Betet, freie Richter, betet
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Plädoyer 02/2017
27.03.2017
Gjon David
Das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht feierte am 19. Januar seinen zehnten Geburtstag. In der Einladung zum Jubiläumsanlass des noch jungen Gerichts war von einem «unverzichtbaren Pfeiler des Schweizer Rechtsstaates und unserer Demokratie» die Rede. Ein anderer Pfeiler des Rechtsstaats und der Demokratie ging dabei fast vergessen: Bei den Medien ging die Einladung für die Feier vom Donnerstag, 19. Januar, erst am Montagnachmittag der gleichen Woche um 16.37 Uh...
Das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht feierte am 19. Januar seinen zehnten Geburtstag. In der Einladung zum Jubiläumsanlass des noch jungen Gerichts war von einem «unverzichtbaren Pfeiler des Schweizer Rechtsstaates und unserer Demokratie» die Rede. Ein anderer Pfeiler des Rechtsstaats und der Demokratie ging dabei fast vergessen: Bei den Medien ging die Einladung für die Feier vom Donnerstag, 19. Januar, erst am Montagnachmittag der gleichen Woche um 16.37 Uhr ein. Und weder der Ort noch die Zeit der Veranstaltung waren daraus ersichtlich. Kein Wunder, waren ausser plädoyer keine anderen Medien vertreten.
Deshalb hier exklusiv ein Einblick in das Programm: Ein vom Sinfonieorchester St. Gallen delegiertes Streichquartett erinnerte die Geladenen an Kompositionen von Mozart, Bach und Schubert. Gerichtspräsident Jean-Luc Baechler begrüsste in seiner Antrittsrede die geladenen Regierungs- und Nationalrätinnen, Bundesrichter und Kantonsrichterinnen, Professoren und Anwaltsvertreter in den drei wichtigsten Landessprachen. Die rund 100 anwesenden Zuhörer erfuhren, dass beim Bundesverwaltungsgericht rund 400 Leute Beschäftigung finden und im Durchschnitt jedes Jahr zwischen 7500 und 8000 Fälle erledigt werden. Dem Gericht sei ein Budget von ungefähr 80 Millionen Franken anvertraut. Und die rund 70 Richterinnen und Richter sowie die 330 «gut ausgebildeten Mitarbeitenden» würden sich Tag für Tag mit enormem Einsatz engagieren, um den an sie gestellten hohen Erwartungen gerecht zu werden.
Von diesen gut ausgebildeten Mitarbeitenden war allerdings an der Feier niemand anwesend. Zwar steht in der Ethik-Charta des Gerichts, «allen Mitarbeitenden sei mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen». Doch das galt an diesem Abend nicht. Die Gerichtsschreiber waren nicht eingeladen. Kommentar eines Betroffenen: Ein Anlass «ausschliesslich für handverlesene Gäste».
Gerichtspräsident Baechler, SVP-Mitglied, Oberstleutnant im Generalstab und Berater der Armeespitze in juristischen Fragen, wollte anscheinend bei einer derart gewichtigen Feier kein Fussvolk dabei haben. Möglich auch, dass die Gerichtsschreiber zuletzt beim Singen der Nationalhymne mit dem Text überfordert gewesen wären, als die Geladenen auf einen Wink des Präsidenten aufstanden und zuerst überrascht und zögernd, dann aus voller Kehle «Trittst im Morgenrot daher» sangen.