plädoyer: Haben Professoren zu wenig zu tun, dass sie Verwaltungsratsmandate annehmen?
Peter Forstmoser: Juristen müssen mit dem Leben im Kontakt stehen. Das ist für Profes soren ausdrücklich festgehalten: In den Anstellungsbedingungen der meisten Universitäten wird ein Freiraum für Tätigkeiten ausserhalb der Lehranstalt eingeräumt. In Zürich beispielsweise ist dies ein Tag pro Woche. In praktischen Tätigkeiten stellen sich ähnliche Fragen wie in der Lehre. Das habe ich schon häufig erlebt.
Thomas Geiser: In St. Gallen müssen wir acht Stunden pro Woche lehren, in Zürich sechs. Das ist relativ wenig. In der übrigen Zeit sollte man wissenschaftlich tätig sein. Zur Feldforschung in der Rechtswissenschaft gehört auch ein Praxisbezug. Verwaltungsrat ist eine Möglichkeit.
plädoyer: Hat ein Professor,der in mehreren Stiftungs- und Verwaltungsräten sitzt, Bücher schreibt und Gutachten verfasst, noch Zeit für seine Studierenden und für die Lehrtätigkeit?
Forstmoser: Ich habe bis heute fast 200 Doktoranden betreut und immer acht bis elf Stunden vorgelesen - nicht nur die verlangten sechs.
Geiser: Nach meiner persönlichen Erfahrung sind nicht die Nebentätigkeiten das Problem, sondern die Berufsauffassung des Professors. Wenn zum Beispiel jemand an alle möglichen internationalen Kongresse reist, ist er vermutlich weniger präsent als jemand, der eine wissenschaftsnahe Nebentätigkeit hat.
plädoyer: Zahlen die Universitäten also den vollen Lohn für einen 80-Prozent-Job? Oder geben Professoren einen Teil des Honorars an die Uni ab?
Forstmoser: Ich erhielt lange Jahre nur 80 Prozent des Professoren-Gehaltes und musste 100 Prozent arbeiten. Ich hatte meine Aufgaben in Forschung und Lehre zu erfüllen, was ich sehr gerne machte, aber auch in der Administration. Ich habe wohl jedes Protokoll geschrieben, das man an der Uni schreiben kann. Heute ist die Situation anders: Die Professoren müssen etwas abgeben, wenn sie die Infrastruktur benützen.
Geiser: In St. Gallen läuft vieles über die Institute, dorthin gehen auch die Honorare für Gutachten im Rahmen der Institutstätigkeit.
plädoyer: Das Honorar geht also an das Institut, nicht an den Professor?
Geiser: Ja, und die Professoren können bis zu einem Viertel des Gehalts als Institutsdirektoren zusätzlich verdienen. Sie müssen das aber erwirtschaften. Dann gibt es die Nebentätigkeiten ausserhalb des Institutes, bei denen es keine Abgabepflicht gibt. Privat laufen auch nebenamtliche Richtertätigkeiten, politische Mandate oder Verwaltungsratsmandate. Soweit die Infrastruktur des Instituts dafür gebraucht wird, ist diese selbstverständlich zu vergüten. Dass Leute wirtschaftlich tätig sind und Einkünfte erzielen, ist auch ein Vorteil für die Universität.
Forstmoser: In dieser Hinsicht hat ein Umdenken stattgefunden. In meinen frühen Jahren als Professor schlug ich einmal vor, dass ich mich selber finanziere. Ich hätte als Wirtschaftsrechtler zweimal pro Jahr ein Symposium organisiert mit erstklassigen Leuten - und mein Lehrstuhl wäre bezahlt gewesen. Damals hat man mir gesagt, das sei eine Prostitution der Universität. Heute ist es umgekehrt: Es wird zwar gefragt: Wie ist der Kandidat wissenschaftlich qualifiziert? Die zweite Frage aber ist: Was bringt er an Finanzen ein? Das ist eine gefährliche Entwicklung.
Geiser: Da kommen wir zu einem zentralen Punkt: Ist ein Professor, der Drittmittel für die Universität einbringen muss und dann beispielsweise mit Stiftungen arbeitet, die teilweise mit Firmen liiert sind, noch unabhängig?
plädoyer: Welche Anforderungen würden Sie an einen Professor stellen? Und an seine Unabhängigkeit?
Geiser: Praxiserfahrung. Diese kann in einer Tätigkeit an einem Gericht, in der Advokatur, in der Verwaltung oder in der Wirtschaft bestanden haben. Die Bedeutung eines solchen Praxisbezuges istbei einer Berufung relevant, auch wenn die Person vielleicht weniger publiziert hat.
Forstmoser: Für mich ist zentral, dass jemand von seinem Fach fasziniert ist. Wichtig ist auch, ob er gerne mit Studierenden arbeitet. Praxis ist für Juristen auch wichtig. Erst am Schluss sollte man fragen, ob jemand Mittel einbringt.
plädoyer: Nochmals, wie wichtig ist Unabhängigkeit?
Geiser: Bei jungen Leuten kann dies nicht beurteilt werden. Bei älteren Leuten stellt sich die Frage hingegen ernsthaft. Es gibt Leute, die klar ein bestimmtes Interesse vertreten. Das ist ein Problem.
Forstmoser: Recht findet in einem gesellschaftlichen Umfeld statt. Das heisst auch, dass sich Juristen nie lösen können von ihrem Vorverständnis, von ihren Erfahrungen. Zudem: Wenn man sich mit den Problemen einer Person intensiv befasst, hat man plötzlich Verständnis für deren Position. Sehr wichtig ist deshalb Transparenz. Und dass man die eigene Position hinterfragt.
Geiser: Wer behauptet, kein Vorverständnis zu haben, der lügt. Das Vorverständnis kann wirtschaftliche Fragen betreffen. Noch vielmehr vom Vorverständnis betroffen werden aber Fragen im Familien- und Erbrecht. Deshalb ist Transparenz sehr wichtig, aber auch sehr schwierig. Man kann ja nicht dauernd eine Familienanamnese machen, bevor man sich zu einem Thema äussert. Ein viel grösseres, aber ganz anderes Problem ist die Fremdsteuerung: Diese liegt vor, wenn jemand sich bei einer neuen Frage zuerst fragt, für wen welche Betrachtungsweise günstiger ist. Er lässt sich in seiner wissenschaftlichen Meinungsäusserung davon leiten, welche Meinung jenen Personen mehr dient, zu denen er bestimmte Bindun-gen - wirtschaftliche oder private- hat. Diese Bindungen sind nach aussen häufig dann gar nicht erkennbar und die Meinungsäusserung kommt als wissenschaftliche Überzeugung daher, obgleich sie dies gar nicht ist.
Forstmoser: Einverstanden. Ich kann eine andere Facette beifügen: Oft nimmt man zuerst wissenschaftlich Stellung - und dann erst kommen Anfragen. Dann ist man praktisch gebunden an das, was man gesagt hat. Ich denke, ich habe ebenso viele Gutachten abgelehnt wie angenommen. Denn ich kann doch nicht etwas in einer wissenschaftlichen Publikation vertreten, dann aber in einem Gutachten die gegenteilige Meinung äussern. Ausser in den ganz seltenen Fällen, in denen ich klüger geworden bin.
Geiser: Problematisch finde ich den Fall, wenn man zuerst bei der Verfassung eines Gutachtens auf eine Frage stösst, dort - nicht publiziert - eine Meinung vertritt und nachher diese Meinung in einem wissenschaftlichen Aufsatz publiziert, ohne auf den Zusammenhang mit dem Gutachtensauftrag hinzuweisen. Nach aussen ist dann nicht erkennbar, weshalb man zu dieser Meinung gekommen ist. Und es kann eine Hemmschwelle entstehen, die Meinung zu ändern.
Forstmoser: Ich denke, es gehört heute zum guten Stil, dass man sagt, wie man zu einer Meinung gekommen ist.
Geiser: Das wäre guter Stil, er ist aber nicht sehr verbreitet. Es gibt viele Anwälte, Professoren, aber auch Richter und Gerichtsschreiber, die publizieren, ohne bekannt zu geben, dass sie in den Fall involviert waren.
plädoyer: Herr Forstmoser, Sie haben öfters in den Medien Ihre Skepsis gegenüber der Stärkung von Aktionärsrechten geäussert. Kommen Sie da nicht in Konflikt mit Verwaltungsratsmandaten?
Forstmoser: Ich habe auch einen Vorschlag gemacht zur Stärkung der Aktionärsrechte, der radikaler ist als alle Vorschläge, die momentan diskutiert werden: Mir schwebt vor, dass die Aktionäre aus ihrer Mitte Ausschüsse für bestimmte Fragen - etwa die Salärpolitik - wählen können. Diese sollen sich aus Aktionärssicht vertieft mit einem Problem befassen und dann en connaissance de cause die Aktionärsinteressen gegenüber dem Verwaltungsrat vertreten. Es geht mir nicht darum, den Einflussder Aktionäre zu schmälern. Ich möchte vielmehr, dass sie in einer informierten und wirksamen Art Einfluss nehmen. Dagegen haben Verwaltungsräte wohl nichts einzuwenden.
plädoyer: Auch bei Ihnen, Herr Geiser, hat ein VR-Mandat Schlag-zeilen gemacht. Inwiefern könnten Ihre Auffassungen als Arbeitsrechtler an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn dieses Unternehmen einen wenig angestelltenfreundlichen Ruf hat?
Geiser: Für mich ist dieses VR-Mandat bei Aldi finanziell nicht interessant - ein paar Fälle mehr am Bundesgericht wären lukrativer. Ich nahm dieses Mandat an, weil ich einen Ruf als arbeitnehmerfreundlicher Arbeitsrechtler habe und es mir ein Anliegen ist, die andere Seite zu sehen. Ich kann mich nicht glaubwürdig für Verbesserungen des Arbeitnehmerschutzes einsetzen, wenn ich nicht auch die Arbeitgeberseite kenne.
plädoyer: Inwiefern wurden Ihre juristischen Ansichten geprägt von der Arbeit in Verwaltungs räten, Herr Forstmoser?
Forstmoser: Ich musste und muss mich dabei oft mit Rechtsfragen auseinandersetzen, bei denen es nicht um eine Position auf der einen oder anderen Seite geht, sondern darum, eine praktikable Lösung zu finden. Wenn man in meinen Büchern Antworten zu Fragen der Praxis findet, zeugt dies oft von solchen Erfahrungen. Ich betreue übrigens nicht nur Verwaltungs- und Stiftungsratsmandate. Ich habe als Anwalt auch Minderheitsaktionäre vertreten, habe versucht, in KMU eine vernünftige Ordnung herzustellen - all dies hat mich geprägt.
plädoyer: Haben Sie in diesen Nebentätigkeiten Dinge gelernt, von denen Ihre Studierenden profitieren können?
Geiser: Ja. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich als einer der Ersten zum Konzernarbeitsrecht publiziert habe. Ausgangspunkt davon war ein Gutachten, in dem ich auf das Problem gestossen bin. Für die Forschung ergiebig erwies sich das ganze Umfeld der eigentlichen Fragestellung. Dieses zeigte mir die Komplexität des Konzernarbeitsrechts auf. So fliessen Erkenntnisse aus der Nebentätigkeit ein in Lehre und Forschung. Bezüglich der Erfahrung und der Unabhängigkeit gibt es aber ein weiteres, ernsteres Problem: Professoren, die in der Gesetzgebung tätig sind und dann zu diesem Gesetz keine kritische Distanz mehr haben.
Forstmoser: Ich gestehe, dass ich auch schon bei Gesetzen mitwirkte und mir nachher eingestehen musste, dass wir keine besonders kluge Regelung erarbeitet hatten.
plädoyer: Haben Sie Strategien, um Ihre Unabhängigkeit zu bewahren?
Geiser: Ich schaue immer, dass ich mit Leuten zusammenarbeite, die meine Meinung nicht unbedingt teilen.
Forstmoser: Meine Strategie ist: Ich lehne Anfragen ab, wenn ich nicht dahinterstehen kann.
plädoyer: Was befähigt Juristen eigentlich speziell, in Verwaltungsräten zu sitzen. Sind Rechtsprofessoren gute Unternehmer?
Forstmoser: Früher war das Verwaltungsratsmandat oft eine administrative Aufgabe - auch weil bis vor zwei Jahren gesetzlich vorgeschrieben war, dass eine Schweizer AG im VR eine Mehrheit von Schweizer Bürgern mit Wohnsitz in der Schweiz haben musste. Das ist vorbei. Der VR ist ein Team,in dem jedes Mitglied bestimmte Kompetenzen abdeckt. Jedes Mitglied bringt spezifische Kenntnisse mit. Ich bin seit mehr als dreissig Jahren in einem Technologie-Unternehmen im VR. Ich verstehe wenig von Maschinen, kann aber mithelfen, dass man mit dem Gesetz im Reinen ist, die Strukturen stimmen und das Organisationsreglement Sinn ergibt.
Geiser: Ein Unternehmen hat viele rechtliche Rahmenbedingungen. Da ist es sinnvoll, dass auch im obersten Gremium Leute sitzen, die diese kennen.
plädoyer: Die Migros bezahlt einen Lehrstuhl in St. Gallen. Der Professor kommt in einem Gutachten zum Schluss, dass der Einkauf in der Schweiz nicht teurer ist als im Ausland. Wie glaubwürdig sind Lehrstühle, die von der Privatwirtschaft gesponsert werden?
Forstmoser: Es gab einen Fall an einer Universität, wo der Sponsor meinte, er habe einen verlängerten Arm in der Wissenschaft - der Lehrstuhl wurde zurückgegeben.
plädoyer: Worin besteht eigentlich das Interesse eines Unternehmens, einen Lehrstuhl an einer Universität zu sponsern?
Forstmoser: Sponsoren können dafür sorgen, dass ein Gebiet wissenschaftlich stärker bearbeitet wird - aber sie können und sollen nicht beeinflussen, was herauskommt. Wichtig ist auch der Zugang zu guten jungen Leuten, die dann vielleicht in einem für den Sponsor wichtigen Gebiet dissertieren.
Geiser: Es gibt Sponsoren, die mitreden wollen. Da gibt es für die Universität nur eines: rausschmeissen. Wenn die Universität so viele gesponserte Lehrstühle hat, dass sie nicht mehr drauf verzichten kann, wird es heikel. Und: Die Universität darf nur bei einem Sponsoring mitmachen, das in ihr Profil passt. Sie kann nicht fragen: «Wer sponsert?» Und dann will jemand - wie es mal geschehen ist - einen Lehrstuhl für Hagelversicherung. Bei den Verwaltungsräten besteht übrigens das gleiche Problem: wenn die Mandate für den Professor wirtschaftlich so bedeutend werden, dass er davon abhängig ist.
Forstmoser: Das hängt mit dem Lebensstil zusammen: Man sollte sich im Leben nie so einrichten, dass man von einem Mandat abhängig wird.
Geiser: Das ist aber relativ unschweizerisch ...
Forstmoser: Es ist aber ziemlich schweizerisch, nicht auf grossem Fuss zu leben.
Geiser: Ich bin erstaunt, wie oft gut verdienende Leute keinerlei Rücklagen haben. Eine solche Person kann es sich nicht leisten, in einem Verwaltungsrat zu sitzen, sonst wird sie abhängig. Ich habe den Verdacht, dass verschiedene Professoren in einer solchen Abhängigkeit stehen - mindestens erwecken sie diesen Verdacht.
Forstmoser: Das ist das Problem: dass zumindest der Eindruck erweckt wird. Was kann man dagegen tun? Transparenz herstellen.
Gesprächsleitung: Corinna Hauri, Anne Sciavilla
Peter Forstmoser, 67, ist emeritierter Professor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich und Honorar-professor der Beijing Normal University. Von 2000 bis 2009 war er Präsident des Verwaltungsrats von Swiss Re. Aktuell ist er Mitglied von neun Verwaltungsräten (PSP Swiss Property AG, Hesta Tex AG in Liquidation, Niederer Kraft & Frey AG, Hyos Invest Holding AG, Mikron Holding AG, Remer Holding AG, Hesta AG, Hema Management AG, Familie Ernst Basler AG) und fünf Stiftungsräten (Alfred Escher Stiftung, Max Schmidheiny Stiftung an der Universität St. Gallen, Gebert Rüf Stiftung, Mastepe-Stiftung, Daniel Gablinger Stiftung).
Thomas Geiser, 58, ist Professor für Privat- und Handelsrecht an der Universität St. Gallen. Er sitzt im Verwaltungs-rat von Aldi Suisse AG und in drei Stiftungsräten (Kuoni Hugentobler Stiftung, FOCAL, SICT).