Wer kantonale Urteile sucht, muss viel klicken. Eine kostenlose einheitliche Datenbank von eidgenössischen und kantonalen Urteilen fehlt. Mit dem System «OpenJustitia» will das Bundesgericht nun die Kräfte aller Beteiligten bündeln.
«OpenJustitia kann als Schritt auf dem Weg zu einer schweizweiten Urteilsdatenbank verstanden werden», so Sabina Motta, Mediensprecherin des Bundesgerichts. «Es ist ein altes Anliegen der schweizerischen Rechtsinformatik, mit einem einzigen Suchsystem alle eidgenössischen und kantonalen Rechtsprechungsdatenbanken abfragen zu können.» Dieses Ziel strebt auch der Schweizerische Verein für Rechtsinformatik, eJustice.CH, an.
Skepsis bei den Kantonen - trotz Gratis-Software
Bei den Kantonen fallen die Reaktionen unterschiedlich aus: Roman Staub, Gerichtsverwalter des Kantons Solothurn, weiss aus Erfahrung, dass die Harmonisierung sehr verschiedener Systeme eine schwierige Aufgabe ist. «Am ehesten kann ein kommerzieller Anbieter das schaffen», sagt er.
Luzern steht der Vision einer Datenbank, die mit den Urteilen aller Kantone gespiesen würde, positiv gegenüber. Aus Sicht von Ruth Aregger, Generalsekretärin des Obergerichts Luzern, würde es aber genügen, die wichtigen Entscheide der obersten Instanz der Kantone aufzunehmen.
Das Obergericht Zürich begrüsst auch mit Blick auf die Vereinheitlichung des Prozessrechts eine vertiefte Zusammenarbeit über die Kantonsgrenzen hinweg. «Eine einheitliche Entscheidsammlung würde aber eine einheitliche Publikationspraxis bedingen», gibt Sprecherin Andrea Schmidheiny zu bedenken.
Der Kanton Aargau ist skeptisch: Der Aufwand für die Anonymisierung aller Urteile wäre beträchtlich, sagt Nicole Payllier, Informationsbeauftragte der Gerichte. «Eher nein», sagt auch Caius Savary, Gerichtspräsident der Innerrhoder Bezirksgerichte Appenzell und Oberegg, und meint: «Mit SwissLex ist eine solche Datenbank zumindest teilweise schon vorhanden.»
Dabei offeriert das Bundesgericht die Gerichtssoftware OpenJustitia den Kantonen zum Nulltarif. Die Reaktionen fielen nicht nur unter den Kantonen kontrovers aus. Die Firma Weblaw wandte sich an die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Ständerats mit der Kritik, das Bundesgericht betätige sich ohne gesetzliche Grundlage als IT-Dienstleister für kantonale Gerichte und konkurrenziere mit Steuergeld private Unternehmen. Ende August entschied die GPK, der Aufsichtsanzeige keine Folge zu geben.
Das Bundesgericht sicherte der GPK zu, dass es keine gewerbliche Tätigkeit entfalten und alle Projektteilnehmer gleich behandeln werde. Die Integrationsarbeiten sollen die kantonalen Gerichte selbst vornehmen oder durch private Dienstleister erbringen lassen. Ziel von OpenJustitia sei es, Synergien zu entwickeln, um die IT-Kosten der Gerichte - insbesondere des Bundesgerichts - niedrig zu halten.
Der Stand bei den verschiedenen Kantonen
OpenJustitia ist inzwischen einsatzfähig. Neben dem Bundesgericht hat sich der Kanton Waadt und die Tribuna-Allianz, ein Verein der Kantone AR, BE, BL, FR, GR, LU, NW, OW, SZ, UR, VS und ZG, für die gleiche Software entschieden.
Die Kantone verfolgen verschiedene Strategien zur Veröffentlichung der Gerichtsentscheide - während einige Kantone noch keine Entscheide online publizieren, stellt der Kanton Zürich unterdessen alle Entscheide ins Internet. Im folgenden die Links zu den Entscheidsammlungen (in der Online-Version dieses Artikels auf www.plaedoyer.ch sind Internetadressen verlinkt):
- Aargau: Die publizierten aargauischen Gerichts- und Verwaltungsentscheide (AGVE) sind ab dem Jahrgangsband 2000 online unentgeltlich einsehbar. Die Entscheide sind über verschiedene Suchfragen auffindbar und sie sind mit Querverweisen «veredelt», die direkt zu den zitierten Gesetzesbestimmungen, Bundesgerichtsentscheiden oder AGVE führen. www.ag.ch/agve/de/pub/informationen.php
- Appenzell Ausserrhoden, wo die in der Gerichts- und Verwaltungspraxis publizierten Entscheide jährlich nur als Buch erscheinen, fasst eine Online-Entscheidsammlung ins Auge.
- In Appenzell Innerrhoden beschränkt sich das Angebot auf ausgewählte Entscheide im Anhang des Geschäftsberichts, eine Erweiterung ist geplant. www.ai.ch/de/ver waltung/dienstleistungen/?dienst_id=456
- Der Kanton Basel-Landschaft hat das Online-Angebot schrittweise ausgebaut und will ab Anfang 2012 alle Entscheide des Kantonsgerichtes mit wenigen Ausnahmen anonymisiert ins Internet stellen. www.baselland.ch/main_ kantonsgericht-htm.273888.0.html
- Im Kanton Basel-Stadt stellt das Appellationsgericht als letztinstanzliches kantonales Gericht keine Entscheide ins Netz, sondern sendet eine Auswahl an Swisslex. Dort sind auch die in den Basler Juristischen Mitteilungen (BJM) publizierten Entscheide abrufbar.
- Bern will ab Mitte 2012 OpenJustitia verwenden. Bis dahin finden sich ausgewählte Entscheide von Obergericht und Verwaltungsgericht online. www.justice.be.ch/justice/de/index/entscheide/entscheide_rechtsprechung.html
- Freiburg hegt keine Ausbaupläne seiner jetzigen Lösung. www.fr.ch/tc/fr/pub/jurisprudence.htm
- Im Kanton Glarus sollte Ende 2011 die Lösung bereit sein, um Entscheide online zu publizieren.
- Das Kantonsgericht Graubünden publiziert alle Endentscheide mit einer gewissen Relevanz online. www.gr.ch/DE/INSTITUTIONEN/ GERICHTE/KG/DOKUMENTATION/RECHTSPRECHUNG/Seiten/Rechtsprechung.aspx
- Im Kanton Luzern können alle Gerichte ihre Urteile online publizieren. Welche, entscheidet jedes Gericht selbst. Das Obergericht trifft die Auswahl für die Veröffentlichung im Buchband der Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide (LGVE). www.gerichte.lu.ch/index/rechtsprechung.htm
- Zulegen will auch Nidwalden, wo veröffentlichungswürdige Entscheide erster Instanz für Zivil- und Strafsachen, des Ober- und Verwaltungsgerichts im PDF-Format zugänglich sind. www.nw.ch/de/ rechtspflege/gerichtetop/rechtsprechung
- Obwalden hingegen will bei seiner jetzigen Lösung bleiben. http://ilz.ow.ch/rechtsprechung/navigation/Gesetzesregister.htm
- Schaffhausen will bei seiner jetzigen Lösung bleiben und plant auch keinen Ausbau. www.sh.ch/ Gerichte.13.0.html
- Schwyz will die Entwicklung in den Kantonen abwarten, die die Gerichtssoftware Tribuna nutzen. www.kgsz.ch/rechtsprechung.htm
- Solothurn evaluiert eine neue technische Umsetzung der bestehenden Publikationsweise. www.old.so.ch/extappl/sog/index.php
- St. Gallen nimmt die Konzeption der Gerichts- und Verwaltungspraxis und der Online-Entscheidsammlung unter die Lupe. www.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/rechtsprechung.html
- Der Kanton Thurgau plant bei seiner jetzigen Lösung keine Erweiterung. http://ogbuch.tg.ch
- Uri will ab Ende 2011 die Entscheide rascher aufschalten. www.ur.ch/de/ger/og/rechenschaftsberichte-m676
- Im Wallis findet man vorläufig nur die in der Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung (ZWR) publizierten Entscheide auf der Internetseite des Kantons. www.vs.ch
- Zug prüft eine schnellere Publikation der Leitentscheide. www.zug.ch/behoerden/staatskanzlei/kanzlei/gvp
- Eine Maximallösung hat der Kanton Zürich realisiert. Seit den Sommergerichtsferien werden sämtliche materiellen Entscheide publiziert. Einschränkungen und Erweiterungen dieses Grundsatzes sind in Einzelfällen möglich. Die Publikation in der Entscheidsammlung erfolgt nach Rechtskraft oder Weiterzug ans Bundesgericht. www.gerichte-zh.ch