Die Rechtsschutzversicherungen haben in der Schweiz die Leistungen gegenüber ihren Kunden in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr eingeschränkt. Und zwar in mehreren, grundsätzlich gedeckten Bereichen. Beispiel Arbeitsrecht: Heute sind nicht mehr alle arbeitsrechtlichen Prozesse gedeckt. Es gibt personelle Einschränkungen – etwa für Angestellte, die Aktien der Gesellschaft besitzen – und auch Deckungseinschränkungen beim Streitwert.
Vor allem aber gewähren die Versicherungen den Kunden nicht mehr einen unbedingten Anspruch auf einen Rechtsvertreter ihres Vertrauens. Laut Vertragsbestimmungen haben die Versicherten in erster Linie Anspruch auf eine Bearbeitung des Rechtsstreits durch die Gesellschaft selbst. Bei der Axa-Arag beispielsweise heisst es in A 11.3, wo es um den Beizug eines Anwalts geht: «Die Axa-Arag entscheidet, ob es notwendig ist, einen Anwalt beizuziehen.» Und in A 11.2 heisst es weiter: «Nach Überprüfung der Rechtslage wird das weitere Vorgehen mit der versicherten Person besprochen. Die Axa-Arag führt anschliessend für die versicherte Person die Verhandlungen um eine gütliche Erledigung. Scheitern diese, entscheidet die Axa-Arag über das weitere Vorgehen und die Zweckmässigkeit eines Prozesses.» Zu diesem Zweck haben die Versicherungen den Stab an internen Juristen mit und ohne Anwaltspatent in den letzten Jahren stark ausgebaut.
Das stösst bei selbständigen Anwälten auf Skepsis. Der Zürcher Philip Stolkin kritisiert etwa, dass die Versicherten von den hausinternen Juristen der Gesellschaften nicht ausreichend betreut werden. Explizit kritisiert er auch deren Kompetenz: «Diese Juristen arbeiten ungenügend. Ich bin schon einmal erschrocken, als ich einen Fall von einem Versicherungsjuristen übernehmen musste». Stolkin ist überzeugt: «Die Versicherungen wollen die Fälle mit ihren eigenen Leuten erledigen, weil dies für sie so billiger ist.»
Anwalt Jürg Gasche Bühler aus Zürich stört sich vor allem daran, dass ein von einer Versicherung angestellter Anwalt nicht unabhängig ist: «Er ist in erster Linie seinem Arbeitgeber verpflichtet und befindet sich in einem akuten Interessenkonflikt.» Aus diesem Grund können von Versicherungen angestellte Anwälte die Klienten in den meisten Verfahren nicht vertreten. Das Bundesgericht verweigerte in einem Präzedenzentscheid einem Versicherungsanwalt die Eintragung ins Anwaltsregister: «Die gesetzliche Vermutung für das Fehlen der Unabhängigkeit lässt sich für derartige Mandate nicht widerlegen.» (2A.295/2003)
Druck auf Anwälte mit zu tiefem Kostendach
Aus diesem Grund kommen die Versicherungen nicht darum herum, für Vertretungen in den meisten Prozessen frei praktizierende Anwälte zu beauftragen. Auch hier haben die Versicherten keine freie Wahl. Artikel 167 der Aufsichtsverordnung über die Rechtsschutzversicherungen lässt ein Veto der Assekuranz zu: «Der Vertrag kann vorsehen, dass bei Ablehnung der gewählten Vertretung durch das Versicherungsunternehmen oder das Schadenregelungsunternehmen die versicherte Person das Recht hat, drei andere Personen für die rechtliche Vertretung vorzuschlagen, von denen eine akzeptiert werden muss.»
Steter Zankapfel zwischen den Versicherungen und den Anwälten sind auch die in den Kostengutsprachen vorgegebenen Stundenhonorare. Ein nicht genannt sein wollender Fachanwalt im Arbeitsrecht sagt: «Die Versicherungen versuchen, die Kosten mit unrealistischen Vorgaben zu senken, etwa durch extrem tiefe Kostendächer und nicht kostendeckende Stundenansätze.»
Einige Gesellschaften arbeiten mit ausgewählten Anwälten eng zusammen, mit denen sie dann relativ tiefe Honoraransätze vereinbaren. Gasche Bühler kritisiert, dass solche Anwälte faktisch nicht mehr unabhängig sind. «Es besteht die Gefahr, dass sie ihr Handeln nicht mehr allein nach den Interessen der Klienten ausrichten, sondern auch nach denjenigen der Versicherung.»
Zu diesen Streitpunkten finden zurzeit Gespräche zwischen der Fachkommission Rechtsschutz des Schweizerischen Versicherungsverbands und einer Delegation des Schweizerischen Anwaltsverbands statt. Das bestätigen mehrere Anwälte, aber auch Vertreter der Rechtsschutzversicherungen Cap, Fortuna oder Protekta. Fortuna-Sprecher Felix Mundwiler will zurzeit keine weiteren Informationen zum Stand der Debatte machen. Die Versicherer wollen auch zu den Vorwürfen aus Anwaltskreisen gegenüber plädoyer nicht Stellung nehmen, «um die Zusammenarbeit von Versicherern und Anwälten zu erleichtern».
Rechtsanwalt Peter Nobel von der Zürcher Kanzlei Nobel & Hug ist überzeugt, dass es im Interesse der Versicherungen selbst ist, die Erwartungen der Kunden auf eine gute Rechtsvertretung zu erfüllen. Immerhin hätten die Versicherten im Schadenfall ein gesetzliches Kündigungsrecht: «Angesichts der grossen Konkurrenz werden sich die Versicherungsgesellschaften einen schlechten Kundenservice auch wirtschaftlich auf Dauer nicht leisten können», ist der Wirtschaftsanwalt überzeugt.