Wer von 1995 bis 2019 an der Universität Zürich Rechtswissenschaften studierte, machte schon früh mit ihm Bekanntschaft: Marcel Senn, in diesem ­Zeitraum Professor für Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte, unterrichtete bereits in den ersten Semestern des Studiums. Dabei riss er wohl den einen oder die andere aus ihren Tagträumen von ­filmreifen Auftritten vor ­Gericht oder vom Glamour in Grosskanzleien. Von Senn hörten die Studierenden das erste Mal von germanischen Stammesrechten, den Innovationen durch die mittelalterlichen Städte oder von den ­frühneuzeitlichen Philosophen wie ­Spinoza. Der 68-Jährige pflegt auch heute noch ­Kontakt mit einigen Studenten und trifft sich mit ihnen zum gelegentlichen Austausch – auch über private Fragestellungen. Seine letzte Doktorandin promo­vierte im Februar in Rechtsphilosophie, den letzten Doktoranden betreut er noch – ebenfalls in Rechtsphilosophie.

Marcel Senn war unter den Schweizer Professoren ein kritischer Zeitgenosse, der auch öffentlich seine Bedenken kundtat, etwa zur Bologna-Reform des Studiums. Er machte sich mit seinen Kollegen stark für das Ansehen der Grundlagenfächer. Durchaus mit Erfolg. «In Zürich wurden die Professorenstellen bei den Grundlagenfächern ausgebaut, während ­andernorts ein Abbau erfolgte», blickt er heute ­zurück. Sein leidenschaftliches Interesse an rechtsgeschichtlichen und rechts­philosophischen Fragestellungen hat der mit ­Partnerin und Kater am Zürichsee in Stäfa ­wohnhafte Senn nicht verloren. In ­einem Beitrag ­befasste er sich jüngst mit dem ­Verhältnis von Recht und Wahrheit. Ein ­Thema, das ihn aufgrund seiner Aktualität umtreibt: «Es kann ­keine Gerechtigkeit ­geben, ohne dass man zuerst ­einen wahren Sachverhalt erstellt hat», sagt Senn. Es sind solche Bezüge und «verdeckte ­Themen», die er stets auch den Studierenden zu vermitteln versucht habe.