1. Verstecke die Anträge!
Statt sie hervorzuheben und zu nummerieren, verstecke sie im Lauftext. Der Richter wird wie beim Ostereiersuchen aufjauchzen, wenn er wieder einen Antrag findet, den er sich fein säuberlich rausschreiben kann.
2. Hole weit aus!
Am besten beginnst du mit der Kolonialisierung. Die meisten heutigen Fluchtbewegungen gehen auf Fehler der Kolonialmächte zurück. Wenn du die Mitschuld der Schweiz miteinpacken kannst, umso besser!
3. Sei ausführlich!
Der Richter mag es, wenn er die Beine aufs Pult legen und sich eine Stunde der Lektüre widmen kann. Eine lange Beschwerdeschrift hat auch den Vorteil, dass du vom Klienten mehr verlangen kannst.
4. Vermeide Ordnung!
Chronologie, Kausalität, logischer Aufbau – das ist was für Dummköpfe. Chaos ist die Lebens- und Denkensform von Genies.
5. Nimm die männliche Form!
Die meisten Richter sind Männer! Dass es in den beiden Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts anders ist, ändert nichts daran, dass Gerichtspersonen in der Regel männlich sind. Im Übrigen wird sich eine Frau Richterin freuen, wenn sie als Herr Richter angesprochen wird. So fühlt sie sich aufgewertet!
6. Wiederhole dich!
Nicht einmal, sondern immer wieder. Der Richter schätzt es, das Gleiche nochmals und nochmals zu lesen. Er erinnert sich dann nostalgisch an die Schule, wo der Lehrer auch alles mehrmals sagte.
7. Meide Übereinstimmung!
Die Begründung ist das eine, die Anträge sind das andere. Das hat miteinander nichts zu tun. Versuch nicht, einen Bezug herzustellen oder die gleiche oder eine ähnliche Reihenfolge einzuhalten.
8. Schreibe eng!
Wähle den kleinstmöglichen Zeilenabstand. Fülle die Seiten oben, unten, links und rechts bis zum Rand. Der Richter denkt sich dann: «Was für ein sparsamer Beschwerdeschreiber!» Und korrigiere deinen Computerausdruck von Hand. Glossiere, postglossiere und ergänze handschriftlich, was du in die schmalen Zwischenräume deiner getippten Zeilen einfügen kannst. Notfalls mit Hilfe von Pfeilchen und Sternchen.
9. Ergänze die Beschwerde!
Nicht einmal, mehrmals! Je mehr Post – Ergänzungen, Nachträge, Beweise oder auch nur (absichtlich) vergessene Seiten – der Richter erhält, desto besser mag er dich. Seine Zuneigung lässt er auch deinem Klienten angedeihen.
10. Verachte die Richter!
Die in St. Gallen machen eh, was sie wollen. Du kannst das gleich hinschreiben. Das fördert die Motivation des Richters. Er soll spüren, wie wenig du von ihm hältst. Schliesslich hat er ein stolzes Beamtengehalt, während du dir mit dem Engagement für die Schwachen und Verfolgten den Suppenteller nur zur Hälfte füllen kannst. Lass ihn das moralische Gefälle spüren!