Er nahm sich Grosses vor - und hat dabei in ein Wespennest gestochen. Der Genfer Anwalt und Richter Laurent Kasper-Ansermet war 2010 von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon zum stellvertretenden Untersuchungsrichter am UN-Tribunal in Kambodscha gegen die Massenmörder der Roten Khmer berufen worden. Doch bereits am 19. März 2012 gab Kasper-Ansermet seinen Rücktritt per Anfang Mai bekannt. Begründung: Der Konflikt mit der kambodschanischen Regierung habe eine «dysfunktionale Situation» geschaffen. Sein kambodschanischer Kollege, You Bunleng, habe ihm in «aktiver Opposition» nur Steine in den Weg gelegt.
Gegen einen Schlussstrich nach «Fall 002»
Er ist nicht der erste Richter, der wegen Konflikten mit der kambodschanischen Regierung von seinem Amt am UN-Tribunal zurücktritt. Bereits sein Vorgänger, der Deutsche Siegfried Blunk, war aus ähnlichen Gründen zurückgetreten. Er hatte die Regierung scharf kritisiert, weil sie sich weigerte, dem Tribunal weitere Prozesse zuzugestehen.
Das UN-Tribunal existiert seit 2003. Im «Fall 001» verurteilte es den Folterchef Kaing Guek Eav alias Duch zweitinstanzlich zu einer lebenslangen Strafe, da er den Tod von 17 000 Menschen zu verantworten habe. Der «Fall 002» gegen den inneren Kreis des Diktators Pol Pot schleppt sich dahin und könnte bis 2018 dauern.
Derweil machte es sich Untersuchungsrichter Kasper-Ansermet zur Mission, die Fälle 003 und 004 anzugehen. Dazu ernannte er Anfang März den Australier Rob Hamill zum Privatkläger in dieser Sache. Hier geht es um den Mord an Hamills Bruder Kerry, der 1978 von den Khmer verschleppt wurde und in Duchs Foltergefängnis Tuol Sleng starb. Weiter bemühte sich Kasper-Ansermet, fünf kleinere Kaderleute der Roten Khmer ins Visier zu nehmen.
Doch der kambodschanischen Regierung scheint es zu genügen, mit der Verurteilung von Hauptangeklagten einen symbolischen Schlussstrich unter das dunkle Kapitel zu setzen. Premierminister Hun Sen stellte mehrfach klar, dass die Mission des Gerichts mit den ersten beiden Fällen erfüllt sei.
Der Hintergrund für diese Haltung: Mehr als vier Jahrzehnte nach den Schreckenstaten der Roten Khmer leben heute in Kambodscha zahllose Opfer und Täter nebeneinander. Die Regierung befürchtet, dass die Verurteilung von Mitgliedern der Roten Khmer kein Ende nehmen könnte und prominente Mitglieder der heutigen Gesellschaft, die einst in den Reihen Pol Pots dienten, an Ansehen einbüssen würden.
«Kambodscha hat seine Geschichte aufgearbeitet»
Die Bevölkerung schenkt dem Tribunal kaum Beachtung, und auch in den Medien ist das Prozessgeschehen kaum Thema. Es mutet die Kambodschaner vermutlich seltsam an, wie die hohen Uno-Richter und das Heer von Anwälten und Klägern hinter schusssicherem Glas über ein Kapitel Geschichte befinden, das Kambodscha zu vergessen versucht. Youk Chhang, Direktor des kambodschanischen Dokumentationszentrums zum Genozid, sagt: «Kambodscha hat seine Geschichte schon selber aufgearbeitet.» Sogar der kambodschanische Regisseur Rithy Panh, der kürzlich in Genf den Menschenrechtspreis des internationalen Filmfestivals für Menschenrechte entgegennahm, bezeichnet die Vorwürfe gegen Premierminister Hun Sen als unhaltbar. Denn der ehemalige Widerstandkämpfer sei es ja gewesen, der stets einen Prozess gegen die Führer der Roten Khmer angestrebt habe.
Die kambodschanische Regierung blockierte Kasper-Ansermets offizielle Ernennung zum stellvertretenden Untersuchungsrichter auf allen Ebenen und nannte seine Aktivitäten «illegal». Zudem hielt der Staat sämtliche Dokumente für die Fälle 003 und 004 unter Verschluss und im März wurde bekannt, dass für diese Fälle im Budget 2012/2013 kaum Geld zur Verfügung steht. Die Arbeit der stellvertretenden Richter werde in zirka einem Jahr «schrittweise eingestellt», stand im Budgetentwurf.
Twitter-Nachrichten mit Folgen
Allerdings scheint auch Kasper-Ansermet am Konflikt mit der Regierung nicht ganz unschuldig zu sein: Ende 2011 hatte er seinem Ärger über die Einmischung der Regierung auf dem Kurznachrichtenportal Twitter Luft gemacht. Die International Bar Association (IBA) wertete die Twitter-Texte in einem Bericht als bedenklich. Ihre Kritik: Laut dem Code of Judicial Ethics der Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia sollen die Uno-Richter «unparteiisch sein und den Anschein von Unparteilichkeit wahren». Sie dürften sich nur in einer dem «Amt angemessenen» Weise äussern, welche die «richterliche Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit nicht beeinträchtigt». Auch die von Financier George Soros getragene Open Society Justice Initiative (OSJI) nannte Kasper-Ansermets Twitter-Nachrichten «bedauerlich». Diese würden der kambodschanischen Regierung «lediglich als Vorwand dienen, um seine richterliche Ernennung abzulehnen».
Die Schweizer Regierung hielt sich aus der Kontroverse heraus, zumal die Schweiz am Tribunal weder beteiligt ist, noch es direkt unterstützt. Kasper-Ansermet sei ein nach einem Uno-internen Verfahren ausgewählter Richter und werde von der Schweiz weder als Kandidat gestellt noch unterstützt, sagt Christoph Burgener, Schweizer Botschafter für Kambodscha. Er erklärt: «Die Schweiz engagiert sich seit langem im Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Erfahrungsgemäss führt Straflosigkeit für schwerste Verbrechen zu einem Teufelskreis der Gewalt. Doch die Strafgerichtsbarkeit stellt nur einen Teil der Vergangenheitsbewältigung dar. Die Schweiz unterhält deshalb die Taskforce Dealing with the Past, ein Kompetenzzentrum, das beratend tätig ist sowie einzelne Projekte unterhält.»
Der politische Streit zur Rolle des Tribunals ist mit Kasper-Ansermets Weggang nicht gelöst. «Die Einmischung der kambodschanischen Exekutive untergräbt die Fähigkeit des Gerichts, Führer der Roten Khmer strafrechtlich zu verfolgen», sagt etwa IBA-Direktor Mark Ellis. Beobachter kritisieren aber auch die Uno. OSJI-Prozessbeobachterin Clair Duffy beanstandet: «Die Uno tut nichts gegen die Einmischung der Regierung in die Prozessakten.»
Faible für humanitäres Recht
Laurent Kasper-Ansermet hatte seinen Abschluss in Rechtswissenschaften an der Universität Genf im Jahre 1978 gemacht. Er arbeitete während 18 Jahren in Genf als Staatsanwalt, Untersuchungsrichter und Richter sowie im Bankensektor.
Dann fand er seine eigentliche Berufung, das internationale humanitäre Recht. So führte er das Pariser Büro des unabhängigen Untersuchungsausschusses zum Öl-für-Lebensmittel-Programm der Uno, wurde Mitglied des Schweizerischen Expertenpools für zivile Friedensförderung sowie Berater der Staatsanwaltschaft des UN-Sondergerichts für Sierra Leone.