Hanspeter Thür, das Öffentlichkeitsgesetz ist weitgehend ein Papiertiger. Wer Einblick in amtliche Dokumente will, braucht viel Geduld. Sie fordern eine Revision. Lassen sich die Probleme so lösen?
Das heutige Gesetz sieht vor, dass bei einer Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen zwingend ein Schlichtungsverfahren innert dreissig Tagen durchgeführt werden muss. Diese Frist ist zu kurz angesetzt, um die Aufgabe zu lösen. Unser Vorschlag: Die Frist soll auf jeden Fall verlängert werden, weil in dieser kurzen Zeit eine Mediation, die diesen Titel verdient, nicht zu bewerkstelligen ist. Es ist ausserdem die Frage zu prüfen, ob das Schlichtungsverfahren nicht freiwillig erklärt werden sollte, wenn auch in Zukunft für diese Verfahren nicht mehr personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Heute wird man aber mit einem zwingenden Vermittlungsverfahren auf die lange Bank geschoben und kann den Rechtsweg nach dessen Abschluss beschreiten.
Es liegt also auch an den fehlenden Ressourcen des Öffentlichkeitsbeauftragten, dass das Gesetz weitgehend toter Buchstabe blieb.
Ja, wir haben heute zu wenig Leute für die Durchführung der Vermittlungsverfahren. Gemässchaft waren dafür 3 bis 3,5 Stellen vorgesehen. Bis heute hat der Bundesrat aber keine einzige Stelle bewilligt. Das Schlichtungsverfahren erfüllen wir zurzeit mit einer Stelle aus dem Personenbestand des Datenschutzes und einer halben Stelle aus dem Etat der Bundeskanzlei. Objektiv betrachtet können wir die Gesuche also auch aus personellen Gründen nicht innert der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von dreissig Tagen behandeln.
Im Jahresbericht 2009 ist von nur gerade 41 Schlichtungsanträgen die Rede. Sind die mit dem vorhandenen Personal nicht zu erledigen?
Zunächst müssen wir uns ein Bild davon machen, was überhaupt strittig ist. Welches sind die Argumente der Verwaltung gegen die Offenlegung eines Dokumentes? Oft geht aus dem Gesuch nicht genau hervor, in welches Dokument der Gesuchsteller Einsicht haben will. Bereits in dieser Phase gibt es einen Klärungsbedarf, der einiges an Zeit in Anspruch nimmt. In keinem anderen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren sind ähnlich kurze Fristen bekannt. Folge ist, dass wir vom Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Öffentlichkeitsgesetz dreimal wegen Rechtsverzögerung kritisiert worden sind. Das ist ein unhaltbarer Zustand: Einerseits ist die Politik nicht bereit, die vorgesehenen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um den Gesetzesauftrag zu erfüllen, andererseits hat der Bürger keine andere Wahl als den langwierigen Vermittlungsweg zu gehen.
Wollen die zuständigen Politiker vielleicht gar keinen einfachen und raschen Weg zur Verfügung stellen, um Einsicht in amtliche Dokumente zu erhalten?
Ich habe mich auch schon gefragt, wie ernst das Gesetz überhaupt genommen wird. Zur Erinnerung: Sinn und Zweck des Gesetzes wäre, der Öffentlichkeit den Zugang zu amtlichen Dokumenten zu gewährleisten und dadurch die Transparenz der Verwaltung zu fördern.
Sind denn die abgelehnten Einsichtsgesuche dermassen brisant?
In einem Fall ging es um die umstrittene IV-Checkliste, welche Betrugsfälle in der Invalidenversicherung aufdecken soll. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hatte die Herausgabe des Dokuments verweigert. Es waren umfangreiche Abklärungen nötig, um beurteilen zu können, ob die angeführte Argumentation des Bundesamts zutreffend ist. Schliesslich empfahlen wir die Herausgabe der Liste. Aufwendig sind die Abklärungen deshalb, weil wir mit jedem Fall Neuland betreten. Und wir müssen unseren Entscheid immer präzise begründen. Wir machen die Arbeit aber offenbar gut, denn die meisten Empfehlungen werden von den Ämtern akzeptiert. Und ist dies für einmal nicht der Fall, folgen uns die Gerichte, wenn der Fall weitergezogen wird.
Gab es weitere grundsätzliche Fälle?
Ja, etwa die Verfahren im Zusammenhang mit Medikamenten. Da müssen meist ganze Verträge herausverlangt werden. Dabei wird stets der Einwand erhoben, es handle sich um Geschäftsgeheimnisse. Wir überprüfen minuziös, welche Stellen unter die Ausnahmebestimmung fallen und empfehlen, diese einzuschwärzen. Dieses Vorgehen wählen wir in Fällen, wo eine Ausnahmebestimmung geltend gemacht wird. Das ist zeitaufwendig. Von grundsätzlicher Bedeutung war auch die Frage, ob ausserparlamentarische Kommissionen dem Öffentlichkeitsgesetz unterliegen. Die Verwaltung verneinte es. Auch da stellten sich rechtlich heikle Fragen, die in unserem Sinne geklärt wurden.
Sie wollen auch das Datenschutzgesetz revidieren. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Insbesondere in zwei Bereichen: Einerseits braucht es eine Vorabkontrolle für bestimmte Techno-
logien und sensible Systeme. Bei Online-Diensten wie Google Street View etwa stellen wir immer wieder fest, dass die Bürger meinen, wir seien eine Genehmigungsinstanz. Sind wir aber nicht. Wenn man das will, muss auch in diesem Punkt das Gesetz geändert werden. Andererseits sind die Untersuchungskompetenzen des Datenschutzbeauftragten zu stärken und Sanktionsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Letztere fehlen uns noch - im Unterschied zu anderen europäischen Ländern.
Wo liegen die datenschutzrechtlichen Herausforderungen in nächster Zukunft?
Etwa bei den neuen Business-Modellen von Facebook oder Google-Produkten. Letztlich funktionieren sie auf der Basis: «Ich liefere dir gratis einen Service - und du ‹bezahlst› mich mit möglichst umfassenden Daten von dir.» Das ist ein goldenes Geschäft, darum wird diese Entwicklung zunehmen. Die Frage ist, ob unsere Gesellschaft und unser Rechtssystem rechtzeitig und adäquat darauf reagieren.
Das Bundesverwaltungsgericht soll noch in diesem Jahr entscheiden, ob Internetnutzer von sich aus intervenieren müssen, wenn sie sich von Google Street View gestört fühlen. Was erhoffen Sie sich?
Wie auch immer der Fall entschieden wird, er wird Konsequenzen für die Definition der Privatsphäre haben: bezüglich Umfang, Tragweite und Wirkung. Der Bürger wird wissen, womit er rechnen muss, wenn er öffentlichen Grund betritt und fotografiert wird. Muss er also künftig ohne Weiteres akzeptieren, dass er dann auch im Internet landet und weltweit verbreitet werden kann oder nicht? Diese Frage ist das Zentrale an diesem Verfahren.
Stellungnahmen des Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten: www.edoeb.admin.ch/aktuell/index.html?lang=de