wiederum bedeutet, dass die einzelnen Vollzugslockerungsschritte, deren Beurteilung durchaus komplex sein kann, mittelbar über die Dauer des Freiheitsentzugs entscheiden.22
Aus all diesen Gründen sind die Anforderungen an die Vollzugsbehörden in den vergangenen zwei Jahrzehnten ständig gestiegen. Zugenommen hat aber auch die Angst der Verantwortungsträger – bis hin zu den politisch exponierten Regierungsmitgliedern – vor einem Fehlentscheid. Wobei: Als fatale Fehlentscheide werden nur jene Entscheide wahrgenommen, mit denen einem Gefangenen zu Unrecht Vollzugslockerungen oder Entlassung gewährt wurden, die unrechtmässige Verweigerung von verdienter Freiheit steht nicht im Fokus.23
2.1.2 Anpassung des Rechtswegs als Folge des Wandels
Die a) grosse Tragweite der Entscheide für die Betroffenen, die b) schwierige Hinterfragung der imponierend gestalteten forensisch-psychiatrischen Abklärungen, die c) normativ anspruchsvolle Prüfung der vertretbaren Risiken sowie der d) heute herrschende politische Druck verlangen bei Strafvollstreckungsentscheiden eine Anpassung eines veralteten Rechtswegs an die geänderten Verhältnisse.
Der durch die Rechtsprechung des EGMR geschaffene Handlungsbedarf ist geeigneter Anlass – dem Modell der lateinischen Schweiz folgend – kantonale Strafvollzugsgerichte beziehungsweise Strafvollstreckungsgerichte einzurichten.24 Was das Habeas-Corpus-Prinzip verwirklichen will – ein Gericht soll über Gefangenschaft oder Freiheit entscheiden –, hat seine Berechtigung heute auch bei der Prüfung jener Vollzugslockerungen, die in der Regel (Vor-)Stufen auf der steilen Treppe in die Freiheit sind.
Es stellt sich dabei die Frage, in welchen Fällen das Strafvollstreckungsgericht erstinstanzlich entscheiden soll und in welchen Fällen es als erste Rechtsmittelinstanz gegen Entscheide der Verwaltungsbehörden fungieren soll.
Wie nachfolgend aufgezeigt,25 können die Garantien von Art. 5 Ziff. 4 EMRK gemäss Rechtsprechung des EGMR nur dann gewahrt werden, wenn das Gericht als erste Instanz – ohne Vorschaltung einer umfassenden Prüfung durch die Vollzugsbehörde – über ein Haftentlassungsgesuch befindet. Es führt kein Weg daran vorbei, dass bei Haftentlassungsgesuchen das Strafvollstreckungsgericht als erste Instanz entscheidet. Es drängt sich nach dem Gesagten26 zudem auf, nicht nur Gesuche um bedingte Haftentlassung, sondern auch Gesuche um Vollzugslockerungen mit einer vergleichbaren Tragweite erstinstanzlich vom Gericht beurteilen zu lassen. Diese Entscheide werden gängigerweise dem Bereich der «Strafvollstreckung» zugeordnet.27
Andererseits liegt auf der Hand, dass die Entscheide, die dem «Strafvollzug im engeren Sinn»28 zugeordnet werden, weiterhin erstinstanzlich von der Verwaltungsbehörde – in vielen Fällen von der Vollzugsanstalt – gefällt werden.
Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag der Begriff «Strafvollstreckungsgericht» verwendet (anstelle von «Strafvollzugsgericht»).29
2.1.3 Argumente für Strafvollstreckungsgerichte
Für die Einrichtung von Strafvollstreckungsgerichten sprechen folgende Argumente:
Eine Vielzahl von Entscheiden über Vollzugslockerungen hat zumindest mittelbare Auswirkungen auf die Dauer des Freiheitsentzugs. Insofern lässt sich die Tragweite der Entscheide bis zu einem gewissen Grad vergleichen mit Haftprüfungsentscheiden im Sinne von Art. 5 Ziff. 4 EMRK.
Das Verwaltungsverfahren ist strukturell ein Inquisitionsverfahren: Die Behörde sammelt den Prozessstoff und entscheidet selbst. Der Betroffene ist Verfahrensobjekt; daran ändern auch die gewährten Parteirechte (Akteneinsicht, Recht auf Anhörung) nichts.
Der Betroffene hat in einem kontradiktorischen gerichtlichen Verfahren eine ungleich stärkere Subjektstellung als in einem Verwaltungsverfahren. Im gerichtlichen Verfahren befindet ein von der Verwaltung unabhängiges Gericht über den vorgelegten Prozessstoff, ergänzt diesen allenfalls und beurteilt die ihm von den Parteien vorgetragenen Standpunkte.30
Im Strafvollzugsverfahren werden die Entscheide regelmässig in einem informellen, teilweise geheimen Wissens- und Beurteilungsaustausch zwischen verschiedenen Verwaltungsabteilungen vorgespurt (Vollzugsbehörde und deren Stabsdienste, forensisch-psychiatrische Dienste, Vollzugsanstalten, Sozialdienste); anschliessend wird der Betroffene zum gefundenen Ergebnis angehört. Abschliessend würdigt die Vollzugsbehörde mit einer förmlichen Verfügung die eigene Arbeit bzw. jene der Arbeitspartner, mit denen sie organisatorisch, personell und oft örtlich eng verflochten ist.31
Demgegenüber prüft das Strafvollzugsgericht als unabhängige Instanz die von Dritten geleistete Vorarbeit. Von der Verfahrensstruktur her ist damit das Risiko der Betriebsblindheit geringer bzw. eine kritische Überprüfung der Standpunkte der beigezogenen Fachleute eher zu erwarten und die Anhörung des Betroffenen ist nicht a priori ein Leerlauf zur formellen Wahrung des Gehörsanspruchs.32
Die (verwaltungs)gerichtliche Überprüfung im Anschluss an ein ein- oder zweistufiges Verwaltungsverfahren ist als reines Beschwerdeverfahren ausgestaltet. Eine Anhörung findet in der Regel nicht statt, die Überprüfung beschränkt sich auf die schriftlich vorzutragenden Rügen, die Kognition des Gerichts beschränkt sich im Wesentlichen auf die geltend gemachten Rechtsfehler, eine Ermessensüberprüfung erfolgt nicht.33
Anders als beim Verfahren vor einem erstinstanzlichen Strafvollstreckungsgericht kann in einem Beschwerdeverfahren von einer umfassenden richterlichen Überprüfung in einem den Fair-Trial-Geboten genügenden Verfahren nicht gesprochen werden.
2.1.4 Folgerungen für die Umsetzung der EGMR-Urteile
Derungs und Fuchser
Mit einem erstinstanzlich entscheidenden (Strafvollstreckungs-) Gericht sind die von Art. 5 Ziff. 4 EMRK gestellten Anforderungen erfüllt:
- der direkte Zugang zum Gericht
- das justizförmige Verfahren sowie
- die uneingeschränkte Kognition sind gewährleistet und
- das qualifizierte Beschleunigungsgebot bietet in einem einstufigen Verfahren am wenigsten Probleme.
Die – vernünftigerweise schweizweite – Schaffung von Strafvollstreckungsgerichten ist kaum innert kurzer Zeit zu bewerkstelligen. Aber die Umsetzung der EGMR-Urteile drängt. Eine jahrelange Fortdauer des Ist-Zustands ist nicht haltbar, würde vom Ministerkomitee kaum hingenommen und zöge zwangsläufig weitere Verurteilungen der Schweiz durch den EGMR nach sich.
Es stellt sich deshalb die Frage, mit welchen Regelungsmodellen die EGMR-Urteile einstweilen und kurzfristig umgesetzt werden können.
2.2 Modell 2 gemäss Art. 64 Abs. 3 StGB
Gemäss Art. 64 Abs. 3 StGB kann der Täter, gegen den eine Verwahrung nach Art. 64 StGB angeordnet worden ist, während des Vollzugs der Freiheitsstrafe – der dem Vollzug der Verwahrung vorangeht – die bedingte Entlassung beantragen. Zuständig ist das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat. Auch in zahlreichen anderen sogenannten «Nachverfahren» entscheidet das Gericht, welches das erstinstanzliche Urteil gefällt hat, nachträglich über den weiteren Vollzug von Massnahmen im Sinne von Art. 56 ff. StGB (Art. 363 StPO).34
Mit Blick auf die Vorgaben von Art. 5 Ziff. 4 EMRK ist ein Nachverfahren im Sinn von Art. 64 Abs. 3 StGB sämtlichen anderen Modellen einer gerichtlichen Haftprüfung überlegen – und zwar mit Bezug auf jede einzelne Forderung, die die EMRK in diesem Zusammenhang aufstellt, wie die folgenden Kriterien zeigen.
2.2.1 Zugang zum Gericht (Habeas Corpus)
Der französische35 und der englische36 Wortlaut von Art. 5 Ziff. 4 EMRK machen den Habeas-Corpus-Gedanken deutlich. Es geht darum, dass der Inhaftierte sich nicht ausgerechnet an jene Behörde wenden muss, die ohnehin den Fortgang des Freiheitsentzugs verantwortet und befürwortet (ansonsten sie Schritte zur Entlassung unternähme). Das Grundrecht zielt auf eine unabhängige – und deshalb gerichtliche – Haftprüfung. Die Vollzugsbehörde kann im gerichtlichen Verfahren ihren Standpunkt ohne weiteres einbringen, und zwar ihrer verfahrensrechtlichen Stellung entsprechend als Parteistandpunkt.
Das Recht auf direkte Anrufung des Sachgerichts entspricht dem Wesen des Habeas-Corpus-Prinzips und setzt die Anforderungen von Art. 5 Ziff. 4 EMRK optimal um.
2.2.2. Justizförmiges Verfahren und mündliche Anhörung
Das Verfahren nach Art. 64 Abs. 3 StGB in Verbindung mit Art. 363 ff. StPO ist selbstverständlich besonders geeignet, die Vorgaben von Art. 5 Ziff. 4 EMRK umzusetzen. Schon heute ist in Nachverfahren die mündliche Verhandlung die Norm, samt Gewährung der üblichen Parteirechte (vollständige Akteneinsicht; Einsetzung einer amtlichen Verteidigung; Beweisantragsrecht; Anhörung beider Parteien, des Gutachters oder anderer Fachleute in der Verhandlung usw.).
2.2.3 Uneingeschränkte Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis
In einem Art. 64 Abs. 3 StGB nachgebildeten Verfahren sind die diesbezüglichen Anforderungen ohne weiteres erfüllt.
2.2.4 Qualifiziertes Beschleunigungsgebot
Indem der Inhaftierte direkt an das Gericht gelangt, wirft die Einhaltung des qualifizierten Beschleunigungsgebots keine relevanten Probleme auf.
Das Sachgericht, welches die freiheitsentziehende Massnahme angeordnet hatte, verfügt aufgrund der Vorbefassung über einen Wissensvorsprung, was den Aufwand für die Einarbeitung in das Dossier erheblich vermindert. Zwar wird es dem qualifizierten Beschleunigungsgebot Rechnung tragen müssen, hat aber von Anfang an die Verfahrensherrschaft und kann zur Verfahrensbeschleunigung die angemessenen prozessleitenden Schritte vornehmen.
2.2.5 Praktische Umsetzbarkeit
Es stellen sich insofern keine Probleme, als die Sachgerichte mit der Führung von Nachverfahren im Sinn von Art. 363 StPO vertraut sind. Die Verlagerung des Rechtswegs vom bisherigen Verwaltungsverfahren in das gerichtliche Nachverfahren beschränkt sich auf eine überschaubare Zahl von Verfahren.
2.3 Modell 3: (Lediglich) Abschaffung des verwaltungsinternen Rekurses
Es fragt sich, ob das Ministerkomitee einer Umsetzung des Urteils vom 10. Mai 2016 zustimmen würde, die einzig darin besteht, dass der Instanzenzug abgebaut wird.37 Erst recht kann dies nicht befriedigen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man sich mit dem Abbau des verwaltungsinternen Rekurses jenem Verfahren wieder annähern würde, welches zur Gutheissung der Beschwerde Fuchsers geführt hatte – wobei die damalige Regelung des StVG wenigstens noch den Vorzug hatte, dass nicht das Verwaltungsgericht in einem verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren, sondern das Sachgericht in einem Haupt- beziehungsweise einem Nachverfahren Rechtsmittelinstanz war.
Auch hier seien im Folgenden die massgebenden Kriterien von Art. 5 Ziff. 4 EMRK einer Überprüfung unterzogen.
2.3.1 Zugang zum Gericht (Habeas Corpus)
Wenn ein Haftentlassungsverfahren erstinstanzlich von jener Vollzugsbehörde durchführt wird, welche den bisherigen Freiheitsentzug zu vollziehen und damit zu verantworten hat, dann wird das Recht auf Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens eben gerade nicht gewährt.38 Dem Inhaftierten wird vielmehr ein Verfahren auferlegt, das er gar nicht anstrebt und das nichts mit den EMRK-Garantien zu tun hat: Nämlich ein Prozedere, in welchem es der Behörde naheliegenderweise darum geht, den bisherigen Standpunkt – die Fortsetzung des Freiheitsentzugs sei gerechtfertigt – in einem förmlichen Verfahren rechtsmittelfest zu machen.
Ein solches Verfahren entspricht in etwa einem Einspracheverfahren, wie man es im Sozialversicherungsrecht kennt. Solche Verfahren führen bekanntlich nur in jenen Fällen zu einer anderen Beurteilung der Verwaltungsbehörde, wenn der Einsprecher bisher unberücksichtigte Aspekte vorbringen kann, welche der Verwaltungsbehörde Anlass für eine Änderung des eigenen Standpunktes liefern. Solche Aspekte wird ein Inhaftierter natürlich kaum je vorbringen können, zumal während des bisherigen Massnahmevollzugs neue Aspekte von den Vollzugsbehörden laufend zu verarbeiten sind.
Ein dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Haftprüfungsverfahren durch die Verwaltungsbehörde ist somit – insbesondere für den Betroffenen – in den meisten Fällen ein Leerlauf.39
2.3.2 Justizförmiges Verfahren und mündliche Anhörung
Der EGMR hat im Fall Derungs zugestanden, dass eine Anhörung durch eine Verwaltungsbehörde genügen kann; er betont aber, die Anhörung durch die Vollzugsbehörde sei deshalb rechtsgenügend, weil Derungs anwaltlich vertreten gewesen sei.40
Es kann nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden, dass es unbefriedigend ist, wenn das entscheidende Gericht den Gesuchsteller nicht selbst anhört, sondern sich auf das Protokoll einer Anhörung durch die Vollzugsbehörde stützen muss.
Zu bedenken ist aber vor allem Folgendes: In jenen Fällen, in welchen der Gesuchsteller im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren nicht anwaltlich vertreten war, gebietet Art. 5 Ziff. 4 EMRK regelmässig die (erneute) Anhörung durch das Gericht. Gemäss Rechtsprechung des EGMR ist nämlich in einem Haftprüfungsverfahren zumindest dann von Amtes wegen eine amtliche Verteidigung zu bestellen, wenn der Gesuchsteller psychisch gestört ist.41, 42 Wurde in Fällen amtlicher Verteidigung eine Anhörung ohne Anwesenheit eines Anwalts durchgeführt, ist eine Wiederholung in einem gerichtlichen Verfahren zwingend.
2.3.3 Uneingeschränkte Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis
Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren des Kantons Zürich können lediglich Rechtsverletzungen sowie die unrichtige oder ungenügende Feststellung des Sachverhalts gerügt werden.43 Die Rüge der Unangemessenheit ist nur zulässig, wenn ein Gesetz dies vorsieht.44
Bei der Beurteilung von Gesuchen um bedingte Entlassung geht es regelmässig um Ermessensentscheide. Dies insbesondere deshalb, weil das Verwaltungsgericht bei (Kriminal-)Prognosen die Prüfung im Wesentlichen darauf beschränkt, ob die Behörde die erforderlichen Abklärungen vorgenommen hat.45 Dementsprechend hat das Zürcher Verwaltungsgericht im Urteil vom 17. Februar 2011 in Sachen Derungs explizit darauf hingewiesen, es habe sich auf eine Rechtskontrolle gemäss § 50 VRG zu beschränken.46
Demgegenüber verlangt Art. 5 Ziff. 4 EMRK eine uneingeschränkte Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des angerufenen Gerichts.47 Die richterliche Prüfung muss sich auf sämtliche Voraussetzungen erstrecken, die für die Rechtmässigkeit der Haft wesentlich sind.48
Hieraus folgt, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wie sie im Kanton Zürich ausgestaltet ist, schwerlich mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK vereinbar ist.
2.3.4 Qualifiziertes Beschleunigungsgebot
Wie der Fall Fuchser deutlich aufgezeigt hat, ist selbst ein (bloss) zweistufiges Verfahren mit den Vorgaben der EMRK kaum zu vereinbaren. Innert der «kurzen Zeit»49 im Sinn von Art. 5 Ziff. 4 EMRK, das heisst in der Regel innert weniger Wochen,50 hätten sich zwei Instanzen umfassend mit den Akten und den sich stellenden Rechtsfragen zu befassen, die ihnen richtig scheinenden Abklärungen zu treffen,51 das rechtliche Gehör zu gewähren und jeweils einen Entscheid einlässlich zu begründen. Dies liesse sich – wenn überhaupt – nur mit zusätzlichen Ressourcen und nur dann bewältigen, wenn die involvierten Stellen alle andern Arbeiten zurückstellten.52
Unlösbar wird die Aufgabe, wenn man Folgendes bedenkt: Die Vollzugsbehörde hat immer dann, wenn ein Gesuchsteller eine Anlasstat nach Art. 64 StGB begangen hat, eine Stellungnahme der Fachkommission nach Art. 62d Abs. 2 StGB einzuholen.53 Es wird als bekannt vorausgesetzt, dass die Verfahren bei der Fachkommission in der Regel mehr als drei Monate dauern. Mit anderen Worten bedeutet das: Entweder missachtet die Vollzugsbehörde das Gesetz (Art. 75a StGB) oder dann verschliesst sie sich von vornherein der Möglichkeit, das gestellte Entlassungsgesuch gutzuheissen,54 und verstösst damit gegen die Verfahrensgarantien von Art. 29a BV.
Falls die Pflicht zur Konsultation der Fachkommission auch in Haftprüfungsverfahren gelten soll – was kontrovers ist –,55 dann lässt sich ein zweistufiges Verfahren mit Sicherheit nicht mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK vereinbaren.
2.3.5 Fazit
Ein vorgeschaltetes umfassendes Haftprüfungsverfahren bei der Vollzugsbehörde, welche die Fortsetzung des Freiheitsentzugs ohnehin zu verantworten hat, widerspricht dem Habeas-Corpus-Grundgedanken.
Ein zweistufiges Verfahren (umfassende Behandlung des Entlassungsgesuchs durch die Vollzugsbehörde; Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht) liesse sich bei Fortführung der bisherigen Praxis in mehrfacher Hinsicht nicht mit Art. 5 Ziff. 4 EMRK vereinbaren.
Unter Missachtung von Art. 75a StGB müsste verlangt werden, dass die bedingte Entlassung ohne Konsultation der Fachkommission angeordnet wird, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Fortdauer der freiheitsentziehenden Massnahme nicht (mehr) gegeben sind.
Regelmässig müssten Anhörungen beim Verwaltungsgericht erfolgen, jedenfalls dann, wenn der Gesuchsteller zuvor nicht unter Mitwirkung der Verteidigung angehört worden ist.
Entgegen der bisherigen Praxis hätte das Verwaltungsgericht den vorinstanzlichen Entscheid umfassend – insbesondere hinsichtlich der Angemessenheit – zu überprüfen (dies in Anwendung von § 50 Abs. 2 VRG).
Das Verwaltungsverfahren und das verwaltungsgerichtliche Verfahren müssten im Regelfall innert einem bis höchstens zwei Monaten abgewickelt werden. Eine längere Dauer wäre nur bei komplexen Abklärungen (zum Beispiel psychiatrische Begutachtung) EMRK-konform.
Mit dem Modell 3 wird das Grundrecht auf unverzügliche richterliche Haftprüfung nicht verwirklicht. Von einer EMRK-konformen Umsetzung des Urteils des EGMR vom 10. Mai 2016 könnte nicht gesprochen werden.56
2.4 Modell 4: Zwangsmassnahmengericht als Gericht im Sinne von Art. 5 Ziff. 4 EMRK
Nicht ernsthaft in Betracht fällt die Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts (ZMG). Dieses Gericht ist in der Zusammensetzung und in den Prozessabläufen offenkundig auf effiziente Schnellverfahren eingerichtet; insbesondere für Haftprüfungen in der Strafuntersuchung und für die Überprüfung der migrationsrechtlichen Ausschaffungshaft. Die Überprüfung der Untersuchungshaft und Sicherheitshaft sind verfahrensleitende Entscheide ohne abschliessende Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Regelmässig ist in Erwägungen des ZMG zu lesen, man wolle der Beurteilung durch das Sachgericht nicht vorgreifen. Das ZMG erhebt lediglich die «sofort verfügbaren Beweise» (Art. 225 Abs. 4 StPO), was in der Praxis kaum je vorkommt. Die Geschäftsdauer dürfte in den wenigsten Fällen mehr als einige Tage dauern.
Ganz anders bei Gesuchen um Entlassung aus dem Massnahmevollzug: Hier geht es um verfahrenserledigende Entscheide in der Sache.57 Die Bewältigung umfangreicher Aktendossiers, der Beizug weiterer Akten, die Vornahme ergänzender Abklärungen, die Einholung von Gutachten, ein allfälliger mehrstufiger Verfahrensablauf (zum Beispiel Stellungnahmen zu Abklärungen und Gutachten) ist kaum kompatibel mit der derzeitigen Ausgestaltung der Verfahren vor dem ZMG.
Entscheide der hier diskutierten Tragweite (Fortsetzung eines langjährigen Freiheitsentzugs oder eine bedingte Entlassung) sind nicht einem Einzelgericht, sondern einem Kollegialgericht zu übertragen. Dies entspricht der bundesrechtlichen Regelung der Nachverfahren. Das gemäss Art. 363 StPO zuständige Gericht, das die freiheitsentziehende Massnahme ursprünglich angeordnet hatte, ist nämlich regelmässig ein Kollegialgericht.
Es wäre schliesslich auch unvernünftig, Gesuche um Entlassung aus einer gerichtlich angeordneten Massnahme nicht jenem Gericht zuzuweisen, das diese Massnahme angeordnet hatte und das mit dem Dossier und dem Gesuchsteller bereits vertraut ist. Soweit sich der Bundesgesetzgeber hierzu überhaupt geäussert hat, hat er durchwegs jenes Gericht als zuständig bezeichnet, welches die Massnahme ursprünglich angeordnet hatte.58
Des Weiteren kann auf die Verfahrensregelung verwiesen werden, die im Fall Fuchser galt: Gemäss § 20 Abs. 2 aStVG stand einem Inhaftierten gegen die Abweisung von Haftentlassungsgesuchen der Rekurs an das Sachgericht offen, welches die Massnahme angeordnet hatte.
2.5 Fazit: Nur zwei Modelle werden der Schweiz weitere Verurteilungen ersparen
Nur das Modell 1 (Schaffung von Strafvollstreckungsgerichten) und das Modell 2 (Nachverfahren beim Sachgericht, das die freiheitsentziehende Massnahme angeordnet hatte) dürfte der Schweiz weitere Verurteilungen durch den EGMR wegen Verletzung von Art. 5 Ziff. 4 EMRK ersparen und dem Habeas-Corpus-Prinzip gerecht werden.
Solange solche Strafvollstreckungsgerichte nicht vorliegen, sind die Gesuche um Entlassung aus dem freiheitsentziehenden Massnahmevollzug den Sachgerichten, welche erstinstanzlich die Massnahme angeordnet hatten, zur Entscheidung zuzuweisen.
Hinweise zur legislatorischen Umsetzung dieser Zuweisung auf kantonaler Ebene:
Die Kompatibilität mit dem Bundesrecht und die praktische Durchführbarkeit werfen kaum Fragen auf. Es wird eine Zuständigkeit beziehungsweise ein Verfahrensweg vorgeschlagen, der bereits im Bundesrecht verankert ist und in der Praxis keine Probleme bereitet. Was für Haftentlassungsgesuche im Sinn von Art. 64 Abs. 3 StGB gilt, wäre auf die Gesuche auszudehnen, mit denen um Entlassung aus einer freiheitsentziehenden Massnahme nach Art. 59 bis 61 StGB beziehungsweise Art. 64 StGB ersucht wird.59
Entsprechend der Regelung von Art. 364 Abs. 2 StPO wird das Verfahren durch das Gesuch des Gefangenen eingeleitet. Das Gesuch wird vom Gericht an die Vollzugsbehörde zur Antragstellung und Aktenvorlage weitergeleitet (Art. 364 Abs. 1, Satz 2 StPO). Die bundesrechtlichen Vorschriften betreffend die periodische Prüfung stationärer therapeutischer Massnahmen (Art. 62d StGB) beziehungsweise Verwahrung (Art. 64b StGB) durch die Vollzugsbehörden, kämen weiterhin zur Anwendung.
Keine besonderen gesetzgeberischen Probleme dürften sich mit Bezug auf die kantonalrechtliche Regelung stellen. Bereits heute regelt das kantonale Gesetz über Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG/ZH) die Ausführung der StPO sowie der besonderen Verfahren des ZGB.60 Zwanglos liesse sich die Regelung von Gesuchen um Entlassung aus dem Massnahmenvollzug in das GOG implementieren.61
BGer 6B_33/2009 vom 25.2.2009 bzw. BGer 6B_796/2009 vom 25.1.2010.
Eine dritte Beschwerde von Derungs hiess das Bundesgericht gut und ordnete seine bedingte Entlassung an: BGer 6B_232/2011 vom 17.11.2011.
Art. 5 Ziff. 4 EMRK: «Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn der Freiheitsentzug nicht rechtmässig ist.»
Urteil EGMR R.52089/09 vom 10.5.2006, abrufbar auf http://hudoc.echr.coe.int.
Dazu gehören insbesondere die freiheitsentziehenden Massnahmen nach Art. 59–61 StGB sowie die Verwahrung nach Art. 64 StGB.
R.52089/09, Rz. 45.
Urteil EGMR vom 13.7.2006, R.55894/00, abrufbar auf http://hudoc.echr.coe.int.
Nach Abweisung des Entlassungsgesuchs durch die Vollzugsbehörden und Abweisung des verwaltungsinternen Rekurses hatte das Verwaltungsgericht als erste gerichtliche Instanz entschieden.
R.52089/09, Rz. 54.
R.52089/09, Rz. 48 ff.
R.52089/09, Rz. 78 ff.
Art. 46 Abs. 1 und 2 EMRK.
In diesem Sinne äusserten sich Vertreter des Bundesamtes für Justiz und der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich im «Tages-Anzeiger» vom 11.6.2016, S. 5.
Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 aStGB entspricht im Wesentlichen dem geltenden Art. 59 StGB.
Damals Amt für Straf- und Massnahmenvollzug (ASMV).
Gemäss damals geltendem kantonalem Straf- und Vollzugsgesetz (StVG) stand einer Person, deren Gesuch um Entlassung aus einer stationären Massnahme von der Vollzugsbehörde abgewiesen worden ist, der Rekurs an das Gericht zu, welches die Massnahme rechtskräftig angeordnet hatte (§ 20 Abs. 2 aStVG).
Einzelheiten in R.55894/00, vgl. Fn 7.
Der Begriff geht auf den Habeas Corpus Act Englands im Jahr 1679 zurück, der das Recht auf richterliche Haftprüfung verbriefte.
Einzelheiten und Hinweise auf die umfangreiche Rechtsprechung des EGMR in: Meyer-Ladewig, Handkommentar zur EMRK, 3. Aufl., Rz. 64 und 84 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., N. 124 ff. zu Art. 5; Villiger, Handbuch zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), 2. Aufl., S. 366 ff.
Krauss, «Überwachen und Strafen: Freiheit und Sicherheit in einer neuen Aufgabenverteilung zwischen Bürger und Staat», in: Heine et al., Wer bekommt Schuld? Wer gibt Schuld?, 2011, S. 325 ff., 335 f.; Beiträge von Niggli und Capus, in: Dreiländerforum Strafverteidigung (Hrsg.), Strafverteidigung und Sicherheitswahn, 2014.
Statt vieler: Heer, «Normative und tatsächliche Massnahmemöglichkeiten», in: Capus / Bacher (Hrsg.), Strafjustiz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, S. 71 ff., 79 f.; Simmler,
«7 enttäuschte Hoffnungen? Zur statistischen Überprüfung der realen Folgen der AT-Revision», in: ZStrR, 2016, S. 73 ff., 96.
BGE 128 I 225, E. 2.5.2.; Heer, Fn. 20, Rz. 31 f. zu Art. 62.
Nachdem das Bundesgericht, die Entlassung Derungs’ angeordnet hatte, äusserte sich ein Kadermitglied der Zürcher Justizdirektion gegenüber dem «Tages-Anzeiger» wie folgt: «Ich bin froh, dass das Bundesgericht so entschieden hat. Die Verwahrung dieses Mannes hat auch mein Rechtsempfinden gestört» (TA vom 18.11.2011).
Vgl. Heer, «Sanktionenrecht unter dem Druck der Öffentlichkeit», in:
Niggli / Jendly: Strafsystem und Öffentlichkeit: Zwischen Kuscheljustiz und Scharfrichter, S. 141 ff.
Strafvollzugsgerichte existieren in den Kantonen GE, TI, VD, VS.
Vgl. unten Ziff. 2.3.
Vgl. vorn Ziff. 2.1.1.
Der Strafvollstreckung werden insb. konkrete Vollzugslockerungen innerhalb des progressiven Straf- oder Massnahmenvollzugs sowie die Entscheide zur Unterbrechung oder Beendigung des Vollzugs zugeordnet (Brägger, «Vollstreckungsrecht /
Vollzugsrecht», in: Brägger (Hrsg.), Das schweizerische Vollzugslexikon, 2014, S. 510).
Das Strafvollzugsrecht regelt die konkrete Ausgestaltung freiheitsentziehender Strafen und Massnahmen (Brägger, a. a. O.).
Entsprechend die Bezeichnung in der Romandie: Tribunal d’application des peines et mesures.
Die Frage, ob bzw. inwieweit die Fair-Trial-Garantien von Art. 6 EMRK in Verfahren zu beachten sind, bei denen es um die Fortsetzung zeitlich nicht limitierter Freiheitsentziehung geht, ist noch wenig geklärt. Gemäss Praxis des EGMR ist Art. 6 EMRK in Strafvollzugsfragen grundsätzlich nicht anwendbar.
Die Vollzugsbehörde des Kantons Zürich ist z.B. im selben Gebäude domiziliert wie der psychologisch-psychiatrische Dienst PPD, dessen Einschätzung regelmässig ausschlaggebendes Gewicht hat.
Das sind die seit Montesquieu
anerkannten Vorzüge von Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit.
Vgl. unten Ziff. 2.3.4.
Vgl. die Auflistung der Nachverfahren von Schwarzenegger, in: Donatsch / Hansjakob / Lieber, StPO-Kommentar, Rz. 2 zu Art. 363, insbesondere mit Verweis auf Art. 64 Abs. 3 StGB.
Le droit d’introduire un recours devant un tribunal.
The right to take proceedings.
Für dieses Modell sprechen sich vereinzelte Kantone aus (vgl. plädoyer 5/16, S. 13).
Vgl. oben Ziff. 2.2.1.
Wohl aus diesen Gründen sind Entlassungsgesuche bei einer fürsorgerischen Unterbringung (FU) direkt an das Gericht zu stellen (für den Kanton Zürich: Einführungsgesetz zum Kindes-
und Erwachsenenschutzrecht, § 62 Abs. 1 EG KESR).
Rz. 78 ff.
Urteil EGMR vom 15.9.1992, Megyeri c. Deutschland; EuGRZ 1992, S. 347.
Bei Entlassungsgesuchen aus einer Massnahme nach Art. 59 StGB dürften diese Voraussetzungen regelmässig gegeben sein, zumal hier eine schwere psychische Störung vorausgesetzt ist. Nach der Erfahrung des Autors wird im Kanton Zürich in gerichtlichen Massnahmenachverfahren durchwegs ein amtlicher Verteidiger bestellt, selbst wenn es nicht um freiheitsentziehende Massnahmen geht.
§ 50 i. V. m. § 20 VRG.
§ 50 Abs. 2 VRG.
Donatsch, in: Griffel,
VRG-Kommentar, 3. Aufl.,
Rz. 65 zu § 50.
VB.2010.00680, E. 7.
Meyer-Ladewig: «Wenn das Gericht nur eingeschränkte Prüfungs- und Entscheidungsmöglichkeiten hat, reicht das nicht aus» (a.a.O.,
Rz. 88 zu Art. 5).
Frowein / Peukert, a. a. O.,
Rz. 141 zu Art. 5.
Bzw. «speedily» oder «à bref délai».
Frowein / Peukert: «Generell sind Zeiträume von über drei Wochen problematisch» (a.a.O., N. 145 zu Art. 5 mit weiteren Verweisen); Meyer-Ladewig, a.a.O., Rz. 91 zu Art. 5, unter Verweis auf den Fall Fuchser. Mehrmonatige Verfahren sind nur bei komplexen Abklärungen (z. B. Einholung eines Gutachtens) tolerierbar.
Das Gericht muss nach Massgabe des Untersuchungsgrundsatzes prüfen, ob die Abklärungen der Vollzugsbehörde zu ergänzen sind.
Zu beachten ist dabei die Praxis im Kanton Zürich, nach welcher ein Entscheid der Vollzugsbehörde betr. bedingte Entlassung nicht nur von den Fallverantwortlichen, sondern zusätzlich vom Abteilungsleiter und dem Stabsdienst verantwortet wird.
Art. 75a Abs. 2 StGB.
Gemäss Art. 75a Abs. 1 lit. b StGB kann die Vollzugsbehörde auf
eine Vorlage dann verzichten, wenn sie ein Entlassungsgesuch von vornherein ablehnen will
BGE 136 IV 165, vgl. aber
BSK Strafrecht I-Heer, Rz. 17 zu Art. 64b.
Ob das Ministerkomitee eine so geartete «Lösung der Hausaufgaben» absegnen würde, erscheint zweifelhaft. Anzumerken ist, dass den Strassburger Organen wohl durchaus bewusst ist, dass sich die Schweiz seit jeher schwergetan hat, die Habeas-Corpus-Prinzipien umzusetzen, und wiederholt deswegen gerügt werden musste. In Westeuropa dürfte die Schweiz als letzter Mitgliedstaat den strafprozessualen Haftrichter eingeführt haben (im Kanton Zürich auf Druck Strassburgs erst im Jahre 1989; vgl. BGE 115 Ia 56).
Auch wenn sie in Form von Beschlüssen ergehen.
Art. 62a Abs. 3 StGB, Art. 64 Abs. 3 StGB, Art. 64c Abs. 5 StGB, Art. 65 Abs. 1 StGB; vgl. auch Art. 363 Abs. 1 StPO.
Ob die Besonderheiten der Freiheitsentzüge nach Art. 60 und 61 StGB eine abweichende Regelung erlauben, wäre zu prüfen. Nicht angesprochen sind hier die jugendstrafrechtlichen Massnahmen.
§ 1 lit. b und c GOG.
So wurde beispielsweise das Verfahren bei Gesuchen um Entlassung aus der fürsorgerischen Unterbringung bis vor kurzem im GOG geregelt.