Die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) erklärt den Schlichtungsversuch für obligatorisch. Es gilt der Grundsatz: «Zuerst schlichten, dann richten». Nebst dem Obligatorium will die ZPO Qualität und Vertraulichkeit der Verhandlung sicherstellen. So dürfen Aussagen der Parteien weder protokolliert noch später im Prozess verwendet werden. Einzige Ausnahme bildet die Kurzbegründung beim Entscheid oder Urteilsvorschlag. Der Schlichter erhält Spruchkompetenz, kann einen Schriftenwechsel anordnen und Beweise abnehmen.
Bis zu einem Streitwert von 5000 Franken, bei Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz und einzelnen Streitigkeiten aus Miete und Pacht können Schlichtungsbehörden einen Urteilsvorschlag unterbreiten. Der Vorschlag gilt als angenommen, wenn keine Partei innert zwanzig Tagen ablehnt. Nach Eingang der Ablehnung stellt die Behörde die Klagebewilligung zu. Andernfalls wird der Entscheid rechtskräftig. Streitwerte bis 2000 Franken können die Schlichter entscheiden, sofern die klagende Partei einen entsprechenden Antrag stellt. Dieser Entscheid kann beim oberen (also nicht beim erstinstanzlichen) kantonalen Gericht mit Beschwerde angefochten werden. Die Richtertätigkeit stehe zwar in Spannung zur Schlichteraufgabe, so die Botschaft zur ZPO. Doch würden damit die Gerichte weiter entlastet, und der Eintritt zur Justiz bleibe bürgernah und kostengünstig.
Unmut über die neue Lösung im Kanton Luzern
Die Schlichtung ist nicht für alle Fälle obligatorisch: Ab einem Streitwert von 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam darauf verzichten. Nicht vorgesehen ist sie im summarischen Verfahren, bei Scheidung, Klagen über den Personenstand, Klagen gemäss dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), bei Streitigkeiten, für die nach Artikel 5 und 6 ZPO nur eine einzige kantonale Instanz vorgesehen ist und wenn das Gericht Frist für eine Klage ansetzt.
Neu sind in allen Kantonen Anwälte bereits im Schlichtungsverfahren zugelassen. Das Schlichtungsgesuch kann mündlich oder schriftlich oder elektronisch eingereicht werden und begründet die Rechtshängigkeit. Der Bund stellt für Parteieingaben Formulare zur Verfügung.
Bei Klagen wegen Ehrverletzung gibt es künftig keine Schlichtungsverhandlung mehr. Denn solche Verfahren werden neu im Strafprozess geregelt. In allen Kantonen ist künftig die Staatsanwaltschaft dafür zuständig. Die Vielfalt der Schlichtungsbehörden in den Kantonen bleibt erhalten. Für Miet- und Gleichstellungsschlichtungen ist Parität in der Besetzung vorgeschrieben. Zudem legen weiterhin die Kantone die Gebühren fest.
Einige Stände trauen ihren Laienrichtern die neuen Aufgaben nicht mehr zu und ändern ihre Gerichtsorganisation. Der Kanton Luzern lässt an den neu nur noch vier Bezirksgerichten Luzern, Kriens, Hochdorf und Willisau je einen Friedensrichter schlichten. Eine Richterin ist Juristin, die anderen drei sind Laien. Knapp achtzig Friedensrichter verlieren ihr Amt. Bisher ist in den Gemeinden im Sportelsystem finanziert worden, das heisst, die Friedensrichter haben auf eigene Rechnung gearbeitet und dafür - nebst einer Grundentschädigung der Gemeinde - Gebühren bezogen. Die vier verbleibenden Schlichter sind hingegen neu beim Kanton angestellt. Ziel: Mehr Erfahrung und damit mehr Professionalität.
Die Reform erregt im Kanton einigen Unmut, müssen doch neu die Emmer nach Hochdorf, die Surseer nach Willisau reisen. Im Gespräch sind deshalb sogenannte «Köfferlirichter», die in anderen Gemeinden Schlichtungsverhandlungen abhalten sollen.
Klagen aus Arbeitsrecht in Zürich länger und teurer
Der Kanton Aargau traut seinen bisherigen Friedensrichtern mehr zu. Dort schlichten in den Bezirken insgesamt fünfzig vom Kanton finanzierte Richter, grösstenteils Laien. Die Aargauer haben Erfahrung mit dem neuen System, da die kantonale Zivilprozessordnung den Urteilsvorschlag bis zum Streitwert von 2000 Franken bereits kennt. Die Justizbehörden wollen nun den Friedensrichtern zur Entlastung der Gerichte auch Mut zum Entscheid machen.
Der Kanton Zürich hält ebenfalls am Friedensrichtersystem mit meist Laienbesetzung fest. Neu werden die Friedensrichter durchwegs von den Gemeinden entlöhnt. Als Zürcher Besonderheit schlichtet der Friedensrichter weiterhin in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten. Neu sind arbeitsrechtliche Klagen auch in den Städten Zürich und Winterthur beim Friedensrichteramt einzureichen. Das verlängert und verteuert die Verfahren - und reduziert die Qualität der Schlichtung gegenüber dem bisherigen Arbeitsgericht erheblich.
Die besten Richter müssten am Anfang stehen
Im Kanton Bern führte der erstinstanzliche Richter bisher auch den Aussöhnungsversuch durch. Das System hatte den Vorteil, dass ein erfahrener Richter bei komplizierter Beweis- und Rechtslage die Risiken eines Prozesses skizzieren konnte. Nun lässt der Kanton an den neu vier Regionalgerichten Bern, Thun, Burgdorf und Biel professionelle, juristisch gebildete und von den Gerichten unabhängige Schlichter amten. Allerdings sind diese auch als Ersatzrichter an den Regionalgerichten vorgesehen. Der Berner Jura erhält eine Aussenstelle in Moutier.
Nebst den bereits bestehenden Schlichtungsbehörden für Mietstreitigkeiten und Diskriminierungsfragen kannte der Kanton Basel-Stadt bisher keine allgemeine Schlichtungsbehörde. Basel will diese Aufgabe den Gerichtspräsidenten und Gerichtsschreibern des Zivilgerichts übertragen. Nach Ansicht der Justizbehörden erfordert die neue obligatorische Schlichtung materiell- und verfahrensrechtliches Know-how. Zudem hätten sich die Gerichtspräsidenten im bisherigen freiwilligen Vermittlungsverfahren als Schlichter bewährt. Artikel 47 Absatz 2 ZPO hält ausdrücklich fest, dass die Mitwirkung im Schlichtungsverfahren keinen Ausstandsgrund für das nachfolgende Verfahren darstellt. Es ist vorgesehen, dass die Präsidenten vor allem jene Fälle schlichten, die nachher ins ordentliche Verfahren kommen.
Der Kanton St. Gallen behält seine grossteils mit juristischen Laien besetzten Vermittlungsämter bei. Die Vermittler haben allerdings Erfahrung mit dem neuen System, da die kantonale Prozessordnung den Urteilsvorschlag bis zum Streitwert von 5000 Franken bereits kennt.
Die Schlichtung steht und fällt mit der Qualität des Personals. Praktiker und Gesetzgeber sind sich über die Bedeutung der Schlichtung einig. Allen ist klar: Die besten Richter müssten eigentlich am Anfang stehen. Sie könnten sinnvolle und rechtlich abgestützte Vergleichsvorschläge unterbreiten. Doch in einigen Kantonen wie Zürich oder St. Gallen ist diese Botschaft noch nicht angekommen: Sie arbeiten weiterhin mit Laien.