Was soll geschehen, wenn ein oder mehrere Kinder im Zeitpunkt der Einleitung des Schei-dungsprozesses bereits mündig geworden sind, aber nach wie vor in Ausbildung stehen? Ein Beispiel, wie es in der Praxis oft vorkommt: Bei Einleitung des Scheidungsprozesses ist der gerade 18-jährig gewordene Sohn im letzten Jahr des Gymnasiums, die knapp 20-jährige Tochter hat bereits ein Studium aufgenommen. Beide leben bei ihrer Mutter.
1. Beurteilung im Scheidungsverfahren
Das Bundesgericht hatte bereits in BGE 112 II 199 entschieden, dass der Eintritt der Mündigkeit nicht in jedem Fall eine Regelung der Unterhaltsfrage durch das Scheidungsgericht verunmögliche. Ausnahmsweise sei eine solche möglich, wenn das unterhaltsberechtigte Kind kurz nach dem Scheidungsurteil volljährig werde oder die Mündigkeit während des Verfahrens erlange. Das Kind müsse sich in einer Ausbildung befinden, die sich über die Prozessdauer hinaus fortsetze und die zeitlich bestimmbar sein müsse.
Dies sei beispielsweise der Fall, wenn sich ein Kind im letzten Jahr vor der Maturitätsprüfung oder dem Lehrabschluss befinde. Seien die Umstände derart klar, widerspräche es den Interessen des Kindes wie des Unterhaltspflichtigen, wenn das Kind gezwungen wäre, während des Scheidungsprozesses seiner Eltern oder kurz danach in einem eigenen Verfahren seine Ansprüche für eine verhältnismässig kurze Zeit selber durchzusetzen.
In BGE 129 III 55 führte das Bundesgericht aus, dass es dem Prinzip der Prozessökonomie entspreche, wenn das Scheidungsgericht im gleichen Prozess über die Unterhaltsbeiträge des Ehegatten sowie der unmündigen und mündigen Kinder befinden kann. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, wenn das Kind, das während des Scheidungsprozesses mündig wird, nicht gezwungen werde, ein selbständiges Verfahren gegen einen Elternteil zu eröffnen.
Das Bundesgericht gestand dem unterhaltsberechtigten Ehegatten die Prozessführungsbefugnis zur Geltendmachung des Mündigenunterhalts zu. Allerdings dürfe diese Regelung dem mündigen Kind nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden. Dies setze voraus, dass das Kind über die vorgesehene Unterhaltsregelung informiert werde. Stimme das mündige Kind zu, könne das Gericht dessen Unterhalt im Scheidungsurteil festlegen. Die Unterhaltsbeiträge seien an das Kind zu bezahlen. In Ergänzung dazu findet sich heute in vielen Scheidungsvereinbarungen und Urteilen die Formulierung, die Unterhaltsbeiträge seien an den unterhaltsberechtigten Elternteil zu bezahlen, solange das mündige Kind in Wohngemeinschaft mit diesem lebt und den Unterhaltsanspruch nicht selbständig geltend macht.
2. Rechenbeispiel mit mündigen Kindern
Beim eingangs beschriebenen Fall mit den mündigen Kindern in Erstausbildung ist es demnach klar, dass keine Prozessführungsbefugnis der Mutter für die mündigen Kinder mehr besteht. Die Unterhaltsbeiträge für Sohn und Tochter, die am Scheidungsprozess nicht beteiligt sind, können nicht rechtlich verbindlich für sie geregelt werden. Damit ist jedoch das Problem nicht erledigt. Es stellt sich die Frage, ob der Unterhaltsbedarf der Kinder im Bedarf der Mutter oder als leistungsmindernder Umstand beim unterhaltspflichtigen Vater zu berücksichtigen ist oder ob dieser Bedarf aus der Berechnung der scheidungsrechtlichen Unterhaltsbeiträge auszuklammern ist. Die Beantwortung dieser Frage ist von erheblicher praktischer Relevanz.
Nehmen wir an, der Ehemann habe in dieser langjährigen Ehe ein Einkommen von 12 000 Franken, die Ehefrau eines von 3000 Franken erzielt und beide einen persönlichen Notbedarf von 4000 Franken. Bei Anwendung der Methode «Notbedarf mit Überschussverteilung» könnte der Ehefrau ein Unterhaltsbeitrag von 4500 Franken zugesprochen werden, sofern der Unterhaltsbedarf der mündigen Kinder ausgeklammert wird. Nehmen wir weiter an, dass der Unterhaltsbedarf der Kinder total 3000 Franken beträgt. Wird dieser Betrag im Bedarf des Ehemannes berücksichtigt, reduzieren sich die persönlichen Alimente der Ehefrau auf 3000 Franken.
Möglicherweise weigert sich der Ehemann, für den Unterhalt der Kinder aufzukommen, weil er der Ansicht ist, die Beiträge von 4500 Franken an seine Ehefrau seien hoch genug. In diesem Fall müssten entweder die Kinder gerichtlich gegen ihn vorgehen oder die Mutter muss die Deckungslücke aus ihrem Überschuss bestreiten. Ähnlich verhält es sich, wenn die mündigen Kinder beim Vater wohnen. Ohne Berücksichtigung der Kinder in seinem Bedarf muss der Ehemann seiner Ehefrau 4500 Franken persönliche Alimente bezahlen. Ihr stehen somit 7500 Franken zur Verfügung. Wenn sie nicht freiwillig bereit ist, auf einen Teil ihrer Unterhaltsbeiträge zugunsten der Kinder zu verzichten und die Kinder nicht gerichtlich gegen sie vorgehen, bleibt dem Ehemann nichts anderes übrig, als den Unterhaltsbedarf der Kinder aus seiner Überschusshälfte von 3500 Franken zu bestreiten. In beiden Konstellationen ist dies ein sehr unerfreuliches Resultat.
3. Mündigenunterhalt oft nicht berechnet
Die Ausklammerung des Mündigenunterhalts aus der Unterhaltsberechnung in Scheidung oder Trennung ist weder prozessökonomisch, noch dient sie dem Familienfrieden. Sie ist oft auch ungerecht. Dennoch hat das Bundesgericht in BGE 132 III 209 so entschieden: Es hatte über Unterhaltsbeiträge in einem Massnahmeverfahren zu entscheiden. Es befand, dass die Unterhaltskosten für das mündige Kind nicht in das erweiterte Existenzminimum des unterhaltspflichtigen Ehegatten eingeschlossen werden dürfen. Die Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten gehe derjenigen gegenüber dem mündigen Kind vor.
Das Bundesgericht erwog, dass von einem Elternteil gemäss der Rechtsprechung nur dann erwartet werden könne, dass er für den Unterhalt eines mündigen Kindes aufkomme, wenn ihm nach der Bezahlung der Unterhaltsleistungen noch ein Einkommen verbleibe, das den erweiterten Notbedarf um ungefähr 20 Prozent übersteige. Weil Väter und Mütter gleich zu behandeln seien, gelte diese Regel betreffend den erweiterten und erhöhten Notbedarf auch für den andern Elternteil. Deshalb dürfe der Unterhaltsbeitrag für das mündige Kind nicht im Bedarf des unterhaltspflichtigen Vaters berücksichtigt werden. Die Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau gehe vor. Das mündige Kind habe sich an den unterhaltsberechtigten Elternteil zu halten, sofern dieser leistungsfähig ist.
Das Kind muss also seinen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Mutter und/oder seinem Vater durchsetzen. Gegenüber jenem Elternteil, mit dem das mündige Kind zusammenlebt, stellt dies kein grosses Problem dar. In dem vom Bundesgericht behandelten Fall stellt die Mutter Kost und Logis zur Verfügung und erfüllt so den Unterhaltsanspruch ganz oder teilweise in natura. Viel schwieriger wird es sein, den restlichen Unterhaltsanspruch vom Vater zu erhalten. Dieser könnte einwenden, er müsse der Ex-Ehefrau einen zu hohen Unterhaltsbeitrag bezahlen, weil der Unterhaltsbeitrag an das mündige Kind in seinem Bedarf nicht berücksichtigt wurde.
Genauso schwierig kann die Situation sein, wenn das mündige Kind beim unterhaltspflichtigen Vater wohnt. Denn dieser wird zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen an seine Ehefrau verpflichtet, als ob keine Unterhaltspflicht gegenüber dem mündigen Kind bestünde. In verhärteten Trennungs- und Scheidungssituationen kann nicht ohne weiteres mit vernünftigen einvernehmlichen Lösungen gerechnet werden; vielmehr verleitet die bundesgerichtliche Rechtsprechung dazu, diese Ausgangslage auszunützen, um sachlich ungerechtfertigte Vorteile zu erlangen.
4. Anspruch bei guten Verhältnissen
Die Begründung des Bundesgerichts überzeugt nur im Bereich knapper finanzieller Verhältnisse. Würde ein Unterhaltsbeitrag an das mündige Kind in jedem Fall im Bedarf des unterhaltspflichtigen Vaters berücksichtigt, könnte die Situation eintreten, dass die Ehefrau nicht mehr auf 120 Prozent ihres erweiterten Existenzminimums käme. Unter solchen Voraussetzungen hat das mündige Kind gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts überhaupt keinen Unterhaltsanspruch mehr, weder gegen den Vater noch gegen die Mutter.
Wenn keine knappen finanziellen Verhältnisse vorliegen und auf beiden Seiten 120 Prozent des erweiterten Notbedarfs abgedeckt sind, ist die Argumentation des Bundesgerichts nicht mehr stichhaltig. Trotzdem hat das Bundesgericht in einem Urteil vom 6. Juni 20071 festgehalten, dass die Rechtsprechung von BGE 132 III 209 nicht nur für knappe finanzielle Verhältnisses gelte. Es stellte die These auf, dass dem mündigen Kind prinzipiell nur Unterhalt geschuldet sei, wenn dem Unterhaltsschuldner nach Deckung des vollen Ehegattenunterhalts ein Überschuss über sein erweitertes Existenzminimum bleibt. Zur Begründung verwies das Bundesgericht nur auf seinen eigenen Entscheid BGE 132 III 209.
Als zweites Argument berief sich das Bundesgericht im Entscheid BGE 132 III 209 auf die Lehre, welche die These stützt, dass der Unterhaltsanspruch des Ehegatten demjenigen der mündigen Kinder vorzugehen habe. Eine der zitierten Lehrmeinungen findet sich im Aufsatz «Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zu den familienrechtlichen Unterhaltspflichten» von Thomas Geiser.2 Geiser trägt zunächst die vom Bundesgericht in BGE 132 III 209 übernommene Argumentation vor. Er fügt bei: «Eine Kürzung des Ehegattenunterhalts beziehungsweise der Scheidungsalimente könnte höchstens in Frage kommen, wenn das der rentenpflichtigen Partei verbleibende Einkommen nicht ausreicht, vollständig für die Ausbildung des Kindes aufzukommen, der andere Elternteil aufgrund der ihm zustehenden Alimente aber selber über mehr als den erhöhten und erweiterten Notbedarf verfügt. Diesfalls sind aber nicht die Alimente an den Elternteil zu kürzen, sondern das Kind muss bei diesem den Unterhaltsbeitrag einfordern, der vom ersten Elternteil nicht hat erhältlich gemacht werden können.» Warum dies so sein muss, wird nicht begründet.
Die vom Bundesgericht ebenfalls zitierten Stellen in der Literatur von Hausheer / Spycher,3 Schwenzer4 und Gloor / Spycher5 wiederholen die Argumente Geisers weitgehend. Im Kommentar Schwenzer wird sogar in Frage gestellt, ob das Eheschutzgericht den Familienunterhalt in einem Zug regeln dürfe, wenn ein Kind im Laufe des Verfahrens mündig wird; dies mit Hinweis, dass andernfalls in einem summarischen Verfahren verbindlich über Unterhaltsansprüche mündiger Kinder entschieden werden müsse.6 Andererseits hält Wullschleger - im Kommentar Schwenzer - dafür, dass bei einer Konkurrenz des Unterhaltsanspruchs eines mündigen Kindes mit jenem des geschiedenen Gatten auf nachehelichen Unterhalt das Verhältnis der Ansprüche im Einzelfall abzuwägen sei.
Die bundesgerichtliche Praxis bedeutet eine krasse Benachteiligung des mündigen, aber noch in Ausbildung stehenden Kindes oder desjenigen Elternteils, der dann «freiwillig» für dessen Unterhalt aufkommt. Soweit die Bestimmung des Unterhaltsbeitrags nach der Methode Notbedarf mit Überschussaufteilung erfolgt, wird der Unterhaltsbedarf der mündigen Kinder bei Anwendung der bundesgerichtlichen Praxis regelmässig unberücksichtigt bleiben. Es sei denn, es könne eine Sparquote nachgewiesen werden. Denn bei Anwendung dieser Methode werden in aller Regel sämtliche Mittel unter den Ehegatten aufgeteilt. Das mündige Kind wird somit im Regelfall darauf verwiesen, seinen Unterhaltsanspruch selbst gegenüber seinen Eltern durchsetzen zu müssen.
Da in Eheschutzverfahren fast immer und bei Scheidungen oft die Methode «Notbedarf mit Überschussbeteiligung» angewendet wird, tritt diese unerfreuliche Situation entsprechend häufig auf. Theoretisch wäre es zwar so, dass der Unterhaltsbedarf des (jetzt mündigen) Kindes den während der Ehe gelebten Lebensstandard der Ehegatten reduziert und damit den mit Unterhaltsbeiträgen abzudeckenden Bedarf der Unterhaltsberechtigten schmälert. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt an, der für die Bestimmung des Unterhalts für massgeblich erklärt wird. Ist dies eine Zeit, in welcher der Bedarf der (nunmehr mündigen) Kinder noch berücksichtigt wird, fällt der gebührende Unterhalt der berechtigten Partei entsprechend tiefer aus.
Praktisch umsetzbar ist diese Methode im Eheschutzverfahren jedoch schon wegen der Beweismittelbeschränkung und dem Beweismassstab des Glaubhaftmachens kaum und im Scheidungsverfahren nur sehr schwer. Sofern keine vernünftigen freiwilligen Regelungen getroffen werden, profitiert die unterhaltsberechtigte Partei, wenn das mündige Kind bei der unterhaltspflichtigen Partei lebt bzw. umgekehrt.
5. Argumente gegen das Bundesgericht
Die Lösung des Bundesgerichts ist rechtlich nicht notwendig. Es ist nicht ersichtlich, was gegen die von Wullschleger geforderte Einzelfallbeurteilung sprechen könnte, soweit 120 Prozent der Existenzminima beider Ehegatten gedeckt sind. Es ist ohne weiteres möglich, vorfrageweise im Eheschutz- oder Scheidungsverfahren den Unterhaltsbeitrag für das mündige Kind zu bestimmen. Vorfragen über Leistungspflichten von oder gegenüber Dritten, die am Prozess nicht beteiligt sind, müssen in familienrechtlichen Verfahren oft beantwortet werden. Beispielsweise wenn der Unterhaltsbeitrag an ein Kind zu bestimmen ist und eine Abänderung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber Ehegattin und Kindern aus erster Ehe in Frage steht oder wenn es um die stiefelterliche Beistandspflicht geht. Situationen, in denen ein Entscheid neben den Prozessparteien weitere Personen betrifft, werden im Zeitalter der Patchworkfamilien häufiger.
Wie in BGE 112 II 199 aufgezeigt, muss die Ausbildungssituation klar und zeitlich begrenzt sein. Zu fordern ist zudem, dass die leistungspflichtige Partei verbindlich erklärt, den Unterhaltsbeitrag des mündigen Kindes zu bezahlen, wenn sie eine entsprechende Position im Bedarf berücksichtigt haben will. Diese Erklärung stellt eine Schuldanerkennung dar, auf die sich das mündige Kind berufen kann. Das Kind wäre allerdings frei, einen höheren Beitrag zu fordern, wenn dieser im Trennungs- oder Scheidungsprozess zu tief festgesetzt wurde, da keine Bindung zulasten des am Prozess nicht beteiligten Kindes entstehen kann. Sollte der Unterhaltsbeitrag wider Erwarten nicht bezahlt werden, könnte das Eheschutz- oder Scheidungsurteil in Revision gezogen werden.
Dass die Ausklammerung des Mündigenunterhalts rechtlich nicht zwingend geboten ist, zeigt auch die Rechtsprechung der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie hält fest, dass der Unterhalt des mündigen Kindes im Existenzminimum der Schuldnerin eingeschlossen werden muss, soweit eine Verpflichtung zur Leistung von Mündigenunterhalt besteht und die Eltern diese Verpflichtung übernehmen.8
Im Rahmen der ehelichen Beistandspflicht kann sogar eine Verpflichtung bestehen, dass ein Unterhaltspflichtiger für ein aussereheliches Kind aufkommen muss.9 Und selbst die Verwandtenunterstützungspflicht kann im Rahmen der Überschussverteilung berücksichtigt werden.10 Wenn demgegenüber die legitimen Unterhaltsansprüche eigener mündiger Kinder ausgeklammert werden, stellt dies einen eigenartigen Wertungswiderspruch dar.
Die bundesgerichtliche Lösung gefährdet zudem den Familienfrieden: Zwangsläufig werden mündig gewordene Kinder in die Trennungs- oder Scheidungsauseinandersetzung einbezogen, indem sie zur Durchsetzung ihres Unterhaltsanspruchs gezwungen werden, gegen einen Elternteil vorzugehen. Dass dies unerwünscht ist, hat das Bundesgericht bereits in BGE 112 II 199 festgestellt. Weiter werden die unterhaltspflichtige und unterhaltsberechtigte Partei ungleich behandelt: Das Bundesgericht scheint nur der unterhaltsberechtigten Partei, bei der das Kind wohnt, das Recht zuzusprechen, den Unterhaltsbedarf des im Laufe des Prozesses mündig werdenden Kindes geltend zu machen. Dass dies auch bei der im Scheidungs- oder Trennungsprozess unterhaltspflichtigen Partei der Fall ist, hat es hingegen nicht festgehalten - eine unhaltbare Ungleichbehandlung.
Diese Rechtsprechung ist in der Praxis nicht konsequent umsetzbar. Eine weitere Ungereimtheit liegt darin, dass die Kinder- und Elternkosten nicht strikte getrennt werden können. Lebt beispielsweise die unterhaltsberechtigte Partei mit mündigen, aber in Ausbildung stehenden Kindern zusammen, hat sie höhere Wohnkosten. Dafür wird kein Abzug beim Notbedarf gemacht. Dies bedeutet, dass ein Teil des Bedarfs des mündigen Kindes indirekt, entgegen dem statuierten Grundsatz, doch im Bedarf berücksichtigt wird. Schliesslich ist das Resultat zufällig. Denn die Unterhaltsregelung ist eine ganz andere, je nachdem, ob das Kind vor der Einleitung des Scheidungsprozesses mündig wird oder erst danach. Es ist stossend, dass dieser Zufälligkeit ein derart grosses Gewicht zukommt.
6. Mündige Kinder unter zwanzig Jahren
Selbst nach der Rechtsprechung von BGE 132 III 209 sollten mündige, jedoch noch nicht 20-jährige Kinder, gleich wie unmündige Kinder behandelt werden. Nur in seltenen Fällen kommt es vor, dass Kinder bei Erreichen des Mündigkeitsalters ihre Ausbildung bereits abgeschlossen haben. Würde BGE 132 III 209 auch auf sie angewendet, würden die damit verbundenen Probleme geradezu zum Regelfall. Mit der Herabsetzung des Mündigkeitsalters wollte der Gesetzgeber nicht die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der 18- bis 20-jährigen Kinder erschweren. Der Gesetzgeber wollte auch nicht das bestehende Recht des Kindesunterhalts modifizieren. Zu Recht plädieren Hausheer / Spycher für die Gleichbehandlung der Kinder zwischen 18 und 20 Jahren mit unmündigen Kindern.11
7. Berechnung des Mündigenunterhalts
Es fragt sich, wie der Unterhaltsbedarf mündiger Kinder in die Unterhaltsberechnung zu integrieren ist. Zu erinnern ist nochmals daran, dass bei knappen finanziellen Verhältnissen der Unterhalt mündiger Kinder nicht zu berücksichtigen ist. Meines Erachtens ist der Unterhaltsbeitrag gleich wie bei der Unterhaltsklage des mündigen Kindes gegen seine Eltern zu bestimmen. Es sind demnach nicht die Kinderzuschläge des Betreibungsrechts zu verwenden.
Ausgangspunkt kann die Tabelle des Amts für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich sein. Auszuklammern sind die Positionen «Unterkunft» (wenn das mündige Kind bei einem Elternteil wohnt) und «Pflege und Erziehung». Je nach den finanziellen Verhältnissen sind Zu- oder Abschläge vorzunehmen. Kinderzulagen und eigenes Einkommen sind abzuziehen, ein Lehrlingslohn nicht nur zu einem Drittel, jedenfalls wenn die Berufsauslagen bedarfsseitig Berücksichtigung finden. Der ermittelte Betrag ist als Unterhaltsbeitrag in den Bedarf des unterhaltspflichtigen Ehegatten aufzunehmen. Selbstverständlich gibt es keinen Alleinerziehenden-Bonus beim Grundbetrag, und das mündige Kind ist bei der Überschussaufteilung nicht zu berücksichtigen. Massgebend sind die konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles. Es ist darauf zu achten, dass das mündige Kind gegenüber den Ehegatten weder privilegiert noch benachteiligt wird.
1 BGer Urteil 5C.40/2007 vom 6.6.2007, E 4.
2 AJP 8/1993, 904, 910.
3 Heinz Hausheer / Annette Spycher, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 2010, Rz. 08.31.
4 Ingeborg Schwenzer, Scheidung, FamKomm Band I: ZGB und Band II: Anhänge, Zürich 2010, Art. 125, N 28.
5 Urs Gloor / Annette Spycher, in: Heinrich Honsell / Nedim Peter Vogt / Thomas Geiser (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I,
Art. 1-456 ZGB, 4. A., Basel/Genf /München 2010, Art. 125 ZGB, N 16.
6 Rolf Vetterli, in: Ingeborg Schwenzer, Scheidung, FamKomm Band I: ZGB und Band II: Anhänge, Zürich 2010, Art. 176, N 38.
7 Stephan Wullschleger, in: Ingeborg Schwenzer, Scheidung,
FamKomm Band I: ZGB und Band II: Anhänge, Art. 285, N 44.
8 BGer Urteil 7B.200/1999 vom 26.11.1999; Praxis 2000 Nr. 123.
9 BGE 129 III 417.
10 Urteil LP990030 Obergericht des Kantons Zürich vom 9.11.1999; FamPra 1/2000, 113.
11 Hausheer / Spycher, Rz. 08.31a und 08.35a.