Die Friedensbürgschaft gemäss Artikel 66 des Strafgesetzbuches ist in der Tat eine zierliche Pflanze. Sie will trotz des grossen Potenzials, sich zu einer prachtvollen Blume zu entwickeln, nicht so recht gedeihen. Sie ist die einzige strafrechtliche Massnahme, die keine strafbare Handlung voraussetzt. Der Richter nimmt einem Drohenden das Versprechen ab, eine angedrohte Tat nicht auszuführen, und verlangt vom Drohenden eine Sicherheitsleistung durch Hinterlegung von Vermögenswerten. Leistet dieser böswillig die Sicherheitsleistung nicht oder verweigert er das Versprechen, kann das Gericht zur Erzwingung der Friedensbürgschaft Sicherheitshaft bis zu zwei Monaten anordnen.
Vom Tatbestand erfasst wird die Drohung, ein Verbrechen oder Vergehen auszuführen. Zusätzlich muss die Gefahr bestehen, dass die Drohung wahrgemacht wird. Aufgrund des Massnahmencharakters der Friedensbürgschaft muss entgegen dem Bundesgerichtsentscheid 71 IV 77 eine Drohung genügen, deren Verwirklichung dem Bedrohten als ernst gemeint erscheint.
Die Gründe für die verhaltene Anwendung der Friedensbürgschaft sind vielfältig. Eine wichtige Ursache ist der mangelnde Bekanntheitsgrad sowohl in der Bevölkerung als auch bei Polizeiorganen und Untersuchungsbehörden. Ein weiterer Grund für ihre Unauffälligkeit besteht darin, dass die kantonalen Strafprozessordnungen die Friedensbürgschaft ungenügend regeln, insbesondere in den selbständigen Massnahmeverfahren ausserhalb eines ordentlichen Strafverfahrens. Auch wurde bisher dem zeitgerechten Vollzug zwischen Antrag und Entscheid über eine Friedensbürgschaft ungenügende Beachtung geschenkt, muss doch eine Untersuchung aufgrund des Präventionscharakters der Friedensbürgschaft zügig erledigt und dem Strafrichter übergeben werden. Der Strafrichter muss unverzüglich einen Entscheid treffen, um den Zweck der Friedensbürgschaft nicht vorweg durch Verzögerung zu vereiteln.
Neustes prominentes Beispiel für eine solche Verzögerung ist der Antrag auf Friedensbürgschaft gegen Carl Hirschmann im Kanton Zürich. Die Hauptverhandlung fand am 27. August 2010 statt, der Entscheid zögerte sich aber bis zum 15. Oktober 2010 hinaus. Ein solch langer Zeitraum bis zum Entscheid über die Anordnung respektive tatsächliche Abnahme einer Friedensbürgschaft ist unhaltbar.
Es bleibt zu hoffen, dass mit dem Inkrafttreten der ersten Schweizerischen StPO ab 2011, die detailliertere prozessuale Regeln zur Friedensbürgschaft enthält, mit einheitlicher und konsequenter Anwendung ein Teil der erwähnten Mängel behoben wird. Die Friedensbürgschaft vermag in Zukunft bei zeitgerechter Anwendung nützliche Dienste bei der Verhinderung von Straftaten zu leisten - nicht zuletzt aufgrund der Herausforderungen in unserer heterogenen, modernen Gesellschaft und aufgrund des Aufeinanderprallens verschiedener Kulturen, Religionen, ethisch-moralischer Ansichten und Werte.
Denkbare Anwendungsfelder sind nicht nur Drohungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt oder Zwangsverheiratung und Ehrenmorden durch Familienmitglieder aus fremden Kulturkreisen, sondern auch etwa Drohungen militanter Tierschützer mit Anschlägen oder Krawalle bei Sportanlässen. Pflegen wir also das Mauerblümchen und verhelfen ihm zur Blütezeit. René Kissling, Advokat, Basel