Baume Schneider (SP) verliess das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) bei erster Gelegenheit – bereits nach einem Jahr. Ihre Vorgängerin, Karin Keller-Sutter (FDP), wechselte nach vier Jahren ins Finanzdepartement. Auch Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) war nach vier Jahren gegangen. Simonetta Sommaruga (SP) fällt aus der Reihe. Sie blieb zwei Legislaturperioden der Justiz treu, bis sie ins Verkehrs- und Umweltdepartement wechseln konnte.
Ist das EJPD so unbeliebt – oder sind die vielen Wechsel Zufall? Christoph Blocher (SVP) und Ruth Metzler (CVP) verliessen das Amt ebenfalls nach einer einzigen Wahlperiode, allerdings nicht freiwillig. Beide wurden abgewählt.
Bescheiden ist auch die Anzahl der Bundespräsidentinnen und -präsidenten, die dem EJPD vorstanden. Es gab in den vergangenen 25 Jahren nur eine Bundespräsidentin, die EJPD-Vorsteherin war: Simonetta Sommaruga im Jahr 2015. Alle anderen verliessen das Departement, bevor sie als Präsidenten zum Zug kamen. Statistisch gesehen würde ein Departement den Bundespräsidenten alle sieben Jahre stellen, wenn jedes gleich häufig zum Zug käme.
Nicht immer gab es so viele Wechsel wie in den letzten 20 Jahren. Früher war das Departement begehrt und länger vom gleichen Bundesrat besetzt. Arnold Koller, (CVP) prägte es mehr als zehn Jahre, zuvor fühlten sich Kurt Furgler (CVP), Rudolph Friedrich (FDP) und Elisabeth Kopp (FDP) ebenfalls wohl in diesem Aufgabenbereich.
«Eine Aura päpstlicher Unantastbarkeit»
Laut dem ehemaligen Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) war das EJPD früher «ein Königs- und Schlüsseldepartement, ähnlich wie das Finanzdepartement». Über die Gesetzgebung habe es Einfluss auf alle anderen Departemente genommen. «Die Juristen in diesem Departement und insbesondere im Bundesamt für Justiz hatten eine Aura päpstlicher Unantastbarkeit. Was das EJPD sagte, hinterfragte man nicht.»
Das stiess in den anderen Departementen mit der Zeit sauer auf. «Immer redete ihnen bei der Gesetzgebung jemand drein.» Deshalb hätten die anderen Departemente etwa ab den Neunzigerjahren eigene Rechtsabteilungen aufgebaut. «Heute haben alle Departemente, zum Teil auch die einzelnen Ämter, ihre eigenen Juristen.» Die Frage, was rechtlich zulässig sei, habe sich zu einem anwaltlichen Diskurs entwickelt, weg von der Deutungshoheit des Bundesamts für Justiz.
Für das Asyldossier braucht es eine «dicke Haut»
Zudem seien Kompetenzen weg vom EJPD zu anderen Departementen verschoben worden. Er habe zum Beispiel das ursprüngliche Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) zum Umwelt-, Verkehrs-, Energie- und Kommunikationsdepartement (Uvek) vergrössert und die Raumplanung und das Strassenverkehrsrecht vom EJPD übernommen. Und der zivile Nachrichtendienst sei in das Militärdepartement verschoben worden. «Das nagte an der Attraktivität des EJPD.»
Ein wichtiger Punkt für die Unbeliebtheit sei jedoch die Asylpolitik. Die Probleme seien europaweit ungelöst, der Handlungsspielraum begrenzt. «Insbesondere die SVP will keine Verantwortung in der Asylpolitik übernehmen, um die Vorsteher des EJPD angreifen zu können.» Auch deswegen brauche es dort eine dicke Haut.
Anwalt Leuenberger selber interessierte sich beim Amtsantritt nicht für das Justizdepartement: «Als ich gewählt wurde, war das damalige EVED frei.» Dort konnte er etwas bewegen, etwa beim Gotthard-Basistunnel oder bei der Strassensicherheit. Zudem war er bereits zuvor beim Kanton Zürich Justizvorsteher. «Der Strafvollzug und der Bau von neuen Gefängnissen waren jedoch mehr Belastung als freudige Innovation.»
Dennoch ist für Leuenberger klar: «Das EJPD ist ein super Departement.» Es gebe immer Grundsatzfragen, etwa beim Aktien- oder Patentrecht. Es sei auch nicht notwendig, dass der Vorsteher oder die Vorsteherin einen juristischen Abschluss habe. «Man darf den Verwaltungsjuristen gegenüber einfach nicht devot sein.» Simonetta Sommaruga sei zum Beispiel bei der Frauenquote in Verwaltungsräten und der Rechenschaftspflicht so weit gegangen, wie man konnte. Ein klassischer Jurist hätte wohl die Privatautonomie der Unternehmen stärker gewichtet.
Auch die Juristin Ruth Metzler war gern Justizministerin. Sie beurteilt das Departement heute noch als einflussreich: «Ich habe die thematische Vielfalt und die Schnittstellenfunktion im EJPD geliebt, zumal Gestaltungsmöglichkeiten für unser Land und unsere Gesellschaft in verschiedensten Themen und Rechtsbereichen möglich waren und meines Erachtens immer noch möglich sind.» Es gebe im Departement viele Herausforderungen, besonders im Asylbereich, die man nicht allein mit Schweizer Gesetzesanpassungen meistern könne. «Die internationale Vernetzung, die es im Migrations- und Sicherheitsbereich braucht, hat mich immer fasziniert.»
Der Jurist Martin Dumermuth sah in der Bundesverwaltung viele Bundesräte kommen und gehen. Er arbeitete zwanzig Jahre beim Uvek, davon acht Jahre als Direktor des Bundesamts für Kommunikation. Anschliessend wechselte er ins EJPD und war bis zu seiner Pensionierung 2021 acht Jahre lang Direktor des Bundesamts für Justiz. Seiner Ansicht nach hat sich das Prestige anderer Departemente in den vergangenen Jahrzehnten verbessert. «Das Uvek stand früher weniger im Zentrum der politischen Debatten.» Heute gibt es mit Klima, Verkehr und Energie gleich drei politische Brennpunkte.
Das EJPD war laut Dumermuth immer ein wichtiges Departement: «Man unterschätzt oft, dass es für Fragen zuständig ist, die für Gesellschaft und Wirtschaft wichtig sind, so etwa für die gleichgeschlechtliche Ehe, das neue Sexualstrafrecht oder die Reform des Aktienrechts.» Auch die künstliche Intelligenz stelle neue Herausforderungen. «Jede gesellschaftliche Entwicklung schlägt sich auch im Recht nieder.» Dumermuth verortet die grössten Schwierigkeiten ebenfalls beim Asyldossier: «Das ist die politische Bleikugel, die man als Vorsteher mitschleift.»
Bis in die Achtzigerjahre seien die Flüchtlingsströme überschaubar gewesen, das sei heute anders. Man habe zwar mit der Asylrechtsreform grosse Fortschritte erzielt und stehe international sehr gut da. Die Schweiz sei aber abhängig von der geopolitschen Lage und den Entwicklungen auf den grossen Flüchtlingsrouten. Die Zahl der Ankommenden könne man kaum beeinflussen, «und Rückschiebungen sind extrem schwierig».
Viel Einfluss dank präventiver Rechtskontrolle
Wichtig ist schliesslich die Querschnittsfunktion der präventiven Rechtskontrolle. Alle Erlasse anderer Departemente gehen über die Tische des Bundesamts für Justiz. Dieses prüft, ob die Gesetze mit übergeordnetem Recht vereinbar sind, und zeigt Lösungsvorschläge auf. «Das EJPD bekommt die Dossiers in einem frühen Verfahrensstadium.» Bei rechtlich oder politisch brisanten Dossiers könne sich ein Vorsteher vorbereiten und mit einem gut begründeten Mitbericht den Gesamtbundesrat beeinflussen. Die Bundesräte Koller und Blocher etwa sind bekannt als Justizminister, die dieses Mittel der Einflussnahme rege nutzten.
Dumermuth sieht daher keinen grossen Anpassungsbedarf, um das EJPD attraktiver zu gestalten. Stärken würde seine Rolle, wenn das Bundesgericht auch Bundesgesetze im Einzelfall auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen könnte. Diese Möglichkeit, die in der Verfassung heute ausgeschlossen ist, würde die rechtlichen Argumente des EJPD bei der Gesetzgebung stärken. Dumermuth weist darauf hin, dass sich der Gesetzgeber nach der Coronazeit die Frage gestellt habe, ob man künftig Notverordnungen des Bundesrats anfechten können soll. «Ich war dafür» – wegen der präventiven Wirkung, damit der Bundesrat rechtskonforme Normen erlässt. Das scheiterte jedoch am Willen von Parlament und Bundesrat.