1. Gesetzliche Grundlage
Die Überbrückungsleistungen (ÜL) wurden vom Bundesrat am 15. Mai 2019 als Teil eines «Massnahmenpakets zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials» präsentiert.1 Der Bundesrat hat sie als flankierende Massnahme vorgesehen, um eine immer deutlicher sichtbare Lücke im System der sozialen Sicherheit an der Schnittstelle zwischen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe und Altersvorsorge zu adressieren.
Das den Ergänzungsleistungen nachgeformte neue Sozialwerk versteht sich als Reaktion auf verschiedene Studien und Statistiken, welche die grossen Schwierigkeiten älterer Arbeitsloser und Ausgesteuerter bei der Stellensuche bestätigen.2 So hat die Sozialhilfequote in den Jahren 2011 bis 2017 insgesamt um rund 10 Prozent zugenommen, während die Steigerung bei den über 55-Jährigen im gleichen Zeitraum 32 Prozent betrug. Trotz langjähriger Erwerbstätigkeit führt die Aussteuerung und der darauf häufig folgende Sozialhilfebezug in dieser Alterskategorie anschliessend in der Regel zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Alterssicherung und auch der Erhalt von allfälligem Wohneigentum ist gefährdet. Um diese – auch langfristigen Folgen – zu verhindern, soll Personen, die nach Vollendung des 60. Altersjahres ausgesteuert werden, ein geregelter Übergang in die Pensionierung ermöglicht werden – ohne Rückgriff auf die Sozialhilfe.
Die Massnahme stützt sich auf die in Art. 114 Abs. 5 Bundesverfassung verankerte Kompetenz des Bundes, im Bereich der Arbeitslosenfürsorge gesetzgeberisch tätig zu werden. Sie ermächtigt den Bund laut Bundesamt für Justiz zur Einführung solcher Leistungen.3 Das Gesetzgebungsverfahren für die Überbrückungsleistungen wurde von Verwaltung und Parlament in nur knapp einem Jahr am 19. Juni 2020 abgeschlossen.4 Ein gegen das Gesetz angekündigtes Referendum kam nicht zustande. In der Folge gab der Bundesrat bekannt, die notwendigen Arbeiten an den Verordnungsbestimmungen und innerhalb der Durchführungsstellen so zu planen, dass das Bundesgesetz über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜLG) per 1. Juli 2021 in Kraft treten kann.5
2. Kumulative Voraussetzungen
Das Gesetz formuliert restriktive Voraussetzungen für den Leistungsbezug (vgl. Art. 5 und Art. 6 ÜLG), die kumulativ erfüllt sein müssen. Demnach richten sich die neuen Leistungen nur an Personen, die nach Vollendung des 60. Altersjahrs ausgesteuert werden, eine gewisse Versicherungsdauer in der AHV und ein Mindesteinkommen aufweisen sowie nicht mehr als ein bestimmtes Reinvermögen besitzen.
Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen ist subsidiär. Personen, die Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung haben, sowie Personen, welche die Altersrente nach Art. 40 AHVG vorbeziehen, haben keinen Anspruch auf Überbrückungsleistungen.6 Dies entspricht der Zielsetzung des Sozialwerks, jene Lücke zu schliessen, die zwischen dem Ende des Taggeldanspruchs in der Arbeitslosenversicherung und dem Bezug der AHV entstehen kann. Im Verhältnis zwischen Ergänzungs- und Überbrückungsleistungen gehen Erstere vor.7 Der gleichzeitige Bezug von Überbrückungsleistungen und einer Rente der Unfallversicherung oder der Pensionskasse beziehungsweise eine parallele Unterstützung durch die Sozialhilfe bleibt hingegen möglich.8
2.1 Aussteuerung nach vollendetem 60. Altersjahr
Art. 3 Abs. 1 lit. a ÜLG statuiert den Grundsatz, dass ausgesteuerte Personen ab 60 Jahren zur Deckung ihres Existenzbedarfs Anspruch auf Überbrückungsleistungen geltend machen können. Massgebend ist das Alter, in dem die betreffende Person ausgesteuert wird. Die Aussteuerung darf frühestens im Monat des 60. Geburtstags einer Person erfolgen (Art. 5 Abs. 1 lit. a ÜLG).9
Es handelt sich dabei um eine starre Altersgrenze. Wer alle weiteren Voraussetzungen erfüllt, aber schon – unter Umständen nur wenige Monate – vor dem 60. Geburtstag ausgesteuert wird, hat keinen Anspruch auf Überbrückungsleistungen. Dies wurde während der parlamentarischen Diskussion zwar kritisiert, letztlich aber beibehalten aufgrund der Befürchtung, der Kreis anspruchsberechtigter Personen werde sonst zu sehr ausgedehnt.10 Dem Zeitpunkt der Aussteuerung kommt eine entsprechend besondere Bedeutung zu. In vereinzelten Kantonen sind jedoch Vorstösse hängig, welche auf kantonaler Ebene eine flexiblere Handhabung der starren Altersgrenze fordern.11
Die gewählte Definition der Aussteuerung entspricht jener im AVIG.12 Demnach ist eine Person ausgesteuert, wenn sie entweder ihren Anspruch auf Taggelder ausgeschöpft hat oder wenn gemäss Art. 9 AVIG die Rahmenfrist für den Leistungsbezug abläuft. Die Aussteuerung erfolgt in dem Monat, in dem das letzte Taggeld bezogen wird beziehungsweise die Rahmenfrist erlischt. Aufgrund der Voraussetzung der Aussteuerung sind Personen ohne Taggeldanspruch in der Arbeitslosenversicherung – wie beispielsweise Selbständigerwerbende – von der Überbrückungsleistung grundsätzlich ausgeschlossen.13
Die Höchstzahl der Taggelder der Arbeitslosenversicherung (ALV) ist gemäss Art. 27 AVIG sowohl vom Alter wie auch von der Beitragszeit abhängig. Ab Vollendung des 55. Altersjahres haben Personen Anrecht auf maximal 520 Taggelder, sofern sie eine Beitragszeit von 22 Monaten aufweisen. Schwer vermittelbare Personen, die innerhalb der letzten vier Jahre vor Erreichen des AHV-Rentenalters arbeitslos geworden sind, haben Anspruch auf zusätzliche 120 Taggelder und eine Verlängerung der Rahmenfrist um zwei Jahre.
Entsprechend erfüllen in der Regel nur Personen, die zwischen 58 und 61,5 Jahren (Frauen) beziehungsweise 62,5 Jahren (Männer) arbeitslos werden, die altersspezifischen Voraussetzungen des ÜLG. Ältere Personen werden in der Regel nicht mehr ausgesteuert.14
2.2 Versicherungsdauer und Erwerbseinkommen
Anspruch auf Überbrückungsleistungen haben nur Personen, die mindestens 20 Jahre in der AHV versichert waren und dabei jährlich ein Erwerbseinkommen von mindestens 75 Prozent der AHV-Höchstrente erzielt haben (Art. 5 Abs. 1 lit. b ÜLG i.V.m. Art. 34 Abs. 3 und 5 AHVG15). Die Einkommensschwelle entspricht jener der beruflichen Vorsorge. Da sie während 20 Jahren erreicht werden muss und diese Jahre zumindest teilweise in die Familienphase fallen, würde sie tendenziell viele Frauen ausschliessen. Um dies zu verhindern, können sowohl die Mindestversicherungsdauer wie die Einkommensschwelle auch mit
Erziehungs- und Betreuungsgutschriften erfüllt werden.16 Die Betreuung von Kindern und engen Angehörigen wird deshalb auch im ÜLG als anspruchsbegründend anerkannt.17
Gemäss Art. 22a AVIG sind Taggelder der Arbeitslosenversicherung der AHV unterstellt. Entsprechend können auch Phasen der Arbeitslosigkeit an die 20 Jahre Mindestversicherungsdauer angerechnet werden. Anders als bei der Berechnung der AHV-Rente kann das Erwerbseinkommen des anderen Ehegatten hingegen nicht gutgeschrieben werden, um die notwendige Einkommensschwelle zu erreichen.18
Art. 5 Abs. 1 lit. b ÜLG sieht weiter vor, dass mindestens fünf der 20 Jahre Mindestversicherungsdauer nach der Vollendung des 50. Altersjahrs geleistet worden sein müssen. Diese weitere Kopplung ans Alter soll zusätzlich dafür sorgen, dass mit den Überbrückungsleistungen nur der Existenzbedarf jener Personen gesichert wird, die kurz vor der Pensionierung ihre Stelle verlieren.
Sowohl in der Botschaft zur Vorlage als auch während der parlamentarischen Debatten wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass diese strenge Verknüpfung der Überbrückungsleistung mit der Versicherteneigenschaft in der AHV einen engen Bezug zur Schweiz sicherstellen soll. So könne im Ausland kein Anspruch auf Überbrückungsleistungen entstehen, beziehungsweise so könnten die Leistungen trotz grundsätzlicher Unterstellung unter das Freizügigkeitsabkommen kaum ins europäische Ausland exportiert werden.19
Da die Überbrückungsleistungen als Vorruhestandsleistung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/200 zu qualifizieren sind, müssen deshalb laut Art. 66 der Verordnung die Versicherungszeiten in einem EU/Efta-Staat nicht berücksichtigt werden. Die Versicherteneigenschaft in der AHV besteht hingegen bei Grenzgängern, die in der Schweiz arbeiten, und kann auch von freiwillig versicherten Auslandschweizern erfüllt werden.
2.3 Vermögensschwelle von 50 000 und 100 000 Franken
Gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. d ÜLG kann ein ÜL-Anspruch nur entstehen, wenn die betroffenen Personen ein Reinvermögen aufweisen, welches unterhalb der Hälfte der Vermögensschwelle nach Art. 9a ELG20 liegt. Dabei gilt für die Überbrückungsleistungen grundsätzlich derselbe Vermögensbegriff wie im Bereich der Ergänzungsleistungen.21 Alleinstehende haben entsprechend nur dann Anspruch auf ÜL wenn ihr Reinvermögen tiefer ist als 50 000 Franken.
Bei Paaren respektive Mehrpersonenhaushalten liegt die Schwelle bei 100 000 Franken. Selbstbewohntes Wohneigentum wird dem Reinvermögen nicht angerechnet, Guthaben der 3. Säule hingegen schon. Guthaben der beruflichen Vorsorge sollen im Rahmen der anspruchsbegründenden Vermögensschwelle berücksichtigt werden, soweit sie einen vom Bundesrat zu definierenden Betrag übersteigen. Personen, die keine berufliche Vorsorge haben, sondern ihr Alterskapital in der dritten Säule ansparten – namentlich Selbständige –, werden durch diese Bestimmung benachteiligt. Dies war dem Gesetzgeber bewusst.22 Viele von ihnen dürften jedoch bereits an der Voraussetzung der Aussteuerung scheitern.
Der Bundesrat schlägt vor, Altersguthaben der beruflichen Vorsorge bis zu einem Freibetrag von rund 500 000 Franken anzurechnen (Art. 4 E-ÜLV). Er orientiert sich mit diesem Freibetrag gemessen an den aktuell geltenden Umwandlungssätzen in etwa an der Medianrente der Männer aus der beruflichen Vorsorge.23 Ob mit diesem Freibetrag das vom Parlament formulierte Ziel des Erhalts des Vorsorgeschutzes im Sinne der Verfassung – die Fortsetzung des gewohnten Lebens in angemessener Weise – erfüllt wird, scheint dabei bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes fraglich.24
Aufgrund des gegenwärtigen Tiefzinsumfeldes ist mit weiter sinkenden Umwandlungssätzen im überobligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge zu rechnen. Dadurch dürfte das Ziel, mit den Überbrückungsleistungen den Vorsorgeschutz zu erhalten, weiter erschwert werden.
3. Höhe der Leistungen
Die Leistungen des neuen Sozialwerks orientieren sich stark an jenen der Ergänzungsleistungen. Als Bedarfsleistung entsprechen sie dabei dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 7 Abs. 1 ÜLG). Sie bestehen gemäss Art. 4 ÜLG weiter aus einer jährlichen Überweisung im Sinne von Art. 15 ATSG25 und der separaten Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten im Sinne von Art. 14 ATSG. Nachfolgend werden jene Aspekte besonders beleuchtet, welche die Überbrückungs- von den Ergänzungsleistungen unterscheiden.26
3.1 Anerkannte Ausgaben wie bei Ergänzungsleistungen
Die im Rahmen der Überbrückungsleistungen anerkannten Ausgaben – das heisst der anerkannte Lebensbedarf, Mietzins, Sozialversicherungsbeiträge, Krankenkassenprämien, zusätzliche Gesundheitskosten und allfällige weitere anerkannte Ausgaben wie Gewinnungskosten oder Kinderbeiträge – entsprechen grundsätzlich jenen der Ergänzungsleistungen (vgl. Art. 9 Abs. 1 ÜLG).
Im Unterschied zu den Ergänzungsleistungen sind ÜL-Bezüger jedoch nicht von der Radio- und TV-Gebühr befreit.27 Zusätzlich werden hingegen die Risiko- und Verwaltungskostenbeiträge der beruflichen Vorsorge vergütet.28 Sie stellen die Voraussetzung dar, um die im Rahmen der EL-Reform neu geschaffene Möglichkeit zu nutzen, bei einem Arbeitsplatzverlust mit über 58 Jahren der angestammten Pensionskasse angeschlossen zu bleiben.29 Damit wird der Erhalt des Rentenanspruchs in der beruflichen Vorsorge gesichert. Ursprünglich sah der Bundesrat vor, dass in der ÜL auch Sparbeiträge der beruflichen Vorsorge übernommen worden wären.30 Dies wurde vom Parlament jedoch gestrichen. Entsprechend werden die Pensionskassenrenten der ÜL-Bezüger wesentlich tiefer ausfallen – zumal den betroffenen Personen im Zeitpunkt des ordentlichen Rentenalters in der Regel bereits sieben Jahre Sparbeiträge fehlen. Dies führt wiederum dazu, dass deutlich mehr ÜL-Bezüger später auf Ergänzungsleistungen angewiesen sein werden. Für den angemessenen Erhalt der AHV-Rente sorgt hingegen gleich wie in den Ergänzungsleistungen Art. 9 Abs. 1 lit. f ÜLG.31
Die wesentliche Diskrepanz zwischen den Ergänzungs- und den Überbrückungsleistungen ist schliesslich, dass Letztere gemäss Art. 7 Abs. 2 ÜLG bei insgesamt 225 Prozent des Lebensbedarfs der Ergänzungsleistungen plafoniert sind. Denn das ÜLG formuliert für die zu vergütenden Krankheits- und Behinderungskosten einen Maximalbetrag von 5000 Franken jährlich für Alleinstehende beziehungsweise den doppelten Betrag für Ehepaare und Personen mit minderjährigen oder sich in Ausbildung befindenden Kindern (Art. 17 Abs. 2 ÜLG). Für Einzelpersonen entspricht das aktuell einer maximalen Unterstützung von insgesamt 3650 Franken pro Monat beziehungsweise für Ehepaare und Personen mit minderjährigen oder noch in Ausbildung stehenden Kindern unter 25 Jahren monatlich 5470 Franken.
Dieser Plafond ist nicht nur absolut, sondern auch relativ sehr knapp bemessen.32 Er dürfte in einigen Fällen – insbesondere für Personen mit Erkrankungen beziehungsweise hohen Gesundheitskosten – nicht zur Deckung des Lebensbedarfs gemäss Ergänzungsleistungen ausreichen. Da das Parlament auch auf eine Härtefallklausel verzichtet hat, wird dies in der Praxis zur Sozialhilfeabhängigkeit der betroffenen Personen führen. Vorgeschaltet ist dabei eine Reduktion des frei verfügbaren Vermögens von 30 000 Franken33 auf 4000 Franken (üblicher Freibetrag in der Sozialhilfe).34
Die genannten Beträge gelten für in die Schweiz ausgerichtete Leistungen. Werden die Überbrückungsleistung in einen EU/Efta-Mitgliedstaat ausbezahlt, wird ihre Höhe gestützt auf den Kaufkraftindex des Bundesamts für Statistik an die Kaufkraft des Wohnsitzstaats angepasst (Art. 8 ÜLG i.V.m. Art. 8 E-ÜLV).
3.2 Anrechenbare Einnahmen
Auch im Bereich der anrechenbaren Einnahmen kann grundsätzlich auf die per Januar 2021 anwendbaren Bestimmungen im ELG verwiesen werden. Allfälliges zusätzliches Erwerbseinkommen soll demnach zu zwei Dritteln angerechnet werden – nach Abzug eines Freibetrags von jährlich 1000 Franken (Alleinstehende) beziehungsweise jährlich 1500 Franken für Ehepaare und Personen mit Kindern. Diese prioritäre Berücksichtigung von Erwerbseinkommen bezweckt, dass sich Bezüger von Überbrückungsleistungen im Erwerbsleben halten, weil sich ihre Erwerbstätigkeit lohnt.35 Diese grundsätzlich positive Privilegierung kann im Einzelfall aber auch dazu führen, dass eine Person, welcher der Schritt zurück in die Erwerbstätigkeit gelingt, nach dem Austritt aus den Überbrückungsleistungen über geringere Einnahmen verfügt als noch während des Bezugs der Überbrückungsleistung.36 Das Erwerbseinkommen von Ehegatten wird zu 80 Prozent berücksichtigt.37
Für die Anrechnung des Vermögensverzehrs gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. c ÜLG sowie den Einkommens- beziehungsweise Vermögensverzicht (Art. 13 ÜLG) wurden die neuen Regelungen des ELG übernommen.
Aufgrund des Zusammenspiels von Vermögensschwelle und Freibetrag greift die in der Bestimmung zum Vermögensverzehr enthaltene Verbrauchskontrolle bei ÜL-Bezügerinnen dabei während eines noch kürzeren Zeitraums als bei den EL-Bezügern.38 Angesichts des damit verbundenen bürokratischen Aufwands stellt sich die Frage, ob darauf nicht ganz hätte verzichtet werden können. Anders als bei den Ergänzungsleistungen greift der Vermögensverzicht im Bereich der Überbrückungsleistungen immerhin nicht rückwirkend auf die letzten zehn Jahre vor dem Beginn des Anspruchs.39
Ein weiterer Unterschied zwischen den Überbrückungsleistungen und den Ergänzungsleistungen betrifft schliesslich den Umgang mit Prämienverbilligungen. Da die Überbrückungsleistungen vollumfänglich durch den Bund finanziert werden – was insbesondere auch auf verfassungsrechtlichen Gründen beruht –, wurde im ÜLG keine Grundlage für Direktauszahlungen der Prämienverbilligungen an die Krankenversicherer geschaffen. Entsprechend müssen die individuellen Prämienverbilligungen als Einkommen angerechnet werden (Art. 10 Abs. 1 lit. h ÜLG).
4. Zeitraum des Leistungsanspruchs
Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen besteht ab dem Monat, in dem die Anmeldung eingereicht worden ist, und endet grundsätzlich mit Erreichen des ordentlichen Rentenalters (Art. 14 Abs. 1 ÜLG). Sollte im frühestmöglichen Zeitpunkt des vorzeitigen AHV-Bezugs absehbar sein, dass eine Person beim Erreichen des ordentlichen Rentenalters einen Anspruch auf EL haben wird, so erlischt der Anspruch auf Überbrückungsleistungen und jener auf Ergänzungsleistungen entsteht (Art. 3 Abs. 1 lit. b ÜLG). Die Durchführungsstellen sollen nach Ansicht des Bundesrats den möglichen Anspruch auf Ergänzungsleistungen im Rentenalter von Amtes wegen prüfen (Art. 1 E-ÜLV). Dadurch soll verhindert werden, dass Personen ihren Anspruch auf Überbrückungsleistungen verlieren oder es zu einem Unterbruch der Leistungen kommt, welcher die Existenzsicherung der betroffenen Personen gefährden würde.40 Dies ist zu begrüssen – auch, weil die Nichtbezugsquote bei Bedarfsleistungen gemäss Schätzungen relativ hoch ausfällt.
Die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Überbrückungsleistungen müssen für den gesamten Zeitraum der Leistungen erfüllt sein (Art. 14 Abs. 2 ÜLG). Sofern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Personen verändern, sind diese der Durchführungsstelle zu melden (Art. 31 Abs. 1 ATSG). Das Einsprache- und Beschwerdeverfahren richtet sich ebenfalls nach den Bestimmungen des ATSG. Anders als bei den Ergänzungsleistungen müssen rechtmässig bezogene Überbrückungs-
leistungen jedoch nicht zurückerstattet werden.41
Bezüger von Überbrückungsleistungen sind nicht dazu verpflichtet, erwerbstätig zu sein.42 Gemäss Art. 5 Abs. 5 ÜLG kann der Bundesrat aber vorsehen, dass sie ihre Bemühungen um Integration in den Arbeitsmarkt fortsetzen und diese auch nachweisen. Mit Art. 5 E-ÜLV schlägt er einen jährlichen Nachweis der Integrationsbemühungen vor, will aber nur geringe Anforderungen an die Qualität und die Quantität der Nachweise stellen. Namentlich Freiwilligenarbeit, der Besuch eines Sprachkurses oder die Pflege und Betreuung von Angehörigen sollen dabei ebenfalls als Integrationsbemühungen anerkannt werden. Dies scheint insofern sinnvoll, als sich die betroffenen Personen bereits vor der Aussteuerung erfolglos um Arbeit bemüht haben. Schliesslich sieht das Gesetz bei ausbleibenden Nachweisen weder eine Sanktionsmöglichkeit noch eine Anrechnung hypothetischer Einkommen vor.43
5. Verfahren, Zuständigkeit
Der Anspruch auf ÜL muss durch eine schriftliche Anmeldung geltend gemacht werden (Art. 38 Abs. 1 E-ÜLV). Für das Verfahren zuständig ist die Ausgleichskasse jenes Kantons, in dem die Bezügerin oder der Bezüger Wohnsitz hat (Art. 19 ÜLG in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 ELG44). Die kantonale Zuständigkeit knüpft damit an den zivilrechtlichen Wohnsitz der bezugsberechtigten Person an und befindet sich nach Art. 23 Abs. 1 ZGB an dem Ort, an dem sich eine Person mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat.
Im Falle eines Kantonswechsels ändert die Zuständigkeit zu jenem Kanton, in welchem die Person neu Wohnsitz nimmt. 45 Die im Bereich der Ergänzungsleistungen vorgesehene Ausnahme, wonach der erste Kanton zuständig bleibt, wenn die Bezügerin oder der Bezüger in einem anderen Kanton in ein Heim, ein Spital oder eine andere Einrichtung eintritt oder behördlich in Familienpflege untergebracht wird, kommt im Bereich der Überbrückungsleistungen nicht zur Anwendung.46 Verlegt eine anspruchsberechtigte Person ihren Wohnsitz in einen EU/Efta-Mitgliedstaat, bleibt jener Kanton zuständig, in welchem der Antrag auf ÜL gestellt wurde.
Beantragt eine Person mit Wohnsitz im Ausland Überbrückungsleistungen, so ist jener Kanton zuständig, in dem die Person ihren letzten Wohnsitz gehabt hat. Sofern eine Person nie Wohnsitz in der Schweiz hatte, ist der Sitz des letzten Arbeitgebers ausschlaggebend für die kantonale Zuständigkeit.47 Ist die kantonale Zuständigkeit strittig, dürfte – in Anlehnung an die Praxis im Bereich des ELG – die Behörde des Aufenthaltskantons die Überbrückungsleistung provisorisch festzusetzen und auszuzahlen haben. Wird in der Folge ein anderer Kanton als zuständig bezeichnet, hat dieser die provisorisch ausgerichteten Leistungen dem Aufenthaltskanton zurückzuvergüten.48
6. Parlament senkte Leistungen
Das vom Bund im Sommer verabschiedete Sozialwerk soll lange erwerbstätigen Personen einen würdevollen Übergang in die Pensionierung ermöglichen. Es steht damit in einer Tradition im schweizerischen Rechtssystem, welche älteren Personen grosszügigere Leistungen gewährt. Dies zeigt sich nicht nur am Beispiel der Arbeitslosenversicherung, auch die Rechtsprechung schützt ältere Arbeitnehmende zu Recht in besonderem Ausmass vor Kündigungen.49 Insofern stellt die Einführung der Überbrückungsleistungen eine begrüssenswerte Ergänzung dar, welche den erschwerten Bedingungen älterer Ausgesteuerter Rechnung trägt. Die ÜL sichern dabei nicht nur die Existenz bis zum Rentenalter. Sie schützen das Vorsorgeguthaben und auch ein Vorbezug der Altersrente kann gegebenenfalls abgewendet werden. Um in den Genuss von Überbrückungsleistungen zu gelangen sind aber strikte Zugangskriterien zu erfüllen – und die ausgerichteten Leistungen orientieren sich eng am Modell der Ergänzungsleistungen.
Das vom Parlament beschlossene Gesetz fällt in mehrfacher Hinsicht bescheidener aus als die vom Bundesrat präsentierte Vorlage. Während im Entwurf des Bundesrats geschätzte 4600 Bezüger Überbrückungsleistungen zu Bruttokosten von insgesamt 230 Millionen Franken erhalten hätten, hat sich der Kreis der Anspruchsberechtigten bis zum Ende der parlamentarischen Beratungen auf 3400 Personen (zu insgesamt 150 Millionen Franken) verkleinert. Diese Schätzungen beruhen auf Zahlen vor der Coronakrise.
Gerade vor dem Hintergrund der Coronakrise kommt die Einführung dieses neuen Sozialwerks zum richtigen Zeitpunkt – beziehungsweise für einige wohl bereits etwas zu spät. Denn in der aktuellen Wirtschaftskrise ist nicht nur die Lage der jüngeren, sondern auch jene der älteren Angestellten stark erschwert. So nahm die Anzahl der Arbeitslosen im Alter 55 bis 59 gemäss den für Oktober 2020 publizierten Daten im Vergleich zum Vorjahr um über 45 Prozent zu. Auch im Vergleich zum Vormonat stieg die Arbeitslosigkeit älterer Personen im Moment stärker als jene anderer Altersgruppen.50 Viele dieser Betroffenen werden faktisch zum Bezug von Sozialhilfe und zur Frühpensionierung gezwungen sein – zumindest falls sie nicht in den Anwendungsbereich der Überbrückungsleistungen fallen.
Materiell bleibt abzuwarten, inwiefern die Überbrückungsleistungen ihre Zielsetzung erreichen. Dies einerseits, weil die Zulassungskriterien viele Personen ausschliessen dürften. Ein besonderes Augenmerk gilt anderseits der Frage, ob und wie häufig der Bezug von Überbrückungsleistungen parallele Sozialhilfeabhängigkeiten auszuschliessen vermag.
1 Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, «Bundesrat verstärkt die Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials», 15.5.2019, www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-05-151.html (zuletzt besucht 6.11.2020).
2 Vgl. zum Folgenden u.a. Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), 2019, «Bericht Arbeitslose 50+», www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Arbeitslosenversicherung/arbeitslosigkeit/aeltere_arbeitnehmende.html (zuletzt besucht 7.11.2020); Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), «Alterung und Beschäftigungspolitik, Schweiz 2014 – Bessere Arbeit im Alter», www.oecd.org/berlin/publikationen/bessere-arbeit-im-alter-schweiz.pdf (zuletzt besucht 7.11.2020); Robert Fluder / Renate Salzgeber / Tobias Fritschi / Luzius von Gunten / Larissa Luchsinger, Berufliche Integration von arbeitslosen Personen, Schlussbericht zuhanden des Seco 2017; Botschaft des Bundesrats vom 30.10.2019, BBl 2019 8251, S. 8260 ff.
3 Verwaltungspraxis der Bundesbehörden VPB 2016.2, S. 15 ff. sowie insb. S. 31.
4 Bundesgesetz vom 19.6.2020 über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜLG). Für den Schlussabstimmungstext vgl. BBl 2020, S. 5519.
5 Vernehmlassungsentwurf der Verordnung über die Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜLV) und Erläuternder Bericht
zum Entwurf, www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/63476.pdf (zuletzt besucht 6.11.2020), S. 2.
6 Art. 5 Abs. 3 ÜLG.
7 Art. 6 ÜLG.
8 Art. 10 Abs. 1 lit. d sowie Art. 10 Abs. 2 lit. b ÜLG; vgl. auch Botschaft ÜLG, S. 8281 und 8292.
9 Botschaft ÜLG, S. 8288.
10 AB 2020 N 78; AB 2020 S. 96;
AB 2020 N 293 f. Die diskutierte Erweiterung hätte gemäss Schätzungen des Bundesamts für Sozialversicherung die Zahl der Anspruchsberechtigten um 2800 Personen und die Kosten um 120 Millionen Franken erhöht.
11 Vgl. bspw. Motion Nr. 20.5367 im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt betreffend Lücken bei der Überbrückungsrente schliessen.
12 Bundesgesetz vom 25.6.1982 über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG), SR 837.0.
13 Botschaft ÜLG, S. 8288.
14 Ebd., S. 8280.
15 Bundesgesetz vom 20.12.1946 über die Alters-und Hinterlassenenversicherung (AHVG), SR 830.1.
16 Art. 5 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 29sexies und 29septies AHVG.
17 Vgl. dazu auch Melania Rudin / Heidi Stutz / Roman Liesch / Jürg Guggisberg, «Anreize sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen von Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (gemäss Vorentwurf für ein Bundesgesetz)», in: Beiträge zur Sozialen Sicherheit, Forschungsbericht 6/19, Bern 2019, S. 16.
18 Vgl. Art. 29quinquies Abs. 3 AHVG, Botschaft ÜLG, S. 8288.
19 Als Vorruhestandsleistung i. S. v. Art. 1 der Verordnung (EG) 883/2004 untersteht sie gestützt auf Anhang II zum Freizügigkeitsabkommen (SR 0.141.112.681) und Anlage 2 zu Anhang K des Efta-Übereinkommens (SR 0.632.31) den für die Schweiz im Bereich der sozialen Sicherheit geltenden Koordinationsbestimmungen; vgl. Botschaft ÜLG, S. 8295 sowie 8309 f.; AB 2020 N 75 ff.
20 Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, in der Fassung vom 22.3.2019, AS 2020 585, in Kraft seit 1.1.2021.
21 Botschaft ÜLG, S. 8289.
22 Vgl. das Votum von Bundesrat Alain Berset, AB 2020, S. 100 f.
23 Erläuternder Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 4.
24 Für die parlamentarische Debatte vgl. AB 2020, S. 101.
25 Bundesgesetz vom 6.10.2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG), SR 830.1.
26 Für eine ausführliche Auseinandersetzung der Bestimmungen zum Leistungsanspruch gemäss ELG vgl. u.a. Dieter Widmer, Die Sozialversicherung in der Schweiz, 12. Aufl., Zürich 2019, S. 129 ff (fortan: Sozialversicherung).
27 Vgl. Art. 69b Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 24.3.2006 über Radio und Fernsehen, SR 784.40 sowie Botschaft ÜLG, S. 8291.
28 Art. 9 Abs. 1 lit. g ÜLG.
29 Art. 47a BVG in der Fassung vom 22.3.2019, AS 2020 585.
Die Bestimmung ist mit rückwirkender Wirkung in Kraft seit 26.9.2020, vgl. AS 2020 3835.
30 Vgl. Botschaft ÜLG, S. 8283.
31 In der Regel wird dabei der Mindestbeitrag (aktuell 496 Franken) sowie ein von der Ausgleichskasse verlangter Verwaltungskostenzuschlag geleistet, vgl. Widmer, Sozialversicherung, S. 142.
32 Zum Vergleich: Gemäss Art. 14 Abs. 3 ELG können die Kantone diese Kosten für zu Hause lebende Alleinstehende auf maximal 25 000 Franken plafonieren.
33 Alleinstehenden gewährter Freibetrag gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. c ÜLG.
34 Vgl. Skos-Richtlinien, E.2.1, richtlinien.skos.ch/e-anrechnung-von-einkommen-und-vermoegen/e2-vermoegen/e21-grundsatz-und-freibetraege (zuletzt besucht 9.11.2020).
35 Botschaft ÜLG, S. 8284.
36 Vgl. dazu analog für den Bereich der Ergänzungsleistungen Stefanie J. Heinrich, «Entwicklung der Gesetzgebung – Zahlen zu den Leistungen und Beiträgen per 2020», in: Ueli Kieser / Miriam Lendfers (Hrsg.), Jahrbuch zum Sozialversicherungsrecht 2020, Zürich 2020, S. 27,
37 Art. 10 Abs. 1 lit. a ÜLG.
38 Michael E. Meier / Jana Renker, Eckpunkte und Probleme der EL-Reform, SZS 2020, S. 1 ff., S. 8.
39 Vgl. Art. 11a Abs. 4 ELG; für die pointierte Kritik an der damit faktisch verbundenen staatlichen Lebensführungskontrolle von EL-Bezügern rückwirkend ab Alter 55 vgl. Meier / Renker, S. 8 f.
40 Erläuternder Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 2 f.
41 Botschaft ÜLG, S. 8282.
42 Ebd., S. 8284.
43 Erläuternder Bericht zum Vernehmlassungsentwurf, S. 5.
44 SR 831.30; vgl. auch Art. 46 E-ÜLV.
45 Vgl. zum Ganzen Botschaft ÜLG, S. 8295. Der Gesetzesartikel blieb in der parlamentarischen Debatte unverändert.
46 Vgl. dazu Art. 21 Abs. 1bis ELG.
47 Art. 38 Abs. 3 E-ÜLV.
48 Siehe Urs Müller, Art. 21 N 872, in: Hans-Ulrich Stauffer / Basile Cardinaux (Hrsg.), Rechtsprechung des Bundesgerichts zum ELG, 3. Aufl., Zürich 2015.
49 Vgl. insb. BGE 132 III 115;
BGer 4A_72/2008 vom 2.4.2008; BGer 4A_384/2014 vom 12.11.2014; BGer 4A_31/2017 vom 17.1.2018; aus der Literatur dazu vgl. u.a. Karine Lempen, «L’évolution de la protection contre le licenciement abusif», in: AJP 2019, S. 78 ff.;
Kurt Pärli, «Altersdiskriminierung», in: ARV 2018, S. 1 ff.;
Denis G. Humbert, «Die Alterskündigung», in: AJP 2015, S. 868 ff.;
Rémy Wyler, «La protection du travailleur âgé au bénéfice d’une grande ancienneté», in: Regards de marathoniens sur le droit suisse: mélanges publiés à l’occasion du 20e «Marathon du droit», Genf 2015, S. 187 ff.
50 Seco, «Die Lage auf dem Arbeitsmarkt im Oktober 2020», Pressedokumentation, www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Arbeitslosen versicherung/arbeitslosenzahlen.html, S. 17 (zuletzt besucht 9.11.2020).