Bücher: Zweifel an der heilenden Wirkung von Strafanstalten
Inhalt
Plädoyer 03/2017
22.05.2017
Stephan Bernard
Gerichtspsychiater und Jurist Thomas Noll hat eine Überblicksdarstellung zu praktischen Aspekten des Strafvollzugs in der Schweiz verfasst. Er tut dies aus Sicht als ehemaliger Vollzugschef der Justizvollzugsanstalt Pöschwies und Direktor des Ausbildungszentrums für das Strafvollzugspersonal. Der Autor setzt sich namentlich mit denjenigen Konstellationen auseinander, in denen sich das Leben im Freiheitsentzug von jenem in Freiheit besonders unterscheidet. Diskutiert w...
Gerichtspsychiater und Jurist Thomas Noll hat eine Überblicksdarstellung zu praktischen Aspekten des Strafvollzugs in der Schweiz verfasst. Er tut dies aus Sicht als ehemaliger Vollzugschef der Justizvollzugsanstalt Pöschwies und Direktor des Ausbildungszentrums für das Strafvollzugspersonal. Der Autor setzt sich namentlich mit denjenigen Konstellationen auseinander, in denen sich das Leben im Freiheitsentzug von jenem in Freiheit besonders unterscheidet. Diskutiert werden unter anderem sexuelle Handlungen zwischen Insassen, Suizidprävention, Hungerstreiks von Gefangenen oder Verhinderung von Gewaltexzessen.
Dem Autor kommt das Verdienst zu, ein zu Unrecht stiefmütterlich behandeltes Thema aufgegriffen und in knapper Form systematisch erörtert zu haben. Das Buch sei allen empfohlen, die sich mit Strafvollzug beschäftigen, gerade weil es sehr stark von der institutionellen Optik geprägt ist und man diesen professionellen Blick so von innen kennenlernt. Kritisch anzumerken ist: Die Sicht der Betroffenen fehlt weitgehend, ebenso ein grundsätzlich kritischer Zugang zum Strafvollzug.
Ganz anders der deutsche Gefängnisdirektor, Rechtswissenschafter und Psychologe Thomas Galli: Er steht dem System Strafvollzug viel kritischer gegenüber als Noll. In seinem Werk wird die Realität des Strafvollzugs anhand authentischer Fälle in einer gelungenen narrativen und nicht primär systematisch-analytischen Form dargestellt. Das Buch ist keine leichte Kost, sondern macht betroffen. Just damit zeigt es die Grenzen des Strafvollzugs aus einer den Betroffenen angenäherten Sicht auf. Es lässt bei den Lesenden Fragen aufkommen, wie sinnvoll die Institution Gefängnis und die Gefängnisstrafen sind, ob so Schuld abgegolten werden kann und ob damit nicht eher Reintegration verhindert statt gefördert wird. Galli stellt sich damit wohltuend dem zurzeit herrschenden punitiven Zeitgeist und dem verbreiteten Glauben an die heilende Wirkung von Strafanstalten entgegen.
Thomas Noll
Strafvollzug – Vom Leben im Gefängnis
Stämpfli, Bern 2016,
191 Seiten, Fr. 59.–
Thomas Galli
Die Schwere der Schuld
Das neue Berlin, Berlin 2016,
192 Seiten, Fr. 17.90