Die Bewertung des Arbeitgebers im Internet, Weisungen bei bedingten Strafen und deren Verhältnis zu den Massnahmen oder der neurechtliche Schuldbrief und das Doppelzahlungsrisiko: Immer wieder greifen Masterarbeiten neue, kaum erforschte Themen auf und bereichern mit ihren Erkenntnissen Wissenschaft und Praxis. Allzu viele dieser Perlen verstauben aber in Schubladen und werden kaum zur Kenntnis genommen – selbst wenn es sich um herausragende Arbeiten mit Bestnoten handelt. Für die Studentinnen und Studenten eine verpasste Chance. Sie könnten mit einer publizierten, von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommenen Masterarbeit ihre beruflichen Chancen erhöhen.
Professoren und Studenten erkannten das Manko und bemühen sich um Abhilfe. Die Publikationsmöglichkeiten für sehr gute Masterarbeiten nehmen zu, nicht zuletzt dank digitaler Kanäle. Zu den bekannten und bereits etablierten gedruckten Erzeugnissen gehören die Reihen «Recht in privaten und öffentlichen Unternehmen» (RiU) sowie «Impulse».
Autoren zahlen an die Kosten der Bücher
Hinter RiU stehen die drei Professoren Roland Müller und Thomas Geiser aus St. Gallen sowie Kurt Pärli von der Uni Basel. Konzipiert wurde die Reihe 2011 von Roland Müller. Er habe realisiert, sagt Müller, dass er an den Universitäten St. Gallen und Bern pro Jahr rund 20 Masterarbeiten und 5 Dissertationen betreue. «Das sind bis heute über 300 wissenschaftliche Arbeiten.» Leider seien die meisten Masterarbeiten nicht publiziert worden, auch wenn sie als ausgezeichnet qualifiziert worden seien.
Die RiU-Reihe wird vom Dike Verlag publiziert. Bisher erschienen 24 Bände, zwei weitere sind laut Müller in Vorbereitung. Die Reihe soll Erkenntnisse und Optimierungsvorschläge für private und öffentliche Unternehmen verbreiten, vor allem in der Schnittstelle Recht und Betriebswirtschaft. Die Masterarbeiten werden ungekürzt publiziert. Ein jüngeres Beispiel ist die erwähnte Schrift über die Bewertung des Arbeitgebers im Internet, verfasst von Betty-Annett Meier.
Gratis ist die Publikation für die Studenten nicht. Sie müssen sich an den Kosten beteiligen und können dabei zwischen zwei Varianten entscheiden. Übernehmen sie die vollen Herstellungskosten, erhalten sie ab dem ersten verkauften Exemplar 40 Prozent des Verkaufspreises, bei einer anteiligen Übernahme der Herstellungskosten erst ab dem 101. verkauften Exemplar. Für eine Masterarbeit im Umfang von 100 Seiten bewegen sich die Kosten zwischen 1500 und 2500 Franken, «je nach Aufwand des Verlags und Grösse der Auflage», sagt Müller. Falls einem Studenten die Kosten zu hoch seien, helfe meist die Stiftung Board Foundation weiter, «sofern es sich um ein Thema handelt, das in ihr Gebiet fällt.» Die Leser zahlen für die RiU-Bände 40 bis 90 Franken.
Roland Müller gibt neben RiU auch noch die Schriften zur Luftfahrt (CFAC) heraus, zusammen mit Andreas Wittmer von der Uni St. Gallen, ebenfalls bei Dike. In dieser Reihe werden ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeiten von Studenten aus dem Gebiet des Luftrechts publiziert. Hier ist eine finanzielle Unterstützung des Centers for Aviation Competence der Uni St. Gallen möglich.
Aus ähnlichen Motiven wie Roland Müller wurde der Basler Zivilrechtsprofessor Thomas Sutter-Somm zum Herausgeber der Reihe «Impulse», einer weiteren Publikationsmöglichkeit für herausragende Masterarbeiten. «Impulse» erscheint seit 2015 und wird vom Zürcher Schulthess-Verlag vertrieben. In dieser Reihe erschienen bereits 40 Masterarbeiten. Sutter-Somm publiziert Arbeiten aus allen Rechtsgebieten und kooperiert mit Professorinnen und Professoren aus der ganzen Schweiz, die ihm ihre «Perlen» empfehlen. Eine davon ist beispielsweise «Die Medienöffentlichkeit der Strafjustiz ausserhalb des Hauptverfahrens» von Luca Schoop. Oder die Arbeit über den Schuldbrief von Kevin Patrick MacCabe – der erste «Impulse»Band und «einfach ein auffallend gutes Werk zu einem damals noch wenig bearbeiteten Thema», sagt Sutter-Somm.
Eine Publikation in der Reihe «Impulse» kostet die Autorinnen und Autoren nichts. Sie erhalten aber auch keinen Anteil am Verkaufserlös. Ein «Impulse»-Band kostet die Leser knapp 50 bis gut 80 Franken. Er verdiene nichts an der Reihe, sagt Sutter-Somm. Es gehe ihm darum, dass die aussergewöhnlich guten und innovativen Arbeiten in die Rechtswissenschaft einflössen. Der Basler Professor prüft persönlich jedes Manuskript. Die Studenten müssen dem Verlag druckreife Vorlagen abliefern.
Bei Internetpublikationen wird die Kostenfrage für Herausgeber und Autoren deutlich entschärft. Ein bekannter Player in diesem Segment ist die Editions Weblaw (www.weblaw.ch), die in ihrem Magister-Programm herausragende Masterarbeiten publiziert – für Autoren und Leser gratis. «So kann die rasche Verbreitung akademischer Arbeiten gefördert und der Wissenstransfer unterstützt werden», sagt Anna Steger von Weblaw. Die Studenten würden zudem aufgefordert, ihre publizierten Masterarbeiten mit einem Beitrag im Jusletter zu ergänzen, damit die Inhalte noch weiter gestreut werden. Mit Stolz weist Steger darauf hin, dass sogar das Bundesgericht hin und wieder aus publizierten Masterarbeiten zitiere.
Gekürzte Versionen gratis im Internet
Zu den jüngeren Plattformen im Onlinebereich, die sich einem kompromisslosen Open Access verschrieben haben, gehört die Zeitschrift Sui-generis.ch. Der St. Galler Assistenzprofessor Daniel Hürlimann gehört zu den Mitbegründern. Sui-generis veröffentlicht seit Ende August 2014 rechtswissenschaftliche Beiträge, darunter auch Masterarbeiten in gekürzten Versionen. Ein Beitrag auf Sui-generis.ch dürfe nicht mehr als 40 000 Zeichen umfassen (rund 15 Seiten), sagt Hürlimann. Die Publikation erfolge gratis, es werde kein Honorar entrichtet. Bisher wurde laut dem Assistenzprofessor ein halbes Dutzed Masterarbeiten in einer Kurzfassung aufgeschaltet – beispielsweise «Weisungen bei bedingtem Strafvollzug und deren Verhältnis zu Massnahmen» von Luca Ranzoni. Eingereichte Arbeiten durchlaufen ein Peer-Review-Prozedere. Zum 44-köpfigen Peer-Review-Board gehören unter anderem Isabelle Wildhaber, Marc Thommen, Astrid Epiney und Peter Albrecht.
Zu all diesen gedruckten und digitalen Angeboten kommen zwei weitere Publikationsmöglichkeiten. Sie wurden von Studenten initiiert. Die neuste existiert erst seit wenigen Wochen, stammt aus der Universität Luzern und heisst «Cognitio – studentisches Forum für Recht & Gesellschaft». Die Zeitschrift soll mindestens zweimal im akademischen Jahr erscheinen, und zwar online als Open-Access-Publikation. Dario Picecchi vom Redaktionsteam sagt, «Cognitio» stehe auch für leicht gekürzte Masterarbeiten zur Verfügung, ohne Kostenfolge und ohne Ausrichtung von Honoraren: «Wir publizieren zudem andere qualitativ hochstehende Abschlussarbeiten, also auch Bachelorarbeiten oder Seminararbeiten.»
Der erste Beitrag in der neuen Zeitschrift stammt von BLaw Xavier Grivel. Er schreibt über «Die Steuerungskrise des Rechts und die Prozedualisierung – eine Analyse anhand der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit». Die eingereichten Abstracts durchlaufen bei «Cognitio» ein mehrstufiges Prüfungsprozedere, bei dem ein wissenschaftlicher Beirat miteinbezogen wird. Der Beirat setzt sich aus Professorinnen, Professoren, Oberassistentinnen und Lehrbeauftragten der Uni Luzern zusammen, darunter Strafrechtsprofessor Andreas Eicker sowie Rechtsphilosoph und Wirtschaftsrechtsprofessor Malte Gruber.
Aus der Universität Freiburg stammt wiederum «Quid?», die «Fribourg Law Review». Sie wurde 2014 von Studentinnen und Studenten gegründet und publiziert juristische Fachartikel aus Freiburg, unter anderem auch gekürzte Masterarbeiten. Die Auswahl durchläuft laut Simon Mazidi vom Redaktionskomitee ein Peer-Review, und die Publikation ist für die Studenten kostenlos. Honorare werden nicht entrichtet. «Quid?» ist eine mehrsprachige Zeitschrift (Französisch, Deutsch, Italienisch und Englisch), die sowohl in gedruckter wie digitaler Form einmal pro Semester erscheint. Die gedruckten Exemplare liegen in den rechtswissenschaftlichen Bibliotheken der Universitäten Freiburg und Bern zur Lektüre auf.
Simon Mazidi weist daraufhin, dass die «Quid?»-Beiträge seit kurzem auch über die Datenbank Swisslex verfügbar seien. Das ist in der Tat eine gute Voraussetzung dafür, dass die studentischen Perlen von der Rechtswissenschaft auch tatsächlich gefunden werden können.