In der Bar des Hotels des Balances in der Luzerner Altstadt bittet Marianne Heer den Besucher, den Platz mit Sicht auf die Reuss einzunehmen. So viel Standortmarketing muss sein – obwohl die 67-Jährige von sich sagt, dass sie keine Lokalpatriotin sei und es hier immer wieder auch «etwas provinziell» finde. Dabei hat Heer ihr privates, aber auch ihr berufliches Leben grösstenteils im Kanton zugebracht. Sie wuchs in Kriens und Luzern auf und wohnt heute in der Gemeinde Horw. Sie war Luzerner Bezirksrichterin, Oberstaatsanwältin und zuletzt zweitinstanzliche Strafrichterin. Mitte 2020 wurde sie pensioniert.

Die Arbeit ist ihr seither nicht ausgegangen: «Mein Mann meint, dass ich mehr arbeite als zuvor», sagt Heer. Weiterhin gibt sie Vorlesungen an den Uni­versitäten Freiburg (Sanktionenrecht) und Bern (Strafprozessrecht). Daneben ist sie Herausgeberin und Mitautorin der Basler Kommentare zur StPO und zum StGB. Ihr Schwerpunkt ist das Massnahmenrecht.

Erstmals befasste sie sich für den Basler Kommentar Anfang der Nullerjahre mit dem damals kaum ­aus­geleuchteten Thema. Heute ist sie in diesem ­Bereich freiberuflich als Beraterin tätig. Dabei hat sie ­«spannende Kontakte» mit Strafverteidigern und  ­Behördenmitgliedern, aber auch mit Psychiatern und Psychologen, die mit psychiatrischen Gutachten im Strafprozess zu tun haben. «Wie soll man ein ­bestimmtes Gutachten analysieren? Wie damit umgehen?», lauten mögliche Fragestellungen. «Ich bewahre mir über diese Tätigkeit den Zugang zur Praxis, das war mir stets wichtig», sagt sie.

Überdies ist Heer in der eher öffentlichkeitsscheuen Richterinnengilde eine der wenigen, die öffentlich prononciert Stellung nehmen – nicht nur zur von ihr dezidiert kritisierten «Nullrisikogesellschaft», sondern auch zu anderen brisanten Fragen wie der Strafzumessung bei Vergewaltigungen. Für Ablenkung von derart harter juristischer Kost sorgen drei Pferde, drei Hunde und fünf Katzen, die Heer und ihr Mann halten.