Die Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben am 1. Dezember 2021 die Resolution SSA2(5) mit dem Titel «The World Together» angenommen. Damit wurde ein zwischenstaatliches Gremium zur Ausarbeitung eines neuen multilateralen Rechtsinstruments zur Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion eingesetzt.1 Vor dem Hintergrund der weitreichenden wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen der von der WHO initiierten Covid-19-Bekämpfungsmassnahmen und der Klassifizierung des Affenpockenausbruchs als neuer globaler Gesundheitsnotstand im Juli 20222 soll hier eine kurze Einordnung und Darstellung der Verhandlungen innerhalb der WHO sowie des beabsichtigten Inhaltes vorgenommen werden.
1. Die WHO im Wandel
Die WHO ist als UN-Sonderorganisation vorrangig für die globale Gesundheitsagenda zuständig und wurde als technische Agentur mit dem Ziel konzipiert, «allen Völkern zur Erreichung eines bestmöglichen Gesundheitszustands zu verhelfen.»3 Unter den zurzeit 194 Mitgliedsstaaten nimmt die Schweiz als Gründungsmitglied sowie Gastgeberland des WHO-Hauptquartiers in Genf eine Schlüsselposition ein und leistet zurzeit jährliche Beiträge von 2,5 Millionen Franken.4 Dabei agiert die WHO aber nicht nur von ihrem Hauptsitz aus, sondern ist auch über insgesamt sechs Regionalbüros und 149 Niederlassungen in den Mitgliedsstaaten vertreten.
1.1 Einflussnahme von Geldgebern
Die Arbeitsschwerpunkte einer intergouvernementalen Organisation wie der WHO sollten theoretisch auf der jährlich im Mai in Genf tagenden Versammlung aller Mitgliedsstaaten, der Weltgesundheitsversammlung (WHA), durch Resolutionen beschlossen werden. Durch die grosszügige Finanzierung und damit verbundene Einflussnahme einzelner staatlicher und zunehmend auch nichtstaatlicher Geldgeber5 sowie die vermehrte Bereitstellung neuartiger Dienstleistungen, die nur durch sogenannte Public-private- Partnerships (PPP) ermöglicht werden können, unterliegen die Aufgaben der WHO allerdings einem starken Wandel und sind nicht länger ausschliesslich von gleichberechtigten und souveränen Mitgliedsstaaten bestimmt.6 Unter den PPP sind insbesondere die globale Impfallianz Gavi und die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi) zu nennen.
Dieser Wandel wird im 2018 lancierten WHO-Transformationsprozess deutlich.7 Er zielt darauf ab, die WHO mehr und mehr von einer beratenden technischen Agentur in eine schlagkräftige Krisenbewältigungseinheit zu verwandeln. Zudem sollen zukünftig weitere private Partner in die Arbeit der WHO integriert werden.8 Der Bereich des globalen Notfall-Pandemiemanagements nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein. Das Budget des WHO Health Emergencies Programme9 ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Es wird massgeblich von externen nichtstaatlichen Akteuren finanziert und inhaltlich gesteuert.
1.2 Dominanz der globalen Gesundheitsdoktrin
Gleichzeitig sind die Arbeit der WHO im Bereich des globalen Pandemiemanagements und der zurzeit dafür bestehende multilaterale rechtliche Rahmenvertrag – die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) von 200510 – stark von Konzepten beeinflusst, die aus dem sicherheitspolitischmilitärischen Bereich stammen.11 Dies wurde in den von der WHO empfohlenen medizinischen und nichtmedizinischen Gegenmassnahmen zur Bekämpfung des durch den WHO-Generalsekretär im Januar 2020 ausgerufenen globalen Covid-19-Gesundheitsnotstand (Public Health Emergency of International Concern [PHEIC]) besonders deutlich. Prominent ist hier der massgebende Einfluss der Global Health Security (GHS) genannten Doktrin, zu Deutsch: ‹globale Gesundheitssicherheitsdoktrin›.
Kurz zusammengefasst nutzt die GHS-Doktrin für die Bekämpfung infektiöser Krankheiten sowohl rhetorische, verteidigungstaktische als auch rechtliche Mechanismen aus dem sicherheitspolitisch-militärischen Gebiet. Die primäre Begründung bildet die Notwendigkeit der Minimierung biologischer Risiken zur Aufrechterhaltung der Biosicherheit, indem Strategien der natürlichen Biogefahren- mit jenen der Bioterrorismusabwehr verbunden wurden.12 Durch die bewusste Gleichsetzung pathogener Gesundheitsrisiken jeglichen Ursprungs in Form des «all-hazards approach» – also der Gleichsetzung von durch natürlich auftretende Erreger hervorgerufenen Gesundheitsbedrohungen mit solchen, die durch die absichtliche oder unabsichtliche Freisetzung von chemischen, biologischen oder nuklearen Stoffen hervorgerufen werden – wird das Auftreten von Krankheitserregern nicht mehr ausschliesslich als medizinisches, sondern auch als sicherheitspolitisches Problem gedeutet. Dieser implizite sicherheitspolitische Konnex im Gesundheitsbereich hat zur Folge, dass das Auftreten neuartiger Viren nicht mehr nur medizinische Massnahmen erfordert, sondern auch über weitergehende, strikt abwärtsstrukturierte Massnahmen bekämpft wird, die sonst nur im militärischen Kontext im Rahmen der Abwehr eines Biowaffenangriffs oder Hochsicherheitslaborunfalls ergriffen werden.13 Verbindliche Ausgangssperren, Kontaktverfolgung, Massenquarantäne durch sogenannte Lockdowns auch für gesunde Menschen, Massentests, Massenimpfungen, strikte Informationskontrolle etc. sind einige dieser Massnahmen.
Rhetorisch zeigt sich die Implementierung der militärisch-pandemischen GHS-Doktrin in vielfältiger Weise. So werden pathogene Erreger beispielsweise nur mehr als Gesundheitsbedrohungen oder -risiken umschrieben, denen umgehend mit sogenannten «medical or non-medical countermeasures», also Gegenmassnahmen, begegnet werden muss, die mit Waffen der Verteidigung gleichgesetzt werden. Institutionell offenbart sich die GHS-Doktrin in der empfohlenen engen Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Verteidigungsministerien über die Einrichtung sogenannter «intersectoral agencies», welche die Notfallbereitschaft und die Gesundheitssicherheit im Fall neuartiger Krankheitsausbrüche gleichermassen aufrechterhalten sollen.14 Im Fall von Covid-19 zeigte sich dies konkret in der Besetzung, Leitung und Organisation vieler nationaler Covid-19-Gremien15 durch hochrangige Militärangehörige, wie beispielsweise auch in Deutschland16 und Österreich.17
Als «rechtliche» Mechanismen zur Umsetzung der GHS-Doktrin werden insbesondere die Schaffung weitreichender exekutiver Befugnisse und einer entsprechenden Notstandsgesetzgebung18 im nationalen wie im internationalen Rechtssystem empfohlen.19 Dies kann konkret durch exekutive Verordnungsbefugnisse, Derogationen von regulären Rechtsvorschriften oder gar die Verhängung von gesamthaften Ausnahmezuständen erreicht werden. Auf Ebene der WHO enthalten die IGV die Kompetenz des WHO-Generaldirektors, den genannten PHEIC, also einen internationalen Gesundheitsnotstand, auszurufen. Bedingung dafür ist ein «aussergewöhnliches Ereignis», das «durch die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit in anderen Staaten darstellt und möglicherweise eine abgestimmte internationale Reaktion erfordert.»20 Daraufhin können nach Beratung des Generalsekretärs mit einem Notfallkomitee den WHO-Mitgliedsstaaten zeitlich begrenzte medizinische und nichtmedizinische Gegenmassnahmen empfohlen werden.
Dies veranschaulicht, wie stark die GHS-Grundsätze den zurzeit gültigen IGV zu Grunde gelegt und in die Administration der WHO integriert worden sind und damit als zeitgemässer Modus für die globale Pandemiebekämpfung gelten. Dies, obwohl Ausnahmezustände bislang typischerweise als ein klassisches Mittel im Kriegsfall bekannt waren und historisch nie für den Erhalt der öffentlichen Gesundheit eingesetzt wurden. Die Dominanz der GHS-Doktrin versetzte Regierungen aber weltweit im Rahmen der Covid-19-Bekämpfung in die Lage, verbindlich Lockdowns oder andere weitreichende Grundrechtsbeschränkungen ohne (ausreichende) parlamentarische Kontrolle etwa durch exekutive Verordnungen zu verhängen, da das reguläre Rechtssystem durch den verordneten gesundheitlichen Ausnahmezustand nicht mehr zur Anwendung gelangte. Die von der GHS inspirierten, im Rahmen des Covid-19-PHEIC von der WHO empfohlenen medizinischen und nichtmedizinischen Gegenmassnahmen haben nationale Gesundheitsministerien, Gerichte und Gesetzgeber in vielen Staaten oft wie automatisiert implementiert und sogar in nationale Rechtsvorschriften übernommen, obwohl die von der WHO erlassenen Empfehlungen einen unverbindlichen Charakter haben.
Auch in der Schweiz wurde, wie in vielen anderen IGV-Vertragsstaaten, im Zuge der Implementierung der IGV eine «besondere» und «ausserordentliche» epidemische Lage in das 2012 revidierte nationale Epidemiengesetz integriert. Diese Rechtsfiguren erinnern an einen verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand, da sie zumindest exekutive Sonderbefugnisse schaffen.21 Modernes Pandemiemanagement kann zurzeit kaum noch von den GHS-Grundsätzen unterschieden werden, zu der sich auch die Schweiz als Teil der politischen Global Health Security Agenda aktiv bekennt.22
1.3 Verhandlungen über neuen Pandemievertrag
Viele Akteure – der WHO-Generaldirektor,23 der Europäische Rat und die Europäische Kommission,24 die öffentlich-privaten Partner der WHO wie die Impfallianz Gavi25 und Cepi,26 verschiedene von der 73. WHA (2020)27 in Auftrag gegebene Berichte zur Covid-19-Pandemie 28 und die International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA)29 – argumentieren fast unisono, dass es für das reibungslose Management zukünftiger Pandemien notwendig sei, intensiv in den Aufbau von Krisenkapazitäten, einer flächendeckenden, zentralisierten biomedizinischen Überwachung sowie von Strukturen zur schnellen Entwicklung, Herstellung und weltweiten Verbreitung von (neuen) Diagnostika, Medikamenten und Impfstoffen zur Pandemieprävention und -bekämpfung zu investieren. Die schnelle Verhandlung und Verabschiedung eines neuen Pandemievertrags soll dieses Ziel erreichen.
Die Schweiz unterstützt diese Initiative. So rief Bundesrat Alain Berset bereits in seiner Eröffnungsrede der 74. WHA im Mai 2021 die WHO-Mitgliedsstaaten dazu auf, den Aufbau einer neuen globalen Gesundheitsschutz-Architektur zu unterstützen. Nach den Worten Bersets ist ein universeller und koordinierter Ansatz beim Gesundheitsschutz unverzichtbar, denn kein Land sei in der Lage, eine Pandemie allein zu meistern.30 Gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft forderte Berset, die führende Rolle der WHO bei der Vorbereitung und der Bekämpfung von Gesundheitskrisen wie Pandemien weiter zu stärken. Gleichzeitig sicherte er der WHO das Schweizer Engagement bei der Umsetzung von internationalen Empfehlungen und beim transparenten Austausch von epidemiologischen und klinischen Daten im Fall zukünftiger Pandemien zu.31
Nach zahlreichen medialen Appellen zur Notwendigkeit eines neuen internationalen Pandemievertrags von Ende 2020 bis Frühjahr 2021 wurde die WHO von ihren Mitgliedsstaaten mit einem offiziellen Verhandlungsmandat ausgestattet. Insbesondere wurde auf der ausschliesslich zu diesem Zweck einberufenen ausserordentlichen WHA im Dezember 2021 der Intergouvernmental Negotiating Body (INB),32 ein internationales Verhandlungsgremium innerhalb der WHO, eingesetzt.33 Den Verhandlungen wurden ungewöhnlich enge Zeit- und Zielvorgaben gesetzt. Anstatt einer üblichen, ergebnisoffenen Verhandlungsführung wurde der INB bereits zur Vorlage eines ersten Arbeitsentwurfs für den internationalen Pandemievertrag im Juli 2022 verpflichtet.34 Über die weiteren Verhandlungen soll der INB einen Zwischenbericht auf der 76. WHA im Mai 2023 vorlegen, mit dem Ziel einer möglichen Finalisierung des Vertrags auf der 77. WHA im Mai 2024.35
Der Verhandlungsprozess zur Ausarbeitung eines neuen Pandemievertrages beschränkt sich allerdings nicht auf den INB. Wie bereits erläutert, besteht mit den IGV innerhalb der WHO bereits ein völkerrechtliches Vertragswerk zur Regelung von grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen und globalen Gesundheitsnotständen. Aufgrund ihres Inhalts sind die IGV nicht von den Vertragsverhandlungen im Rahmen des INB zu trennen. Die 75. WHA hat aber dennoch für die Revision der IGV eine eigene Arbeitsgruppe, die Working Group on IHR Amendments (WGIHR) gegründet, der dieselben knappen Zeitvorgaben wie dem INB für die Vertragsverhandlungen gesetzt sind.36 Damit wird laut WHO dem Gebot der Komplementarität entsprochen. Zugleich entstehen aber Doppelstrukturen, was Synergien verhindert und Potenzial für die Entstehung eines rechtlichen Mehrebenensystems mit allenfalls unterschiedlichen Rechtsverbindlichkeiten für verschiedene Staatengruppen schafft.
Die IGV-Vertragsstaaten, darunter die Schweiz, wurden aufgefordert, ihre ersten Änderungsvorschläge bereits Ende September 2022 der neuen WGIHR zu kommunizieren. Dabei spielt der unilateral im Januar 2022 eingebrachte Revisionsantrag der USA über weitreichende Änderungen der IGV eine Rolle, etwa die Möglichkeit, regionale Gesundheitsnotstände auszurufen. Der Antrag wurde aufgrund des Widerstands zahlreicher Staaten, insbesondere von Mitgliedern der Afrikanischen Union, noch während der 75. WHA zurückgezogen.37
1.4 Absehbare Schwerpunkte
Trotz dem noch ungewissen Ausgang der beiden parallelen Verhandlungsprozesse sind inhaltliche Schwerpunkte auszumachen, welche die GHS-Grundsätze widerspiegeln. Diese lassen sich aus zahlreichen WHO-Dokumenten und aktuellen Initiativen erkennen, insbesondere aus dem vorliegenden ersten Arbeitsentwurf des INB,38 den Ergebnissen eines vom INB durchgeführten öffentlichen Konsultationsprozesses39 und zwei Berichten des WHO-Generaldirektors an die 75. WHA: zum einen der Bericht zur Stärkung der WHO-Prävention und Abwehrbereitschaft gesundheitlicher Notfälle,40 zum anderen der Bericht zur Stärkung der globalen Architektur für Prävention, Abwehrbereitschaft und Resilienz in gesundheitlichen Notfällen.41 Als wichtigste Themenbereiche in diesen Dokumenten gelten:
- Zentralisierte «strukturelle Lösungen»: Aufbau zentralisierter «struktureller Lösungen» auf nationaler Ebene durch Annahme und Umsetzung sogenannter «gesamtstaatlicher» und «gesamtgesellschaftlicher» Ansätze zur Pandemieprävention und -bekämpfung.
- Biomedizinische Überwachung und Austausch von Pathogenen: Der Aufbau einer globalen, digital gestützten biomedizinischen Überwachungsinfrastruktur, um Krankheitserreger, die eine potenzielle Gesundheitsbedrohung darstellen, rasch zu erkennen und darauf mit global koordinierten medizinischen und nichtmedizinischen Gegenmassnahmen reagieren zu können. Zugleich ist eine bessere Umsetzung und Durchsetzung der IGV und des neuen Pandemievertrags durch zentrale Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen geplant.
Bereits jetzt ist die WHO auf die Digitalisierung von Überwachungsinfrastrukturen fokussiert. Dies geschieht etwa über den Aufbau eines Bio-Hubs zum Austausch von Virenproben, genetischen und anderen biologischen Informationen42 sowie interoperabler Systeme zur Speicherung individueller medizinischer und genetischer Information zur Rückverfolgung von Kontaktpersonen und zur globalen Einführung digitaler Impf- und Testbescheinigungen, um sichere Reisen zu ermöglichen.43 Die Schweiz ist federführend an der Bio-Hub-Initiative beteiligt durch Abschluss eines Kooperationsabkommens für das Hochsicherheitslabor in Spiez zum raschen internationalen Austausch von Sars-Viren und anderen Viren mit pandemischen Potenzial.44
Gerechter Zugang zu medizinischen Gegenmassnahmen: Dies könnte die Stärkung der beschleunigten Entwicklung von investigativen Diagnostika, Therapeutika und Impfstoffen und den Ausbau globaler Vertriebs- und Verwaltungssysteme umfassen. Eine Ausweitung der Anwendung der WHO Emergency Use Listing Procedure (EULP),45 die der WHO die globale Verbreitung nicht lizenzierter Medizinprodukte während eines PHEIC ermöglicht, und der Ausbau von öffentlich-privaten Strukturen wie dem Access to Covid-19 Tools Accelerator (einschliesslich Covax),46 über den EUL-Produkte weltweit verbreitet werden, wären in diesem Kontext denkbar. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in der von Cepi vorangetriebenen Initiative wider, die darauf abzielt, innerhalb von 100 Tagen neue Impfstoffe zu entwickeln, herzustellen und weltweit zu verabreichen.47
- Effektive Finanzierung: Die nachhaltige Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung soll garantieren, dass die WHO eine führende operative Rolle bei der globalen Pandemieprävention und -bekämpfung spielt. Dies soll im Zusammenspiel mit internationalen Finanzakteuren wie der Weltbank und mit der Gründung globaler Fonds zur Finanzierung medizinischer Gegenmassnahmen und dem Schutz geistiger Eigentumsrechte erreicht werden.
- One Health: Integration des One-Health-Konzepts, um sicherzustellen, dass Gesundheitsrisiken durch neu auftretende Krankheiten zoonotischen Ursprungs beziehungsweise die Klimaveränderung in Zukunft verringert werden. So werden das Szenario einer gesundheitlichen Bedrohung und der dazugehörige Regelungsbedarf durch den neuen Pandemievertrag weit ausgedehnt unter der Annahme, dass es in naher Zukunft zu einer noch nie dagewesenen Häufigkeit globaler Gesundheitsbedrohungen mit pandemischem Potenzial durch die menschliche Interdependenz mit der Tierwelt sowie durch Klimaveränderungen kommen wird.48
- Infodemic Management: Konzentrierte Massnahmen gegen die Verbreitung von medizinischen Fehlinformationen und Desinformationen sowohl auf nationaler als auch globaler Ebene. Dies würde bestehende WHO-Aktivitäten im Bereich Infodemic Management49 verfestigen und ausbauen.
2. Kritikpunkte und Ausblick
Bislang fehlt ein kritischer Diskurs über die Schattenseiten der starken Fokussierung auf Sicherheit und der weiteren Zentralisierung des globalen Pandemiemanagements mit der GHS-Doktrin. Diese Problematiken drohen sich bei der Annahme der sich abzeichnenden inhaltlichen Schwerpunkte des neuen Pandemievertrags weiter zu verschärfen.
So wird erstens die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Regelungsschwerpunkte des neuen Pandemievertrags mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten und der WHO nicht diskutiert. Konflikte zeichnen sich hier aber klar ab. Ein geplanter Aufbau eines globalen, digitalen biomedizinischen Überwachungssystems wird kaum mit der Aufrechterhaltung des Menschenrechts auf Privatleben50 und mit Datenschutzverordnungen,51 speziell zum besonderen Schutz medizinischer Daten, vereinbar sein. Infodemic Management und die damit einhergehende Zensurpolitik gerät mit dem Schutz des Menschenrechts auf freie Meinungsäusserung52 und jenem auf Wissenschaft53 in Konflikt. Die vorgesehene Verfestigung notfallbedingter weltweiter Verbreitung und Verabreichung nicht lizenzierter Impfstoffe, Therapeutika und Diagnostika kann staatlichen Verpflichtungen aus dem Recht auf Gesundheit,54 welches das Recht auf Zugang zu effektiven und sicheren Arzneimitteln einschliesst, widersprechen. Zudem könnten bewährte Standards für die sichere Zulassung von Medikamenten durch die Ausweitung von Notfallzulassungen unterlaufen werden. Auch demokratische Prinzipien wie die Gewaltenteilung und das Legalitätsprinzip können über «gesamtstaatliche» und «gesamtgesellschaftliche» Ansätze zur Pandemieprävention und -bekämpfung schnell ausgehebelt werden.
Zweitens bleiben Anzeichen in den Verhandlungen unberücksichtigt, dass GHS-basierte medizinische und nichtmedizinische Gegenmassnahmen, die während des Covid-19-PHEIC weltweit implementiert wurden, aller Voraussicht nach mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben. Dies trifft etwa für Lockdowns zu 55 und stellt sich auch für die globale Impfkampagne mit neuartigen Impfstoffen als wahrscheinlich heraus.56
Zuletzt bleibt anzumerken, dass auch eine grundsätzliche Frage, die sich aus den beiden genannten problematischen Punkten ergibt, nicht Teil der Verhandlungsdiskussionen zu sein scheint: die Frage, ob nicht eine Rückkehr zu einem Pandemiemanagement sowohl effektiver als auch humaner ist, das anstatt auf technokratische Zentralisierung auf globaler Ebene auf das Subsidiaritätsprinzip setzt und damit gesamtheitliche und systembasierte Ansätze des Gesundheitsschutzes fördert, die primär auf lokale Lösungen, Freiwilligkeit, offene Kommunikation und demokratische Kooperation zwischen Bevölkerung und Gesundheitsbehörden bauen.
1 Entscheidung der World Health Assembly (WHA), «The World Together: Establishment of an Intergovernmental Negotiating Body to Strengthen Pandemic Prevention, Preparedness and Response», SA2(5), 1.12.2021, § 1 Abs. 1.
2 WHO Director-General’s statement at the press conference following IHR Emergency Committee regarding the multi-country outbreak of monkeypox, 23.7.2022.
3 Art. 1 Verfassung der WHO vom 22.7.1946, SR 0.810.1.
4 Siehe cdn.who.int/media/docs/default-source/ac-notices-of-assessment-2022-2023/che_noa_22_23_en.pdf?sfvrsn=c1237b15_3.
5 Top 20 contributors to WHO,cdn.who.int/media/images/default-source/funding/20-21-top-20-overall-contributors-to-who.jpg?sfvrsn=4d983ba1_3.
6 Open WHO, Programme Budget Portal, Contributors.
7 WHO, Transformation Plan & Architecture, 2018.
8 Siehe www.who.int/about/transformation.
9 Siehe www.who.int/westernpacific/about/how-we-work/programmes/who-health-emergencies-programme.
10 IGV, angenommen am 23.5.2005 durch Resolution WHA58.3, Revision of the International Health Regulations, 2509 UNTS 79, in Kraft getreten am 15.6.2007.
11 Siehe Rebecca Katz et al., «Global Health Security Agenda and the International Health Regulations: Moving Forward», in: Biosecurity & Bioterrorism 5/2014, S. 231 ff.; Hans Kluge et al., «Strengthening Global Health Security by Embedding the International Health Regulations Requirements into National Health Systems», in: British Medical Journal Global Health, 1/2018, S. 1 ff.
12 Lorna Weir, «Inventing Global Health Security, 1994–2005», in: Simon Rushton und Yeremy Younde (Hrsg.), Routledge Handbook of Global Health Security, Oxfordshire 2014, S.18 ff.
13 Brett Forshay et al., «Military Participation in Health Security: Analysis of Joint External Evaluation Reports and National Action Plans for Health Security», in: Health Security, 2/2021, S. 173 ff.
14 WHO, Multisectoral preparedness coordination framework, 2020.
15 Scott L. Greer et al., «Who is in Charge and Why? Centralisation within and between Governments», in: Eurohealth, 2/2020 S. 99 ff.
16 Volker Hartmann, «… eine enorm fordernde Aufgabe …», Interview mit Dr. Hans-Ulrich Holtherm, in: Wehrmedizin und Wehrpharmazie, 4/2020, S. 4 ff.
17 Johannes Weichhart, «Gecko-General im Tarnanzug: Soldaten sehen aus, wie sie halt so aussehen», in: Kurier, 7.1.2022.
18 Christian Kreuder-Sonnen, «Emergency Powers of International Organizations: Between Normalization and Containment», Oxford 2019, S. 152 ff.
19 Ana Ayala et al., «Advancing Legal Preparedness through the Global Health Security Agenda», in: Journal of Law, Medicine and Ethics, 1/2022, S. 200 ff.
20 Art. 2 IGV.
21 Vgl. Art. 6 und Art. 7 Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz), SR 818.101.
22 Bundesamt für Gesundheit, Internationale Gesundheitssicherheit.
23 WHO Director-General’s panel remarks at the Group of Friends of Global Health, 25.4.2022; WHO Director-General’s opening remarks at the Public Hearing regarding a new international instrument on pandemic preparedness and response, 12.4.2022.
24 Medienmitteilung von Präsident Charles Michel über einen internationalen Vertrag betreffend Pandemien, 3.12.2020; Stellungnahme der Mitglieder des Europäischen Rates betreffend Covid-19 und Gesundheit, 25.2.2021.
25 Gavi, The Future of Global Pandemic Security: Navigating Shifting Landscapes – a Gavi White Paper, 26.11.2021.
26 Rede des CEPI CEO, Richard Hatchett, on the emergence of Omicron variant at today’s World Health Assembly special session, 29.11.2021.
27 Resolution WHA73.1, Covid-19 Response, 19.5.2020, § 9 Abs. 10.
28 Global Preparedness Monitoring Board (GPMB), From Worlds Apart to a World Prepared, Annual Report 2021; WHO, Report of the Review Committee on the Functioning of the International Health Regulations (2005) during the Covid-19 Response, A74/9 Add.1, 5.5.2021; Report of the Independent Oversight and Advisory Committee for the WHO Health Emergencies Programme, A74/16, 5.5.2021; Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response (IPPPR), «Covid-19: Make it the Last Pandemic», in: Report,5.2021.
29 IFPMA, Preparing Society against Future Pandemics, Policy Perspectives from the Innovative Biopharmaceutical Industry, 18.10.2021, S. 3.
30 Medienmitteilung des Bundesamts für Gesundheit, Bundesrat Berset eröffnet die Weltgesundheitsversammlung der WHO, 24.5.2021.
31 Swissinfo, «Schweiz für globalen Pandemie-Vertrag – Berset eröffnet WHO-Treffen», 24.5.2021; NZZ, «Die Welt hat in der Pandemie viel Lehrgeld bezahlt. Wird die WHO davon profitieren?», 5.8.2021.
32 Inb.who.int.
33 Entscheidung SSA2(5), a.a.O., §1 Abs. 1.
34 Siehe Report WHO-INB, Working Draft, Presented on the Basis of Progress Achieved, for the Consideration of the Intergovernmental Negotiating Body at its Second Meeting, A/INB/2/3, 13.7.2022.
35 Entscheidung SSA2(5), a.a.O., §1 Abs. 5.
36 Entscheidung der WHA, Strengthening WHO Preparedness for and Response to Health Emergencies, WHA75(9), 27.5.2022, § 2. Siehe auch den begleitenden Bericht, einschliesslich des Entscheidungsvorschlags an die WHA: WHO, Strengthening WHO Preparedness for and Response to Health Emergencies, Report of the Director-General, A75/17, 23.5.2022, § 39.
37 Für eine Analyse, siehe: Silvia Behrendt und Amrei Müller, «The Far-reaching US Proposals to Amend the International Health Regulations at the Upcoming 75th World Health Assembly: A Call for Attention», in: EJIL:Talk!, 18.5.2022.
38 INB, Working Draft, 13.7.2022, a.a.O.
39 INB, Summary Report on the Results of the INB Digital Platform, A/INB/1/9, 3.6.2022.
40 Report A75/17 (23.5.2022), a.a.O.
41 WHO, Strengthening the Global Architecture for Health Emergency Preparedness, Response and Resilience, Report by the Director-General, A75/20, 23.5.2022.
42 WHO, Biohub, www.who.int/initiatives/who-biohub; WHO, Strengthening Pandemic Preparedness Planning for Respiratory Pathogens, Policy Brief, 27.4.2022, S. 3. WHO, Global Genomic Surveillance Strategy for Pathogens with Pandemic Potential, 2022–2032, 28.3.2022.
43 WHO, Digital Documentation of Covid-19 Certificates: Vaccination Status – Technical Specifications and Implementation Guidance, 27.8.2021; WHO, Digital Documentation of Covid-19 Certificates: Test Result – Technical Specifications and Implementation Guidance, 31.3.2022.
44 WHO and Switzerland Launch Global BioHub for Pathogen Storage, Sharing and Analysis, 21.5.2021.
45 WHO, Emergency Use Listing Procedure, Version 13.2020.
46 WHO Act-Accelerators:www.who.int/initiatives/act-accelerator.
47 100 Days Initiative:100days.cepi.net.
48 WHO, One Health, 21.9.2017; John Mackenzie und Martyn Jeggo, «The One Health Approach – Why is it so Important?», in: Tropical Medicine and Infectious Disease, 4/2019, S. 1 ff.
49 www.who.int/health-topics/infodemic.
51 Art. 8 EMRK; Art. 17 UN-Zivilpakt.
51 Z. B. die EU General Data Protection Regulation (GDPR).
52 Art. 10 EMRK; Art. 19 UN-Zivilpakt.
53 Art. 15 Abs. 1 lit. b UN-Sozialpakt.
54 Art. 12 UN-Sozialpakt.
55 Siehe z. B. Jonas Herby et al., «A Literature Review and Meta-Analysis of the Effects of Lockdowns on Covid-19 Mortality», in: Studies in Applied Economics, 200/2022, S. 1 ff.
56 Siehe z. B. Stephanie Seneff et al., «Innate Immune Suppression by Sars-CoV-2 mRNA Vaccinations: The Role of G-quadruplexes, Exosomes, and MicroRNAs», in: Food and Chemical Toxicology, 164/2022 S. 1 ff.; Joseph Fraiman et al., «Serious Adverse Events of Special Interest Following mRNA COVID-19 Vaccination in Randomized Trials in Adults», in: Vaccines, 40/2022, S. 5798 ff.