Wer will schon in den Osten?
Der Wegzug des Bundesverwaltungsgerichts nach St.Gallen rückt näher. Doch wie motiviert man die 400 Richter, Gerichtsschreiber und Kanzleimitarbeiter zu einem Ortswechsel?
Inhalt
Plädoyer 2/10
21.04.2010
Letzte Aktualisierung:
07.10.2013
St. Gallen hat ein prachtvolles Kloster, liegt mitten im Grünen, hat die bekanntesten Würste der Schweiz und mit der Multergasse eine Einkaufsmeile, die anderen Städten in nichts nachsteht. Aber St. Gallen liegt nicht in der Nähe von Bern, sondern weit im Osten. Der See liegt etwas weiter entfernt als in Lausanne oder Luzern. Das Wetter ist weniger lieblich als in Bellinzona. Deshalb will niemand nach St. Gallen zügel...
St. Gallen hat ein prachtvolles Kloster, liegt mitten im Grünen, hat die bekanntesten Würste der Schweiz und mit der Multergasse eine Einkaufsmeile, die anderen Städten in nichts nachsteht. Aber St. Gallen liegt nicht in der Nähe von Bern, sondern weit im Osten. Der See liegt etwas weiter entfernt als in Lausanne oder Luzern. Das Wetter ist weniger lieblich als in Bellinzona. Deshalb will niemand nach St. Gallen zügeln. Zumindest keine Angestellten des Bundesverwaltungsgerichts.
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Zur Erinnerung: Im Jahr 2002 wurde das neu geschaffene Gericht nach St. Gallen vergeben. Bis dort das neue Gebäude steht, ist der Gerichtssitz in Bern. Nun rückt der Wegzug aus der Bundeshauptstadt näher: Im zweiten Quartal 2012 sollen die Zügelwagen in die Ostschweiz rollen. Auch wenn das Datum schon einige Male verschoben wurde und das letzte Wort laut Insidern noch nicht gesprochen ist: Je fortgeschrittener der Bau, umso näher rückt der Zügeltag. Daran erinnern unmissverständlich die Bilder einer Webcam, die das tägliche Wachstum des neuen Gerichtsgebäudes in St. Gallen zeigen (www.schefer-it.ch/ bvg-webcam/ bvg-cam1/).
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Doch wie motiviert man nahezu 400 Richter, Gerichtsschreiber und Kanzleimitarbeiter zu einem Ortswechsel? Hört man sich unter den Angestellten des Bundesverwaltungsgerichts um, heisst es: Die Glacéaktion der Ostschweizer Kantone vor dem heutigen Gerichtsgebäude in Bern und die Kaffeefahrt in die Wohnquartiere von St. Gallen haben die Juristinnen und Juristen von Bundesbern noch nicht nachhaltig beeindruckt. Wenig Verständnis für den Umzug schafft auch die Reduktion der Ortszulage der Bundesangestellten: Berner Arbeitsplätze werden mit rund 4950 Franken zusätzlich gesponsert, St. Galler nur mit rund 3050 Franken im Jahr. Immerhin:Es werden angeblich zurzeit auffällig viele neue Mitarbeitende östlich von Olten rekrutiert. Möglicherweise finden wenigstens diese Neuen die Stadt St. Gallen auf Anhieb auf der Karte.
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Offizielle Stellen am Bundesverwaltungsgericht verweisen bezüglich der geplanten Fördermassnahmen für Umzugswillige auf ein Faktenblatt mit verschiedenen Massnahmen. Worin diese genau bestehen, ist aber nicht zu erfahren. Die Angestellten wurden angeblich kürzlich informiert – definitiv beschlossen sei aber noch nichts. So soll es für alle einen Betrag zur freien Verfügung geben (5000 Franken). Für Romands und Tessiner kommt ein Zustupf fürs Deutschlernen hinzu (1000 Franken). Für die Wohnungssuche gibt es freie Tage (5). Nachgedacht wird auch über die Anrechnung der Reise- an die Arbeitszeit.
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Auffällig: Während für Arbeitslose ein täglicher Arbeitsweg von vier Stunden als zumutbar bezeichnet wird, scheint für viele Angestellten des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts die Schweiz kurz nach dem Shoppyland in Schönbühl aufzuhören. Danach beginnt der wilde Osten, da helfen alle Bemühungen der Ostschweizer Kantone und der Leitung des Bundesverwaltungsgerichts nichts: Man hört von vielen geplanten Frühpensionierungen und von Leuten, die auf Stellensuche sind. Und auch die Infostelle der Ostschweizer Kantonehat erst zwei Anfragen erhalten.